Die Russische Syrien-Intervention
Machtdemonstration auch gegenüber dem Westen?
Björn Müller
Russlands Intervention in Syrien um das Assad-Regime zu stützen,
hat den Westen aufgeschreckt. Bisher traute man den Russen lediglich
zu, Operationen in Nachbarstaaten durchzuführen, z.B. in Georgien
und der Ukraine. Das gängige Bild war: Russlands Streitkräfte
sind zwar nicht mehr so rückständig wie in den 1990er Jahren;
von den agilen Interventionsarmeen westlicher Militärmächte
wie Frankreich und Großbritannien ist die russische Armee aber
noch weit entfernt. Doch das war ein Trugschluss.
In rund einem Monat verlegte das russische Oberkommando zwei
Fliegerstaffeln mit über 30 Kampfflugzeugen nach Syrien sowie
Kampfhubschrauber, Schützenpanzer und weiteres Kriegsgerät
wie Flugabwehreinheiten. Bodentruppen zur Absicherung der
Militärstützpunkte in Tartus und Latakia gehören
ebenfalls zum russischen Kontingent. Über dessen Stärke gibt
es keine gesicherten Angaben. Wahrscheinlich handelt es sich um Teile
einer Marineinfanterie-Brigade mit bis zu 500 Mann.
Dass die Streitkräfte des Kreml eine Expeditionsarmee bis
in den Nahen Osten entsenden können, überrascht westliche
Militär-Strategen, wie US-General Ben Hodges. Der Oberbefehlshaber
der US-Army in Europa, äußerte in einem Interview mit dem
Fachblatt „Defense News“, wie beeindruckt er von der
Schnelligkeit sei, mit der die Russen ihr Material nach Syrien verlegt
hätten. Woher kommt die Leistungsfähigkeit der russischen
Streitkräfte? Und ist der Einsatz auch eine ernst zu nehmende
Machtdemonstration, eine Show of Force, gegenüber dem Westen?
Der wichtigste Grund für die neue Leistungsfähigkeit
der russischen Armee ist eine tief greifende Organisationsreform seit
dem Georgienkrieg 2008. So wurde die schwerfällige Struktur
großer Divisionen aufgegeben, bei der Luftwaffe wie beim Heer.
Der Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign
Relations in Berlin:
O-Ton Gressel
„Die Divisionen wurden zu Brigaden umgestellt, die ohne eine
Mobilmachung und eine Teilkaderung auskommen, und voll
einsatzfähig sind.“
Anders als beispielsweise bei der Bundeswehr, sind die meisten
russischen Brigaden zu 100 Prozent mit Material und Soldaten
ausgestattet. Sie können damit sehr schnell eingesetzt werden.
Zumal ein Großteil der Großverbände nun aus
Berufssoldaten besteht. Ein weiterer Grund für die hohe
Einsatzfähigkeit der russischen Streitkräfte ist laut
Militärexperte Gressel eine verbesserte Logistikkette:
O-Ton Gressel
„Vom Ausfall eines Fahrzeugs, eines Flugzeugs, bis hin zum
Zuschub von Ersatzteilen rennt diese Kette eben viel straffer,
kürzer, schneller, besser organisiert und ohne viele Schreibtische
dazwischen.“
Die bessere Logistik erlaubt den Russen, ihr Material zielgerichteter einzusetzen.
O-Ton Gressel
„Dass macht sich jetzt bemerkbar. Wir haben eine viel höhere
Einsatzbereitschaft des Materials, das vorher auch schon da war. Es
wurden zwar nicht großartig neue Panzer, Flugzeuge, Schiffe etc.
beschafft. Aber dass, was da ist, hat eine viel höhere
Einsatzbereitschaft.“
Der entscheidende Faktor der russischen
Machtdemonstration in Syrien ist vor allem eine verbesserte
Organisation - weniger besseres Material. Das wird deutlich, wenn man
einen Blick auf das Hauptkampfmittel der Russen vor Ort wirft, ihre
Kampfflugzeuge, sagt Wolfgang Richter, Militärexperte an der
Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin:
O-Ton Richter
„Da handelt es sich zum großen Teil um Flugzeugtypen, die
aus den Zeiten des Kalten Krieges herrühren. Sie haben dort nur
wenige Flugzeuge neuer Produktion. Ich denke an SU-35. Und sie setzen
dort offensichtlich keine Hightech-Waffen ein, mit diesen Flugzeugen,
sondern ziemlich herkömmliche Bomben.“
Die russischen Bombenangriffe in Syrien erfolgen meist zur
Unterstützung von Assads Bodentruppen. Und der visuell
beindruckende strategische Bomber der Russen, die Tupolew Tu-160, der
in westlichen Medien als „Weißer Schwan“ viel
Aufmerksamkeit erhielt, wirft lediglich sogenannte Freifallbomben ab
– allerdings aus größeren Höhen. Dadurch leidet
die Präzision und Opfer unter der Zivilbevölkerung werden
wahrscheinlicher. Westliche Angriffstaktiken mit lasergelenkten
Präzisionsbomben führen die russischen Luftstreitkräfte
nur vereinzelt aus. Hier, das zeigt das Beispiel Syrien, stecken die
russischen Luftstreitkräfte noch in den Anfängen. Das
Vorgehen ihrer Luftwaffe ist immer noch geprägt durch die Rollen
in der Sowjetzeit bzw. während der Ost-West-Konfrontation: Direkte
Luftunterstützung für Bodentruppen und – bei einer
Eskalation mit der NATO - der Abwurf von Atombomben.
