Rüstungskontrolle Otfried Nassauer
Kaum Außenminister, löckte Joschka Fischer den Stachel: Washington, so der Minister, möge zumindest im Blick auf die NATO einen Verzicht auf den Ersteinsatz nuklearer Waffen bedenken. Trotz Fischers gleichzeitigem deutlichen Bekenntniss zur Kontinuität in der Außen- und Sicherheitspolitik unter Rot-Grün wurde er daraufhin politisch regelrecht »zusammengefaltet«. Binnen Tagen war klar: Alles bleibt wie es ist; Die Initiative aus amerikanischer Sicht ein Frontalangriff auf die US-Nuklearstrategie war mausetot. Danach kamen in der Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungspolitik aus Berlin wenn überhaupt nur leise Töne:
Die Zeit spielte wie so oft in der Diplomatie eine entscheidende Rolle. Vieles, was unter der Clinton-Administration in Washington auf den Weg gebracht werden konnte, gelang erst in deren letzten Monaten und bot der Bush-Administration Optionen zum Rückzug, die diese nur zu gerne nutzte. Richard Haass, Direktor für Politische Planung im US-Außenministerium: Die neue Regierung betreibe Multilateralismus a la carte. "Wir werden uns jedes Abkommen einzeln anschauen und eine Entscheidung treffen." Das Ergebnis der bisherigen Einzelfallentscheidungen ist bildlich gesprochen eine Schneise der Verwüstung in der Rüstungskontroll-Landschaft (Daran ändert es nichts, dass die Regierung Bush erstmals einen Rüstungskontrollvertrag mit Rußland unterzeichnete. In ihm steht nichts, was die Interessen Washingtons beeinträchtigt, aber vieles, das für einen weiteren Abbau rüstungskontrollpolitischer Regeln genutzt werden kann). Nach nur achtzehnmonatiger Amtszeit hat die neue US-Administration deutliche Zeichen gesetzt:
Auf Wunsch des Pentagons wird überprüft, ob die USA auch ihre Unterschrift unter den CTBT, den Teststopp-Vertrag, zurückziehen. Im Verteidigungsministerium ist man der Auffassung, der Vertrag behindere die Entwicklung einer neuen Generation nuklearer Waffen. Im Energieministerium wird z. Zt. die Vorbereitungszeit für die Wiederaufnahme nuklearer Tests signifikant verringert. Auf mittlere Sicht ist damit zu rechnen, dass auch der Weltraumvertrag in Frage gestellt werden wird. Er behindert die Weltraumrüstungspläne der US-Administration. Konservative Hardliner und Militärs ziehen in Zweifel, ob der INF-Vertrag, mit dem einst die nuklearen Mittelstreckenraketen in Ost und West abgebaut wurden, noch im Interesse Washingtons ist. Denn er verbietet nur Washington und Moskau den Bau und Besitz auch konventioneller Mittelstreckenraketen. Besonders problematisch aber ist, dass die Haltung der Washingtoner Administration weit über die Rüstungskontrolle hinaus geht. Auch in anderen Bereichen werden die internationalen Beziehungen dereguliert. Manche in den Washingtoner Amtsstuben würden gar am liebsten die Wiener Konvention über internationale Verträge wie viele völkerrechtliche Rechtsakte von Washington zwar unterzeichnet jedoch nie ratifiziert durch einen Widerruf der US-Unterschrift aus dem Verkehr ziehen. Diese Konvention fordert von den Signatarstaaten eines Abkommens, das noch nicht ratifiziert ist, sich so zu verhalten als sei der Vertrag bereits in Kraft. Es darf also nicht gegen den Geist der unterzeichneten Vereinbarung verstoßen werden.. Obwohl z.B. der SALT 2 - und der START 2 -Vertrag nie in Kraft getreten sind, haben sich alle Beteiligten an deren Regelungen gebunden gefühlt. Würden die USA ihre Unterschrift unter die Wiener Konvention zurückziehen, so stünde auf einen Schlag eine Vielzahl internationaler Rüstungskontrollabkommen vor dem Aus: Allen voran das Abkommen über einen umfassenden Atomteststopp CTBT, Verträge wie der KSE2-Vertrag über Konventionelle Stabilität in Europa oder auch die Zusatzprotokolle der Genfer Konvention, das wichtigste internationale Dokument zur Begrenzung inhumaner Kriegführung.
