Warnung an Teheran?
Weiter Spekulationen um israelischen Luftangriff auf syrische Einrichtung
Gastbeitrag von Thomas Horlohe
6. September 2007: Kurz nach Mitternacht dringen vier bis acht Jagdbomber
der Typen F-15 I und F-16 I der israelischen Luftwaffe in den syrischen
Luftraum ein. Sie greifen mehrere Ziele an. Hauptziel des Angriffs ist
die militärische Anlage Al Kibar nahe des Flusses Euphrat, 50 Kilometer
nordöstlich der Stadt Dayr ar-Zawr, etwa 144 Kilometer nördlich
der Grenze zum Irak. Die Kampfflugzeuge setzen Luft-Boden-Raketen und
Bunker brechende 500 Pfund-Bomben ein. Beide Waffensysteme sind lasergelenkt.
Presseberichten zufolge sind auch israelische Bodentruppen im Einsatz.
Syrien wird dies später bestreiten. Es handelt sich um Soldaten der
Spezialeinheit 5101 Sayarat Shaldarg. Sie sind in das Zielgebiet eingesickert
und markieren das Objekt mit Laser-Zielgeräten. Nach Aussage eines
hochrangigen syrischen Militärs wird die Militäranlage unmittelbar
vor dem Angriff außerdem mit Magnesium-Brennsätzen hell erleuchtet.
Verluste werden nach dem Angriff nicht gemeldet. Über türkischem
Territorium im Grenzgebiet zu Syrien werden zwei Treibstofftanks abgeworfen.
Das israelische Militär verhängt eine Nachrichtensperre. Umso
heftiger wird mit Indiskretionen gearbeitet. Offenbar hat Israel das dringende
Bedürfnis, seine Version der Ereignisse und der Hintergründe
des Angriffs in Umlauf zu bringen.
Was genau wurde nun am 6. September angegriffen? Der Nachrichtensender
CNN behauptete zunächst, die israelische Luftwaffe habe ein Waffendepot
ins Visier genommen, aus dem die im Libanon operierende Hisbollah-Miliz
beliefert wurde. Doch dies mag ein Gelegenheitsziel gewesen sein. Denn
unmittelbar vor dem Angriff auf die Anlage Al Kibar wurde eine syrische
Radarstellung nahe der Grenze zur Türkei attackiert. Damit war
der Weg zum Hauptziel frei. Außerdem war die Radarstellung Teil
eines Radar- und Luftabwehrsystems russischer Bauart, wie es ähnlich
auch im Iran errichtet ist. Der Angriff dürfte damit Aufschluss über
die Reaktionszeit und Verwundbarkeit auch der iranischen Luftabwehr
gegeben haben. Doch das Hauptziel des Luftangriffs war die Militäreinrichtung
Al Kibar, wo sich angeblich ein geheimer Kernreaktor befand, baugleich
dem nordkoreanischen Reaktor in Yongbyon.
In den Wochen nach dem Angriff werden nur wenige ausgewählte Abgeordnete
des US-Kongresses vertraulich informiert. Die zahlreichen Presseberichte
veranlassen aber immer mehr Parlamentarier auf eine Unterrichtung
durch die US-Regierung zu drängen. Sie erfolgt schließlich
am 24. April 2008 – mehr als sieben Monate nach dem Militärschlag.
CIA-Chef Michael Hayden führt den Abgeordneten ein Video vor:
O-Ton Video (overvoice)
„Aufgrund vielfältiger Informationen sind
wir davon überzeugt, dass Nordkorea Syrien bei dessen geheimen Nuklearaktivitäten
behilflich war, bevor und nachdem der Reaktor zerstört wurde.
(…) Zu Beginn und zum Ende des Jahres 2007 befanden sich nordkoreanische
Atomexperten in der Umgebung des Reaktors. Nach unseren Informationen
waren wahrscheinlich nordkoreanische Berater bei der Begutachtung des
Schadens behilflich, nachdem der Reaktor zerstört war. Kurz nach
der Zerstörung des Reaktors reiste eine hochrangige nordkoreanische
Delegation nach Syrien und traf mit Personen zusammen, die mit dem geheimen
syrischen Atomprogramm in Verbindung stehen.“
Nach dem Luftangriff sei das Gelände in verdächtig kurzer Zeit
aufgeräumt und eingeebnet worden.
