BITS Briefing Note 03.3
Dezember 2003
ISSN 1434-3282


Europas Antiterrorismus-Politik
- Entstehung, Entwicklung, Perspektiven -

von Daniel Messelken

 

1.2. Nach dem Maastrichter Vertrag.

Mit dem Vertrag von Maastricht (und später seiner Revision in Amsterdam) kommt Europa 1992/93 dem Ziel eines gemeinsamen Rechts- und Sicherheitsraumes ein Stück näher. In der so genannten "Dritten Säule" wird die justizielle Kooperation als eigenständiger Politikbereich der EU etabliert und so die politische und juristische Integration der Mitgliedsstaaten zunächst auf dem Papier vorangetrieben. Auch der Antiterrorismus-Politik wird dort größeres Gewicht beigemessen. Sie findet im Vertragswerk erstmals explizit als gemeinsame Aufgabe Erwähnung: "die polizeiliche Zusammenarbeit zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus" wird dort als eine der "Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse" genannt.[25] Konkret führte diese neue Stufe der Kooperation zur Gründung der gemeinsamen europäischen Polizeibehörde Europol. Diese Behörde mit Sitz in Den Haag hat die Aufgabe, die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten bei der Bekämpfung schwer wiegender Formen internationaler Kriminalität zu verbessern.[26] Zu diesem Zweck ist ein System für den Austausch, die Sammlung und die Analyse diesbezüglicher Informationen auf europäischer Ebene geschaffen worden. Das Budget Europols stieg von ca. 8 Mio. Euro im Jahr 1998 auf 48,5 Mio. Euro für das Jahr 2002. Im Februar 2002 wurde das Budget für 2002 nochmals um 3,6 Mio. Euro speziell zur Terrorismusbekämpfung aufgestockt. Für 2003 sind 55 Mio. Euro veranschlagt. Insgesamt hatte Europol Anfang 2003 386 eigene Mitarbeiter. Davon sind 59 als Verbindungsbeamte für den Kontakt zu den Mitgliedsstaaten zuständig. Bis Ende 2003 sollten knapp 500 Personen bei Europol angestellt sein.[27]

Der Einrichtung Europols ging ein langjähriger schwieriger Gründungsprozess voraus, der mit dem Maastrichter Vertrag Anfang 1992 begann und erst mit der vollen Aufnahme der Tätigkeit der Behörde Mitte 1999 einen vorläufigen Abschluss fand. Die Rechtsgrundlage Europols liegt außerhalb der EU-Verträge. Wie TREVI befindet sich Europol also außerhalb der Institutionen der Europäischen Union. Die Behörde ist Teil der intergouvernementalen Kooperation und nicht des vergemeinschafteten Acquis. Sie ist daher, wiederum TREVI ähnlich, primär der Kontrolle der Regierungen der Einzelstaaten und nur über diese vermittelt den nationalen Parlamenten unterworfen. Das Europäische Parlament (EP) hat bisher keine Kontrollbefugnisse. Mit anderen Worten: Europol ist eine internationale Organisation der Europäischen Union, die auf Vertragsbasis zwischen den Mitgliedsstaaten im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit eingerichtet worden ist.[28] Was den Aufgabenbereich angeht, erhielt Europol – nach anfänglichem Widerspruch Großbritanniens – durch einen Sonderbeschluss des Rates vom 3.12.1998 dann aber doch noch mit der Aufnahme seiner Tätigkeit die direkte Zuständigkeit für die Terrorismusbekämpfung.[29] Im Gegensatz vor allem zu Spanien hatte Großbritannien damals den Terrorismus als interne Angelegenheit angesehen. Die Mehrheit des Rates folgte aber der spanischen Argumentation, so dass der genannte Beschluss erreicht werden konnte.[30] Europol wird jedoch nicht selbst ermittelnd tätig. Die Tätigkeiten der Behörde dienen eher dazu, den Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden zu erleichtern, indem Informationen zentral zusammengeführt werden.[31] Europol ist dabei auf die Kooperation der Mitgliedsstaaten angewiesen, da Europol als zwischenstaatlicher Kooperationsinstanz selber Hoheitsrechte nur "in nicht signifikantem Umfang"[32] übertragen worden sind.

