Zu Gast bei Freunden
von Otfried Nassauer
Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush demonstrieren wieder
Einigkeit in grundlegenden Fragen. Die Eiszeit scheint überstanden. Eine neue
transatlantische Herzlichkeit?
Charme à la George W. Bush? Das mag so manch einer bei dem Europa-Besuch des
US-Präsidenten gedacht haben. An historischer Stätte, an der schon sein Vater den
Deutschen eine partnership in leadership offeriert hatte, gab sich auch der
Sohn zu Beginn seiner zweiten Amtszeit kooperativ.
Vergessen die Querelen um die Irak-Politik. Vergessen die demonstrativ
desinteressierten Töne zu den Atomverhandlungen der EU mit dem Iran. Vergessen auch der
kritisch zurückhaltende Unterton, mit dem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld noch
wenige Wochen zuvor die NATO-Reform-Initiative Gerhard Schröders bedacht hatte. George W.
Bush betonte die Gemeinsamkeiten: Deutschland, ein Partner beim Frieden, ein Partner
bei der Freiheit und ein Partner bei Erfüllung unserer Pflichten. Zum Thema Irak:
Ich verstehe die Grenzen für einen deutschen Beitrag voll und ganz. Aber diese
Beiträge sind nicht begrenzt, sie sind wichtig. Beim Thema Iran: Ich habe
gesagt, alle Optionen sind auf dem Tisch. Ich habe aber auch daran erinnert, dass die
Diplomatie gerade erst beginnt. Der Iran ist nicht der Irak. Zum Thema Europa:
Das europäische Projekt ist wichtig für unser Land. Wir wollen, dass es
erfolgreich ist. Die Botschaft war eindeutig: Der Blick geht nach vorne, nicht
zurück. Bush betonte das Gemeinsame nicht das Trennende.
Für Washington ist Europa der wichtigste Verbündete. Er wird gebraucht. Gerhard
Schröder drückte es in Mainz mit schonungsloser Offenheit aus: Wir sind
übereingekommen, nicht ständig zu betonen, wo wir nicht übereinstimmen, sondern uns auf
die Punkte zu konzentrieren, bei denen wir übereinstimmen. Mit anderen Worten:
Konflikte bleiben sie werden aber hinter verschlossenen Türen diskutiert. Zwei
Beispiele: Am deutlichsten hat sich die US-Politik gegenüber den europäischen
Bemühungen geändert, eine Verhandlungslösung mit dem Iran zu erzielen.
USA unterstützen europäische Diplomatie im Atomstreit mit Iran
US-Außenministerin Condoleezza Rice hat klar gemacht, es sei Zeit für die
Diplomatie. Sie stellte dem Iran die Lieferung von Flugzeugersatzteilen sowie den
Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO in Aussicht, falls Teheran auf sein
Nuklearprogramm verzichte. Im Gegenzug haben die Europäer ihre Bereitschaft signalisiert,
den Fall Iran an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu überweisen, der Sanktionen
verhängen und mit militärischem Eingreifen drohen kann, falls der Iran nicht in
verifizierbarer Weise auf die nukleare Anreicherung verzichtet.
Gemeinsam erklären die USA und Europa nun: Man ziehe am gleichen Strick, Teheran sei
am Zug. Doch ist dem wirklich so? Solange verhandelt wird, lautet die Antwort
ja, denn aus europäischer Sicht ist eine diplomatische Lösung ohne
Alternative.
Für die Position Washingtons gibt es auch eine andere Lesart: Da Israelis und
Palästinenser verhandeln, gibt es derzeit für die USA keine vertretbare militärische
Option. Würden die iranischen Nuklearanlagen bombardiert, so käme das einer
Bombardierung der israelisch-palästinensischen Verhandlungen gleich. Dies würde auch
andere Fortschritte wie den syrischen Truppenabzug aus dem Libanon gefährden.
Washington braucht eine Atempause. Gerade deshalb ist es interessant, dass das
Lock-Angebot von Rice an Teheran Leerstellen aufweist: Es beinhaltet keine Offerte einer
Sicherheitsgarantie für den Iran. Damit greift es aus iranischer Sicht letztlich zu kurz.
Ob nun Teheran oder Washington angesichts langwieriger Verhandlungen die Geduld ausgeht
Washington kann jederzeit wieder zu einem konfrontativeren Kurs wechseln und von
den Europäern verlangen, dass sie der Überweisung des Falls an den Sicherheitsrat
zustimmen. Offen bleibt also, ob Washington Europa derzeit nur umarmt, um ihm später ein
Lösen aus der freundschaftlichen Umklammerung zu erschweren.
EU will internationale Organisationen gestärkt sehen
Das zweite Beispiel: Die Europäische Union misst einem effizienten Multilateralismus
zentrale Bedeutung zu. Internationale Organisationen wie die UN sollen gestärkt werden.
Sie sollen tun können, was sie tun müssen:
- Weltordnung gestalten.
- Die Einhaltung internationaler Rechtsregime garantieren.
- Krisen auf möglichst friedliche Art und Weise bewältigen.
Gemischte Signale aus Washington
Zusammen mit multinationalen Institutionen wie der NATO stellen sie aus europäischer
Sicht Orte kollektiver Entscheidungsfindung dar. Die Administration George W. Bushs hat
sich in ihrer ersten Amtszeit weit von solchen Vorstellungen entfernt: Die Vereinten
Nationen und die NATO waren zwar Orte der Konsultation, aber nicht länger Orte
kollektiver Entscheidungsfindung. Donald Rumsfelds Diktum, dass die Mission die Koalition
bestimme, steht für diesen Ansatz. Derzeit kommen aus Washington gemischte Signale:
Präsident Bush betont immer wieder die Bedeutung der multilateralen Zusammenarbeit und
der Kooperation mit Alliierten. Zugleich aber benannte er mit dem Neokonservativen John
Bolton einen bekennenden UN-Hasser zum neuen UN-Botschafter. Die Notwendigkeit, das
europäisch-amerikanische Verhältnis und die Formen der künftigen Kooperation neu zu
bestimmen, dürften das Motiv hinter der Münchener Initiative von Bundeskanzler Schröder
gewesen sein, neben der bereits eingeleiteten militärischen Transformation der NATO auch
eine politische Transformation des Bündnisses anzuregen.
Die NATO ist nicht mehr der alleinige Ort strategischer transatlantischer Abstimmung.
Je deutlicher wird, dass sicherheitspolitisch relevante Risiken der Zukunft weder primär
militärisch noch primär mit nationalen Mitteln zu bekämpfen und einzudämmen sind,
desto deutlicher wird, dass der traditionelle sicherheitspolitische transatlantische
Dialog in der NATO zu kurz greift. Es bleibt nur die Möglichkeit, entweder die rechtliche
und politische Basis der NATO zu erweitern oder aber ein neues Forum des Dialogs und der
Entscheidungsfindung einzurichten. Dieses könnte aus den regelmäßigen EU-USA-Gipfeln
und der NATO-EU-Zusammenarbeit hervorgehen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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