Die Grünen und das blaue Wunder
Otfried Nassauer
Auf seine letzten Tage im Amt sprach Außenminister
Sigmar Gabriel eine deutliche Warnung aus: Es sei wahrscheinlich,
„dass wir in Europa neue nukleare Mittelstreckenwaffen sehen
werden.“ Europa sei gerade mit „der Zerstörung all der
Erfolge bei Rüstungskontrolle und Abrüstung konfrontiert, die
in den 80er und 90er Jahren erreicht wurden.“
Das spielt auch auf den INF-Vertrag an, den ersten nuklaren
Abrüstungsvertrag, der am 8.12.1987 unterzeichnet wurde und jetzt
30. Jahrestag feiert. Dieser Vertrag führte zur
Verschrottung aller atomaren Mittelstreckenwaffen in Europa. Nach
Jahrzehnten atomarer Hochrüstung begann eine Phase der
Denuklearisierung der Sicherheitspolitik für Europa. Eine massive
Trendwende, auf die heute eine Rolle rückwärts zu folgen
droht: Die Renuklearisierung der Sicherheitspolitik in Europa. Die USA
haben vor, ihre rund 150 Atomwaffen in Europa zu modernisieren, die
europäischen Partner sollen neue Trägerflugzeuge kaufen.
Erste US-Politiker fordern schon, neue Mittelstreckenwaffen für
Europa zu entwickeln, weil Russland solche Waffen angeblich auch
stationiert.
Gabriels Warnung ist das Eingeständnis eines
völligen Versagens der beiden letzten Bundesregierungen durch
Passivität in Sachen nukleare Rüstungskontrolle. Sie
versteckten sich hinter der alleinigen Zuständigkeit der USA,
denen die Waffen ja gehören, und hinter einer NATO, die
Abrüstung ja „einstimmig“ beschließen
müsse.
Auftritt ‚Die Grünen’ bei den
Jamaika-Sondierungen: Wir wollen über den Abzug der Atomwaffen aus
Deutschland und über eine konstruktivere Rolle Deutschlands beidem
neuen Atomwaffen-Verbotsvertrag der UNO reden. Jetzt kann eigentlich
nur dreierlei folgen. Erstens: Das Thema wird abgeräumt. Die
anderen wollen leider nicht, Wiedervorlage irgendwann. Zweitens:
Rollentausch mit der SPD. Wir fordern das Maximum und bekommen als
Kompromiss die innenpolitische Zusage keiner Verschlechterung: Keine
Zustimmung zu neuen Atomwaffen und keine zu neuen
Trägerflugzeugen. Schleichend läuft die nukleare Teilhabe
aus. Was aber, wenn die NATO vorher Druck von Außen macht? Dritte
Lesart: Es wird ein Vabanquespiel zwischen der Abrüstungshoffnung
der Grünen und der realen Gefahr einer Aufrüstung durch die
NATO. Der Ausgang ist angeblich offen, aber ein blaues Wunder und ein
blaues Auge sind fast schon garantiert.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
|