Angesichts des ständig steigenden Budgets der europäischen Polizeibehörde (s.o.) und der laufenden Debatten um die zukünftigen Aufgaben Europols könnten in naher Zukunft einige Änderungen anstehen, wobei auch die Zuständigkeiten und Rechte Europols bzw. deren Erweiterung auf der Tagesordnung stehen. Diese Debatten gehen auch auf Initiativen von Europol selbst zurück. Es besteht durchaus die Gefahr, dass Europol von sich aus versucht, seine Rolle zu beeinflussen oder zu verändern.[33]

Auch in der Frage der Auslieferung u.a. "terroristischer Straftäter" schlossen die EU-Staaten in den Jahren 1995/96 erneut zwei Abkommen, um auf EU-Ebene zu einer Einigung und einem praktikablen und vereinfachten Verfahren zu gelangen. Zunächst sollte 1995 die Auslieferung für den Fall vereinfacht werden, dass die betroffene Person der Auslieferung zustimmt.[34] In einer zweiten Konvention ging es 1996 erneut darum, die ECT von 1977 anwendbar zu machen und vor allem die von den Unterzeichnerstaaten nach Art. 13 ECT gemachten Ausnahmen abzuschaffen (s.o.).[35] Stein und Meiser bezeichnen die Einigung auf diese Konventionen noch Anfang 2001 als "Durchbruch"[36], sofern deren Umsetzung erreicht werden könnte. Jedoch sind auch diese beiden Konventionen nicht in Kraft getreten, da sie nur von neun bzw. acht Staaten ratifiziert worden sind. Unabhängig von der bislang unvollständigen Ratifizierung bleibt festzustellen, dass auch diese Konventionen nicht über das zwischenstaatliche Prinzip der Auslieferung hinausgehen. Es bleibt also bei einer intergouvernementalen Kooperation, ein Schritt in Richtung echter Integration und Vergemeinschaftung konnte nicht erreicht werden.

Da diesen Vereinbarungen wie auch anderen politischen Absichtserklärungen, z.B. den Schlussfolgerungen des Rates von La Gomera im Oktober 1995 oder Dublin 1996, keine Taten folgten, ergriff 1996 das Committee on Civil Liberties and Internal Affairs des Europäischen Parlaments die Initiative.[37] Sein Bericht fordert vom Europäischen Rat und den Regierungen mehr Engagement im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Gestützt auf diesen Bericht verabschiedete das EP in der Sitzung vom 30.01.1997 eine Entschließung zum Kampf gegen den Terrorismus in der EU.[38] Es berief sich dabei unter anderem auf Vorhaben des Rates und eine Reihe international vereinbarter Abkommen, deren Umsetzung nie ernsthaft angegangen worden war.[39] Neben der Forderung, die Arbeit nicht auf Ad-hoc-Maßnahmen zu beschränken und ein konsistentes Gesamtkonzept zu entwickeln, findet sich in diesem Beschluss auch erstmals eine konkrete Definition des Terrorismus. Dieser ist nach Meinung des EP

"in der Europäischen Union als eine kriminelle Handlung anzusehen […], die unter Anwendung von Gewalt oder Drohung mit Gewalt politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen in Rechtsstaaten ändern will und sich somit von Widerstandsaktionen in Drittstaaten unterscheidet, die sich gegen Staatsstrukturen richten, die ihrerseits terroristischen Charakter haben."[40]

Das EP sah besonders die Ratifizierung und Umsetzung des Europol-Abkommens, sowie der oben beschriebenen Konventionen zur Auslieferung und die Harmonisierung der Strafrechte als dringend zu erledigende Aufgaben an. Doch auch nach dieser parlamentarischen Kritik verging noch einige Zeit, ehe im EU-Rat konkretere Maßnahmen beschlossen wurden.

Als Anfangspunkt der jüngeren Initiativen von exekutiver Seite zur Erarbeitung und Umsetzung eines europäischen Konzepts zur Terrorismusbekämpfung gelten die Schlussfolgerungen des EU-Rates in Tampere vom Oktober 1999. Im Anschluss an den Wiener Aktionsplan von 1998 wurde dort ein neuerlicher Aktionsplan zur Verstärkung der juristischen Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten ("Dritte Säule") verabschiedet, um gegen transnationale organisierte Kriminalität sowie Terrorismus vorzugehen.[41] Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai 1999 stand eine neue Legitimationsbasis für die Terrorismusbekämpfung zur Verfügung, denn diese wurde im Vertrag von Amsterdam erstmals als Aufgabe und Mittel zur Erreichung des gemeinsamen Rechts- und Freiheitsraumes erwähnt.