Dieser rasanten Entwicklung wusste die Bundesregierung wenig entgegenzusetzen. Ihre Haltung in den ersten Monaten der neuen US-Administration erweckte den Eindruck, Berlin schwanke zwischen ungläubigem Staunen, Nichtverstehen und der Hoffnung, nichts werde so heiß gegessen wie es gekocht wurde. Mantraartige Beschwörungen der Bedeutung des Multilateralismus, der fundamentalen Bedeutung von Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie rituell wiederholte Mahnungen, es gelte das rüstungskontrollpolitisch Erreichte zu erhalten, prägten die Folgezeit, in der aber schnell die Erkenntnis unvermeidlich wurde, dass es der Regierung Bush mit dem Ausstieg zumindest aus dem ABM-Vertrag Ernst war. Hoffnungen, Russland werde mehr als nur hinhaltenden Widerstand leisten, erwiesen sich bald als illusionär. Die Mahnungen wurden zur faktischen Bitte: Washington möge das rüstungskontrollpolitische Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Auch hier wurde schnell deutlich, dass dieser Bitte nicht entsprochen werden würde. In Reaktion auf die Terroranschläge des 1.Septembers machte George W. Bush mit seiner Rede zur Lage der Nation im Januar deutlich: Terrorismus und Proliferation sind künftig wichtige Interventionsgründe; rüstungskontrollpolitische Mittel zur Proliferationsverhinderung und -verlangsamung sind vielleicht nützlich, aber nicht länger prioritär. Seither und vor allem angesichts der rüstungskontrollpolitischen Deregulierungspolitik der US-Regierung sucht die Bundesregierung nach probaten Mitteln zur Schadensbegrenzung. Substantielle Initiativen, um alleine oder im Kontext der Europäischen Union zu Politikkonzepten zu kommen, die Abrüstung und Rüstungskontrolle, sowie Proliferationsverhinderung durch Nichtverbreitungsinitiativen befördern, blieben jedoch aus. Dies blieb auch in Washington nicht verborgen. Schon Anfang dieses Jahres wusste der deutsche Botschafter in den USA, Wolfgang Ischinger, zu berichten, dass er gefragt wurde, wo denn die deutschen und europäischen Initiativen zur Stärkung der Nichtverbreitung bleiben würden. Berlin tut sich in der Tat schwer, in dem neuen, der Rüstungskontrolle so wenig zugetanen Umfeld in Washington zu agieren. Dies ist drei Faktoren geschuldet: Zum einen will die Bundesregierung nicht offen gegen den amerikanischen Partner agieren, mit Washington aber ist wenig möglich. Sie befürchtet, dass Initiativen gemeinsam mit der EU oder gar Russland seitens der USA als Affront gewertet würden. Zum zweiten ahnt Berlin, dass die Regierung Bush die allermeisten auch gutgemeinten Vorschläge ablehnen würde, weil sie diese entweder für weniger effizient als das Mittel militärischer Intervention erachtet oder weil sie glaubt, dass neue Regeln die Handlungsfreiheit der USA beschränken. Zum dritten gibt es neuartige, sehr ernstzunehmende Probleme, denen sich Rüstungskontroll- und Nichtverbreitungspolitik künftig stellen müssen. Für diese fehlen weltweit noch die Antworten. Das gewichtigste: Rüstungskontrollpolitik und Nichtverbreitung sind bislang Mittel in den zwischenstaatlichen Beziehungen; zur Zeit gibt es keine überzeugende Antwort auf die Frage, wie diese Mittel gegenüber nichtstaatlichen Akteuren z.B. transnationalen Terrorgruppen auf der Suche nach Massenvernichtungswaffen griffig gemacht werden könnten. Erstaunlich aber bleibt, dass auch jenseits der objektiven Probleme, da wo Initiativen möglich wären, fast schon Agonie zu herrschen scheint: Weder Berlin noch Brüssel verfolgten ernsthaft die bereits ergriffene Initiative weiter, Nordkorea gegebenenfalls gemeinsam mit Rußland und China - mittels wirtschaftlicher Zugeständnisse zur Aufgabe seiner Raketenprogramme und proliferation zu bewegen. Weder Berlin noch Brüssel ergriffen die Initiative, notfalls auch ohne die USA zu einer Verifikationsregelung für die B-Waffenkonvention zu kommen. Weder Berlin noch Brüssel arbeiten daran, ein schlüssiges Konzept zur
Stärkung von Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung zu entwickeln einem der
notwendigen Bestandteile einer Politik asymmetrischer, an den Stärken der eigenen
Handlungsmöglichkeiten orientierter Initiativen Europas auf dem Weg zu einem Pol in der
angestrebten künftigen multipolaren Welt. Last Waltz? Ach ja, da war noch etwas: So gering die Rolle der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik im praktischen Handeln der Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren war, so dramatisch wird in den letzten Sitzungswochen des alten Bundestages nun aufs Tempo gedrückt. Als gelte es ein rhetorisches, rüstungskontrollpolitisches Vermächtnis zu formulieren, arbeiten die Koalitionsfraktionen nun gleich an drei Entschließungsanträgen zum Thema. Einer befasst sich mit der Notwendigkeit eines weitergehenden Verbotes von Landminen, ein zweiter mit Initiativen, um doch noch zu einem Verifikationsprotokoll für B-Waffen zu kommen und schließlich gibt es noch einen Antrag zum Thema nukleare Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. Die ersten Entwürfe der Anträge lassen sich in substantiellen Teilen gut an. Zwar fehlen weitgehend innovative Ideen im Hinblick auf die künftig neuen rüstungskontrollpolitischen Fragestellungen. Auch zeigt sich nur punktuell nicht aber strukturell der politische Wille, der Deregulierungspolitik der Bush-Administration konzeptionell eigenes entgegenzusetzen. Aber der größte Mangel ist ein anderer: Der neuen Dynamik zu abrüstungspolitischen Rhetorik wird kaum eine neue Dynamik abrüstungspolitischen Handelns folgen. Wie sollte sie auch? Bis zum Wahltag sind Wahlkampf und Sommerpause. Und danach werden die Karten neu gemischt.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
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