Y-Magazin
April 2005


Zu Gast bei Freunden

von Otfried Nassauer

Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush demonstrieren wieder Einigkeit in grundlegenden Fragen. Die Eiszeit scheint überstanden. Eine neue transatlantische Herzlichkeit?

Charme à la George W. Bush? Das mag so manch einer bei dem Europa-Besuch des US-Präsidenten gedacht haben. An historischer Stätte, an der schon sein Vater den Deutschen eine „partnership in leadership“ offeriert hatte, gab sich auch der Sohn zu Beginn seiner zweiten Amtszeit kooperativ.

Vergessen die Querelen um die Irak-Politik. Vergessen die demonstrativ desinteressierten Töne zu den Atomverhandlungen der EU mit dem Iran. Vergessen auch der kritisch zurückhaltende Unterton, mit dem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld noch wenige Wochen zuvor die NATO-Reform-Initiative Gerhard Schröders bedacht hatte. George W. Bush betonte die Gemeinsamkeiten: „Deutschland, ein Partner beim Frieden, ein Partner bei der Freiheit und ein Partner bei Erfüllung unserer Pflichten.“ Zum Thema Irak: „Ich verstehe die Grenzen für einen deutschen Beitrag voll und ganz. Aber diese Beiträge sind nicht begrenzt, sie sind wichtig.“ Beim Thema Iran: „Ich habe gesagt, alle Optionen sind auf dem Tisch. Ich habe aber auch daran erinnert, dass die Diplomatie gerade erst beginnt. Der Iran ist nicht der Irak.“ Zum Thema Europa: „Das europäische Projekt ist wichtig für unser Land. Wir wollen, dass es erfolgreich ist.“ Die Botschaft war eindeutig: Der Blick geht nach vorne, nicht zurück. Bush betonte das Gemeinsame – nicht das Trennende.

Für Washington ist Europa der wichtigste Verbündete. Er wird gebraucht. Gerhard Schröder drückte es in Mainz mit schonungsloser Offenheit aus: „Wir sind übereingekommen, nicht ständig zu betonen, wo wir nicht übereinstimmen, sondern uns auf die Punkte zu konzentrieren, bei denen wir übereinstimmen.“ Mit anderen Worten: Konflikte bleiben – sie werden aber hinter verschlossenen Türen diskutiert. Zwei Beispiele: Am deutlichsten hat sich die US-Politik gegenüber den europäischen Bemühungen geändert, eine Verhandlungslösung mit dem Iran zu erzielen.


USA unterstützen europäische Diplomatie im Atomstreit mit Iran

US-Außenministerin Condoleezza Rice hat klar gemacht, es sei „Zeit für die Diplomatie“. Sie stellte dem Iran die Lieferung von Flugzeugersatzteilen sowie den Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO in Aussicht, falls Teheran auf sein Nuklearprogramm verzichte. Im Gegenzug haben die Europäer ihre Bereitschaft signalisiert, den Fall Iran an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu überweisen, der Sanktionen verhängen und mit militärischem Eingreifen drohen kann, falls der Iran nicht in verifizierbarer Weise auf die nukleare Anreicherung verzichtet.

Gemeinsam erklären die USA und Europa nun: Man ziehe am gleichen Strick, Teheran sei am Zug. Doch ist dem wirklich so? Solange verhandelt wird, lautet die Antwort „ja“, denn aus europäischer Sicht ist eine diplomatische Lösung ohne Alternative.

Für die Position Washingtons gibt es auch eine andere Lesart: Da Israelis und Palästinenser verhandeln, gibt es derzeit für die USA keine vertretbare militärische Option. Würden die iranischen Nuklearanlagen bombardiert, so käme das einer Bombardierung der israelisch-palästinensischen Verhandlungen gleich. Dies würde auch andere Fortschritte wie den syrischen Truppenabzug aus dem Libanon gefährden.

Washington braucht eine Atempause. Gerade deshalb ist es interessant, dass das Lock-Angebot von Rice an Teheran Leerstellen aufweist: Es beinhaltet keine Offerte einer Sicherheitsgarantie für den Iran. Damit greift es aus iranischer Sicht letztlich zu kurz. Ob nun Teheran oder Washington angesichts langwieriger Verhandlungen die Geduld ausgeht – Washington kann jederzeit wieder zu einem konfrontativeren Kurs wechseln und von den Europäern verlangen, dass sie der Überweisung des Falls an den Sicherheitsrat zustimmen. Offen bleibt also, ob Washington Europa derzeit nur umarmt, um ihm später ein Lösen aus der freundschaftlichen Umklammerung zu erschweren.


EU will internationale Organisationen gestärkt sehen

Das zweite Beispiel: Die Europäische Union misst einem effizienten Multilateralismus zentrale Bedeutung zu. Internationale Organisationen wie die UN sollen gestärkt werden. Sie sollen tun können, was sie tun müssen:

  • Weltordnung gestalten.
  • Die Einhaltung internationaler Rechtsregime garantieren.
  • Krisen auf möglichst friedliche Art und Weise bewältigen.


Gemischte Signale aus Washington

Zusammen mit multinationalen Institutionen wie der NATO stellen sie aus europäischer Sicht Orte kollektiver Entscheidungsfindung dar. Die Administration George W. Bushs hat sich in ihrer ersten Amtszeit weit von solchen Vorstellungen entfernt: Die Vereinten Nationen und die NATO waren zwar Orte der Konsultation, aber nicht länger Orte kollektiver Entscheidungsfindung. Donald Rumsfelds Diktum, dass die Mission die Koalition bestimme, steht für diesen Ansatz. Derzeit kommen aus Washington gemischte Signale: Präsident Bush betont immer wieder die Bedeutung der multilateralen Zusammenarbeit und der Kooperation mit Alliierten. Zugleich aber benannte er mit dem Neokonservativen John Bolton einen bekennenden UN-Hasser zum neuen UN-Botschafter. Die Notwendigkeit, das europäisch-amerikanische Verhältnis und die Formen der künftigen Kooperation neu zu bestimmen, dürften das Motiv hinter der Münchener Initiative von Bundeskanzler Schröder gewesen sein, neben der bereits eingeleiteten militärischen Transformation der NATO auch eine politische Transformation des Bündnisses anzuregen.

Die NATO ist nicht mehr der alleinige Ort strategischer transatlantischer Abstimmung. Je deutlicher wird, dass sicherheitspolitisch relevante Risiken der Zukunft weder primär militärisch noch primär mit nationalen Mitteln zu bekämpfen und einzudämmen sind, desto deutlicher wird, dass der traditionelle sicherheitspolitische transatlantische Dialog in der NATO zu kurz greift. Es bleibt nur die Möglichkeit, entweder die rechtliche und politische Basis der NATO zu erweitern oder aber ein neues Forum des Dialogs und der Entscheidungsfindung einzurichten. Dieses könnte aus den regelmäßigen EU-USA-Gipfeln und der NATO-EU-Zusammenarbeit hervorgehen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS