Hightech-Waffen oder mehr Manpower?
Streit zwischen Pentagon und Offizierskorps über den Kurs der US-Streitkräfte
Gastbeitrag von Jürgen Rose
Seit nunmehr fünf Jahren führen die US-Streitkräfte einen blutigen Krieg im Irak.
Noch länger dauert der Kampf am Hindukusch, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Über
4.000 GIs verloren dabei bis jetzt ihr Leben, knapp 30.000 wurden verwundet, nicht
berücksichtigt die psychisch Traumatisierten. Völlig aus dem Ruder laufen zudem die
Kriegskosten, für die der amerikanische Steuerzahler aufkommen muss. Der ehemalige
Vizechef der Weltbank und Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph Stiglitz, hat
errechnet, dass für die USA der Irak-Krieg der seit Vietnam zweitlängste und seit dem
Zweiten Weltkrieg auch teuerste Krieg ihrer Geschichte ist. Dessen tatsächliche Kosten
betragen nämlich mehr als drei Billionen, also über 3.000 Milliarden US-Dollar. Parallel
dazu mehren sich die Stimmen, die vor einer Überbeanspruchung des US-Militärs warnen. So
konstatierte der Stabschef der U.S. Army, General George Casey, während einer Anhörung
vor dem Streitkräfte-Ausschuss des US-Senats Anfang März: "Die kumulativen Effekte
von mehr als sechs Jahren Krieg haben unsere Armee aus dem Gleichgewicht gebracht."
Und als wäre diese Lage nicht an sich schon misslich genug, fördert das aktuelle
Wettrennen um die US-Präsidentschaftskandidatur weitere Peinlichkeiten über die
amerikanischen Streitkräfte zutage. So monierte Senator Barack Obama, dass eine Einheit
der 10. Gebirgsjägerdivision der U.S. Army in Afghanistan nicht nur unter
Personalknappheit litt, sondern überdies noch zu wenig Waffen, Munition und Fahrzeuge
hatte. Daher seien die betreffenden Soldaten gezwungen gewesen, Waffen von den Taliban zu
erbeuten. Laut Obama war es für sie einfacher, an Waffen der Taliban zu gelangen, als von
ihrem verantwortlichen Befehlshaber angemessen ausgerüstet zu werden. Informiert hatte
den Senator über diese Zustände ein Hauptmann, der die fragliche Gebirgsjäger-Einheit
in den Jahren 2003 und 2004 selbst geführt hatte. Zunächst dementierte das Pentagon
Obamas Rügen. Kurz darauf aber musste General Casey einräumen, dass an dessen Kritik
nicht zu zweifeln sei. Tatsächlich sei es im Gefolge des Irak-Krieges zeitweilig
schwierig gewesen, die in Afghanistan eingesetzten Truppen mit gepanzerten Fahrzeugen,
Munition, Ersatzteilen und anderer Ausrüstung zu versorgen.
Indirekt unterstreicht auch das Ergebnis einer breit angelegten Befragung unter aktiven
und ehemaligen Offizieren des US-Militärs derartige und andere Defizite in den
Streitkräften der USA. So bewertete beispielsweise lediglich ein Drittel der Befragten
die Ausrüstung und insbesondere die Schutzausstattung der Soldaten und Soldatinnen als
"adäquat". Die Mehrheit, nämlich 45 Prozent, beurteilte dagegen die
Ausrüstung als "inadäquat". Initiiert worden war die Offiziersbefragung unter
dem Rubrum "U.S. Military Index" von der konservativen Fachzeitschrift FOREIGN
POLICY in Kooperation mit dem CENTER FOR A NEW AMERICAN SECURITY, einem
sicherheitspolitischen Think Tank. Von Dezember 2007 bis Januar 2008 haben 3.437 Offiziere
vom Dienstgrad Major bis zum General an der Erhebung teilgenommen, verteilt über die
Teilstreitkräfte Army, Navy, Air Force und Marine Corps.
Diese Umfrage erbrachte weitere aufschlussreiche, teils aber auch alarmierende
Resultate. So ist nach Einschätzung einer Mehrheit von sechzig Prozent der Befragten die
Schlagkraft des US-Militärs heutzutage schwächer als noch vor fünf Jahren. Gefragt nach
den Gründen hierfür, nannten die Offiziere vor allem die Belastung durch die Kriege im
Irak und in Afghanistan sowie die ständigen Truppenverlegungen, welche diese Konflikte
erforderlich machten. Fast neunzig Prozent glauben, dass die Kriegsanforderungen im Irak
das US-Militär ausgepowert wörtlich: "gefährlich ausgedünnt"
hätten. Folgerichtig halten es vier Fünftel aller Offiziere in Anbetracht der
umfangreichen Truppenstationierungen im Irak und in Afghanistan für falsch, irgendwo auf
der Welt einen weiteren großangelegten Krieg zu beginnen. Zu dieser Diagnose einer
überbeanspruchten Truppe passt die Antwort, welche die Militärs auf die Frage nach den
Faktoren gaben, die sich besonders negativ auf die Lage im Irak ausgewirkt hätten. Zum
einen führten sie die zu geringe Stärke der US-Truppen beim Einmarsch in das
Zweistromland an, zum anderen die Auflösung der irakischen Armee. Dieser politische
Kardinalfehler hatte bekanntlich nicht nur zur Folge, dass das irakische Militär als
Ordnungsmacht ausfiel, sondern sich im Gegenteil sehr viele der arbeitslos gewordenen
Soldaten dem irakischen Widerstand gegen die Besatzer anschlossen.