Die Gründung von Eurojust im März 2002, gemäß den Vorschlägen von Tampere 1999, bildet die institutionelle Basis für die verstärkte Kooperation gegen organisierte Kriminalität.[42] Bereits seit März 2001 hat Pro-Eurojust, das auf vorläufiger Basis vom EU-Rat im Dezember 2000 eingesetzt worden war, die zukünftigen Aufgaben von Eurojust wahrgenommen. Als gemeinsame europäische Behörde hat Eurojust die Aufgabe, die justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, insbesondere die Kooperation der Staatsanwaltschaften, zu koordinieren und strafrechtliche Ermittlungen mit Bezug zu organisierter Kriminalität zu unterstützen. Bei Eurojust, das seinen Sitz wie Europol in Den Haag hat, arbeiten Staatsanwälte, Richter und Polizeibeamte zusammen, die von den Mitgliedsstaaten gemäß den nationalen Rechtsordnungen entsandt werden, ausgestattet mit gleichen Befugnissen. Der Zuständigkeitsbereich entspricht dem von Europol, plus der Bereiche Computer- und Umweltkriminalität. Eurojust besitzt Rechtspersönlichkeit und wird aus Mitteln der EU finanziert. Das Budget belief sich für 2002 auf 3,5 Mio. Euro.[43]

Als weitere Maßnahmen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung wurden gemeinsame Europol-Ermittlungsgruppen eingeführt. Es wurde vereinbart, schneller auf eine gegenseitige Anerkennung der Rechtssysteme und deren Harmonisierung hinzuarbeiten. Auch hier wird wieder deutlich, dass Terrorismus (immer noch klassisch) als Spezialfall innerhalb der justiziellen Kooperation betrachtet wird. Die Terrorismusbekämpfung stellte keinen eigenständigen Bereich dar, sondern blieb weiterhin integriert in das Vorgehen gegen (organisierte) Kriminalität.

Doch auch die Beschlüsse von Tampere 1999 führten nicht zu einer entscheidenden Beschleunigung oder qualitativen Veränderung beziehungsweise Vertiefung der Zusammenarbeit. In einem weiteren auf eigene Initiative verfassten Bericht vom 12.07.2001 mahnte das EP – "im Bedauern darüber, dass die Europäische Union zu langsam auf die Bedrohung durch den Terrorismus reagiert" – erneut an, die in Tampere und früher gefassten Beschlüsse umzusetzen, um damit die Regelungen EU-weit zu vereinheitlichen.[44] Der Bericht und die Empfehlung wurden vom EP in der Sitzung am 5.09.2001 angenommen.

 

Ausgewählte Dokumente der Terrorismusbekämpfung in Europa 1992 - 10.9.2001

07.02.1992 Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht (tritt am 01.11.1993 in Kraft)
30.03.1995 Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
23.10.1996

Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

26.07.1995 EU-Rat verabschiedet die Europol-Konvention.
14.10.1995 Erklärung des EU-Rates von La Gomera (an die Schlussfolgerungen des EU-Rates von Madrid, 15./16.12.1995, angehängt).
13-14.12.1996 Schlussfolgerungen des Rates von Dublin.
31.01.1997 Europäische Parlament verabschiedet "Entschluss zum Kampf gegen den Terrorismus".
01.10.1998 Europol-Abkommen tritt in Kraft.
23.01.1999 Wiener Aktionsplan
01.05.1999 Vertrag von Amsterdam tritt in Kraft
05.09.2001 EP verabschiedet Entschließungsantrag "Über die Rolle der EU im Kampf gegen den Terrorismus".

 

1.3. Nach den Anschlägen vom 11.09.2001

Die Anschläge in New York und Washington vom 11.09.2001 scheinen als "Katalysator"[45] für die Formierung eines gemeinsamen europäischen Konzeptes zur Terrorismusbekämpfung gewirkt zu haben. Sie führten zu konkreten Entscheidungen und zur Überwindung politischer Differenzen. Die Einigung wurde nun erleichtert durch die Konstitution eines gemeinsamen äußeren Feindes, gegen den sich die Entwürfe zunächst und offiziell richteten. Das machte "unpopuläre" Maßnahmen, die auch im Innern der Europäischen Union zu Veränderungen führten, möglich und gegenüber der Bevölkerung vermittelbar.