Mit der Unterrichtung am 24. April erhält die Geschichte eine entscheidende
Wendung. Al Kibar dient als Beweis dafür, dass Nordkorea seine Nukleartechnologie
noch immer exportiert, trotz der laufenden Sechs-Parteien-Gespräche
über das Atomprogramm. Journalisten wird die Information gesteckt,
nordkoreanisches Nuklearmaterial sei mit einem Schiff namens AL HAMED
am 3. September in den syrischen Mittelmeerhafen Hafen Tartus gebracht
worden.
Doch wie glaubwürdig ist diese Darstellung? Trotz der scheinbar erdrückenden
Indizien gibt es zahlreiche Ungereimtheiten. Zweifel bleiben. Seit die
Regierung Bush den Krieg gegen das Saddam-Regime mit angeblichen Beweisen
für Massenvernichtungswaffen im Irak gerechtfertigt hat, steht sie
unter Generalverdacht, Geheimdienstinformationen für politische
Zwecke zu manipulieren. In Zeiten von elektronischer Bildbearbeitung und
Computeranimation kann ein Video als Beweis nicht überzeugen. Zu
viele Fragen bleiben offen: Wenn das angebliche syrische Atomprogramm
und die Zusammenarbeit mit Nordkorea wie behauptet bis in die Zeit von
Hafez al Assad zurückreichen, dem Vater des heutigen Staatschefs
Bashir, warum wird das erst jetzt bekannt gemacht? Wieso hat die Bush-Regierung mehr als sieben Monate verstreichen lassen, ehe sie die
Abgeordneten informierte? Wenn der angebliche Reaktor in Al Kibar kurz
vor der Fertigstellung stand - warum zeigen die Bilder keine Sicherheitszäune,
keine Unterkünfte für Arbeiter oder für Soldaten zur Objektsicherung?
Obgleich das Gebäude dem Reaktorgebäude in Yongbyon äußerlich
ähnlich sieht, erscheint es Experten nicht als groß genug,
um einen Reaktor von der Größe des in Yongbyon aufnehmen zu
können. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEO in Wien
war und bleibt skeptisch, dass die Syrer ein Nuklearprogramm finanziell
und technisch stemmen können. Generaldirektor El Baradai wird
mit den Worten zitiert:
Zitat
„Unsere Experten, die die Satellitenbilder sorgfältig analysiert
haben, sagen, dass es unwahrscheinlich ist, dass dieses Gebäude eine
Nukleareinrichtung war.“
Ein anderer Diplomat in Wien kommentiert trocken:
Zitat
„Ein rechteckiges Gebäude ist ein rechteckiges Gebäude.“
Der schärfste Kritiker der israelisch-amerikanischen Version vom
syrischen Reaktor nordkoreanischer Herkunft ist der Enthüllungsjournalist
und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh. Er enthüllte 1968 das
Massaker von My Lai. Er deckte den Abu Ghraib-Skandal auf. Hersh wundert
sich, dass der israelische Luftangriff, immerhin ein Kriegsakt, so wenig
internationale Reaktionen hervorruft. Israelische Quellen drängen
ihm die Geschichte auf, einschließlich der Episode mit dem Frachter
AL HAMED. Doch Hersh wird skeptisch als er feststellt, dass dieses
Schiff ein Seelenverkäufer ist, der zuletzt 1998 den Suez-Kanal passiert
hat, den direkten Seeweg von Nordkorea nach Tartus. Der Journalist recherchiert
mehrere Monate in Washington, Westeuropa, Israel und Syrien. Am 11. Februar
dieses Jahres veröffentlicht er dann im Magazin THE NEW YORKER seinen
Artikel: „Angriff im Dunkeln“ - zweifellos die bislang am besten recherchierte
Geschichte über den Luftangriff. Auf die Frage nach seiner Erklärung
für das, was in der syrischen Wüste am 6. September vorgefallen
ist, antwortete Hersh im Februar dem Nachrichtensender CNN:
