Für ein Verbot aller Atomwaffen
von Otfried Nassauer
Der frühere UN-Waffeninspektor Blix: Solange auch nur ein Staat sie hat, werden
auch andere sie wollen.
Waffen des Terrors so heißt ein Bericht über
Massenvernichtungswaffen, den UN-Generalsekretär Kofi Annan jetzt überreicht bekam. Auf
227 Seiten präsentiert eine internationale Experten-Kommission unter Leitung von Hans
Blix, Ex-Chef der UN-Waffeninspekteure im Irak, das Ergebnis mehr als zweijähriger
Arbeit: Entstanden ist ein Überblick über die Risiken, die mit der Existenz atomarer,
chemischer und biologischer Waffen verbunden sind, eine Analyse der Gefahren der
Weiterverbreitung solcher Waffen und 60 Vorschläge, wie Nichtverbreitung und nukleare
Abrüstung gestärkt werden können.
Die Autoren sind ungewöhnlich deutlich: Solange auch nur ein Staat Atomwaffen hat,
werden auch andere sie haben wollen. Solange diese Waffen existieren, wird es auch das
Risiko geben, dass sie eines Tages absichtlich oder bei einem Unfall benutzt werden.
Die Erfindung der Atomwaffe könne zwar nicht rückgängig gemacht werden, aber
diese Waffen können geächtet werden, wie das bei biologischen und chemischen Waffen
bereits der Fall ist, so dass es undenkbar wird, sie zu benutzen. Die Kommission
weise die Auffassung zurück, dass Atomwaffen in den Händen der einen keine
Bedrohung darstellen, während sie im Besitz anderer die Welt einer tödlichen Gefahr
aussetzen. Scharf kritisieren die Experten auch die Länder, die bereits über
Atomwaffen verfügen. Diese schienen ihre Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung
nicht länger ernst zu nehmen und trügen so zu wachsender Frustration und Zweifeln
an der Wirksamkeit des Atomwaffensperrvertrages bei.
Damit offenbaren die Autoren eine ihrer wohl wichtigsten Sorgen. Der atomare
Abrüstungsprozess ist ins Stocken geraten. Das erschwert die Bemühungen, die
Weiterverbreitung atomarer Waffen zu verhindern, und verstärkt die Proliferationsrisiken.
Blix kritisiert die USA, denen er vorwirft, mehr Interesse an ihren eigenen militärischen
Möglichkeiten zu zeigen als einer Stärkung multilateraler Rüstungskontroll- und
Nichtverbreitungsregime. Washington habe klar gemacht, dass es sich frei fühle,
auch ohne Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat mit Waffengewalt gegen einen
unmittelbar drohenden Angriff mit Massenvernichtungswaffen vorzugehen, aber auch gegen
Bedrohungen mit Massenvernichtungswaffen, deren Ort und Zeitpunkt noch unklar ist.
Dies gehe aus seiner Sicht über das in der UN-Charta festgelegte Recht auf
Selbstverteidigung hinaus.
Abrüstung und Nichtverbreitung bedürfen aus Sicht der Kommission dringend einer
Revitalisierung. Dass eine Ächtung atomarer Waffen kaum von heute auf morgen möglich
sein wird, ist den Autoren klar. Sie präsentieren eine Vielzahl gangbarer
Zwischenschritte, um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung zu stärken.
Angeregt werden Erklärungen über den Verzicht auf den Ersteinsatz nuklearer Waffen,
Sicherheitsgarantien für Länder, die auf Nuklearwaffen verzichten, eine
nuklearwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten, der Abzug aller Atomwaffen aus
Ländern, die diese nicht hergestellt haben, wirksamere Maßnahmen zur Sicherung atomarer
Waffen und atomaren Materials und vieles andere mehr. Um Abrüstungs- und
Nichtverbreitungsbemühungen zu beleben, regt die Kommission ein weltweites Gipfeltreffen
an.
Zweifellos kommt dem Bericht das Verdienst zu, sich erstmals gründlicher der Frage zu
widmen, wie Nichtverbreitungsbemühungen, Rüstungskontrolle und Exportkontrollen
also Instrumente zur Regelung zwischenstaatlicher Fragen auch im Blick auf
nicht-staatliche Akteure wirksam gemacht werden können.
In einem Punkt lassen sich die Experten jedoch auf eine riskante Doppelbödigkeit ein: Sie
glauben, dass es möglich ist, nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung zu stärken und
zugleich die friedliche Nutzung der Nuklearenergie zu fördern. Der Stoff, aus dem
nukleare Bomben gebaut werden, Plutonium, entsteht aber erst, wenn die Nuklearenergie
genutzt wird friedlich oder militärisch.
In Deutschland dürfte sich die SPD über den Bericht freuen. Aus ihm lässt sich
argumentative Munition im Streit über die Zukunft der nuklearen Teilhabe und die Lagerung
amerikanischer Atomwaffen in Deutschland ziehen. Die Union will beides beibehalten, die
SPD beides aufgeben. Am 12. Juli wird das Bundeskabinett beraten. Dann steht das neue
Weißbuch von Verteidigungsminister Jung auf der Tagesordnung.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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