EU-Militäroperation gegen Schleuser – Aktionismus oder
wirksames Instrument zur Entschärfung der Flüchtlingskrise?
Björn Müller
Deutschland beteiligt sich mit einer Fregatte und einem Versorger an
der Mission. Die restliche Flotte umfasst fünf weitere Fregatten,
ein Mehrzweckschiff sowie ein Patrouillenboot. Zudem gehören drei
Seeaufklärungsflugzeuge zum Verband sowie ein Hubschrauber.
Der Auftrag der EU-Flotte lautet: Schleuser auf See entdecken und festsetzen. Kann das funktionieren?
In der ersten Phase der Militäroperation von Juni bis
Oktober lautete der Auftrag der Einsatzflotte nur, festzustellen,
welche Routen und Sammelpunkte die Schleuser nutzen. Es galt
außerdem, ihre Netzwerke zu erkennen. Dazu werden gerettete
Flüchtlinge an Bord der Kriegsschiffe befragt. Die Schiffe machen
Radarmessungen im Einsatzgebiet, um verdächtige Schiffsbewegungen
zu entdecken. Die Aufklärungsflugzeuge patrouillieren im
Einsatzgebiet - angeblich alles sehr erfolgreich.
O-Ton von der Leyen
„Wir haben viele Informationen inzwischen, die sich zu einem Bild
verdichten, dass man gezielt gegen die Schlepper vorgehen kann. Das
ändert nichts an der Seenotrettung, das ist ganz klar. Aber in
einem zweiten Schritt diese Kriminalität dahinter, nicht mehr
schalten und walten zu lassen, das ist mir wichtig.“
Anfang Oktober hat die zweite Phase der Mission
begonnen: Jetzt kann die EU-Flotte auf Hoher See mutmaßliche
Schleuserschiffe mit Waffengewalt stoppen und durchsuchen, um
potenzielle Schlepper festzusetzen. Inzwischen haben die Europäer
sogar ein Mandat der Vereinten Nationen, das noch weiter geht. Es
erlaubt die Zerstörung von Schlepperschiffen in internationalen
Gewässern.
Folgt man von der Leyen, ist nun alles klar: Die Aufklärung
war erfolgreich. Man hat viele Informationen, jetzt wird gegen die
Schlepper vorgegangen und der Flüchtlingsstrom wird abebben, so
das Bild, das die Politik der Öffentlichkeit vermittelt. Der
Marineexperte Heinz-Dieter Jopp vom Institut für
strategische Zukunftsanalysen der Carl
Friedrich von Weizsäcker-Stiftung
glaubt nicht daran. Er hat eine andere Erklärung für
die Vorgehensweise der EU im Mittelmeer:
O-Ton Jopp
„Die Idee ist ja entstanden aus der relativ erfolgreichen
EU-Mission Atalanta, im Kampf gegen die Piraten, am Horn von Afrika.
Ich habe aber meine Zweifel, ob das im Mittelmeerbereich so konsequent
zu machen ist; am Horn von Afrika mussten sie ja nur gucken, wo die
Piraten-Mutterschiffe sind. Diese Form der Organisation haben Sie ja im
Mittelmeer nicht, weil die Schlepper ja nur das Boarding der
Flüchtlinge organisieren.“
Dass die Schleuser nicht auf dem Meer anzutreffen sind,
beobachten auch Flüchtlingshelfer vor Ort. Ingo Werth,
Kapitän der „Seawatch“, ein Boot einer
Nichtregierungsorganisation, das Flüchtlinge vor der lybischen
Küste rettet:
O-Ton Werth
„Diese Annahme, man würde Schlauchboote treffen, die von
Schleuserbooten begleitet werden, ist gelinde gesagt, totaler Unsinn.
Es gibt auch die Annahme, dass vom Strand aus diese Boote 10 Meilen von
einem Schleuserboot gegebenenfalls rausgeschleppt werden. Das ist
manchmal so, aber durchaus nicht durchgängig. Und dann ist aber
Feierabend. Warum sollten die Schleuser sich auf internationale
Gewässer begeben? Die machen doch kein Himmelfahrtskommando.“
Die Schleuser haben es gar nicht nötig, mit eigenen
Schiffen auf das Mittelmeer hinauszufahren. Sie bedienen sich
stattdessen einer „Lemming-Strategie“. Sie weisen die
Flüchtlinge in den vollbesetzten Booten an, im Mittelmeer in
Richtung Europa zu tuckern, wo sie dann bestenfalls von Schiffen, wie
jenen der EU-Flotte, aufgegriffen werden.
