Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
31. Oktober 2015


EU-Militäroperation gegen Schleuser – Aktionismus oder wirksames Instrument zur Entschärfung der Flüchtlingskrise?

Björn Müller


Deutschland beteiligt sich mit einer Fregatte und einem Versorger an der Mission. Die restliche Flotte umfasst fünf weitere Fregatten, ein Mehrzweckschiff sowie ein Patrouillenboot. Zudem gehören drei Seeaufklärungsflugzeuge zum Verband sowie ein Hubschrauber.

Der Auftrag der EU-Flotte lautet: Schleuser auf See  entdecken und festsetzen. Kann das funktionieren?

In der ersten Phase  der Militäroperation von Juni bis Oktober lautete der Auftrag der Einsatzflotte nur,  festzustellen, welche Routen und Sammelpunkte die Schleuser nutzen. Es galt außerdem, ihre Netzwerke zu erkennen. Dazu werden  gerettete Flüchtlinge an Bord der Kriegsschiffe befragt. Die Schiffe machen Radarmessungen im Einsatzgebiet, um verdächtige Schiffsbewegungen zu entdecken. Die Aufklärungsflugzeuge patrouillieren im  Einsatzgebiet  - angeblich alles sehr erfolgreich. 

O-Ton von der Leyen
„Wir haben viele Informationen inzwischen, die sich zu einem Bild verdichten, dass man gezielt gegen die Schlepper vorgehen kann. Das ändert nichts an der Seenotrettung, das ist ganz klar. Aber in einem zweiten Schritt diese Kriminalität dahinter, nicht mehr schalten und walten zu lassen, das ist mir wichtig.“

Anfang Oktober hat die zweite Phase der  Mission begonnen: Jetzt kann die EU-Flotte auf Hoher See mutmaßliche Schleuserschiffe  mit Waffengewalt stoppen und durchsuchen, um potenzielle Schlepper festzusetzen. Inzwischen haben die Europäer sogar ein Mandat der Vereinten Nationen, das noch weiter geht. Es erlaubt die Zerstörung von Schlepperschiffen in internationalen Gewässern.

Folgt man von der Leyen,  ist nun alles klar: Die Aufklärung war erfolgreich. Man hat viele Informationen, jetzt wird gegen die Schlepper vorgegangen und der Flüchtlingsstrom wird abebben, so das Bild, das die Politik der  Öffentlichkeit vermittelt. Der Marineexperte Heinz-Dieter Jopp vom Institut für  strategische  Zukunftsanalysen  der  Carl  Friedrich  von  Weizsäcker-Stiftung    glaubt  nicht daran. Er hat eine andere Erklärung für die Vorgehensweise der EU im Mittelmeer: 

O-Ton Jopp
„Die Idee ist ja entstanden aus der relativ erfolgreichen EU-Mission Atalanta, im Kampf gegen die Piraten, am Horn von Afrika. Ich habe aber meine Zweifel, ob das im Mittelmeerbereich so konsequent zu machen ist; am Horn von Afrika mussten sie ja nur gucken, wo die Piraten-Mutterschiffe sind. Diese Form der Organisation haben Sie ja im Mittelmeer nicht, weil die Schlepper  ja nur das Boarding der Flüchtlinge organisieren.“

Dass die Schleuser nicht auf dem Meer anzutreffen sind, beobachten auch Flüchtlingshelfer vor Ort.  Ingo Werth, Kapitän der „Seawatch“, ein Boot einer Nichtregierungsorganisation, das Flüchtlinge vor der lybischen Küste rettet:

O-Ton Werth
„Diese Annahme, man würde Schlauchboote treffen, die von Schleuserbooten begleitet werden, ist gelinde gesagt, totaler Unsinn. Es gibt auch die Annahme, dass vom Strand aus diese Boote 10 Meilen von einem Schleuserboot gegebenenfalls rausgeschleppt werden. Das ist manchmal so, aber durchaus nicht durchgängig. Und dann ist aber Feierabend. Warum sollten die Schleuser sich auf internationale Gewässer begeben? Die machen doch kein Himmelfahrtskommando.“

Die Schleuser haben es gar nicht nötig, mit eigenen Schiffen auf das Mittelmeer hinauszufahren. Sie bedienen sich stattdessen einer „Lemming-Strategie“. Sie weisen die  Flüchtlinge in den vollbesetzten Booten an, im Mittelmeer  in Richtung Europa zu tuckern, wo sie dann bestenfalls von Schiffen, wie jenen der EU-Flotte, aufgegriffen werden. „Seawatch“-Kapitän Werth:

O-Ton Werth
„Die sagen einem, der dort am Gasgriff sitzt: Gib Gas und guckt, wie weit ihr kommt! Fahr nicht zu schnell, damit das Boot nicht zu schnell auseinander fällt. Aber das ist es.“

