Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
14. November 2009


Viel Spannungen, wenig Harmonie

die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen Streitkräften und Hilfsorganisationen

Gastbeitrag von Christoph Heinzle

Die Debatte ist oft geprägt von Berührungsängsten, Klischees, Vorurteilen und Begriffswirrwarr. Zivilisten und Militärs tun sich nicht leicht, miteinander über zivil-militärische Zusammenarbeit zu sprechen. Bei einem Konflikt wie dem in Afghanistan werden grundsätzliche, nicht selten ideologische, Bedenken noch verstärkt durch den konkreten Eindruck einer sich verschlechternden Sicherheitslage - und das bedeutet mehr Gefahr für Soldaten wie Entwicklungshelfer:

O-Ton Erös
„Es macht keinen Sinn, wenn wir uns in die Tasche lügen mit der vernetzten Sicherheit! Ich habe ja nichts gegen Bundeswehr. Aber da wo Soldaten auftauchen kracht’s. Und da wo keine Soldaten auftauchen, kracht’s halt weniger!“

Durch Zuspitzung mit einem gehörigen Schuss Polemik polarisierte Reinhard Erös beim Sicherheitspolitischen Forum im Hamburger Haus Rissen. Der frühere Bundeswehrarzt und Gründer der „Kinderhilfe Afghanistan“ hält den Militäreinsatz grundsätzlich nicht für die richtige Lösung am Hindukusch und bleibt deshalb auf Distanz. Mehr Militär erhöhe eher die Gefahr für zivile Helfer als sie zu mindern, so sein Tenor. Auch andere sind skeptisch. Blutige Gefechte, die hohe Zahl ziviler Opfer durch Militäroperationen und nicht zuletzt umstrittene Aktionen wie nächtliche Hausdurchsuchungen hätten dem Image der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan geschadet, auch dem der zivilen Helfer, meinte Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe:

O-Ton Jamann
„Wir bekommen als Welthungerhilfe mittlerweile durchaus auch Probleme, diese über 400-500 afghanischen Mitarbeiter bei der Stange zu halten. Denn auch aus diesen Gründen werden unsere afghanischen Mitarbeiter zum Teil von ihren Familien, von ihren Freunden angesprochen, man sollte doch nicht mehr mit diesen deutschen Organisationen zusammenarbeiten oder für die arbeiten, und zwar nicht nur aus Sicherheitserwägungen. Das ist natürlich auch durchaus einer Propaganda der Aufständischen geschuldet. Aber diese Propaganda wirkt.“

Doch es sind nicht nur Sicherheitsbedenken, die viele Helfer die Zusammenarbeit mit Soldaten beim Wiederaufbau in Afghanistan scheuen lassen. Dem stellvertretenden Vorsitzenden von VENRO, dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, Jürgen Lieser, geht es um das Vertrauen der Betroffenen:

O-Ton Lieser
„Das Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit sehen wir als nicht geeignet an, weil es einerseits eine Instrumentalisierung ziviler Hilfe für militärische Ziele, nämlich Aufstandsbekämpfung, beinhaltet und weil es eine aus unserer Sicht ungute Verwischung der Grenzen zwischen den Aufgaben von Streitkräften, die politischer Natur sind, und dem humanitären oder entwicklungspolitischen Mandat von zivilen Hilfsorganisationen. Hilfsorganisationen müssen neutral und – wenn Sie so wollen – unparteilich sein. Das ist nämlich eine unverzichtbare Voraussetzung, um überhaupt in gewaltsamen Konflikten zu den Betroffenen und Bedürftigen kommen zu können.“

Dabei beklagen beide Seiten – Zivilisten wie Militärs – Reibungsverluste, Parallelarbeit und mangelhafte Koordination beim Wiederaufbau in Afghanistan. Nicht nur zwischen Zivilorganisationen und NATO, sondern auch innerhalb des Bündnisses, zwischen EU, NATO und Vereinten Nationen, innerhalb der Bundeswehr und der Bundesregierung, zwischen mehreren tausend Hilfsorganisationen am Hindukusch. So mahnte General Achim Lidsba, Chef des Stabes beim Deutschen Militärischen Vertreter im NATO-Militärausschuss:

