Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
04. April 2015


G36-„Präzisionsproblem“
Beispiel für mangelhafte Fehlerkultur in der Bundeswehr?

Andreas Flocken


Seit Jahren gibt es Berichte über Probleme mit dem Sturmgewehr. Die Bundeswehr-Führung wollte davon bisher allerdings nichts wissen – alle Vorwürfe wurden zurückgewiesen. In dieser Woche nun die Kehrtwende. Verteidigungsministerin 

O-Ton von der Leyen
„Es sieht so aus als ob das G36 doch ein Präzisionsproblem hat. Insbesondere bei hohen Temperaturen…“ 

…und wenn die Waffe heißgeschossen wurde, d.h. nach einer häufigen Schussfolge. Dann gibt es offenbar Probleme mit der Treffgenauigkeit. Das ist das vorläufige Ergebnis einer erneuten technischen Untersuchung des Sturmgewehrs. Die Verteidigungsministerin ging mit diesen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit, obwohl noch kein Abschlussbericht der Experten vorliegt.
 
Das ist bemerkenswert. Denn jahrelang hatte die Bundeswehr-Führung bei den Vorwürfen gegen das Gewehr eine ganz andere Position vertreten und Probleme geleugnet. 

So teilte im November 2012 der damalige Staatsekretär Kossendey nach einer vom Verteidigungsausschuss angeforderten Prüfung den Abgeordneten schriftlich mit: 

Zitat
„Die Prüfung hat die bisherige Bewertung des Bundesministeriums der Verteidigung, dass für die aufgetretenen Effekte physikalische Gesetzmäßigkeiten ursächlich sind, bestätigt. Es wurde kein Mangel am G36 festgestellt (…) Die Voraussetzungen für die Nutzung des Gewehrs G36 sind unverändert gegeben“. 

Und im vergangenen Jahr beharrte der Pressesprecher des für die Bundeswehrausrüstung zuständigen Bundesamtes in einem Statement gegenüber NDR Info darauf, es gebe keine Probleme mit dem Gewehr: 

O-Ton Andreas Nett
„Es ist handhabungssicher und es hat sich in der Ausbildung und im Einsatz uneingeschränkt bewährt. Mängelberichte liegen uns trotz mehrfacher Nachfragen nicht vor.“ 

Dabei gab es frühzeitig Hinweise auf Probleme mit dem G36. Sie wurden aber von übergeordneten Stellen in der Bundeswehr ignoriert, nicht ernst genommen oder aber schöngeredet – jahrelang. Mitarbeiter, die auf Defizite hingewiesen haben, fanden bei ihren Vorgesetzten kein Gehör. Sie mussten sogar mit Nachteilen rechnen. Zuletzt waren von den zuständigen Stellen der Bundeswehr zwar unter bestimmten Bedingungen Abweichungen bei der Treffgenauigkeit des Sturmgewehres eingeräumt worden, dafür wurde aber eine fehlerhafte Munitionsart verantwortlich gemacht. - Jetzt also eine Neubewertung. 

Vieles wäre im Fall des G36 möglicherweise anders gelaufen, wenn die Bundeswehr souverän mit Kritik und Problemen umgehen würde. Doch den Streitkräften mangelt es weiterhin an einer konstruktiven Fehlerkultur. Auf vielen Ebenen gibt es weiterhin eine nur geringe Bereitschaft, Fehler oder Probleme von sich aus einzugestehen. Einmal getroffene Entscheidungen möchte man nicht mehr korrigieren. Oft befürchten Vorgesetzte einen Gesichtsverlust, wenn sie eingestehen, dass sie sich geirrt haben könnten. 

Ein Umdenken ist überfällig. Ein Beitrag hierzu wäre, aufzuklären, warum Bundeswehr-Stellen jahrelang Hinweise auf Probleme mit dem Sturmgewehr nicht ernstgenommen und schöngeredet haben. Denn die Bundeswehr braucht eine moderne Fehlerkultur. Nur dann ist sie in der Lage, die neuen, immer komplexer werdenden Herausforderungen zu bewältigen.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.