Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
28. Juni 2008


Warnung an Teheran?

Weiter Spekulationen um israelischen Luftangriff auf syrische Einrichtung

Gastbeitrag von Thomas Horlohe


6. September 2007: Kurz nach Mitternacht dringen vier bis acht Jagdbomber der Typen F-15 I und F-16 I der israelischen Luftwaffe in den syrischen Luftraum ein. Sie greifen mehrere Ziele an. Hauptziel des Angriffs ist die militärische Anlage Al Kibar nahe des Flusses Euphrat, 50 Kilometer nordöstlich der Stadt Dayr ar-Zawr, etwa 144 Kilometer nördlich der Grenze zum Irak. Die Kampfflugzeuge setzen Luft-Boden-Raketen und Bunker brechende 500 Pfund-Bomben ein. Beide Waffensysteme sind lasergelenkt. Presseberichten zufolge sind auch israelische Bodentruppen im Einsatz. Syrien wird dies später bestreiten. Es handelt sich um Soldaten der Spezialeinheit 5101 Sayarat Shaldarg. Sie sind in das Zielgebiet eingesickert und markieren das Objekt mit Laser-Zielgeräten. Nach Aussage eines hochrangigen syrischen Militärs wird die Militäranlage unmittelbar vor dem Angriff außerdem mit Magnesium-Brennsätzen hell erleuchtet. Verluste werden nach dem Angriff nicht gemeldet. Über türkischem Territorium im Grenzgebiet zu Syrien werden zwei Treibstofftanks abgeworfen. Das israelische Militär verhängt eine Nachrichtensperre. Umso heftiger wird mit Indiskretionen gearbeitet. Offenbar hat Israel das dringende Bedürfnis, seine Version der Ereignisse und der Hintergründe des Angriffs in Umlauf zu bringen.

Was genau wurde nun am 6. September angegriffen? Der Nachrichtensender CNN behauptete zunächst, die israelische Luftwaffe habe ein Waffendepot ins Visier genommen, aus dem die im Libanon operierende Hisbollah-Miliz beliefert wurde. Doch dies mag ein Gelegenheitsziel gewesen sein. Denn unmittelbar vor dem Angriff auf die Anlage Al Kibar wurde eine syrische Radarstellung nahe der Grenze zur Türkei attackiert. Damit war der Weg zum Hauptziel frei. Außerdem war die Radarstellung Teil eines Radar- und Luftabwehrsystems russischer Bauart, wie es ähnlich auch im Iran errichtet ist. Der Angriff dürfte damit Aufschluss über die Reaktionszeit und Verwundbarkeit auch der iranischen Luftabwehr gegeben haben. Doch das Hauptziel des Luftangriffs war die Militäreinrichtung Al Kibar, wo sich angeblich ein geheimer Kernreaktor befand, baugleich dem nordkoreanischen Reaktor in Yongbyon.

In den Wochen nach dem Angriff werden nur wenige ausgewählte Abgeordnete des US-Kongresses vertraulich informiert. Die zahlreichen Presseberichte veranlassen aber immer mehr Parlamentarier auf eine Unterrichtung durch die US-Regierung zu drängen. Sie erfolgt schließlich am 24. April 2008 – mehr als sieben Monate nach dem Militärschlag. CIA-Chef Michael Hayden führt den Abgeordneten ein Video vor:

O-Ton Video (overvoice)
„Aufgrund vielfältiger Informationen sind wir davon überzeugt, dass Nordkorea Syrien bei dessen geheimen Nuklearaktivitäten behilflich war, bevor und nachdem der Reaktor zerstört wurde. (…) Zu Beginn und zum Ende des Jahres 2007 befanden sich nordkoreanische Atomexperten in der Umgebung des Reaktors. Nach unseren Informationen waren wahrscheinlich nordkoreanische Berater bei der Begutachtung des Schadens behilflich, nachdem der Reaktor zerstört war. Kurz nach der Zerstörung des Reaktors reiste eine hochrangige nordkoreanische Delegation nach Syrien und traf mit Personen zusammen, die mit dem geheimen syrischen Atomprogramm in Verbindung stehen.“