O-Ton Lidsba
„Wenn wir das ohne Synchronisation, jeder in seinem eigenen Kästchen, weitertreiben, werden wir zu keinem Ergebnis kommen. Es muss der gordische Knoten durchschlagen werden. Wir müssen zu einer Annäherung der Akteure kommen. Und wir müssen die Bereitschaft haben, aufeinander zuzugehen. Und es muss auch die Bereitschaft da sein, sich koordinieren zu lassen.“

Bundeswehroffiziere versuchen dabei, das Bild vom Entwicklungshelfer in Uniform zu korrigieren. Kleinere Projekte im unmittelbaren Umfeld der Standorte sollen auch weiter der Informationsbeschaffung und der Kontaktaufnahme zur Bevölkerung dienen. Größere Entwicklungsvorhaben überließe man gerne verstärkt zivilen Organisationen, machte General Bruno Kasdorf klar. Der frühere Chef des Stabes im Hauptquartier der Afghanistan-Schutztruppe ISAF wünscht sich nicht nur mehr Soldaten für Afghanistan, sondern auch mehr ziviles Engagement, vor allem in Gebieten mit labiler Sicherheitslage:

O-Ton Kasdorf
„Wir sind mit vielen Dingen dort beauftragt worden, wo man per se sagt: ist das wirklich unsere Aufgabe? In einer solchen Situation konnten wir dem teilweise nicht ausweichen, auch dem Brunnenbohren nicht. Wenn wir nämlich die Brunnenbohrer immer vor Ort gehabt hätten, dann hätten wir es selber nicht gemacht. Unsere Aufgabe ist es zunächst einmal, dafür zu sorgen, dass wir Sicherheit haben. Und das macht dann auch nur 20 Prozent der Gesamtaufgabe aus. Und Sicherheit sorgt dafür, dass Zeit gewährt wird, dass Raum gewährt wird für diejenigen, die dann langfristig etwas bewegen können. Aber wenn die Sicherheit nicht da ist, kommen die Organisationen auch nicht und machen es. Das ist nämlich die Grundvoraussetzung.“

Dass zivil-militärische Zusammenarbeit weder auf politischer Ebene noch vor Ort umfassend und zufriedenstellend funktioniert, bringt Kasdorf nicht von seiner Grundbotschaft ab:

O-Ton Kasdorf
„Ein Versagen in Afghanistan ist für die NATO mit Blick auf die wahrscheinlichen möglichen Konsequenzen keine Option. Der vernetzte Ansatz ist der einzige Weg zum Erfolg in Afghanistan. Bisher sind weder auf der militärischen noch auf der zivilen Seite die für einen Erfolg erforderlichen Ressourcen bereit gestellt worden.“

Doch wer soll die Führung übernehmen für eine Vernetzung von Soldaten und zivilen Helfern – in Afghanistan wie bei zukünftigen Kriseneinsätzen? Die Vereinten Nationen wohl am ehesten, obwohl sie weder direkten Zugriff auf Soldaten noch auf Nichtregierungsorganisationen haben. NATO und EU in Kooperation wohl kaum, solange der Streit um den EU-Beitritt des NATO-Staates Türkei weiter geht. Zivile Kräfte einzelner Staaten könnten vielleicht für Kriseneinsätze der Nato zur Verfügung gestellt werden, meinte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München:

O-Ton Masala
„Wenn es zu so etwas nicht kommt, dann werden wir weiterhin Streitkräfte haben, die schwerpunktmäßig Sachen machen müssen, für die sie eigentlich gar nicht ausgebildet wurden, nämlich zivilen Wiederaufbau. Dadurch dass die Präsenz von Streitkräften auch beim zivilen Aufbau so massiv ist, weil sie teilweise in Gegenden sind, wo sich andere nicht reintrauen, aber wo die Arbeit gemacht werden muss, erzeugt man über kurz oder lang natürlich den Eindruck, Besatzer zu sein.“