Als Reaktion auf die Anschläge legte die Kommission auf einer außerordentlichen Tagung des Rates am 21.09.2001 Entwürfe für die vom EP lange eingeforderten Rahmenbeschlüsse zur Terrorismusbekämpfung und für einen europäischen Haftbefehl vor.[46] Diese kamen nicht aus dem Nichts, sondern lagen als Entwürfe bereits in den Schubladen. Ziel der Initiative war die Vereinheitlichung der europäischen Rechtssysteme und in letzter Instanz eine gemeinsame rechtliche Regelung, die zu einer Eingliederung der Antiterrorismus-Gesetzgebung in den vergemeinschafteten Komplex geführt hätte. Ob die Initiativen der Kommission durch die Anschläge inhaltlich verschärft wurden, bleibt spekulativ, da keine früheren Entwürfe der Vorlagen bekannt sind, und somit die Vergleichsbasis fehlt. Interessanterweise tauschten nun jedoch das EP und der EU-Rat die Rollen: Das EP wurde von der treibenden zur bremsenden Kraft und mahnte Veränderungen an der Vorlage an.[47] Sie betrafen vor allem die Sicherung der individuellen Grundrechte und die Notwendigkeit der Präzisierung der vorgeschlagenen Terrorismusdefinition.[48] Als Minderheitenmeinung wurde auch die vom Rat geforderte starke Beschleunigung des Verfahrens abgelehnt.[49] Der "Angriff auf die USA" sei aus verschiedenen Gründen "keine seriöse Grundlage für den Antrag auf Behandlung im Dringlichkeitsverfahren."[50] Vielmehr müsste der größere Rahmen, innerhalb dessen die Beschlüsse Anwendung finden sollten, berücksichtigt und eine ausführliche Diskussion der Vorschläge trotz der angespannten Lage ermöglicht werden. Im EP wird hier also beinahe explizit die Instrumentalisierung der Terrorismusdebatte durch die exekutiven Stellen wie den EU-Rat angeprangert und davor gewarnt, dass über den eigentlichen Zweck hinausgehende Maßnahmen unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung durchgesetzt werden könnten.

Der EU-Rat blieb aber anderer Meinung, bzw. nutzte die Situation allgemeiner Unsicherheit aus, die nach dem 11.09.2001 entstanden war. Das Gremium einigte sich bereits am 27.12.2001 auf zwei gemeinsame Standpunkte "über die Bekämpfung des Terrorismus" und "über die Anwendung besonderer Maßnahmen zu Bekämpfung des Terrorismus".[51] Beide sind, und das ist im Vergleich zur bisherigen Politik eine Neuerung, dem Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zugeordnet. Sie sind also fast ausschließlich im Bereich der externen Angelegenheiten angesiedelt, die weitgehend Teil der intergouvernementalen Zusammenarbeit ist. Dies ist nur teilweise auf veränderte Bedrohungsanalysen zurückzuführen. Einerseits wächst durch diese Zuordnung der direkte Einfluss des Rates und damit auch der nationalen Regierungen im Bereich der Antiterrorismuspolitik. Die Rolle und der Einfluss des EP und der EU-Kommission werden gering gehalten, da die Vergemeinschaftung des Politikfeldes Antiterrorismus aufgeschoben wird. Andererseits wird die Bedrohung durch den Terrorismus auf diese Weise externalisiert und eine gemeinsame Feindbildung erleichtert. Während im ersten der genannten Dokumente eher allgemeine Aussagen und Absichtserklärungen zu finden sind, beinhaltet der gemeinsame Standpunkt 2001/931/GASP nicht nur eine Definition von Terrorismus (die eigentlich erst durch den o.g. Rahmenbeschluss beschlossen werden sollte), sondern auch eine Liste von Einzelpersonen und Gruppen, die als terroristisch eingestuft werden. Die Erstellung dieser Liste wurde auf Druck der USA beschleunigt und stellt in nicht unerheblicher Weise eine Übernahme der US- Terroristen-Listen dar. Spanien trieb als Inhaber der Ratspräsidentschaft die Erstellung ebenfalls voran. Es sah darin eine gute Möglichkeit, die Verfolgung der ETA zu internationalisieren und zu legitimieren. So lassen sich die in der Liste aufgeführten Personen relativ leicht in zwei Gruppen einteilen: Einerseits Menschen offensichtlich arabischer Abstammung, andererseits ETA-Mitglieder. Bei den als terroristische Vereinigungen aufgeführten Gruppierungen ergibt sich ein etwas breiteres Bild. Dort tauchen unter anderem auch irische Vereinigungen auf. Diese Liste stellt also bereits die erste nach Innen gerichtete Anwendung der Antiterrorismusmaßnahmen dar. Bei der Verfolgung und Festnahme dieser Personen verpflichten sich die Staaten zu gegenseitiger Unterstützung, außerdem werden deren Gelder eingefroren und sichergestellt, dass ihnen keine weitere Unterstützung zukommt.

Die Listen riefen berechtigten Protest hervor, weil zum einen nicht klar ist, aufgrund welcher "genauen Informationen" bzw. "einschlägiger Akten" (Art.1, Abs.4) Personen und Gruppen auf die Liste genommen werden, und weil zum anderen keinerlei Möglichkeiten spezifiziert sind, wie sich Betroffene juristisch wehren können.[52] Vor allem ist die Frage ungeklärt, wie zu Unrecht Beschuldigte wieder von der Liste herunterkommen können. Ein derartiges Verfahren stellt nicht nur einen direkten Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien und garantierte Grundrechte dar. Auch politische Bemühungen seitens europäischer Staaten und Nichtregierungsorganisationen in Krisengebieten können erheblich erschwert oder gar zum Erliegen gebracht werden, da Verhandlungen mit in der Liste aufgeführten Organisationen praktisch nicht mehr zu rechtfertigen sind.[53]

Am 13.06.2002 wurden die Verfahren zu beiden o.g. Rahmenbeschlüsse zur Terrorismusdefinition und zum europäischen Haftbefehl, mit der Annahme im EU-Rat abgeschlossen. Beide sind mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft getreten.[54] Gegenüber den ursprünglichen Entwürfen der EU-Kommission vom 19.09.2001 sind aber deutliche Änderungen zu erkennen, die vor allem auf Eingaben des EP und einiger nationaler Delegationen zurückgehen dürften.[55] Die Definition des Terrorismus ist hingegen bis auf eine Abänderung aus dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP übernommen worden.[56] In dieser Frage hat sich also der EU-Rat mit seiner Position durchsetzen können.

Damit verfügt die EU nun erstmals über eine gemeinsame Definition des Terrorismus. Bestimmte angeführte Straftaten werden danach zusätzlich als terroristisch eingestuft, wenn sie erstens vorsätzlich begangen werden und zweitens das Ziel verfolgen,

"- die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern oder
- öffentliche Stellen (sic!) oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
- die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören."[57]

Verglichen mit dem Vorschlag des EP von 1997 (s.o.) ist eine deutliche Erweiterung der Definition zu erkennen, die vor allem durch breite Interpretationsmöglichkeiten schafft. Dies wird an Termini wie "öffentliche Stellen", "schwer wiegend" oder "ernsthaft" deutlich, die erst im weiteren Verlauf mit Inhalt gefüllt werden, das heißt bei der Anwendung beziehungsweise Interpretation z.B. durch Regierungsstellen oder Gerichte. Äußerst problematisch ist aus juristischer Sicht zudem, dass nicht ein illegaler Akt an sich bestraft wird, sondern die Motivation für diesen Akt, d.h. die politische Gesinnung der Täter, ein Grund für ihre Verfolgung ist.[58]

Jedoch ist diese Definition noch kein rechtlich bindender Akt, da sie nicht zum vergemeinschafteten Bereich gehört. Dafür müsste sie erst noch von den einzelnen Mitgliedsstaaten in geltendes nationales Recht übernommen werden. Sie kann (wie andere Rahmenbeschlüsse der EU) am ehesten als Richtlinie gesehen werden, an der sich die nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung in nationales Recht orientieren müssen.[59] Trotz dieser Einschränkung ist die Übereinkunft über die beiden Rahmenbeschlüsse bemerkenswert, da sie eine neue Stufe der europäischen Strafgesetzgebung im Bereich der Antiterrorismuskooperation bedeutet.[60]

Ebenfalls auf der Sitzung des europäischen Rates am 21. September 2001 wurde ein Aktionsplan verabschiedet, in dem langfristige politische Strategien eine wesentliche Rolle spielen, insbesondere Maßnahmen und Aktivitäten auf internationaler Ebene. Auch damit kommt der Rat einer der Forderungen des EP von 1997 nach. Ganz oben auf der Agenda dieses Aktionsplans findet sich die Aufwertung von Europol.[61] So sind für Europol zusätzliche Mittel und Personal für ein Expertenteam zur Terrorismusbekämpfung bereitgestellt worden, das insbesondere auch die Vernetzung mit anderen EU-Behörden (Eurojust, Nachrichtendienste, Geheimdienste etc.) verbessern und die internationale Kooperation stärken soll.[62]

