G36-„Präzisionsproblem“
Beispiel für mangelhafte Fehlerkultur in der Bundeswehr?
Andreas Flocken
Seit Jahren gibt es Berichte über Probleme mit dem
Sturmgewehr. Die Bundeswehr-Führung wollte davon bisher allerdings
nichts wissen – alle Vorwürfe wurden zurückgewiesen. In
dieser Woche nun die Kehrtwende. Verteidigungsministerin
O-Ton von der Leyen
„Es sieht so aus als ob das G36 doch ein Präzisionsproblem
hat. Insbesondere bei hohen Temperaturen…“
…und wenn die Waffe heißgeschossen wurde, d.h.
nach einer häufigen Schussfolge. Dann gibt es offenbar Probleme
mit der Treffgenauigkeit. Das ist das vorläufige Ergebnis einer
erneuten technischen Untersuchung des Sturmgewehrs. Die
Verteidigungsministerin ging mit diesen Erkenntnissen an die
Öffentlichkeit, obwohl noch kein Abschlussbericht der Experten
vorliegt.
Das ist bemerkenswert. Denn jahrelang hatte die Bundeswehr-Führung
bei den Vorwürfen gegen das Gewehr eine ganz andere Position
vertreten und Probleme geleugnet.
So teilte im November 2012 der damalige Staatsekretär
Kossendey nach einer vom Verteidigungsausschuss angeforderten
Prüfung den Abgeordneten schriftlich mit:
Zitat
„Die Prüfung hat die bisherige Bewertung des
Bundesministeriums der Verteidigung, dass für die aufgetretenen
Effekte physikalische Gesetzmäßigkeiten ursächlich
sind, bestätigt. Es wurde kein Mangel am G36 festgestellt
(…) Die Voraussetzungen für die Nutzung des Gewehrs G36
sind unverändert gegeben“.
Und im vergangenen Jahr beharrte der Pressesprecher des
für die Bundeswehrausrüstung zuständigen Bundesamtes in
einem Statement gegenüber NDR Info darauf, es gebe keine Probleme
mit dem Gewehr:
O-Ton Andreas Nett
„Es ist handhabungssicher und es hat sich in der Ausbildung und
im Einsatz uneingeschränkt bewährt. Mängelberichte
liegen uns trotz mehrfacher Nachfragen nicht vor.“
Dabei gab es frühzeitig Hinweise auf Probleme mit dem
G36. Sie wurden aber von übergeordneten Stellen in der Bundeswehr
ignoriert, nicht ernst genommen oder aber schöngeredet –
jahrelang. Mitarbeiter, die auf Defizite hingewiesen haben, fanden bei
ihren Vorgesetzten kein Gehör. Sie mussten sogar mit Nachteilen
rechnen. Zuletzt waren von den zuständigen Stellen der Bundeswehr
zwar unter bestimmten Bedingungen Abweichungen bei der Treffgenauigkeit
des Sturmgewehres eingeräumt worden, dafür wurde aber eine
fehlerhafte Munitionsart verantwortlich gemacht. - Jetzt also eine
Neubewertung.
Vieles wäre im Fall des G36 möglicherweise anders
gelaufen, wenn die Bundeswehr souverän mit Kritik und Problemen
umgehen würde. Doch den Streitkräften mangelt es weiterhin an
einer konstruktiven Fehlerkultur. Auf vielen Ebenen gibt es weiterhin
eine nur geringe Bereitschaft, Fehler oder Probleme von sich aus
einzugestehen. Einmal getroffene Entscheidungen möchte man nicht
mehr korrigieren. Oft befürchten Vorgesetzte einen
Gesichtsverlust, wenn sie eingestehen, dass sie sich geirrt haben
könnten.
Ein Umdenken ist überfällig. Ein Beitrag hierzu
wäre, aufzuklären, warum Bundeswehr-Stellen jahrelang
Hinweise auf Probleme mit dem Sturmgewehr nicht ernstgenommen und
schöngeredet haben. Denn die Bundeswehr braucht eine moderne
Fehlerkultur. Nur dann ist sie in der Lage, die neuen, immer komplexer
werdenden Herausforderungen zu bewältigen.
Andreas Flocken ist Redakteur
für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und
Strategien" bei NDRinfo.
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