Nach dem Luftangriff sei das Gelände in verdächtig kurzer Zeit aufgeräumt und eingeebnet worden. Mit der Unterrichtung am 24. April erhält die Geschichte eine entscheidende Wendung. Al Kibar dient als Beweis dafür, dass Nordkorea seine Nukleartechnologie noch immer exportiert, trotz der laufenden Sechs-Parteien-Gespräche über das Atomprogramm. Journalisten wird die Information gesteckt, nordkoreanisches Nuklearmaterial sei mit einem Schiff namens AL HAMED am 3. September in den syrischen Mittelmeerhafen Hafen Tartus gebracht worden.

Doch wie glaubwürdig ist diese Darstellung? Trotz der scheinbar erdrückenden Indizien gibt es zahlreiche Ungereimtheiten. Zweifel bleiben. Seit die Regierung Bush den Krieg gegen das Saddam-Regime mit angeblichen Beweisen für Massenvernichtungswaffen im Irak gerechtfertigt hat, steht sie unter Generalverdacht, Geheimdienstinformationen für politische Zwecke zu manipulieren. In Zeiten von elektronischer Bildbearbeitung und Computeranimation kann ein Video als Beweis nicht überzeugen. Zu viele Fragen bleiben offen: Wenn das angebliche syrische Atomprogramm und die Zusammenarbeit mit Nordkorea wie behauptet bis in die Zeit von Hafez al Assad zurückreichen, dem Vater des heutigen Staatschefs Bashir, warum wird das erst jetzt bekannt gemacht? Wieso hat die Bush-Regierung mehr als sieben Monate verstreichen lassen, ehe sie die Abgeordneten informierte? Wenn der angebliche Reaktor in Al Kibar kurz vor der Fertigstellung stand - warum zeigen die Bilder keine Sicherheitszäune, keine Unterkünfte für Arbeiter oder für Soldaten zur Objektsicherung? Obgleich das Gebäude dem Reaktorgebäude in Yongbyon äußerlich ähnlich sieht, erscheint es Experten nicht als groß genug, um einen Reaktor von der Größe des in Yongbyon aufnehmen zu können. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEO in Wien war und bleibt skeptisch, dass die Syrer ein Nuklearprogramm finanziell und technisch stemmen können. Generaldirektor El Baradai wird mit den Worten zitiert:

Zitat
„Unsere Experten, die die Satellitenbilder sorgfältig analysiert haben, sagen, dass es unwahrscheinlich ist, dass dieses Gebäude eine Nukleareinrichtung war.“

Ein anderer Diplomat in Wien kommentiert trocken:

Zitat
„Ein rechteckiges Gebäude ist ein rechteckiges Gebäude.“

Der schärfste Kritiker der israelisch-amerikanischen Version vom syrischen Reaktor nordkoreanischer Herkunft ist der Enthüllungsjournalist und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh. Er enthüllte 1968 das Massaker von My Lai. Er deckte den Abu Ghraib-Skandal auf. Hersh wundert sich, dass der israelische Luftangriff, immerhin ein Kriegsakt, so wenig internationale Reaktionen hervorruft. Israelische Quellen drängen ihm die Geschichte auf, einschließlich der Episode mit dem Frachter AL HAMED. Doch Hersh wird skeptisch als er feststellt, dass dieses Schiff ein Seelenverkäufer ist, der zuletzt 1998 den Suez-Kanal passiert hat, den direkten Seeweg von Nordkorea nach Tartus. Der Journalist recherchiert mehrere Monate in Washington, Westeuropa, Israel und Syrien. Am 11. Februar dieses Jahres veröffentlicht er dann im Magazin THE NEW YORKER seinen Artikel: „Angriff im Dunkeln“ - zweifellos die bislang am besten recherchierte Geschichte über den Luftangriff. Auf die Frage nach seiner Erklärung für das, was in der syrischen Wüste am 6. September vorgefallen ist, antwortete Hersh im Februar dem Nachrichtensender CNN:

