Atomvertrag zwischen Indien und den USA
Rückschlag für die nukleare Rüstungskontrolle
Dr. Oliver Meier
Der Atomdeal hat weitreichende Folgen, weil er internationales Recht
unterläuft und Doppel-standards in der Atomwaffenpolitik etabliert.
Mit ihrer Entscheidung räumten die nuklearen Liefer-staaten zum ersten
Mal einem außerhalb des Atomwaffensperrvertrags stehenden Land das
Privileg ein, am internationalen Atommarkt uneingeschränkt teilzunehmen.
Bisher stand dieses Recht nur solchen Staaten zu, die im Gegenzug auf
den Atomwaffenbesitz verzichten.
Aus indischer Sicht bringt der Nuklearvertrag mit den USA den lang ersehnten
Aufstieg in den exklusiven Klub der anerkannten Atomwaffenstaaten. Erfreulich
für Neu-Delhi ist, dass Indien für diese Bevorzugung kaum Zugeständnisse
machen musste. Atomkontrollen finden auch künftig nur in jenen Reaktoren
statt, die zur Energiegewinnung genutzt werden. Alle militärischen
Atom-anlagen bleiben internationalen Inspektoren verschlossen, das indische
Atomwaffenprogramm wird somit nicht eingeschränkt.
International sendet der Atomdeal ein fatales Signal. Staaten wie Nordkorea
können den Schluss ziehen, dass Atomtests zwar kurzfristig in die
internationale Isolation führen - am Ende aber findet sich die internationale
Gemeinschaft scheinbar doch mit der Tatsache ab, dass ein neuer Atom-waffenstaat
entstanden ist. Es scheint, als ob die Weiterverbreitung von Kernwaffen
nur noch ver-waltet, aber nicht mehr bekämpft werden soll.
Begründet wurde die Aufhebung der Sanktionen vor allem damit, dass
Indien ein vertrauens-würdiger Atomstaat sei. In der Bundestagsdebatte
im vergangenen Monat zum Umgang der Bundesregierung mit dem Atomdeal verteidigte
Eckart von Klaeden, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion,
die deutsche Zustimmung zu dieser Vereinbarung:
O-Ton von Klaeden
„Seit 1974 hat Indien eine verantwortungsvolle Politik betrieben und
sich als eine verantwortungs-volle Atommacht erwiesen.“
Diese Bewertung verwundert. Denn Indien ist für seine Atomtests
1998 einmütig vom UN-Sicherheitsrat verurteilt worden. Und nur ein
Jahr später stand das Land am Rande eines Atom-krieges mit Pakistan.
Außerdem hat Indien bis heute kein einziges nukleares Rüstungskontroll-abkommen
unterzeichnet.
Was eine verantwortungsvolle und vertrauenswürdige Politik ist,
darüber gehen also die Meinungen weit auseinander. Mit der US-indischen
Vereinbarung ist ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen worden.
Israel und Pakistan, die ebenfalls den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet
haben, fordern inzwischen die gleichen Vorrechte wie Indien.
Die Aufweichung internationaler Regeln unterminiert nicht nur das Völkerrecht,
sondern erschwert auch die Lösung aktueller Krisen. Der sicherheitspolitische
Sprecher der Grünen Winfried Nachtwei befürchtet Auswirkungen
auf den Atomstreit mit Teheran:
O-Ton Nachtwei
„Wie will man gegenüber dem Iran denn jetzt bitte schön noch
irgendwie glaubwürdig vertreten - das ist schon gesagt worden -:
Ihr dürft das, was die anderen machen, nicht; die sind halt Atom-macht
usw. Das bekommen Sie nicht mehr auf die Reihe.“
In der Bundestagsdebatte behauptete der Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Gernot Erler von der SPD, der Deal sei nur Zwischenschritt auf dem
Weg zu einer effektiven Einbindung Indiens in internationale Abkommen:
O-Ton Erler
„Unser Ziel bleibt - an ihm werden wir weiter arbeiten – Indiens Beitritt
zum Nichtverbreitungsver-trag - die Probleme sind hier genannt worden
- sowie zum internationalen Teststoppabkommen und ein Produktionsmoratorium
für Spaltmaterial für militärische Zwecke.“
Das aber ist unrealistisch. Tatsächlich wird der Atomdeal Indiens
Stellung außerhalb internationaler Nichtverbreitungsregeln zementieren.
Die Kollateralschäden für die Rüstungskontrolle sind ge-waltig.
Ein Beispiel ist der Atomteststopp-Vertrag, den mittlerweile 180 Staaten
unterzeichnet haben: Indien hat dieses Abkommen schon immer strikt abgelehnt.
