Tagesspiegel
25. Oktober 2006


Sprengsatz für die Zukunft

Die USA planen eine neue Generation nuklearer Waffen – und stellen so den Atomwaffensperrvertrag infrage

von Otfried Nassauer

Suggestive Fragen legen die gewünschte Antwort bereits nahe. Würden Sie lieber „permanent Ihr Altauto reparieren oder lieber einen Ersatzwagen kaufen, der die gleiche Leistung bringt, effizienter gebaut ist und bessere Sicherheitseinrichtungen hat wie zum Beispiel Airbags, ABS und eine moderne Diebstahlsicherung? Was macht mehr Sinn?“ Mit dieser Frage konfrontiert Xavier Asciano gerne sein Publikum. Doch Asciano ist kein Gebrauchtwagenhändler. Er verkauft neue Atomwaffen. Als leitender Beamter der Nisa, der Nationalen Nuklearen Sicherheitsbehörde in den USA, wirbt er für den Bau einer neuen Generation nuklearer Waffen. „Reliable Replacement Warheads“ werden sie genannt.

Bereits im November dieses Jahres soll anlässlich einer Tagung beim Strategischen Oberkommando der US-Streitkräfte (Stratcom) entschieden werden, ob Los Alamos oder Sandia, zwei Nuklearwaffenlaboratorien, den besseren Vorschlag für solche Waffen vorgelegt hat. Die ersten neuen Waffen sollen dann zwischen 2012 und 2015 zur Verfügung stehen. Damit soll demonstriert werden, dass verlässliche Kernwaffen gebaut werden können, ohne dass sie zuvor getestet wurden. Etwa zu diesem Zeitpunkt soll auch entschieden werden, ob nur ein oder zwei der heute verfügbaren Nuklearwaffentypen durch neue ersetzt werden oder alle vorhandenen. Dafür wären zwischen vier und sechs neue Sprengkopftypen erforderlich.

Für Xavier Ascano und seine Kollegen ist die Antwort auf diese Frage schon klar. Sie wollen „bis etwa 2030“ dafür sorgen, dass alle US-Nuklearwaffen der neuen Generation angehören werden. Zumindest mit Worten arbeiten sie bereits heute an diesem Ziel: Alle vorhandenen Nuklearwaffen werden als „Legacy Wepaons“, als „Erblast-Waffen“ des Kalten Krieges bezeichnet, die den Anforderungen der Zukunft nur noch übergangsweise genügen und außer Dienst gestellt werden sollten.

Ascano arbeitet für das Energieministerium. Dort ist die Zuständigkeit angesiedelt, das Pentagon mit Nuklearwaffen zu versorgen. Sein Ministerium und seinen Minister, Samuel W. Bodman, weiß Ascano hinter sich. Die „Strategische Vision 2030 – Verteidigungsprogramme“, ein langfristig angelegtes Strategiepapier zur Nuklearwaffenplanung, wurde bereits im Frühjahr 2005 gebilligt. Sie geht davon aus, dass die USA auch in ferner Zukunft die global führende Nuklearmacht sein werden – „second to none“ und dafür „einige tausend“ moderne Nuklearwaffen benötigen.

Schwieriger wird es wohl werden, den US-Kongress zu überzeugen, das nötige Geld bereitzustellen. Dort wurden Pläne des Energie- und Verteidigungsministeriums, neue Kernwaffen zu bauen – Mini-Nukes und Bunkerknacker zum Beispiel –, bereits mehrfach ausgebremst. Der Kongress befürwortete stattdessen Projekte, mit denen die Sicherheit und die Lebensdauer vorhandener Nuklearwaffen verbessert werden. Diese Alternative möchten die Befürworter neuer Atomwaffen den Abgeordneten bald nehmen. Sie planen, gleich eine ganze Reihe solcher Vorhaben zu kürzen oder ganz zu streichen. Programme zur Lebensdauerverlängerung der Atomsprengköpfe für Marschflugkörper (W-80), Interkontinentalraketen (W-78) sowie taktische Atombomben (B-61) sollen ganz aufgegeben werden und die bereits laufenden Modernisierungsvorhaben für strategische Atombomben vom Typ B61-7 und Sprengköpfe für seegestützte Raketen (W76-1) stark gekürzt werden. Wenn vorhandene Waffen nicht mehr modern gehalten werden können, so die Logik, müssen die Parlamentarier früher Geld für neue bewilligen.

Unter der Bezeichnung „Complex 2030“ plant das Energieministerium zudem eine runderneuerte nuklearindustrielle Infrastruktur für die Produktion und Wartung der neuen Waffen. Der Plan dafür wurde jüngst vorgestellt. Der bisherige Nuklearwaffenkomplex soll künftig vor allem die Aufgabe haben, überschüssige Kernwaffen aus den Zeiten des Kalten Krieges, die Erblast also, zu demontieren. Die neuen Waffen sollen auch in nagelneuen, zukunftsfähigen Industrieanlagen hergestellt werden.

Bis zum Ende der Präsidentschaft George W. Bushs, Anfang 2009, soll der Einstieg in den Bau einer neuen Generation nuklearer Waffen möglichst unumkehrbar gemacht werden. Das politische Signal, das von diesen Plänen ausgeht, ist allerdings höchst problematisch: Wenn die stärkste Nuklearmacht der Erde Milliarden Dollars in eine ganze Generation neue Nuklearwaffen investiert, dann schwächt sie alle Argumente, die darauf abzielen, andere Länder, wie zum Beispiel Nordkorea, vom Besitz nuklearer Waffen abzubringen


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS