Der Moskauer Spiegel - Gefährliche Schutzverantwortung
von Otfried Nassauer
Vor 20 Jahren, im
April 1994, begann der Völkermord in Ruanda. Die
örtliche
UNO-Friedensmission sah tatenlos zu. Vor 15 Jahren intervenierte die
NATO in Serbien, vorgeblich um einen drohenden Völkermord an
den
Albanern im Kosovo zu verhindern. Sie ermächtigte sich selbst,
da
der Sicherheitsrat der UNO den Einsatz nicht mandatieren wollte.
Beide Ereignisse
waren Auslöser für die westliche Welt, das Konzept
von der
Schutzverantwortung zu entwickeln, die Idee der Responsibility to
Protect. Sie besagt, dass jede Regierung die Pflicht hat, die
Bevölkerung auf ihrem Staatsgebiet zu schützen und
deren
grundlegende Menschenrechte zu gewährleisten.
Zerfällt ein Staat,
wird er zu schwach oder geht die Regierung gar mit Gewalt gegen ihre
Bevölkerung vor, so sollte die Internationale Gemeinschaft die
Verantwortung für den Schutz der Menschen und ihrer Rechte
übernehmen. Im Extremfall darf sie dazu militärisch
intervenieren.
Das Konzept war
von Anfang an umstritten. Es widerspricht einer zentralen Grundlage
des Völkerrechtes: Dem Prinzip der Unverletzlichkeit der
Grenzen und
des alleinigen Gewaltmonopols jedes Staates innerhalb dieser Grenzen.
Befürchtet wurde zudem, dass starke Staaten auf dieser Basis
gegen
schwächere und unliebsame Regierungen vorgehen
würden.
Die
Schutzverantwortung fand positive Erwähnung in Resolutionen
der UNO.
Befürworter leiten daraus die These ab, es gehe um ein
Völkerrecht
im Werden. Und das Konzept wurde auch schon benutzt, um die
Notwendigkeit eines militärischen Eingreifens zu
begründen –
gegen Libyen, in Syrien, in Ländern Afrikas.
Derzeit spielt
Russland als erstes nicht-westliches Land mit der Möglichkeit,
sich
unter Berufung auf die Schutzverantwortung militärisch
einzumischen.
Außenminister Lawrow drohte wiederholt damit, zum Schutz der
russischen Bevölkerungsteile in der Ost- und
Südukraine
einzugreifen.
Was ein weiteres
Problem der Idee von der Schutzverantwortung aufzeigt: Ein Staat, der
eine militärische Intervention erwägt, kann selbst
dazu beitragen,
die Voraussetzungen für ein Eingreifen zu schaffen. Russland
muss
nur vorhandene Oppositionskräfte in der Ukraine
verstärken. Durch
Personal, Geld, Geheimdienstler, ungekennzeichnete Bewaffnete oder
Propaganda. Reagiert die ukrainische Regierung mit Gewalt, so liefert
sie Russland den Vorwand dafür, sich auf die
Schutzverantwortung
berufen zu können.
Natürlich ist
das nicht im Sinne des Erfinders. Es zeigt aber, wie leicht dieses
Konzept instrumentalisiert werden kann. Russland hat dem Westen
wiederholt vorgeworfen, die Schutzverantwortung zu
instrumentalisieren: In Libyen und Syrien zum Beispiel. Auch die
westliche Unterstützung für die Revolutionen in
Serbien, Georgien
oder der Ukraine hat Moskau ähnlich interpretiert. In der
aktuellen
Krise schlüpft Russland in die Rolle, in der es bisher immer
den
Westen sah. Der steht vor einem Spiegel. Darin kann er sehen, was
sein Konzept der Schutzverantwortung alles möglich
macht.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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