Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
27. Juni 2015


Parlamentsarmee Bundeswehr
wie die Rühe-Kommission die Bündnisfähigkeit stärken will

Alexander Drechsel


Als vor 15 Monaten die Große Koalition die sogenannte Rühe-Kommission einsetzte, kamen schnell Ängste auf, die Rechte des Bundestags bei der Entsendung von deutschen Soldaten ins Ausland könnten massiv beschnitten werden. Immerhin hatte die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Verteidigungsministers Volker Rühe den Auftrag die, - Zitat – „Abstufung der Intensität der parlamentarischen Beteiligung nach Art des Einsatzes" zu untersuchen. Die Opposition aus Grünen und Linksfraktion wollte das keinesfalls mittragen und verweigerte ihre Mitarbeit in dem Gremium aus Politikern, Wissenschaftlern und Militärs.

Jetzt liegt der Abschlussbericht vor und er birgt einige Überraschungen. Nicht nur was die verfassungsrechtlich garantierte Parlamentsbeteiligung angeht. Es gibt einen zweiten Hauptaspekt in der Kommissionsarbeit, der bislang kaum Beachtung fand: Wie bündnisfähig ist die Bundeswehr?

Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg fasst die Ergebnisse der Rühe-Kommission so zusammen:

O-Ton Ehrhart
„Zum einen überrascht mich die klare Aussage in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Parlamentsvorbehalts. Er ist nicht eingeschränkt worden, wie es von Teilen der Union gefordert worden ist. Und was die Bündniseinbindung betrifft, sind die Reformen, die vorgeschlagen worden sind, meines Erachtens akzeptabel und praxisnah."

In Medien und Politik geht es stets hoch her, wenn ein neuer Auslandseinsatz der Bundeswehr diskutiert wird - angesichts der besonderen deutschen Verantwortung ein verständlicher und richtiger Reflex. Und trotz vieler neuer Auslandseinsätze in den Jahren seit der Wiedervereinigung wurde der Vorwurf laut, Deutschland sei bei zu vielen internationalen Militärmissionen aus der Reihe getanzt. Als ein Beispiel dient unter anderem der Abzug deutscher Soldaten aus den AWACS-Aufklärungsflugzeugen der NATO. So geschehen 2011 in Afghanistan und während des NATO-Luftkrieges in Libyen.

In der Öffentlichkeit wurde der Eindruck erweckt, schuld daran sei das Recht des Bundestages, über die Entsendung bewaffneter Streitkräfte ins Ausland entscheiden zu dürfen. Aber genau das sei falsch, sagte ausgerechnet Volker Rühe bei der Vorstellung des Kommissionsberichts.

O-Ton Rühe
„Die schwerwiegendsten Fehler der Vergangenheit, die zu dem Gefühl geführt haben, dass Deutschland kein verlässlicher Bündnispartner ist, sind durch Entscheidungen der Regierung erfolgt. Nicht durch Entscheidungen des Parlaments. Die Regierung ist zwei Mal aus AWACS-Systemen ausgestiegen."

In der Tat hat der Bundestag seit 1994 alle 138 Mandate für Einsätze der Bundeswehr im Ausland gebilligt. Es ist ebenso ein Irrglaube, Deutschland nehme mit seiner Parlamentsbeteiligung eine Sonderrolle in Europa ein. 17 Staaten haben laut einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik eine vergleichbare Praxis. Im Gegensatz zum Bundestag können davon sechs Parlamente den Streitkräften sogar operative Details vorgeben.

Trotzdem hat die Rühe-Kommission die bisherige Praxis überprüft. Sie will an einigen Stellen das Parlamentsbeteiligungsgesetz anpassen und hat konkrete Vorschläge gemacht. Die sieht die grüne Oppositionspolitikerin Katja Keul allerdings kritisch:

O-Ton Keul
„In den entscheidenden Punkten, wo das Parlamentsbeteiligungsgesetz geändert werden soll, bewerten wir das doch sehr problematisch. Weil da  Vorschläge gemacht werden für Konstellationen, in denen in Zukunft in der Regel kein Mandat mehr erforderlich sein soll, was eindeutig eine Verschlechterung  im Vergleich zur bisherigen Praxis ist."

Konkret bemängelt Keul beispielsweise, dass die Regierung künftig Soldaten bei Ausbildungsmissionen ohne die Zustimmung des Bundestags ins Ausland schicken soll - unter der Voraussetzung, dass Waffen nur zu Ausbildungszwecken oder zur Selbstverteidigung mitgeführt werden. Doch was passiert, falls die Konfliktlage sich ändert oder wenn die Soldaten in einem Kampfgebiet ausbilden sollen?

Ähnliche Fragen ergeben sich bei den anderen Änderungsvorschlägen der Rühe-Kommission. So sollten künftig grundsätzlich auch Erkundungskommandos, Beobachtermissionen sowie  logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen oder medizinische Hilfe außerhalb von Kampfgebieten ohne Zustimmung des Bundestages möglich werden. Ebenso sollen den Vorschlägen zufolge deutsche Soldaten in multinational besetzten Stäben bei  bewaffneten Konflikten auch ohne Bundestagsmandat weiterarbeiten dürfen, sofern sie nicht im Kampfgebiet stationiert werden oder Waffen - wie etwa Drohnen - unmittelbar steuern.

Wesentlich mehr Spielraum will die Rühe-Kommission der Regierung auch bei der Formulierung von Mandaten geben. Beispielsweise, wenn es um regionale Einsatzgebiete oder die Obergrenze der zu entsendenden Soldatinnen und Soldaten geht.

Unangetastet bleibt das Recht des Bundestages zu entscheiden, ob, wann und wo deutsche Soldaten in einen Kampfeinsatz gehen. Laut den Vorschlägen der Kommission sollen die Parlamentarier sogar das Recht auf mehr Informationen bekommen. Angeregt wird unter anderem die nachträgliche Unterrichtung über geheime Missionen von Spezialkräften oder die Bilanzierung von Auslandseinsätzen.

Aber die Bundestagsabgeordneten werden - geht es nach der Rühe-Kommission - künftig noch mehr Papier bekommen. Denn die Regierung soll jährlich darüber informieren, wo die Bundeswehr in multilaterale Strukturen eingebunden ist. Volker Rühe:

O-Ton Rühe
„Wir haben nicht mehr nur nationale Armeen. Und das hat sich im Bewusstsein noch nicht niedergeschlagen. Und das ist eigentlich das wichtigste Ergebnis: Dass wir Regierung und Parlament auffordern, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Bündnisintegration weiter fortschreitet, dass das militärische Fähigkeiten sind, die uns nicht alleine gehören, sondern wo andere sich auf uns verlassen können müssen - gesicherte Zurverfügungstellung."