Wenig realistisch ist das Szenario der EU, man könne mittels militärischer Boardingeinsätze auf See die Schleuser in Bedrängnis bringen. Diese Flanke bieten die Schlepper den Marine-Soldaten erst gar nicht. Das Operations-Hauptquartier in Rom gibt auf Nachfrage von NDR Info lediglich an, es habe bisher im Operationsgebiet 23 Vorfälle mit Booten gegeben, die als Schleuserschiffe verdächtigt wurden. Wie viele davon schlussendlich Schleuser waren, wird nicht mitgeteilt. Sicher nicht viele, folgt man den Erkenntnissen der an der Militäroperation beteiligten  deutschen Marine-Einheiten. „Die Schleuser verlassen in der Regel nicht die Hoheitsgewässer Tunesiens und Libyens“, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos NDR Info. Dass Schlepperschiffe Flüchtlingsboote begleiten, sei  nicht das dominante Szenario. Bei dem Einsatz gibt es zudem eine weitere Schwierigkeit. Nutzt die EU-Flotte ihr vermeintlich robustes Mandat, steht sie vor rechtlichen Problemen, so sieht es jedenfalls der Marineexperte Heinz-Dieter Jopp:

O-Ton Jopp
„Dann taucht ja die Frage auf, die ihnen keiner so richtig beantwortet: Woran erkenne ich denn jetzt, wenn ich ein Schiff untersuche, nehmen Sie mal ein größeres Fischerboot, dass das rein für Schlepperaktionen genutzt wird? Denn rein rechtlich können Sie das dann nur versenken, wenn Sie denn sicher sind, dass Sie hier Schlepper gefasst haben.“

Es ist die Wiederkehr eines Problems, das die EU schon bei ihrer Anti-Piraten-Operation Atalanta vor Somalia hatte: Lautete die Frage dort, Fischer oder Seeräuber, lautet sie nun Fischer oder Schmuggler. Die Kaperboote der somalischen Piraten sind noch vergleichsweise einfach zu erkennen. Sie haben in der Regel  Waffen an Bord und markante Leitern zum Entern. Solche Erkennungszeichen hat der neue Gegner diesmal nicht zu bieten. Und: Laut der europäischen Polizeibehörde Europol sind die Schleusernetzwerke auf Familien- und Clanebene organisiert. Während ein Kahn tagsüber der Fischerei dient, kann er nachts zum Schlepperschiff werden. Der Schmuggel von Flüchtlingen ist mit dem Alltagsgeschäft eng verwoben. Hinzu kommt: Sollte die EU-Flotte ihr Mandat zum Aufbringen von Schiffen offensiv nutzen, droht diplomatisches Ungemach. Eine Delegation der tunesischen Regierungspartei  Nida Tunis äußerte kürzlich bei einem Besuch des  Bundestages  die Befürchtung, dass auch Fischerboote ins Visier der Mission geraten könnten.

Das militärische Vorgehen gegen die Schlepper wird für die EU somit zu einem Kampf gegen Windmühlen werden. Für eine effektive Entschärfung der Flüchtlingskrise im Mittelmeer wäre eine andere Marinemission sinnvoller, findet der frühere Marineoffizier Heinz-Dieter Jopp:

O-Ton Jopp
„Macht’s doch anders. Garantiert denen doch eine offizielle Passage über das Mittelmeer. Sei es mit Fähren, wie es jetzt teilweise von Griechenland aus passiert oder mit Flugzeugen und organisiert das andere dann in gesicherten Erstaufnahmelagern, egal, wo das stattfindet. Damit könnt ihr doch viel besser diesem ganzen Schleuserprinzip den Lebensfaden abschneiden. Macht sehr viel Sinn, wird aber von der EU derzeit nicht favorisiert.“

Durch sichere Flucht-Korridore dem Geschäftsmodell der Schleuser den Boden zu entziehen – solche konstruktiven Ansätze sucht man vergebens im Aktionsplan der Union gegen Schlepper. Die EU setzt auf eine aggressive Bekämpfungsstrategie. So sieht der Operationsplan der  EU-Flotte im Mittelmeer noch weitere Eskalationsstufen vor. Bis hin zu einem militärischen Vorgehen  gegen die Schleuser an Land. Und mit ihrer Aufklärungskomponente arbeitet die Militäroperation dem Joint Operational Team MARE zu. Hinter MARE verbirgt sich eine neue Einheit verschiedener EU-Behörden unter der Ägide von Europol. Der Auftrag von MARE lautet, Schleusernetzwerke auszuschalten, indem es deren Finanzströme kappt oder behindert. 

Ob die EU diesen aggressiven Ansatz zur Bewältigung der Flüchtlingskrise durchhält, ist höchst fraglich. In einem Failing State, einem gescheiterten Staat  wie Libyen, militärisch zu agieren, ist erfahrungsgemäß brandgefährlich. Aber auch das Vorhaben, die mäandernden Schleusernetzwerke Afrikas mittels einer Polizeioperation zu stoppen, wirkt sehr ambitioniert. 

Spannend wird  es Mitte November auf Malta beim Gipfel von EU und Afrikanischer Union. Hier wollen Europäer und Afrikaner eine Gesamtstrategie zur Eindämmung der Flüchtlingskrise abstimmen.  Es soll dabei auch um die Bekämpfung der Ursachen von Armut und der schwachen Staatlichkeit  in der Region gehen. Mit einer Militäroperation gegen Schleuser allein wird man die Flüchtlingskrise jedenfalls nicht lösen können.