Insgesamt haben die Anschläge vom 11.09.2001 zu einer beschleunigten Umsetzung der im Amsterdamer Vertrag vorgesehenen Projekte rund um Europol geführt. Einige der neuen Strukturen, wie die Police Chief Task Forces, sind allerdings ohne EU-rechtliche Basis nur auf der Grundlage von Ratsempfehlungen eingerichtet worden. Eine wirkliche Neuorientierung der Behörde hat es (noch) nicht gegeben.[63] Es scheint jedoch im Innern der Behörde einige Bestrebungen in diese Richtung zu geben. Im Jahresbericht 2002 wird jedenfalls bereits offen eine verstärkte Operationalisierung der Behördentätigkeit angestrebt, die so nicht von der Europol-Konvention gedeckt wäre und auch bisher nicht vereinbart wurde.[64]

 

Die wichtigsten EU-Maßnahmen im Bereich der Terrorismusbekämpfung 11.9. 2001 - Juli 2003:[65]

13.09.2001 EU-Kommission: Vorschlag für europäischen Haftbefehl und gemeinsame Terrorismusdefinition
20.09.2001 Rat der EU: Genereller Plan für zukünftige Antiterrorismuspolitik, Spezialgruppe bei Europol. Solana: Gemeinsame Erklärung der EU und USA.
21.09.2001 Rat Justiz und Inneres der EU: "Antiterrorismus Roadmap"
19.10.2001 Rat der EU: Gemeinsamer Aktionsplan, betrifft unter anderem den europäischen Haftbefehl, die gemeinsame Terrorismusdefinition, verstärkte Kooperation im Rahmen von Europol, (Pro-) Eurojust, Geheimdienste etc. Bis Ende 2001 soll eine gemeinsame Terroristenliste entstehen.
6./7.12.2001 Rat der EU: Politische Einigung über Rahmenbeschlüsse zum europäischen Haftbefehl und zur Terrorismusdefinition. Annahme der "Antiterrorismus Roadmap"
27.12.2001 Rat der EU: Gemeinsame Standpunkte (1) "über die Bekämpfung des Terrorismus" und (2) "über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus" (erste veröffentlichte Version der so genannten Terroristenliste).
28.02.2002 Rat Justiz und Inneres der EU: Nachtragshaushalt für Europol.
25-26.04.2002 Rat Justiz und Inneres der EU: Empfehlung zur Einrichtung multinationaler Ad hoc Teams für die Informationssammlung und den Informationsaustausch.
02.05.2002 Prodi, Aznar (u. G.W. Bush): Neuerliche gemeinsame Erklärung EU-USA
13.06.2002 Rat Justiz und Inneres der EU: Annahme der Rahmenbeschlüsse zum europäischen Haftbefehl und zur Terrorismusdefinition.
05.06.2003 Rat Justiz und Inneres der EU: Ratsbeschluss über die Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens mit den USA über Auslieferungsbestimmungen und gegenseitige Rechtshilfe.

 

Für die letzten zehn Jahre lässt sich zusammenfassend feststellen, dass an der Erarbeitung und Durchführung der EU-Anti-Terrorismuspolitik eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure beteiligt waren: Mitgliedsstaaten, verschiedene Organe innerhalb der EU und ausführende nationale und EU-weiten Behörden.

"The involvement of all these agencies, groups and individuals means that the EU’s counter-terrorism venue may well be characterised as a crowded policy area, which is mainly caused by a gradual and incremental form of policy-making."[66]

Neben den verschiedenen Akteuren prallen hier auch deren unterschiedliche Interessen und Motivationen aufeinander. Gerade weil es um den sensiblen Bereich der (inneren und äußeren) Sicherheit geht, in dem der Widerstand gegen die Vergemeinschaftung am größten ist, treffen die Akteure der europäischen Integration (z.B. EU-Kommission und EP) auf die Akteure der intergouvernementalen Zusammenarbeit, d.h. die nationalen Regierungen. Beiden geht es bei dieser Auseinandersetzung darum, bei der Verteilung von Zuständigkeiten den eigenen Einfluss beizubehalten beziehungsweise zu stärken. Nicht nur die "crowded policy area", sondern auch die divergierenden Interessen der Akteure erschweren daher eine Einigung.