„Seawatch“-Kapitän Werth:
O-Ton Werth
„Die sagen einem, der dort am Gasgriff sitzt: Gib Gas und guckt,
wie weit ihr kommt! Fahr nicht zu schnell, damit das Boot nicht zu
schnell auseinander fällt. Aber das ist es.“
Wenig realistisch ist das Szenario der EU, man könne
mittels militärischer Boardingeinsätze auf See die Schleuser
in Bedrängnis bringen. Diese Flanke bieten die Schlepper den
Marine-Soldaten erst gar nicht. Das Operations-Hauptquartier in Rom
gibt auf Nachfrage von NDR Info lediglich an, es habe bisher im
Operationsgebiet 23 Vorfälle mit Booten gegeben, die als
Schleuserschiffe verdächtigt wurden. Wie viele davon
schlussendlich Schleuser waren, wird nicht mitgeteilt. Sicher nicht
viele, folgt man den Erkenntnissen der an der Militäroperation
beteiligten deutschen Marine-Einheiten. „Die Schleuser
verlassen in der Regel nicht die Hoheitsgewässer Tunesiens und
Libyens“, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos
NDR Info. Dass Schlepperschiffe Flüchtlingsboote begleiten,
sei nicht das dominante Szenario. Bei dem Einsatz gibt es zudem
eine weitere Schwierigkeit. Nutzt die EU-Flotte ihr vermeintlich
robustes Mandat, steht sie vor rechtlichen Problemen, so sieht es
jedenfalls der Marineexperte Heinz-Dieter Jopp:
O-Ton Jopp
„Dann taucht ja die Frage auf, die ihnen keiner so richtig
beantwortet: Woran erkenne ich denn jetzt, wenn ich ein Schiff
untersuche, nehmen Sie mal ein größeres Fischerboot, dass
das rein für Schlepperaktionen genutzt wird? Denn rein rechtlich
können Sie das dann nur versenken, wenn Sie denn sicher sind, dass
Sie hier Schlepper gefasst haben.“
Es ist die Wiederkehr eines Problems, das die EU schon bei
ihrer Anti-Piraten-Operation Atalanta vor Somalia hatte: Lautete die
Frage dort, Fischer oder Seeräuber, lautet sie nun Fischer oder
Schmuggler. Die Kaperboote der somalischen Piraten sind noch
vergleichsweise einfach zu erkennen. Sie haben in der Regel
Waffen an Bord und markante Leitern zum Entern. Solche
Erkennungszeichen hat der neue Gegner diesmal nicht zu bieten. Und:
Laut der europäischen Polizeibehörde Europol sind die
Schleusernetzwerke auf Familien- und Clanebene organisiert.
Während ein Kahn tagsüber der Fischerei dient, kann er nachts
zum Schlepperschiff werden. Der Schmuggel von Flüchtlingen ist mit
dem Alltagsgeschäft eng verwoben. Hinzu kommt: Sollte die
EU-Flotte ihr Mandat zum Aufbringen von Schiffen offensiv nutzen, droht
diplomatisches Ungemach. Eine Delegation der tunesischen
Regierungspartei Nida Tunis äußerte kürzlich bei
einem Besuch des Bundestages die Befürchtung, dass
auch Fischerboote ins Visier der Mission geraten könnten.
Das militärische Vorgehen gegen die Schlepper wird für die EU
somit zu einem Kampf gegen Windmühlen werden. Für eine
effektive Entschärfung der Flüchtlingskrise im Mittelmeer
wäre eine andere Marinemission sinnvoller, findet der frühere
Marineoffizier Heinz-Dieter Jopp:
O-Ton Jopp
„Macht’s doch anders. Garantiert denen doch eine offizielle
Passage über das Mittelmeer. Sei es mit Fähren, wie es jetzt
teilweise von Griechenland aus passiert oder mit Flugzeugen und
organisiert das andere dann in gesicherten Erstaufnahmelagern, egal, wo
das stattfindet. Damit könnt ihr doch viel besser diesem ganzen
Schleuserprinzip den Lebensfaden abschneiden. Macht sehr viel Sinn,
wird aber von der EU derzeit nicht favorisiert.“
Durch sichere Flucht-Korridore dem Geschäftsmodell der
Schleuser den Boden zu entziehen – solche konstruktiven
Ansätze sucht man vergebens im Aktionsplan der Union gegen
Schlepper. Die EU setzt auf eine aggressive Bekämpfungsstrategie.
So sieht der Operationsplan der EU-Flotte im Mittelmeer noch
weitere Eskalationsstufen vor. Bis hin zu einem militärischen
Vorgehen gegen die Schleuser an Land. Und mit ihrer
Aufklärungskomponente arbeitet die Militäroperation dem Joint
Operational Team MARE zu. Hinter MARE verbirgt sich eine neue Einheit
verschiedener EU-Behörden unter der Ägide von Europol. Der
Auftrag von MARE lautet, Schleusernetzwerke auszuschalten, indem es
deren Finanzströme kappt oder behindert.
Ob die EU diesen aggressiven Ansatz zur Bewältigung der
Flüchtlingskrise durchhält, ist höchst fraglich. In
einem Failing State, einem gescheiterten Staat wie Libyen,
militärisch zu agieren, ist erfahrungsgemäß
brandgefährlich. Aber auch das Vorhaben, die mäandernden
Schleusernetzwerke Afrikas mittels einer Polizeioperation zu stoppen,
wirkt sehr ambitioniert.
Spannend wird es Mitte November auf Malta beim Gipfel von EU und
Afrikanischer Union. Hier wollen Europäer und Afrikaner eine
Gesamtstrategie zur Eindämmung der Flüchtlingskrise
abstimmen. Es soll dabei auch um die Bekämpfung der Ursachen
von Armut und der schwachen Staatlichkeit in der Region gehen.
Mit einer Militäroperation gegen Schleuser allein wird man die
Flüchtlingskrise jedenfalls nicht lösen können.
|