Doch viele Helfer sehen das Problem nicht nur im Vordringen des Militärs auf das Feld der zivilen Hilfe, sondern grundsätzlich in der massiven Präsenz von Soldaten. So stellte Jürgen Lieser von VENRO fest:

O-Ton Lieser
„Trotz starker militärischer Präsenz, fortgesetzter Truppenverstärkungen und intensiver Anstrengungen für den zivilen Aufbau konnten die in Afghanistan engagierten Staaten bisher ihre militärischen und politischen Ziele nicht erreichen. Die Afghanistan-Strategie droht zu scheitern.“

General Kasdorf entgegnete:

O-Ton Kasdorf
„Afghanistan-Strategie gescheitert? Fragezeichen. Welche Strategie? Welche Ziele verfolgen wir denn da überhaupt? Sind wir uns einig? Wir sind uns nicht einig. Die Idee, dass die internationale Gemeinschaft in Afghanistan in einem Boot sitzt, haben Sie gerade selber widerlegt. Weil Sie gesagt haben, wir dürfen auch nicht zu nah an den Streitkräften sein, weil wir ja neutral sein wollen. Wir verfolgen aber ein Ziel. Und deshalb ist auch USAID beispielsweise, eine amerikanische Regierungsorganisation, natürlich dabei, wenn es darum geht, Aufstandsbekämpfung zu betreiben. Im Sinne der amerikanischen Regierung und nicht im Sinne einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation.“

Wenn denn die gemeinsame Strategie fehlt, gibt es dann wenigstens ein gemeinsames Ziel? Offensichtlich nicht. Wo für Militärs Aufstandsbekämpfung und Eindämmung des Terrorismus im Mittelpunkt stehen, geht es für zivile Helfer wie Wolfgang Jamann von der Welthungerhilfe um die Lebensverhältnisse in Afghanistan, um humanitäre Hilfe:

O-Ton Jamann
„Wir wollen, wenn Kohärenz und Vernetzung überhaupt möglich ist, ein Primat der Schaffung von menschlicher Sicherheit sehen, die an Armutsbekämpfung orientiert ist. Wir sollten uns beim Thema vernetzte Sicherheit regelmäßig fragen: was koordinieren wir eigentlich? Koordinieren wir den Kampf gegen Aufständische? Koordinieren wir das State Building? Koordinieren wir die Sicherheit der humanitären Helfer oder doch eher die Herstellung sicherer Lebensverhältnisse der Afghaninnen und Afghanen?“

Einer Koordination durch staatliche Stellen stehen die meisten Hilfsorganisationen jedenfalls weiterhin skeptisch gegenüber – auch aus inhaltlichen Gründen, wie Jürgen Lieser verdeutlichte.

O-Ton Lieser
„Sie müssen auch sehen, dass die Mehrzahl der Nichtregierungsorganisationen ganz bewusst eine Distanz nicht nur zum Militär, sondern eben auch zu politischen Instanzen pflegt, weil sie sonst in die Gefahr gerät, eben sozusagen in dieses politische Konzept eingebunden zu werden, was sie selber aber nicht mitdefinieren können. Wenn wir als NGOs im Grunde genommen am Afghanistan- Konzept der Bundesregierung mitschreiben könnten, könnten wir ja nochmal darüber reden.“

Und so muss das hehre Ziel der zivil-militärischen Zusammenarbeit am Ende der Einsicht in die realen Verhältnisse weichen. Statt von Koordination spricht Bundeswehrgeneral Achim Lidsba schließlich nur noch von Information:

O-Ton Lidsba
„NGOs will keiner im militärischen Sinne koordinieren. Meine Mindestanforderung für die Zusammenarbeit mit NGOs ist ‚situation awareness’: dass wir voneinander wissen, was wir tun und dass wir vorzugsweise Zielkonflikte ausschließen, was die praktische Zusammenarbeit angeht. Das ist, denke ich, ein Mindeststandard, den wir gemeinsam anstreben sollten.“

Mit diesem kleinsten gemeinsamen Nenner könnten wohl auch viele Hilfsorganisationen leben. Mehr scheint derzeit nicht machbar, acht Jahre nach Sturz des Talibanregimes.


Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.