Sprengsatz für die Zukunft
Die USA planen eine neue Generation nuklearer Waffen und stellen so den
Atomwaffensperrvertrag infrage
von Otfried Nassauer
Suggestive Fragen legen die gewünschte Antwort bereits nahe. Würden Sie lieber
permanent Ihr Altauto reparieren oder lieber einen Ersatzwagen kaufen, der die
gleiche Leistung bringt, effizienter gebaut ist und bessere Sicherheitseinrichtungen hat
wie zum Beispiel Airbags, ABS und eine moderne Diebstahlsicherung? Was macht mehr
Sinn? Mit dieser Frage konfrontiert Xavier Asciano gerne sein Publikum. Doch Asciano
ist kein Gebrauchtwagenhändler. Er verkauft neue Atomwaffen. Als leitender Beamter der
Nisa, der Nationalen Nuklearen Sicherheitsbehörde in den USA, wirbt er für den Bau einer
neuen Generation nuklearer Waffen. Reliable Replacement Warheads werden sie
genannt.
Bereits im November dieses Jahres soll anlässlich einer Tagung beim Strategischen
Oberkommando der US-Streitkräfte (Stratcom) entschieden werden, ob Los Alamos oder
Sandia, zwei Nuklearwaffenlaboratorien, den besseren Vorschlag für solche Waffen
vorgelegt hat. Die ersten neuen Waffen sollen dann zwischen 2012 und 2015 zur Verfügung
stehen. Damit soll demonstriert werden, dass verlässliche Kernwaffen gebaut werden
können, ohne dass sie zuvor getestet wurden. Etwa zu diesem Zeitpunkt soll auch
entschieden werden, ob nur ein oder zwei der heute verfügbaren Nuklearwaffentypen durch
neue ersetzt werden oder alle vorhandenen. Dafür wären zwischen vier und sechs neue
Sprengkopftypen erforderlich.
Für Xavier Ascano und seine Kollegen ist die Antwort auf diese Frage schon klar. Sie
wollen bis etwa 2030 dafür sorgen, dass alle US-Nuklearwaffen der neuen
Generation angehören werden. Zumindest mit Worten arbeiten sie bereits heute an diesem
Ziel: Alle vorhandenen Nuklearwaffen werden als Legacy Wepaons, als
Erblast-Waffen des Kalten Krieges bezeichnet, die den Anforderungen der
Zukunft nur noch übergangsweise genügen und außer Dienst gestellt werden sollten.
Ascano arbeitet für das Energieministerium. Dort ist die Zuständigkeit angesiedelt,
das Pentagon mit Nuklearwaffen zu versorgen. Sein Ministerium und seinen Minister, Samuel
W. Bodman, weiß Ascano hinter sich. Die Strategische Vision 2030
Verteidigungsprogramme, ein langfristig angelegtes Strategiepapier zur
Nuklearwaffenplanung, wurde bereits im Frühjahr 2005 gebilligt. Sie geht davon aus, dass
die USA auch in ferner Zukunft die global führende Nuklearmacht sein werden
second to none und dafür einige tausend moderne Nuklearwaffen
benötigen.
Schwieriger wird es wohl werden, den US-Kongress zu überzeugen, das nötige Geld
bereitzustellen. Dort wurden Pläne des Energie- und Verteidigungsministeriums, neue
Kernwaffen zu bauen Mini-Nukes und Bunkerknacker zum Beispiel , bereits
mehrfach ausgebremst. Der Kongress befürwortete stattdessen Projekte, mit denen die
Sicherheit und die Lebensdauer vorhandener Nuklearwaffen verbessert werden. Diese
Alternative möchten die Befürworter neuer Atomwaffen den Abgeordneten bald nehmen. Sie
planen, gleich eine ganze Reihe solcher Vorhaben zu kürzen oder ganz zu streichen.
Programme zur Lebensdauerverlängerung der Atomsprengköpfe für Marschflugkörper (W-80),
Interkontinentalraketen (W-78) sowie taktische Atombomben (B-61) sollen ganz aufgegeben
werden und die bereits laufenden Modernisierungsvorhaben für strategische Atombomben vom
Typ B61-7 und Sprengköpfe für seegestützte Raketen (W76-1) stark gekürzt werden. Wenn
vorhandene Waffen nicht mehr modern gehalten werden können, so die Logik, müssen die
Parlamentarier früher Geld für neue bewilligen.
Unter der Bezeichnung Complex 2030 plant das Energieministerium zudem eine
runderneuerte nuklearindustrielle Infrastruktur für die Produktion und Wartung der neuen
Waffen. Der Plan dafür wurde jüngst vorgestellt. Der bisherige Nuklearwaffenkomplex soll
künftig vor allem die Aufgabe haben, überschüssige Kernwaffen aus den Zeiten des Kalten
Krieges, die Erblast also, zu demontieren. Die neuen Waffen sollen auch in nagelneuen,
zukunftsfähigen Industrieanlagen hergestellt werden.
Bis zum Ende der Präsidentschaft George W. Bushs, Anfang 2009, soll der Einstieg in
den Bau einer neuen Generation nuklearer Waffen möglichst unumkehrbar gemacht werden. Das
politische Signal, das von diesen Plänen ausgeht, ist allerdings höchst problematisch:
Wenn die stärkste Nuklearmacht der Erde Milliarden Dollars in eine ganze Generation neue
Nuklearwaffen investiert, dann schwächt sie alle Argumente, die darauf abzielen, andere
Länder, wie zum Beispiel Nordkorea, vom Besitz nuklearer Waffen abzubringen
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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