Viel Spannungen, wenig Harmonie
die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen Streitkräften
und Hilfsorganisationen
Gastbeitrag von Christoph Heinzle
Die Debatte ist oft geprägt von Berührungsängsten, Klischees,
Vorurteilen und Begriffswirrwarr. Zivilisten und Militärs tun sich
nicht leicht, miteinander über zivil-militärische Zusammenarbeit
zu sprechen. Bei einem Konflikt wie dem in Afghanistan werden grundsätzliche,
nicht selten ideologische, Bedenken noch verstärkt durch den konkreten
Eindruck einer sich verschlechternden Sicherheitslage - und das bedeutet
mehr Gefahr für Soldaten wie Entwicklungshelfer:
O-Ton Erös
„Es macht keinen Sinn, wenn wir uns in die Tasche lügen mit der
vernetzten Sicherheit! Ich habe ja nichts gegen Bundeswehr. Aber da
wo Soldaten auftauchen kracht’s. Und da wo keine Soldaten auftauchen,
kracht’s halt weniger!“
Durch Zuspitzung mit einem gehörigen Schuss Polemik polarisierte
Reinhard Erös beim Sicherheitspolitischen Forum im Hamburger Haus
Rissen. Der frühere Bundeswehrarzt und Gründer der „Kinderhilfe
Afghanistan“ hält den Militäreinsatz grundsätzlich nicht
für die richtige Lösung am Hindukusch und bleibt deshalb auf
Distanz. Mehr Militär erhöhe eher die Gefahr für zivile
Helfer als sie zu mindern, so sein Tenor. Auch andere sind skeptisch.
Blutige Gefechte, die hohe Zahl ziviler Opfer durch Militäroperationen
und nicht zuletzt umstrittene Aktionen wie nächtliche Hausdurchsuchungen
hätten dem Image der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan
geschadet, auch dem der zivilen Helfer, meinte Wolfgang Jamann, Generalsekretär
der Deutschen Welthungerhilfe:
O-Ton Jamann
„Wir bekommen als Welthungerhilfe mittlerweile durchaus auch Probleme,
diese über 400-500 afghanischen Mitarbeiter bei der Stange zu halten.
Denn auch aus diesen Gründen werden unsere afghanischen Mitarbeiter
zum Teil von ihren Familien, von ihren Freunden angesprochen, man sollte
doch nicht mehr mit diesen deutschen Organisationen zusammenarbeiten
oder für die arbeiten, und zwar nicht nur aus Sicherheitserwägungen.
Das ist natürlich auch durchaus einer Propaganda der Aufständischen
geschuldet. Aber diese Propaganda wirkt.“
Doch es sind nicht nur Sicherheitsbedenken, die viele Helfer die Zusammenarbeit
mit Soldaten beim Wiederaufbau in Afghanistan scheuen lassen. Dem stellvertretenden
Vorsitzenden von VENRO, dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen,
Jürgen Lieser, geht es um das Vertrauen der Betroffenen:
O-Ton Lieser
„Das Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit sehen wir als
nicht geeignet an, weil es einerseits eine Instrumentalisierung ziviler
Hilfe für militärische Ziele, nämlich Aufstandsbekämpfung,
beinhaltet und weil es eine aus unserer Sicht ungute Verwischung der
Grenzen zwischen den Aufgaben von Streitkräften, die politischer
Natur sind, und dem humanitären oder entwicklungspolitischen Mandat
von zivilen Hilfsorganisationen. Hilfsorganisationen müssen neutral
und – wenn Sie so wollen – unparteilich sein. Das ist nämlich eine
unverzichtbare Voraussetzung, um überhaupt in gewaltsamen Konflikten
zu den Betroffenen und Bedürftigen kommen zu können.“
Dabei beklagen beide Seiten – Zivilisten wie Militärs – Reibungsverluste,
Parallelarbeit und mangelhafte Koordination beim Wiederaufbau in Afghanistan.
