Obama klappt Raketenschirm von Bush nicht völlig zu
von Otfried Nassauer
Trotz des Verzichts auf den Raketenschirm in Osteuropa könnten
in Polen Abfangraketen zur Raketenabwehr aufgestellt werden. Das geht
aus den Äußerungen amerikanischer Regierungsmitglieder und
Spitzenmilitärs hervor.
Der amerikanische Präsident Barack Obama hatte am 17. September
entschieden, die umstrittenen Pläne seines Vorgängers aufzugeben,
der zehn Abfangraketen vom Typ GBI bei Slupsk in Polen und einen großen
Radar in Tschechien stationieren wollte. Das System sollte anfliegende
Raketen großer Reichweite außerhalb der Erdatmosphäre
zerstören können. Polen und Tschechien hatten sich davon US-Truppen
im Land, ein besonderes Verhältnis zu Washington und größeren
Einfluss in der Nato erhofft. Für sein Nein zur Raketenabwehr vor
einem Monat bekam Obama große Zustimmung. Kanzlerin Angela Merkel
sah in seinem Schritt ein „hoffnungsvolles Signal, die Schwierigkeiten
mit Russland zu überwinden“, Außenminister Steinmeier begrüßte
den Schritt und auch der neue Nato-Generalsekretär Fogh-Rasmussen
und Moskau reagierten positiv.
Ellen Tauscher, stellvertretende Außenministerin für Rüstungskontrolle
und Internationale Sicherheitspolitik, sagte allerdings, dass auch die
neue Planung die Aufstellung von Abfangraketen in Polen erlaube. Die US-Regierung
habe Polen bereits angeboten, landgestützte Abfangraketen des Typs
SM-3 dort zu stationieren und den bilateralen Stationierungsvertrag entsprechend
abzuändern. Prag sei angeboten worden, das Hauptquartier für
die Raketenabwehr in Europa in Tschechien einzurichten. Der Chef der Raketenabwehrbehörde
der USA, Generalleutnant Patrick O’Reilly, wies zudem darauf hin, dass
man zum Preis der bisher geplanten zehn Abfangraketen bis zu 70 der neuen
Abfangflugkörper kaufen könne. Er deutete an, dass in Polen
etwa 30 davon stationiert werden könnten.
Washington will in Europa nun eine Raketenabwehrfähigkeit aufbauen,
die sich zunächst gegen iranische Mittelstreckenraketen richtet,
später aber auch Langstreckenraketen abfangen kann. Man plant, ab
2011 Abfangsysteme auf Kriegsschiffen mit dem Aegis-System, der neuen
Abfangrakete SM-3 und mithilfe des landgestützten mobilen Radarsystems
AN/TPY-2 im Mittelmeerraum, im Nahen und Mittleren Osten zu stationieren.
Dabei gehe es um erfolgreich getestete Systeme, die Raketen mit Reichweiten
von bis zu 2000 Kilometern abfangen können. Ab 2015 sollen dann eine
leistungsstärkere Version der Abfangrakete und bessere Aufklärungssensoren
eingeführt werden. Dabei werde die seegestützte Version der
SM-3 durch eine verlegbare, landgestützte Variante ergänzt.
Schrittweise soll so ein Schirm für alle Nato-Länder in Europa
entstehen, der mit dem von der Nato geplanten Raketenabwehrsystem „ALTBMD“
kompatibel ist. Ab 2018 soll eine neue Version der Abfangrakete aufgestellt
werden, die die USA und Japan derzeit entwickeln. Sie soll auch Raketen
großer Reichweite und Interkontinentalraketen bekämpfen können.
Für die kommenden Jahre wäre somit gewährleistet, dass
Russland das US-Raketenabwehrsystem nicht als unmittelbare Bedrohung seiner
nuklearen Abschreckungsfähigkeit betrachtet. Für die laufenden
Gespräche über einen neuen nuklearen Abrüstungsvertrag
nach dem „Start“-Vertrag dürfte es somit nicht zu einem ernsthaften
Hindernis werden. Gelingt es jedoch nicht, Moskau in die neue Planung
direkt einzubeziehen und werden künftig leistungsgesteigerte SM-3-Raketen
stationiert, die auch Langstreckenraketen abfangen können, so kann
es erneut zu einer sehr kontroverse Debatte mit Russland kommen. Darauf
deuten auch aktuelle Planungsdokumente der US-Raketenabwehrbehörde
MDA hin, aus denen hervorgeht, dass die Entwicklung der geplanten zweistufigen
Version einer landgestützten Abfangrakete (GBI), die die Regierung
Bush in Polen stationieren wollte, nicht gestoppt wird. Im Herbst 2010
soll sie erstmals getestet werden und als Rückfalloption dienen,
falls bei der Umsetzung der neuen Planung große technische Probleme
auftreten.
Kritische US-Wissenschaftler von der „Union of Concerned Scientists“
haben zudem bereits darauf hingewiesen, dass auch Obamas Plan für
eine Raketenabwehr in Europa technische Risiken birgt und keinen glaubwürdigen
Schutz garantiert. Ähnlich wie das von George W. Bush geplante Raketenabwehrsystem
seien die Abfangraketen vom Typ SM-3 noch nie unter realitätsnahen
Bedingungen gegen angreifende Raketen mit Täuschkörpern getestet
worden.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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