O-Ton Hersh (overvoice)
„Sie haben ganz bestimmt eine Militäranlage
errichtet. Und Nordkoreaner waren dort. (..) Ich glaube, die israelische
Einstellung war: Lasst uns zuschlagen. Lasst uns nicht abwarten, was geschehen
wird. Das ist nicht nur nützlich, um der syrischen Regierung zu zeigen,
wo der Hammer hängt. Es ist auch gut für die innenpolitische
Situation. (…) Whow! Wir können’s immer noch! Wir haben noch immer
eine Abschreckung. Und es ist auch eine Botschaft an die Iraner: Glaubt
ja nicht, dass ihr ungeschoren davon kommt, bloß wegen der neuen
Sicherheitseinschätzung der US-Geheimdienste, die aus israelischer
Sicht recht schwach ausfiel.“
Die Wahrheit über den 6. September wird noch lange auf sich warten
lassen. Aber auf Wahrheit kommt es beim Umgang der Politik mit Geheimdiensterkenntnissen
bekanntlich auch nicht an. Ein ungenannter westlicher Botschafter
in Tel Aviv machte Seymour Hersh klar:
Zitat:
„Die Wahrheit ist nicht wichtig. Israel ist es gelungen, die Glaubwürdigkeit
seiner Abschreckung wiederherzustellen. Darum ging es. Niemand wird
die wahre Geschichte erfahren.“
Weiter führt aber eine andere Frage. Wem nützte eigentlich der
Angriff? Kurzfristig sicherlich dem damals wie heute innenpolitisch
schwer angeschlagenen Ministerpräsidenten Olmert. Seine Popularitätswerte
waren im Keller. In Washington war die nordkoreanische Verbindung
zu Syrien hochwillkommen. Den einen, um die Sechs-Parteien-Gespräche
über das nordkoreanische Atomprogramm zu gefährden. Den
anderen, um den Druck auf Pjöngjang zu erhöhen, verbindlich
auf die Weiterverbreitung von Kerntechnologie zu verzichten. Das ist eine
plausible Erklärung, warum sich die Regierung Bush sieben Monate
Zeit ließ, um die Öffentlichkeit zu informieren und warum Nordkorea
und nicht Syrien die Rolle des Bösewichts in der ganzen Geschichte
zugeschrieben wurde.
Der Luftangriff auf Al Kibar war aber vor allem eine Warnung an Teheran,
das unter Verdacht steht, die Atombombe anzustreben. Die israelische Botschaft
lautete: Erstens, wir warten nicht bis wir Gewissheit haben. Wir schlagen
auch dann zu, wenn Zweifel bleiben. Irrtümer gehen zu Lasten Teherans.
Zweitens, wir können zuschlagen, nicht nur in Syrien, sondern auch
im Iran. Interessierte Kreise konnten bereits in der Frühjahrs-Ausgabe
2007 des Journals INTERNATIONAL SECURITY lesen, wie ein Angriff der israelischen
Luftwaffe auf die maßgeblichen Einrichtungen in Isfahan, Natanz
und Arak aussähe.
Am
6. September gab die israelische Luftwaffe eine Kostprobe – gratis, live.
Dieses robuste Signal war zudem ganz im Interesse der Regierung Bush.
Teheran mochte und mag darauf spekulieren, dass das Weiße Haus es
nicht wagen wird, den Iran anzugreifen – wegen der kritischen Lage im
Irak, wegen der Bedenken der europäischen Verbündeten,
wegen der Sorge um die Energiemärkte, wegen der Rücksichtnahme
auf die Innenpolitik oder wegen der Bedenken der US-Militärs. Der
Angriff auf die syrische Anlage aber erweckte den Anschein, dass
die Regierung Bush Israel nicht unter Kontrolle hat.
Wichtig war nicht, ob in Al Kibar ein im Bau befindlicher Reaktor zerstört
worden ist. Wichtig war aus Sicht Washingtons, dass Teheran deutlich gemacht
wurde, dass die nächsten Ziele sehr wohl im Iran liegen könnten.
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