Wo die Bomben wirklich liegen
Das belgische Verteidigungsministerium und die US-Luftwaffe verraten
unfreiwillig einen Atomwaffenstandort
von Otfried Nassauer
Das größte Geheimnis der königlich belgischen Luftwaffe
befindet sich rund 70 Kilometer westlich von Mönchengladbach. Luftlinie.
Es verbirgt sich in dem Dörfchen Kleine Brogel im belgischen Limburg
und beginnt keine 100 Meter nach den letzten Häusern am südlichen
Dorfrand, gleich neben der Nationalstraße 748 und hinter den Zäunen.
Jetzt ist es ein offenes Geheimnis. Kleine Brogel ist das Büchel
Belgiens, ein Nuklearwaffenstützpunkt der Nato. Dort lagern noch
immer zwischen 10 und 20 atomare Bomben des Typs B-61. Sie werden in 11
Unterflurmagazinen, sogenannten Grüften, aufbewahrt, die in den Boden
der Flugzeugschutzbauten eingebaut wurden. Bewacht und kontrolliert werden
sie von einer Spezialeinheit der US-Luftwaffe, der 701. MUNSS. Im Ernstfall
sollen sie als Teil der nuklearen Abschreckung der Nato von belgischen
Jagdbombern des Typs F-16 eingesetzt werden.
Seit Jahrzehnten halten die Nato-Staaten streng geheim, wo Atomwaffen
gelagert werden. Tauchen Informationen auf, werden sie weder bestätigt
noch dementiert. Das „neither confirm nor deny“ ist auch in den Anweisungen
für Pressesprecher verankert. Trotz aller Gerüchte und wissenschaftlicher
Erkenntnisse – nie verriet das Bündnis, wo genau es seine letzten
atomaren Waffen lagert. Nun ist es doch passiert. In Kleine Brogel.
Und das kam so: Am vorletzten Wochenende kletterten sechs belgische „Bombspotter“,
gewaltfreie Aktivisten der belgischen Friedensbewegung, über die
Zäune des Flugplatzes. Rund eine Stunde spazierten die sechs ungestört
über das Gelände, überquerten die Landebahn und schauten
sich einen Flugzeughangar an, der hinter weiteren Sicherheitszäunen
lag. Erst als sie über eine große Freifläche wanderten,
entdeckte sie ein belgischer Soldat. Sie wurden vorläufig festgenommen.
Es gelang ihnen, das Video über ihre Aktion bei Youtube ins Internet
zu stellen.
Das belgische Verteidigungsministerium beeilte sich, den Zwischenfall
herunterzuspielen: „Ich kann Ihnen versichern, dass diese Leute niemals
irgendwie in die Nähe sensibler Einrichtungen gelangt sind“, teilte
Ingrid Baeck, Sprecherin der Zeitung für die US-Streitkräfte
in Europa, „Stars and Stripes“, am Freitag mit. „Die reden Unsinn.“ Der
betreffende Flugzeugschutzbau sei ungenutzt gewesen.
Das Dementi trifft wohl zu, macht aber zugleich klar, wo die Bomben wirklich
liegen. Luftbilder bei Google zeigen es. Auf dem Fliegerhorst Kleine Brogel
gibt es drei Gruppen von Flugzeugschutzbauten. Einen kleinen nördlich
des östlichen Endes der Landebahn, der früher für die Alarmrotte
genutzt wurde und heute keine Rolle mehr spielt. Einen größeren,
im Wald versteckten, mit etlichen Schutzbauten und Gebäuden zur technischen
Wartung nördlich der Mitte der Landebahn. Ihn besuchten die Bombspotter.
Das Dementi der Sprecherin schließt ihn aus. Somit bleibt nur ein
dritter Bereich mit 12 Schutzbauten und technischen Gebäuden nördlich
des südwestlichen Endes der Landebahn. Dieser Bereich ist durch einen
Sicherheitsstreifen und zusätzliche Zaunanlagen abgetrennt. Die Flugzeugshelter
werden durch Bäume und aufgeschüttete Erdwälle vor neugierigen
Blicken von außen geschützt.
Doch all das hilft nichts, wenn im Inneren des Fliegerhorstes fotografiert
wird und die Fotos im Internet veröffentlicht werden. So geschehen
durch die US-Luftwaffe in Europa, den Eigentümer der Bomben. Als
deren früherer Kommandeur, Tom Hobbins, die nukleare Wartungs- und
Wacheinheit der US-Luftwaffe in Kleine Brogel besuchte, entstanden zahlreiche
Erinnerungsfotos. Der General schüttelt die Hände seiner Untergebenen.
Erkennbar ist auch, wo die Bilder gemacht wurden – nämlich in genau
dem Bereich des Fliegerhorstes, auf den die Sprecherin des belgischen
Verteidigungsministeriums indirekt hinwies. Binnen weniger Tage stellte
der amerikanische Blogger und Nuklearwaffenspezialist Jeffrey Lewis eine
Auswertung dieser Bilder ins Internet. Er markierte sogar die Stellen,
an denen die Soldaten für die Fotos standen.
Beunruhigen dürfte die Erkenntnis vor allem die Einwohner von Kleine
Brogel. Konnten sie sich bisher mit der Vorstellung trösten, dass
die Nuklearwaffen rund einen Kilometer vom Dorf entfernt im Wald gelagert
werden, so haben sie nunmehr Gewissheit: Die Waffen liegen gleich neben
ihrem Dorf.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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