Nichtsdestotrotz nutzen die russischen Streitkräfte Syrien, um ein
wichtiges System zur Kriegsführung zu testen, das vorher noch nie
zum Einsatz kam. Dabei handelt es sich um GLONASS, das russische
Pendant zum amerikanischen Satellitensystem GPS. Mit GLONASS lassen
sich beispielsweise Bomben präziser ins Ziel lenken; eine
günstigere und genauere Variante als die Steuerung per Laser.
GLONASS lenkte auch die 26 Cruise-Missiles vom Typ
„Kalibr“, die Russland von Kriegsschiffen im Kaspischen
Meer abfeuerte, um Ziele in Syrien anzugreifen. Der Einsatz dieser
Waffen war eine Machtdemonstration Russlands gegenüber den
westlichen Kontrahenten. So sieht es jedenfalls der Militärexperte
Richter:
O-Ton Richter
„Da steckt schon ein Signal dahinter. Russland zeigt dem Westen,
dass es ähnlich, wie die Amerikaner, über
Einsatzmöglichkeiten verfügen, die über weite
Entfernungen, das Ziel sehr präzise treffen
können.“
Mit dem Einsatz der Marschflugkörper sind die Russen in
einen Bereich der Waffentechnik vorgestoßen, der bis dato als
Domäne der weltweiten Militärmacht Nr. 1, den USA, galt. Dass
der Einsatz von See erfolgte, hat laut Wolfgang Richter einen
speziellen Grund:
O-Ton Richter
„Man zeigt, dass man nicht Rüstungskontrollverträge
bricht. Denn es gibt ja den Vertrag über die
Mittelstreckenraketen, die bodengestützte Marschflugkörper
und Mittelstreckenraketen einschließt. Diese Waffen sind seit
1987 im bilateralen Verhältnis Russland/USA verboten. Und Russland
hat deswegen die Alternative gewählt, solche Waffen von See
abzufeuern.“
Mit dem seegestützten Einsatz der Marschflugkörper
in Syrien hat Russland eine doppelte Botschaft an den Hauptkonkurrenten
USA geschickt: Wir sind militärtechnisch auf Augenhöhe und
auch die politische Begrenzung für den Einsatz dieses schweren
Waffen-Systems können wir umgehen.
Zudem zeigen die Russen in Syrien, das sie sich in den letzten
Jahren auf den Aufbau von Luftabwehrsystemen konzentriert haben, -
Fähigkeiten, die die westlichen Militärmächte im Falle
einer Konfrontation mit Russland nur schwer ausschalten könnten.
So sieht es zumindest der Militärkenner Gustav Gressel:
O-Ton Gressel
„Niemand hat sich Gedanken gemacht, wie man Luftoperationen
führt, in einem Gebiet, wo Russland mit Fliegerabwehr den Luftraum
weiträumig in Schach halten kann. Unsere Anti-Radiation-Missiles
haben da ein Reichweitenproblem. Wir haben den Angriff auf solche
Systeme seit dem 1990/1991 Golfkrieg nicht mehr geübt. Also hier
sind viele Kapazitäten verschwunden, wurden nicht mehr
nachbeschafft. Und Russland ist ganz gezielt in diese Lücken
hineingestoßen.“
Auf dem syrischen Kriegsschauplatz hat Russland
Flugabwehreinheiten stationiert, wie den Lenkwaffenkreuzer
„Moskwa“, der mit seinen Raketen vom Typ „S 300
Fort“ einen Radius von 150 Kilometern abdeckt. Russland hat sich
in Syrien damit das geschaffen, was Militärs eine „Access
Denial“-Option nennen – eine Möglichkeit, den Zugang
der westlichen Luftstreitkräfte zum Kriegsschauplatz zu
begrenzen.
Die Art und Weise wie Russland seinen Feldzug in Syrien
führt, ist ein Offenbarungseid für die westliche
Eindämmungsstrategie gegen Moskau seit der Ukraine-Krise 2014. Bei
NATO und EU hatte man sich auf eine statische Frontbildung gegen
Russland in Europa eingestellt. Russland sollte militärisch
eingedämmt und wirtschaftlich geschwächt werden. Das
Kalkül ist jedoch nicht aufgegangen. Russlands Sprung nach Syrien
zeigt, dass es trotz Sanktionen und so mancher Defizite im Bereich der
Waffentechnologie, zu offensiven Militäroperationen weit von der
Heimat fähig ist. Möglich wurde dies in erster Linie durch
eine bessere Organisation der vorhandenen militärischen
Fähigkeiten Russlands.
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