Nicht nur zwischen Zivilorganisationen und NATO, sondern auch innerhalb
des Bündnisses, zwischen EU, NATO und Vereinten Nationen, innerhalb
der Bundeswehr und der Bundesregierung, zwischen mehreren tausend Hilfsorganisationen
am Hindukusch. So mahnte General Achim Lidsba, Chef des Stabes beim Deutschen
Militärischen Vertreter im NATO-Militärausschuss:
O-Ton Lidsba
„Wenn wir das ohne Synchronisation, jeder in seinem eigenen Kästchen,
weitertreiben, werden wir zu keinem Ergebnis kommen. Es muss der gordische
Knoten durchschlagen werden. Wir müssen zu einer Annäherung
der Akteure kommen. Und wir müssen die Bereitschaft haben, aufeinander
zuzugehen. Und es muss auch die Bereitschaft da sein, sich koordinieren
zu lassen.“
Bundeswehroffiziere versuchen dabei, das Bild vom Entwicklungshelfer
in Uniform zu korrigieren. Kleinere Projekte im unmittelbaren Umfeld der
Standorte sollen auch weiter der Informationsbeschaffung und der Kontaktaufnahme
zur Bevölkerung dienen. Größere Entwicklungsvorhaben überließe
man gerne verstärkt zivilen Organisationen, machte General Bruno
Kasdorf klar. Der frühere Chef des Stabes im Hauptquartier der Afghanistan-Schutztruppe
ISAF wünscht sich nicht nur mehr Soldaten für Afghanistan, sondern
auch mehr ziviles Engagement, vor allem in Gebieten mit labiler Sicherheitslage:
O-Ton Kasdorf
„Wir sind mit vielen Dingen dort beauftragt worden, wo man per se sagt:
ist das wirklich unsere Aufgabe? In einer solchen Situation konnten
wir dem teilweise nicht ausweichen, auch dem Brunnenbohren nicht. Wenn
wir nämlich die Brunnenbohrer immer vor Ort gehabt hätten,
dann hätten wir es selber nicht gemacht. Unsere Aufgabe ist es
zunächst einmal, dafür zu sorgen, dass wir Sicherheit haben.
Und das macht dann auch nur 20 Prozent der Gesamtaufgabe aus. Und Sicherheit
sorgt dafür, dass Zeit gewährt wird, dass Raum gewährt
wird für diejenigen, die dann langfristig etwas bewegen können.
Aber wenn die Sicherheit nicht da ist, kommen die Organisationen auch
nicht und machen es. Das ist nämlich die Grundvoraussetzung.“
Dass zivil-militärische Zusammenarbeit weder auf politischer Ebene
noch vor Ort umfassend und zufriedenstellend funktioniert, bringt Kasdorf
nicht von seiner Grundbotschaft ab:
O-Ton Kasdorf
„Ein Versagen in Afghanistan ist für die NATO mit Blick auf die
wahrscheinlichen möglichen Konsequenzen keine Option. Der vernetzte
Ansatz ist der einzige Weg zum Erfolg in Afghanistan. Bisher sind weder
auf der militärischen noch auf der zivilen Seite die für einen
Erfolg erforderlichen Ressourcen bereit gestellt worden.“
Doch wer soll die Führung übernehmen für eine Vernetzung
von Soldaten und zivilen Helfern – in Afghanistan wie bei zukünftigen
Kriseneinsätzen? Die Vereinten Nationen wohl am ehesten, obwohl sie
weder direkten Zugriff auf Soldaten noch auf Nichtregierungsorganisationen
haben. NATO und EU in Kooperation wohl kaum, solange der Streit um den
EU-Beitritt des NATO-Staates Türkei weiter geht. Zivile Kräfte
einzelner Staaten könnten vielleicht für Kriseneinsätze
der Nato zur Verfügung gestellt werden, meinte Carlo Masala von der
Bundeswehr-Universität München:
O-Ton Masala
„Wenn es zu so etwas nicht kommt, dann werden wir weiterhin Streitkräfte
haben, die schwerpunktmäßig Sachen machen müssen, für
die sie eigentlich gar nicht ausgebildet wurden, nämlich zivilen
Wiederaufbau. Dadurch dass die Präsenz von Streitkräften auch
beim zivilen Aufbau so massiv ist, weil sie teilweise in Gegenden sind,
wo sich andere nicht reintrauen, aber wo die Arbeit gemacht werden muss,
erzeugt man über kurz oder lang natürlich den Eindruck, Besatzer
zu sein.“
Doch viele Helfer sehen das Problem nicht nur im Vordringen des Militärs
auf das Feld der zivilen Hilfe, sondern grundsätzlich in der massiven
Präsenz von Soldaten. So stellte Jürgen Lieser von VENRO fest:
O-Ton Lieser
„Trotz starker militärischer Präsenz, fortgesetzter Truppenverstärkungen
und intensiver Anstrengungen für den zivilen Aufbau konnten die
in Afghanistan engagierten Staaten bisher ihre militärischen und
politischen Ziele nicht erreichen. Die Afghanistan-Strategie droht zu
scheitern.“
General Kasdorf entgegnete:
O-Ton Kasdorf
„Afghanistan-Strategie gescheitert? Fragezeichen. Welche Strategie?
