Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
13. Februar 2010


Falsche Rituale statt Innerer Führung
Misshandlungsvorwürfe gegen Gebirgsjäger

Andreas Flocken

Soldaten müssen rohe Schweineleber essen, Alkohol bis zum Erbrechen trinken. In dieser Woche sind fragewürdige Mutproben und Aufnahmerituale bei den Gebirgsjägern im bayerischen Mittenwald bekannt geworden. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, spricht von einer „Angelegenheit von offenbar größerer Dimension“:

O-Ton Robbe
„Wenn es sich um derartige Rituale handelt, dann kann man davon ausgehen, dass sich so etwas, wenn man so will, historisch aufgebaut hat. Meine Befürchtung ist, dass diese Dinge weit zurückreichen, und da reden wir nicht von Jahren, sondern gegebenenfalls sogar von Jahrzehnten.“

Das hieße aber, dass die Vorgesetzten davon etwas mitbekommen haben müssten. Im Gebirgsjägerbataillon 233 ist jetzt Aufklärung angesagt Der zuständige Presseoffizier Peter Wozniak:

O-Ton Wozniak
„Und zwar scheint es so zu sein, dass Mannschaften, die schon länger im Dienst sind, also ältere Mannschaften, sich bei der Aufnahme von neu zuversetzten Soldaten, die aus der Grundausbildung gekommen sind, sich solcher Rituale bedient haben.“

Und welche Rolle spielten die Vorgesetzten? Oberstleutnant Wozniak ist sich sicher:

O-Ton Wozniak
„Es handelt sich hier ausschließlich um Rituale, die sich zwischen Mannschaftsdienstgraden abgespielt haben, das heißt, also außerhalb des Vorgesetzten/Untergebenenverhältnis, abgespielt haben.“

Inzwischen ist aber klar. Vorgesetzte wussten von diesen Praktiken. Sie seien aber mehrfach verboten worden. Gleichzeitig zitieren Zeitungen den Bundeswehrsprecher mit den Worten, in der Truppe hätten sich solche „Rituale seit Ende der 80er Jahre eingebürgert“. In den vergangenen Jahren hätten sie sich in ihrer Ausprägung und Intensität noch gesteigert.

Also kein Einzelfall. Aufnahmerituale hat es vor Jahren regelmäßig bei den verschiedenen Truppengattungen gegeben. Zum Teil gibt es sie auch heute noch. Bei Pionieren sehen sie beispielsweise anders aus als bei Panzergrenadieren. Aber fast immer war viel Alkohol im Spiel. Und manchmal wurden auch Grenzen überschritten, wurde die Menschenwürde verletzt.

Das Konzept der Inneren Führung mit dem Leitbild vom Staatsbürger in Uniform soll solche Entwicklungen und Exzesse eigentlich verhindern. Doch die Innere Führung ist offenbar in einigen Verbänden nicht immer wohlgelitten. Stattdessen macht sich manchmal ein falscher Korpsgeist breit. Möglicherweise auch begünstigt, durch Forderungen von Spitzenmilitärs nach einem ganz neuen Soldatentypus: Der Bundeswehr-Soldat als „archaischer Kämpfer“ und „High-Tech-Krieger“. Damit vermittelt man der Truppe aber, dass die Innere Führung ein Auslaufmodell ist.

Gebirgsjäger sehen sich gerne als besonders harte Männer, als Elitetruppe, ähnlich den Fallschirmjägern oder dem Kommando Spezialkräfte KSK. Kein Wunder, denn zu den Gebirgsjägern darf nicht jeder. Man muss körperlich topfit sein.

Der Kommandeur des Gebirgsjägerbataillons 233 spricht von einem harten und fordernden Dienst. Wie kaum eine andere Truppengattung stelle die Gebirgsjägertruppe ganz besondere Herausforderungen an ihre Soldaten. Gebirgsjäger sein heiße, in schwierigem alpinen Gelände, auch bei extremen Witterungsbedingungen, seinen Auftrag zu erfüllen.

Zu dem in dieser Woche bekannt gewordenen zweifelhaften Aufnahme-Ritual soll es im sogenannten Hochgebirgszug gekommen sein. Das ist eine Einheit der Gebirgsjäger, an die besonders hohe Anforderungen gestellt werden. Die Devise von Verteidigungsminister zu Guttenberg heißt jetzt:

O-Ton zu Guttenberg
„Sauber aufklären, abstellen und entsprechende Konsequenzen ziehen. Das ist das Gebot der Stunde.“

Der Verteidigungsminister hat zum Gebirgsjägerjägerbataillon 233 ein ganz besonderes Verhältnis. Vor 20 Jahren leistete er dort seinen Grundwehrdienst. Von den jetzt bekannt gewordenen Praktiken habe er keine Kenntnis gehabt, sagte zu Guttenberg in einem Zeitungsinterview. Allerdings sei er nicht bei dem nun in den Schlagzeilen stehenden Hochgebirgsjägerzug gewesen.

Auf das Ergebnis der Untersuchungen darf man gespannt sein. Einen kleinen Lichtblick gibt es allerdings. Diesmal hat sich ein Betroffener direkt an den Wehrbeauftragten gewandt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn über die Misshandlungen vor knapp sechs Jahren in der Kaserne im nordrhein-westfälischen Coesfeld hatte sich keiner der Betroffenen beschwert. Der Misshandlungsskandal war damals nur zufällig bekannt geworden. Die Rekruten hatten geglaubt, bei einer simulierten Geiselnahme gehörten Schläge und Elektroschocks einfach dazu. Eine Einstellung, die deutlich macht, wie wenig die Prinzipien der Inneren Führung bei manchen Soldaten Eingang gefunden haben.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.