O-Ton Hersh (overvoice)
„Sie haben ganz bestimmt eine Militäranlage errichtet. Und Nordkoreaner waren dort. (..) Ich glaube, die israelische Einstellung war: Lasst uns zuschlagen. Lasst uns nicht abwarten, was geschehen wird. Das ist nicht nur nützlich, um der syrischen Regierung zu zeigen, wo der Hammer hängt. Es ist auch gut für die innenpolitische Situation. (…) Whow! Wir können’s immer noch! Wir haben noch immer eine Abschreckung. Und es ist auch eine Botschaft an die Iraner: Glaubt ja nicht, dass ihr ungeschoren davon kommt, bloß wegen der neuen Sicherheitseinschätzung der US-Geheimdienste, die aus israelischer Sicht recht schwach ausfiel.“

Die Wahrheit über den 6. September wird noch lange auf sich warten lassen. Aber auf Wahrheit kommt es beim Umgang der Politik mit Geheimdiensterkenntnissen bekanntlich auch nicht an. Ein ungenannter westlicher Botschafter in Tel Aviv machte Seymour Hersh klar:

Zitat:
„Die Wahrheit ist nicht wichtig. Israel ist es gelungen, die Glaubwürdigkeit seiner Abschreckung wiederherzustellen. Darum ging es. Niemand wird die wahre Geschichte erfahren.“

Weiter führt aber eine andere Frage. Wem nützte eigentlich der Angriff? Kurzfristig sicherlich dem damals wie heute innenpolitisch schwer angeschlagenen Ministerpräsidenten Olmert. Seine Popularitätswerte waren im Keller. In Washington war die nordkoreanische Verbindung zu Syrien hochwillkommen. Den einen, um die Sechs-Parteien-Gespräche über das nordkoreanische Atomprogramm zu gefährden. Den anderen, um den Druck auf Pjöngjang zu erhöhen, verbindlich auf die Weiterverbreitung von Kerntechnologie zu verzichten. Das ist eine plausible Erklärung, warum sich die Regierung Bush sieben Monate Zeit ließ, um die Öffentlichkeit zu informieren und warum Nordkorea und nicht Syrien die Rolle des Bösewichts in der ganzen Geschichte zugeschrieben wurde.

Der Luftangriff auf Al Kibar war aber vor allem eine Warnung an Teheran, das unter Verdacht steht, die Atombombe anzustreben. Die israelische Botschaft lautete: Erstens, wir warten nicht bis wir Gewissheit haben. Wir schlagen auch dann zu, wenn Zweifel bleiben. Irrtümer gehen zu Lasten Teherans. Zweitens, wir können zuschlagen, nicht nur in Syrien, sondern auch im Iran. Interessierte Kreise konnten bereits in der Frühjahrs-Ausgabe 2007 des Journals INTERNATIONAL SECURITY lesen, wie ein Angriff der israelischen Luftwaffe auf die maßgeblichen Einrichtungen in Isfahan, Natanz und Arak aussähe.

Am 6. September gab die israelische Luftwaffe eine Kostprobe – gratis, live. Dieses robuste Signal war zudem ganz im Interesse der Regierung Bush. Teheran mochte und mag darauf spekulieren, dass das Weiße Haus es nicht wagen wird, den Iran anzugreifen – wegen der kritischen Lage im Irak, wegen der Bedenken der europäischen Verbündeten, wegen der Sorge um die Energiemärkte, wegen der Rücksichtnahme auf die Innenpolitik oder wegen der Bedenken der US-Militärs. Der Angriff auf die syrische Anlage aber erweckte den Anschein, dass die Regierung Bush Israel nicht unter Kontrolle hat.


Wichtig war nicht, ob in Al Kibar ein im Bau befindlicher Reaktor zerstört worden ist. Wichtig war aus Sicht Washingtons, dass Teheran deutlich gemacht wurde, dass die nächsten Ziele sehr wohl im Iran liegen könnten.