Viele Regierungen wollten daher den amerikanisch-indischen Atomdeal als
Hebel nutzen, um Neu-Delhi zu bewegen, die Teststopp-Vereinbarung zu unterzeichnen.
Vergeblich. Auch eine andere Initiative scheiterte. Weil die be-gründete
Befürchtung besteht, Indien könnte zur Weiterentwicklung seiner
Nuklearwaffen schon bald erneut Atomtests durchführen, wollten einige
kleinere Staaten wie Irland, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Österreich
und die Schweiz im Atomdeal zumindest einen Automatismus festschreiben:
Zündet Indien erneut eine Atomwaffe, treten die alten Lieferbeschränkungen
wieder in Kraft.
Aber diese Forderung scheiterte genauso wie der Vorschlag, das Abkommen
regelmäßig zu über-prüfen, bzw. die Lieferung gefährlicher
Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologie zu verbieten. Der jetzt
gebilligte Atomdeal ist praktisch ein Freibrief. Für Indien entfällt
damit der letzte Anreiz, den Atomteststopp-Vertrag oder andere Rüstungskontrollabkommen
zu unter-zeichnen.
Außerdem droht ein neuer nuklearer Rüstungswettlauf in Südasien.
Denn Indien kann nun wieder Uran zur Energiegewinnung importieren und
die knappen eigenen Uranvorräte ausschließlich zur Atomwaffenproduktion
verwenden. Die demokratische Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus,
Ellen Tauscher, befürchtet daher:
Zitat Tauscher
„Jedes Pfund Uran, das Indien durch den Deal für seine Kernreaktoren
einführen kann, setzt ein Pfund Uran für das Atombombenprogramm
frei.“
Pakistan hat bereits angekündigt, nachzuziehen und ist dabei, seine
Kapazitäten zur Produktion von Atomwaffen auszubauen.
Es bleibt die Frage, warum das Auswärtige Amt einer derartig schlechten
Vereinbarung zugestimmt hat. Sicherlich war der Druck Washingtons massiv
- auch auf Deutschland, das zum Zeitpunkt der Entscheidung den Vorsitz
in der Gruppe der nuklearen Lieferländer NSG innehatte. Die Vor-sitzende
des Unterausschusses Abrüstung, die SPD-Abgeordnete Uta Zapf in der
Bundestagsdebatte am 25. September:
O-Ton Zapf
„Die USA sind doch in ganzen Divisionen losmarschiert und haben die
Folterwerkzeuge vor-gezeigt. Das waren nicht nur die Daumenschrauben,
auch die Eiserne Jungfrau und das Waterboarding wurden gegen die Staaten
angewandt, die nicht bereit waren, dem zuzustimmen.“
Eine hinreichende Erklärung für das Verhalten der Bundesregierung
ist dieser Druck aber nicht. Schließlich hat Deutschland den USA
jüngst auch in anderen wichtigen Fragen wie der Bankenkrise oder
dem Kyoto-Protokoll die Stirn geboten. Und in drei Monaten wird die Bush-Regierung
ohne-hin nicht mehr im Amt sein.
Tatsächlich verfolgt Deutschland durch den Deal auch eigene Wirtschaftsinteressen.
Bis zu 80 Milliarden US-Dollar will Indien in den nächsten Jahren
im Nuklearsektor investieren und bis zu 40 neue Kernkraftwerke bauen.
Deutsche Firmen und besonders Siemens, das zu 30% am französischen
Kraftwerkbauer Areva beteiligt ist, wollen mitverdienen, wenn sich der
indische Atommarkt öffnet. Im August berichtete die renommierte Fachzeitschrift
NUCLEONICS WEEK von der französischen Drohung, Siemens durch einen
französischen Partner bei Areva zu ersetzen, sollte sich die Bundesregierung
beim Atomdeal querlegen. Ein deutscher Beamter bestätigte der Zeitschrift,
dass diese Drohung durchaus eine Rolle bei der Meinungsbildung gespielt
habe. Welchen Einfluss die Atomlobby auf die Politik der Bundesregierung
hat, wird man auch daran erkennen, wie die Koalition sich zu einem gemeinsam
von FDP und Grünen eingebrachten Antrag verhalten wird. Darin fordern
die Oppositionsparteien, dass Deutschland an seiner restriktiven Aus-fuhrpolitik
festhält und weiterhin keine Atomexporte nach Indien genehmigt.
Die indische Atomwaffenpolitik rechtfertigt eine Änderung der deutschen
Position in dieser Frage bisher jedenfalls nicht.
Dr Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und Berliner Repräsentant
der Arms Control Asssociation (www.armscontrol.org)
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