Auf dem Weg nach Osten
Otfried Nassauer
Die geplante Erweiterung der Nato geschieht äußerst
geräuschlos – weil die USA das Bündnis in eine neue Rolle drängen
Die Nato tagt in Prag. Erstmals findet ein Gipfel in einem der neuen
Mitgliedstaaten statt. Schon diese Ortswahl ist Symbol. Anlass ist
die erneute Erweiterung der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation,
die in Prag beschlossen werden soll. Zehn Kandidaten stehen vor ihrer
Tür. Sieben werden die Einladung zum Beitritt bekommen: Die baltischen
Republiken, die Balkan-Staaten Slowenien, Bulgarien und Rumänien sowie
die Slowakei. Der „big bang“, die große Erweiterung wird realisiert.
Im Frühjahr 2004 sollen die Beitritte – etwa zeitgleich zur Erweiterung
der EU – anlässlich eines erneuten Gipfels in Washington rechtswirksam
vollzogen werden.
Es erstaunt, wie geräuschlos die zweite Erweiterung der Allianz vonstatten
geht. Kein ausgedehnter Streit mit Russland, keine öffentliche Diskussion
über die Frage, ob die Baltischen Staaten im Ernstfall überhaupt verteidigt
werden könnten, keine strategische Debatte, ob hier nicht zu vielen
oder zu schwachen Kandidaten eine Beistandsgarantie gegeben werde.
Wesentliche Ursachen dafür liegen in Washington. Die Regierung Bush
weist der Nato eine veränderte Rolle zu. Die Bedeutung des Bündnisses
liegt zunehmend im Politischen und immer weniger im Militärischen.
Es wird unwahrscheinlicher, dass das Bündnisgebiet in einem klassischen
Krieg verteidigt werden muss. Global kann die Allianz Washington zwar
begrenzt militärische Schützenhilfe leisten, ist aber kaum jener strategische
Partner, dem die USA ein Mitspracherecht darüber einräumen würden,
wie mit einer Krise umgegangen werden soll. Das Bündnis soll deshalb
zum einen die Integration der mittel-, ost- und südosteuropäischen
Staaten in die westlichen Institutionen endgültig absichern und ein
Wiederaufflammen der Kämpfe auf dem Balkan verhindern. Es soll zweitens
den Einfluss der USA auf die europäische Sicherheitspolitik sichern
und dies in einem deutlich größeren geographischen Raum. Vor allem
Rumänien und Bulgarien haben dabei strategische Bedeutung, denn das
Signal für den Balkan lautet: Die Stabilisierung Südosteuropas ist
dauerhafte Gemeinschaftsaufgabe. Zugleich verbessern sich Möglichkeiten,
westliche Interessen im Schwarzmeerraum zu vertreten. Die Aufnahme
von sieben neuen Staaten auf einen Streich sichert Washingtons Einfluss
in Europa, nicht zuletzt, weil deren neue Eliten oft in den USA ausgebildet
wurden.
Und schließlich ist nach der großen zweiten Erweiterung der Nato klar
, dass auf absehbare Zeit keine für das Verhältnis zu Russland politisch
stark belastende Erweiterung des Verteidigungsbündnisses mehr ansteht.
Dies enthebt der Notwendigkeit, in naher Zukunft erneut über eine
kompensatorische Vertiefung der Zusammenarbeit mit Russland nachzudenken.
Als nächster Schritt – so die teils ernst gemeinte, teils spaßige
Begründung – bleibe ja eh nur, Russland selbst die Vollmitgliedschaft
zu offerieren. Doch damit lasse man sich besser noch etwas Zeit.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit (BITS).
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