Der laute Ruf an die Heimatfront
Die Abzugspläne von George W. Bush bedeuten auch Rhetorik in Zeiten des Wahlkampfes.
Erst im nächsten Jahr wird darüber endgültig entschieden.
von Gerhard Piper
Nach den aktuellen Planungen von US-Präsident George W. Bush werden die
US-Streitkräfte zahlreiche Militärbasen in Übersee auflösen und ihre Einheiten in die
USA zurückholen. Schätzungsweise 70.000 Soldaten werden mit ihren 100.000
Familienangehörigen und Zivilbediensteten aus Europa und Asien die Heimreise antreten.
Insbesondere in der Bundesrepublik schließen die Streitkräfte zahlreiche Kasernen.
Bereits bei ihrem Amtsantritt vor vier Jahren hatte die Regierung eine umfassende
Truppenverschiebung ins Auge gefaßt. Seitdem hatte es über den Umfang und die Art des
Rückzugs zwischen der politischen Führung im Weißen Haus und den Militärs im Pentagon
beständig Auseinandersetzungen gegeben.
In deutschen Rathäusern wächst jetzt die Nervosität. Von den 117.000 amerikanischen
Soldaten in Europa sind immerhin 70.000 Mann in der Bundesrepublik dauerhaft stationiert.
In den kommenden Jahren sollen rund 45.000 GIs aus Europa abgezogen werden, davon kämen
die meisten aus Deutschland. Von den gegenwärtig 73 Standorten mit ihren 310
Einzelobjekten (Kasernen, Radartürme, Funkanlagen etc.) würde ungefähr jeder zweite
geschlossen. Betroffen ist insbesondere das V. Heereskorps in Heidelberg und seine beiden
Divisionen, die 1. Panzerdivision und die 1. Infanteriedivision. Letztere ist zur Zeit im
Raum Bagdad eingesetzt.
Gegenwärtig sind die Divisionsverbände auf folgende Standorte verteilt: Ansbach, Bad
Kreuznach, Bamberg, Baumholder, Büdingen, Darmstadt, Dexheim, Erlensee, Friedberg,
Giebelstadt, Hanau, Heidelberg, Illesheim, Katterbach, Kitzingen, Mainz-Wackernheim,
Mannheim, Schweinfurt, Vilseck, Wiesbaden und Würzburg. Diese Standorte werden ab dem
Jahr 2006 entweder vollständig geschlossen, oder es wird zumindest ein Teil der dort
stationierten Einheiten abgezogen. Schon seit längerem ist zudem bekannt, dass die
Luftwaffe den militärischen Abschnitt des Rhein-Main-Flughafens in Frankfurt im Dezember
2005 an die Flughafen AG zurückgeben wird.
Als sicher gilt, dass das Europa-Hauptquartier der Streitkräfte in Stuttgart sowie die
Kommandozentralen des Heeres (Heidelberg) und der Luftwaffe (Ramstein) erhalten bleiben.
Hingegen soll das Hauptquartier der Marineinfanterie in Böblingen nach Italien verlegt
werden. Der Militärflughafen in Stuttgart wird möglicherweise sogar noch ausgebaut und
dort eine Spezialeinheit mit Kampfhubschraubern stationiert.
Angesichts klammer Gemeindekassen und drückender Arbeitslosigkeit bedeutet der Abzug von
US-Soldaten einen Verlust von zivilen Arbeitsplätzen und einen Rückgang an Kaufkraft.
Vielen Kommunen steht daher zunächst eine Durststrecke ins Haus, bevor durch
Konversionsmaßnahmen neue zivile Arbeitsplätze geschaffen werden können. Dazu müssen
die Anlagen aber erst saniert und die Umweltsünden der Amerikaner beseitigt werden. Für
die Kosten werden letztendlich nicht die Amerikaner aufkommen, sondern der Bund.
Der Truppenabzug aus Deutschland ist eingebunden in den Prozess zur weltweiten
Redislozierung der Streitkräfte. Dabei weiß außerhalb des Pentagons niemand so genau,
wie viele Stützpunkte die US-Streitkräfte tatsächlich besitzen. Der offizielle
"Base Structure Report" nennt eine Zahl von 6.700 Standorten, ohne zahlreiche
Kleinststandorte mitzuzählen.
Rund 700 Standorte verteilen sich auf 130 Staaten, denn seit dem Zweiten Weltkrieg hatte
das Pentagon jede sich bietende Möglichkeit genutzt, um irgendwo Truppen zu stationieren.
Später blieben viele Militäranlagen auch dann noch erhalten, wenn es für sie keinen
aktuellen Bedarf mehr gab. Bis zu 25 Prozent der Stützpunkte gelten heute als
militärisch überflüssig, wie es in einer internen Studie des Pentagon bereits 1998
hieß.
Mehrmals versuchte das US-Militär, die Aufblähung ihres Stützpunktsystems in den Griff
zu bekommen, um die eigene Militärstruktur den Veränderungen der internationalen
Sicherheitslage anzupassen. Dabei wurden Kasernen geschlossen und Truppen aus Übersee
zurück in die USA beordert: "Base Realignment and Closure" (Brac) heißt diese
weltweite Truppenverschiebung.
Allerdings haben die Planungen von Präsident Bush keine bindende Wirkung und sind Teil
der Wahlkampfinszenierung. Auch in den USA stehen nämlich hunderte Militärbasen zur
Disposition. Im Einzelfall kann deren Schließung verhindert werden, wenn an einem
bestehenden US-Standort zusätzlich Truppen aus Übersee unterkommen. Und genau danach
haben in den letzten Monaten immer wieder Kongressabgeordnete gerufen, die die von den
Streitkräften abhängigen zivilen Arbeitsplätze in ihren Wahlkreisen erhalten wollen.
Entgegen früheren US-Versprechungen gehen auch die osteuropäischen Länder bei der
Umstrukturierung weitgehend leer aus. Immerhin sollen aber in Polen oder Tschechien
Radaranlagen des neuen US-Raketenabwehrsystems errichtet werden.
Nach dem amtlichen Prozedere wird eine unabhängige Brac-Kommission aber erst im kommenden
Jahr ihre Vorschläge zur Truppenverschiebung dem Kongress zur Abstimmung vorlegen, bevor
im November 2005 der dann amtierende Präsident die Pläne endgültig absegnet. Mit seinen
Plänen zum Truppenabzug ist George Bush nicht plötzlich vom Pazifismus befallen,
vielmehr sollen durch Brac Stationierungskosten gespart und die Gelder zur
Waffenmodernisierung der Verbände verwendet werden, um deren Interventionsfähigkeit zu
erhöhen.
ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
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