Konsequent fallen schließlich auch die Empfehlungen der befragten Offiziere aus, was
aus ihrer Sicht erforderlich ist, um die US-Streitkräfte für zukünftige Bedrohungen zu
wappnen. Überragende Bedeutung hat in ihren Augen die Erhöhung der Mannschaftsstärke
bei den Bodentruppen, das heißt bei Army und Marine Corps. Besonders wichtig sei darüber
hinaus der Ausbau der Spezialkräfte, der Special Operations Forces. Auch die Verbesserung
von Aufklärung und Informationsgewinnung wird als äußerst wichtig angesehen.
An keiner Stelle dagegen bringen die befragten US-Militärs zum Ausdruck, dass sie es
für notwendig halten, die waffentechnologische Überlegenheit der US-Streitkräfte zu
bewahren oder weiter auszubauen. So empfehlen gerade einmal 21 Prozent, die Fähigkeiten
zur Weltraumkriegführung und zum Krieg im Cyberspace zu verbessern. Nur 11 Prozent
sprechen sich für den Aufbau eines Raketenabwehrschildes aus. Und lediglich 2 Prozent
votieren für die Entwicklung neuer Nuklearwaffen, eines
Lieblingsprojektes von US-Präsident Bush. Auf den ersten Blick mag dieser Befund
überraschen, wird doch US-Militärs gemeinhin eine überbordende Verliebtheit in
modernste Waffentechnik nachgesagt. Auf den zweiten Blick könnte sich darin allerdings
der Umstand widerspiegeln, dass angesichts der Kampferfahrungen und Einsatzrealität der
jüngsten Kriege die unreflektierte Technikbegeisterung einer gewissen Ernüchterung
gewichen ist. So haben Experten darauf verwiesen, dass der Blitzsieg der US-Streitkräfte
im Irak weniger der Überlegenheit amerikanischer Rüstungstechnologie als vielmehr der
deutlichen Unterlegenheit der irakischen Armee zuzuschreiben war. In noch weitaus
stärkerem Maße galt dies für den Feldzug in Afghanistan. Doch in beiden Fällen zeigten
die sich dem Einmarsch anschließenden Guerillakriege sehr schnell und deutlich, welch eng
begrenzten Nutzen die hypermoderne US-Militärtechnik für Stabilisierungsoperationen
besaß. Asymmetrische Konflikte mittels überlegener Waffentechnologie gewinnen zu
können, ist nach übereinstimmender Auffassung von Militärexperten eine gefährliche und
irreführende Illusion. Diese Einsicht spiegelt sich auch darin wider, dass die US-Army
inzwischen ein neues Handbuch, ein neues "Field Operations Manual",
herausgegeben hat. In dieser Dienstvorschrift wird der Aufgabe der Konfliktstabilisierung
in einem schwierigen zivilen Umfeld die gleiche Bedeutung zugemessen wie dem klassischen
Auftrag, einen militärischen Feind auf dem Gefechtsfeld niederzukämpfen. Wörtlich
heißt es in dem Handbuch: "Schlachten und Auseinandersetzungen zu gewinnen ist
wichtig, aber für sich genommen unzureichend. Das zivile Umfeld zu meistern ist genauso
wichtig für den Erfolg." Und um den zu erreichen, kommt es vor allem auf den
Menschen in den Reihen des Militärs an und weniger auf die Waffentechnik, die der Soldat
bedient. Nicht zuletzt deshalb sind in jüngster Zeit einige besonders ambitionierte
Rüstungsprojekte ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Beispielsweise das Future Combat
System des US-Heeres. Hinter diesem Begriff verbergen sich neue Waffensysteme, die sich
u.a. auf modernste Computertechnologie stützen. Das Urteil der Kritiker lautet
allerdings: zu teuer, unnötig und nicht auftragsgerecht für die auch zukünftig
wahrscheinlichsten Konfliktszenarien. Das sieht die Rüstungslobby anders. Wohl auch, weil
man mit teuren Waffensystemen mehr Geld verdienen kann als mit preisgünstigen.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt
in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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