Welche Ziele verfolgen wir denn da überhaupt? Sind wir uns einig?
Wir sind uns nicht einig. Die Idee, dass die internationale Gemeinschaft
in Afghanistan in einem Boot sitzt, haben Sie gerade selber widerlegt.
Weil Sie gesagt haben, wir dürfen auch nicht zu nah an den Streitkräften
sein, weil wir ja neutral sein wollen. Wir verfolgen aber ein Ziel.
Und deshalb ist auch USAID beispielsweise, eine amerikanische Regierungsorganisation,
natürlich dabei, wenn es darum geht, Aufstandsbekämpfung zu
betreiben. Im Sinne der amerikanischen Regierung und nicht im Sinne
einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation.“
Wenn denn die gemeinsame Strategie fehlt, gibt es dann wenigstens ein
gemeinsames Ziel? Offensichtlich nicht. Wo für Militärs Aufstandsbekämpfung
und Eindämmung des Terrorismus im Mittelpunkt stehen, geht es für
zivile Helfer wie Wolfgang Jamann von der Welthungerhilfe um die Lebensverhältnisse
in Afghanistan, um humanitäre Hilfe:
O-Ton Jamann
„Wir wollen, wenn Kohärenz und Vernetzung überhaupt möglich
ist, ein Primat der Schaffung von menschlicher Sicherheit sehen, die
an Armutsbekämpfung orientiert ist. Wir sollten uns beim Thema
vernetzte Sicherheit regelmäßig fragen: was koordinieren
wir eigentlich? Koordinieren wir den Kampf gegen Aufständische?
Koordinieren wir das State Building? Koordinieren wir die Sicherheit
der humanitären Helfer oder doch eher die Herstellung sicherer
Lebensverhältnisse der Afghaninnen und Afghanen?“
Einer Koordination durch staatliche Stellen stehen die meisten Hilfsorganisationen
jedenfalls weiterhin skeptisch gegenüber – auch aus inhaltlichen
Gründen, wie Jürgen Lieser verdeutlichte.
O-Ton Lieser
„Sie müssen auch sehen, dass die Mehrzahl der Nichtregierungsorganisationen
ganz bewusst eine Distanz nicht nur zum Militär, sondern eben auch
zu politischen Instanzen pflegt, weil sie sonst in die Gefahr gerät,
eben sozusagen in dieses politische Konzept eingebunden zu werden, was
sie selber aber nicht mitdefinieren können. Wenn wir als NGOs im
Grunde genommen am Afghanistan- Konzept der Bundesregierung mitschreiben
könnten, könnten wir ja nochmal darüber reden.“
Und so muss das hehre Ziel der zivil-militärischen Zusammenarbeit
am Ende der Einsicht in die realen Verhältnisse weichen. Statt von
Koordination spricht Bundeswehrgeneral Achim Lidsba schließlich
nur noch von Information:
O-Ton Lidsba
„NGOs will keiner im militärischen Sinne koordinieren. Meine Mindestanforderung
für die Zusammenarbeit mit NGOs ist ‚situation awareness’: dass
wir voneinander wissen, was wir tun und dass wir vorzugsweise Zielkonflikte
ausschließen, was die praktische Zusammenarbeit angeht. Das ist,
denke ich, ein Mindeststandard, den wir gemeinsam anstreben sollten.“
Mit diesem kleinsten gemeinsamen Nenner könnten wohl auch viele
Hilfsorganisationen leben. Mehr scheint derzeit nicht machbar, acht Jahre
nach Sturz des Talibanregimes.
Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.
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