Der Prager Januskopf
von Otfried Nassauer
Wer Kernkraft sät, riskiert natürlich auch, neue Nuklearwaffenstaaten
zu ernten. Wer die zivile Nutzung der Atomenergie ausbauen will, darf
sich nicht wundern, dass es immer schwerer wird, die Zahl der Kernwaffenstaaten
klein zu halten. Als ungewollte Nebenwirkung. Fragen Sie Ihren Arzt oder
Apotheker. Ein altbekanntes Problem, diskutiert seit vor mehr als 40 Jahren
der Atomwaffensperrvertrag ausgehandelt wurde. Zugleich ein aktuelles
Thema, weil Barack Obama es erneut auf die Tagesordnung gesetzt hat.
Am 7.April erklärte Obama die Vision einer atomwaffenfreien Welt
zum Ziel amerikanischer Politik und begründete diese Initiative damit,
dass den USA die Verantwortung zum Handeln zukomme. Als einziges Land
der Erde habe man bereits Atomwaffen eingesetzt. Er versprach, Rüstungskontrolle,
Abrüstung und Nichtverbreitung wiederzubeleben, den atomaren Teststopp-Vertrag
zu ratifizieren, sich für ein Verbot der Produktion von Nuklearmaterial
für Atomwaffen einzusetzen, gemeinsam mit Russland die nukleare Abrüstung
voranzutreiben und verbesserte Nichtverbreitungsregeln anzustreben.
Für viele Beobachter war diese Rede der lange erhoffte Lichtblick.
Acht lange Jahren hatten George W. Bush, Dick Cheney und John Bolton alle
Bemühungen um vertraglich vereinbarte Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung in den Kellern des Weißen Hauses weggesperrt, bestehende
vertragliche Vereinbarungen schlicht ausgehungert oder zu Tode gepiesackt
und in personam Dick Cheney sogar behauptet, das alles sei „ein ehrenwerter
Versuch zur Verteidigung unserer Nation“. Nun endlich: Licht am Ende des
Tunnels.
Obamas Vorstoß soll in Kürze positive Wirkung entfalten. Noch
vor der Überprüfungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag
2010 sind erste Ergebnisse geplant. Ein neuer nuklearer Abrüstungsvertrag
mit Russland ist noch in diesem Jahr möglich. Der Teststopp-Vertrag
könnte ratifiziert werden. Glaubwürdige Fortschritte bei der
atomaren Abrüstung sollen eine Stärkung der Nichtverbreitungsregeln
ermöglichen.
Diese Wechselwirkung im Blick auf den Atomwaffensperrvertrag bekräftigte
Obama explizit: „Der zugrundeliegende Ansatz ist gesund: Länder mit
nuklearen Waffen werden sich um Abrüstung bemühen, Länder
ohne Atomwaffen werden keine beschaffen und alle Länder haben Zugang
zur friedlichen Nutzung der Atomenergie.“ Selbst eine diplomatische Lösung
des Streites um das iranische Atomprogramm wird denkbar. „Wir werden das
Recht des Irans zur friedlichen Nutzung der Nuklearenergie bei rigorosen
Inspektionen unterstützen“, sagte Obama. „Kein Ansatz verspricht
Erfolg, wenn er Nationen, die sich an die Regeln halten, ihre Rechte verweigert.
Wir müssen die Kraft der Nuklearenergie im Dienste unserer Bemühungen
zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Stärkung der Chancen
aller Menschen einspannen.“
So sehr sich Obama um eine Stärkung der nuklearen Nichtverbreitung
müht, mit dem letzten Satz eröffnet er eine Debatte mit potenziell
gegenteiliger Wirkung. Er erklärt die Kernenergie zum probaten Mittel
im Kampf gegen den Klimawandel und zum Beitrag zu weltweiter Entwicklung.
Die nuklearindustrielle Lobby kann in ihrem Kampf um Rehabilitierung und
Renaissance der Kernenergie einen starken Verbündeten begrüßen,
der ihre Exportinteressen zu unterstützen weiß. Seit Jahren
erklärt sie, dass binnen weniger Jahrzehnte Hunderte neuer Kernkraftwerke
erforderlich werden, um den wachsenden Energiebedarf der Menschheit zu
decken. Die Kernenergie sei, weil klimaschonend, ohne Alternative.
Doch das Risiko, das aus der Janusköpfigkeit der Kerntechnik resultiert
– hier die zivile, da die militärische Nutzungsmöglichkeit der
Technologie – wird gerne verdrängt oder klein und beherrschbar geredet.
Betreiben immer mehr Staaten Kernkraftwerke, so entsteht in immer mehr
Ländern eine Nuklearindustrie samt ausgebildeter Experten. Jeder
dieser Staaten muss entscheiden, wie abhängig seine Brennstoffversorgung
vom Ausland sein soll. Die Versuchung, zumindest in Teilen autark zu bleiben,
ist groß und mancherorts auch eine Frage des Prestiges. Die Debatte
um das iranische Nuklearprogramm zeigt das. Verwundern sollte das uns
Deutsche nicht. Während der Verhandlungen über den Atomwaffensperrvertrag
war es für die Bundesrepublik eine conditio sine qua non, dass der
Vertrag ihr den Betrieb des kompletten Brennstoffkreislaufs erlauben müsse.
Doch die wichtigsten Technologien der Brennstoffversorgung bergen auch
das größte Proliferationsrisiko: Wer Uran anreichert, kann
im Prinzip auch hochangereichertes Uran für Waffen herstellen. Wer
bestrahlte Brennelemente wiederaufarbeitet und Plutonium abtrennt, kann
Plutonium für den Bau atomarer Waffen gewinnen. Barack Obama will
diese Risiken begrenzen und schlägt neben verschärften Nichtverbreitungsregeln
internationale Brennstoffversorgungsgarantien und internationale Brennstoffvorräte
als Alternative zur nationalen Versorgung vor. Dass dieser Idee durchschlagender
Erfolg beschieden sein wird, ist nicht sehr wahrscheinlich. Gerade die
Staaten, die man am liebsten auf eine solche Lösung verpflichten
würde, dürften zögern, davon Gebrauch zu machen. Zumal
die Export- und Profitinteressen nationaler Nuklearindustrien echte internationale
Anlagen unmöglich machen dürften. Hinzu kommt die geschichtliche
Erfahrung: Die Idee, proliferationsrelevante Teile des Brennstoffzyklus
zu internationalisieren, liegt seit fast 40 Jahren auf dem Tisch. Realisiert
wurde sie nie. Internationale Brennstoffvorräte, auf die einzelne
nukleare Newcomer zugreifen, widerlegen diese Einschätzung nicht.
Zu befürchten ist, dass das Proliferationsrisiko steigt. Die Ursache
ist simpel. Uran ist ein endlicher Rohstoff. Je mehr Kernkraftwerke betrieben
werden, desto schneller geht er zur Neige. Will man die Nutzungsdauer
der Kernenergie signifikant verlängern, so bleibt nur die verstärkte
Nutzung der Wiederaufarbeitung. Die aber verschärft die Gefahr, dass
neue Nuklearwaffenstaaten entstehen. Sie ist nicht nur technisch von geringerer
Komplexität als die Anreicherung von Uran, sondern häuft auch
Reaktorplutonium an, aus dem man notfalls auch eine Bombe bauen kann.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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