Tagesspiegel
18. November 2002

 

Auf dem Weg nach Osten

  Otfried Nassauer

Die geplante Erweiterung der Nato geschieht äußerst geräuschlos – weil die USA das Bündnis in eine neue Rolle drängen

Die Nato tagt in Prag. Erstmals findet ein Gipfel in einem der neuen Mitgliedstaaten statt. Schon diese Ortswahl ist Symbol. Anlass ist die erneute Erweiterung der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation, die in Prag beschlossen werden soll. Zehn Kandidaten stehen vor ihrer Tür. Sieben werden die Einladung zum Beitritt bekommen: Die baltischen Republiken, die Balkan-Staaten Slowenien, Bulgarien und Rumänien sowie die Slowakei. Der „big bang“, die große Erweiterung wird realisiert. Im Frühjahr 2004 sollen die Beitritte – etwa zeitgleich zur Erweiterung der EU – anlässlich eines erneuten Gipfels in Washington rechtswirksam vollzogen werden.

Es erstaunt, wie geräuschlos die zweite Erweiterung der Allianz vonstatten geht. Kein ausgedehnter Streit mit Russland, keine öffentliche Diskussion über die Frage, ob die Baltischen Staaten im Ernstfall überhaupt verteidigt werden könnten, keine strategische Debatte, ob hier nicht zu vielen oder zu schwachen Kandidaten eine Beistandsgarantie gegeben werde. Wesentliche Ursachen dafür liegen in Washington. Die Regierung Bush weist der Nato eine veränderte Rolle zu. Die Bedeutung des Bündnisses liegt zunehmend im Politischen und immer weniger im Militärischen. Es wird unwahrscheinlicher, dass das Bündnisgebiet in einem klassischen Krieg verteidigt werden muss. Global kann die Allianz Washington zwar begrenzt militärische Schützenhilfe leisten, ist aber kaum jener strategische Partner, dem die USA ein Mitspracherecht darüber einräumen würden, wie mit einer Krise umgegangen werden soll. Das Bündnis soll deshalb zum einen die Integration der mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten in die westlichen Institutionen endgültig absichern und ein Wiederaufflammen der Kämpfe auf dem Balkan verhindern. Es soll zweitens den Einfluss der USA auf die europäische Sicherheitspolitik sichern und dies in einem deutlich größeren geographischen Raum. Vor allem Rumänien und Bulgarien haben dabei strategische Bedeutung, denn das Signal für den Balkan lautet: Die Stabilisierung Südosteuropas ist dauerhafte Gemeinschaftsaufgabe. Zugleich verbessern sich Möglichkeiten, westliche Interessen im Schwarzmeerraum zu vertreten. Die Aufnahme von sieben neuen Staaten auf einen Streich sichert Washingtons Einfluss in Europa, nicht zuletzt, weil deren neue Eliten oft in den USA ausgebildet wurden.

Und schließlich ist nach der großen zweiten Erweiterung der Nato klar , dass auf absehbare Zeit keine für das Verhältnis zu Russland politisch stark belastende Erweiterung des Verteidigungsbündnisses mehr ansteht. Dies enthebt der Notwendigkeit, in naher Zukunft erneut über eine kompensatorische Vertiefung der Zusammenarbeit mit Russland nachzudenken. Als nächster Schritt – so die teils ernst gemeinte, teils spaßige Begründung – bleibe ja eh nur, Russland selbst die Vollmitgliedschaft zu offerieren. Doch damit lasse man sich besser noch etwas Zeit.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).