Tagesspiegel.de
14. April 2010


Rüstungsexportrekordmeister Deutschland

Das Wirtschaftsministerium legt den Bericht vor – für 2008. Noch nie seit 13 Jahren wurden für so viel Geld Waffen ausgeführt

von Otfried Nassauer

Kurz vor Ostern war es so weit. Leise, weil mitten in den Parlamentsferien hat das Wirtschaftsministerium den Jahresbericht der Bundesregierung über deutsche Rüstungsexporte veröffentlicht. Er beschreibt die Genehmigungspraxis für Rüstungsexporte im Jahr 2008. Nicht des Jahres 2009. Er kommt um viele Monate zu spät und ist ein Beleg dafür, dass die neue Bundesregierung es noch weniger eilig hat als ihre Vorgängerinnen, ihre Genehmigungspraxis zeitnah offen zu legen.

Der Bericht hat es in sich. Vielleicht ging das Wirtschaftministerium auch deshalb so lange auf Tauchstation und verzichtete auf eine ausführliche Presseinformation, die größere Wellen hätte schlagen können. Mit fast 5,8 Milliarden Euro hat die Bundesregierung im Jahr 2008 Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern erlaubt, die um rund 2,1 Milliarden Euro über dem Wert des Vorjahres lagen, eine Steigerung um 57,6 Prozent. Dies ist mit großem Abstand der höchste Wert in den letzten 13 Jahren, wahrscheinlich sogar in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Anstieg erklärt sich durch den gestiegenen Wert der Exportgenehmigungen für Kriegswaffen um etwa das Sechsfache: Von 464 Millionen Euro im Jahr 2007 stieg dieser auf 2,62 Milliarden im Jahr 2008. Genehmigungen im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro wurden für Exporte in Drittländer erteilt, also in Staaten, die weder der Nato oder der EU angehören noch diesen gleichgestellt sind.

Der Export von Kriegswaffen – noch immer die einzigen Rüstungsgüter, von denen die Bundesregierung Daten zum Wert tatsächlich erfolgter Exporte veröffentlicht – sank erwartungsgemäß leicht von 1,5 Milliarden auf 1,4 Milliarden Euro. Viele Genehmigungen aus dem Jahr 2008 wurden offenbar erst 2009 für tatsächliche Ausfuhren genutzt. Zurück ging 2008 auch der Betrag für genehmigte Sammelausfuhren. Sie werden vor allem genutzt, wenn mehrere Nato- oder EU-Staaten gemeinsam Waffensysteme produzieren. Hier wurden nach 5,1 Milliarden Euro im Jahr 2007, die aus neuen Großvorhaben resultierten, Exporte für 2,54 Milliarden genehmigt. Kriegschiffe, gepanzerte Fahrzeuge, militärische Elektronik und Munition machten 2008 wertmäßig den größten Teil der Genehmigungen aus. Wichtigste Empfängerländer waren Südkorea, die USA, Großbritannien, Singapur, Italien und die Niederlande.

Zu den genehmigten Exporten gehören auch 2008 wieder viele problematische Geschäfte. Nach Saudi-Arabien ging Herstellungsausrüstung für Gewehre im Wert von rund 55 Millionen Euro, wahrscheinlich für das Heckler-&-Koch-Gewehr G-36. Pakistan erhielt Genehmigungen für 93 Millonen Euro, Thailand für einen U-Boot-Simulator – das Land plant anscheinend den Aufbau einer U-Boot- Flotte. Das Himalaya-Königreich Bhutan durfte Gewehre mit Kriegswaffeneigenschaft importieren, die wohl erprobt werden sollen. Israel erhielt Reizstoffe und technische Unterlagen für eine rückstoßfreie Schulterwaffe.

Auffällig ist zudem, dass der Export von Überschussmaterial durch die Bundeswehr offenbar erneut primär zur Steigerung des Umsatzes der Rüstungsindustrie genutzt wurde und nur sekundär für Einnahmen des Bundeshaushalts: Aus Bundeswehrbeständen wurden 2008 beispielsweise 195 gebrauchte Kampfpanzer Leopard 2, zehn leichte Artillerieraketenwerfer und ein Flugabwehrraketensystem exportiert. Alle Exporte zusammen spülten nur 135,1 Millionen Euro in den Bundeshaushalt. Davon entfielen allein 124 Millionen auf das Patriot-System für Korea. Für die 195 Panzer kann so nur wenig mehr erlöst worden sein als der Schrottwert. Mit ihnen machte die Industrie dagegen gute Geschäfte: Allein für Singapur, das 2008 26 Leopard 2 erhielt, wurde im gleichen Jahr der Export von Panzern und gepanzerten Fahrzeuge im Gegenwert von 306 Millionen Euro genehmigt.

Ergänzender Kommentar: Die Informationspolitik der Bundesregierung ähnelt einem ebenso begehrten wie teuren Waffensystem, das immer wieder gerne in Deutschland bestellt wird. Unter Minister Rainer Brüderle funktioniert es scheinbar wie ein U-Boot. Ohne Vorankündigung feuert es aus den Tiefen des Beamtenmeeres einen schweren Torpedo ab. Er soll sein überraschend treffen und sein Ziel wenn möglich versenken. Auf diese programmiert wurde der Torpedo schon in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP: Es ist die angeblich zu restriktive Genehmigungspraxis für deutsche Rüstungsexporte.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS