Die Türkei unter Erdogan
Vom Stabilitätsanker zum unberechenbaren Bündnispartner?
Andreas Flocken
In dieser Woche ist das Land erneut Ziel eines verheerenden
Terroranschlags geworden. Mehr als 40 Tote, über 200
Verletzte. Der Anschlag auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul geht
offenbar auf das Konto der Terror-Organisation Islamischer Staat. Immer
wieder kommt es aber auch zu Attentaten kurdischer Extremisten.
Die türkische Regierung sieht sich
im Krieg mit der verbotenen kurdischen
Arbeiterpartei PKK und ihren Splitterorganisationen. Die
Anschläge, aber auch die Politik der Regierung in Ankara, drohen
das Land immer mehr zu destabilisieren. Präsident Erdogan
versucht, mit harter Hand gegenzusteuern, duldet keine
Kritik an seinem Kurs, polarisiert.
Die Opposition bekommt das immer wieder zu
spüren.
Auch auf dem internationalen
Parkett zeigte sich Erdogan bisher
machtbewusst, scheute keine Konflikte. Stichworte sind der Abschuss des
russischen Kampfflugzeugs im vergangenen Jahr, der
EU-Flüchtlingsdeal, die Eiszeit mit Israel nach der Tötung
von neun pro-palästinensischen Aktivisten vor der Küste des
Gaza-Streifens - und zuletzt hatte die Regierung in Ankara einem
Parlamentarischen Staatssekretär des
Bundesverteidigungsministeriums verboten,
Bundeswehr-Soldaten auf dem türkischen
Stützpunkt Incirlik zu besuchen - offenbar
eine Reaktion auf die Resolution des Bundestages, in der die Massaker
an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges als
Völkermord verurteilt wurden.
Das NATO-Mitglied Türkei, einst Stabilitätsanker in
der Region, gilt inzwischen unter Erdogan als unsicherer Kantonist und
schwieriger Partner. Das Land, so die Befürchtung, könnte ins
Chaos abgleiten.
Offenbar hat inzwischen auch die Regierung in Ankara erkannt,
dass sich die Türkei international immer mehr isoliert
hat. In dieser Woche nun unternahm Erdogan
einen Befreiungsschlag. Er entschuldigte sich bei Präsident Putin
für den Abschuss des russischen Kampfflugzeuges.
O-Ton Erdogan (overvoice)
„Ich habe in meinem Brief an
Herrn Putin unser tiefstes Bedauern
über den Vorfall zum Ausdruck gebracht.“
Außerdem wurde mit Israel ein Versöhnungsabkommen
unterzeichnet – sechs Jahre nach dem Sturm des
Gaza-Solidaritätsschiffes durch die israelische Marine.
Der türkische Regierungschef Yildirim setzt jetzt insbesondere auf
einen Neubeginn bei den wirtschaftlichen Beziehungen. Schließlich
waren zu Hochzeiten drei Millionen Russen und
bis zu eine halbe Million Israelis
als Touristen ins Land gekommen.
O-Ton Yildirim (overvoice)
„Praktisch betrachtet hat der Normalisierungsprozess nunmehr
begonnen. Dem werden die wirtschaftlichen Beziehungen folgen. Und das
bedeutet, dass auch der Tourismus schnell wieder belebt werden
kann.“
Aber auch gegenüber Deutschland setzte Ankara inzwischen
auf Deeskalation. Verteidigungsministerin von der Leyen wurde erlaubt,
die deutschen Soldaten in Incirlik zu besuchen. Von dort starten
Bundeswehr-Tornados zu Aufklärungsflügen über Syrien und
den Irak. Ob demnächst aber auch wieder
Staatssekretäre des Verteidigungsministeriums
oder Bundestagsabgeordnete und deutsche Journalisten die Truppe
besuchen dürfen – das ist noch ungewiss. Das
Verteidigungsministerium versucht, den Konflikt
herunterzuspielen. Ministeriumssprecher Jens Flosdorff:
O-Ton Flosdorff
„Auf operativer Ebene läuft in Incirlik alles in sehr guter,
kooperativer Zusammenarbeit mit den örtlichen Verantwortlichen.
Auch in der Ägäis-Mission läuft das weiter reibungslos
in guter, vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den türkischen
Autoritäten, die dort sind.“
Die Regierung in Ankara -
im Moment ist sie also auf
Versöhnungskurs. Die Frage bleibt allerdings, ob dieser dauerhaft
sein wird. Die Türkei ist unter der Führung des
ungestümen Recep Tayyip Erdogan inzwischen selbst für
NATO-Mitglieder ein unberechenbarer Partner. Keine guten Aussichten
für das bereits jetzt schwierige internationale Krisenmanagement
in der Region.
Andreas Flocken ist Redakteur
für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und
Strategien" bei NDRinfo.
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