Zum eigenen Schutz
von Otfried Nassauer
Die USA haben in den vergangenen Monaten die Pläne für ihr Raketenabwehrsystem in
Polen und Tschechien überarbeitet und führen damit neue politische Argumente in
die Diskussion ein. Das hat der Berlin-Besuch des Chefs der US-Raketenabwehr, General
Henry Obering, in dieser Woche deutlich gemacht.
Ab 2011 sollen zehn Abfangraketen im Nordosten Polens stationiert werden. Diese sollen
nicht drei Antriebsstufen haben wie die Raketen, die bereits in Alaska und Kalifornien
aufgestellt wurden, sondern nur zwei. Wie die dort stationierten Geschosse sollen sie
anfliegende Raketen während der mittleren Flugphase, also außerhalb der Erdatmosphäre,
durch einen Frontalzusammenstoß zerstören. Sie tragen keinen Sprengkopf, sondern einen
etwa 70 Kilo schweren, manövrierbaren Kollisionskörper in den Weltraum, der auf
Kollisionskurs zu anfliegenden Raketensprengköpfen gebracht werden soll.
Diese scheinbar kleine Veränderung hat große Folgen für die Technik und die politische
Argumentation. Eine zweistufige Abfangrakete ist leichter, sie kann schneller starten,
steigen und ist agiler. Deshalb kann sie anfliegende Raketen deutlich früher und auch
noch später abfangen als die dreistufige Version. Allerdings wird durch die geringere
Reichweite das Einsatzgebiet verkleinert. Wurden die dreistufigen Raketen mit dem Ziel
entwickelt, künftige nordkoreanische oder iranische Langstreckenraketen auf dem Flug in
die USA abzufangen, so soll die kleinere Version jetzt auch Mittelstreckenraketen mit
Reichweiten ab 2000 oder 2500 Kilometern zerstören können.
Das macht es für General Obering deutlich leichter, bei skeptischen Europäern für das
System zu werben. Amerika plant nicht länger eine Raketenabwehr in Europa, die vor allem
die USA schützt und Russland vergrätzt. Vorgesehen ist jetzt ein System, das verspricht,
auch den größten Teil der europäischen Nato-Staaten gegen Raketen aus dem Iran
abzudecken. Zudem gibt es aus amerikanischer Sicht jetzt einen guten Grund mehr, ein
solches System frühzeitig in Europa zu stationieren. Ob der Iran bis 2015 eine atomare
Interkontinentalrakete entwickeln kann, wie es die US-Geheimdienste vorhersagen, mag
bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass der Iran bis dahin die Reichweite seiner
Mittelstreckenraketen auf 2000 bis 3000 Kilometer steigert und damit Teile Europas
bedrohen kann.
Mit dieser Frage beschäftigt sich auch die Nato. Nach dem Prager Nato-Gipfel wurden
Studien in Auftrag gegeben, in denen untersucht wurde, wie sich die Bedrohung durch
Raketen aus Ländern wie dem Iran oder Pakistan entwickeln könnte. Besonderes Augenmerk
galt dabei möglichen Mittelstreckenraketen. Als Ergebnis wurde ein rund 10 000 Seiten
dicker Geheimbericht vorgelegt. Bei dessen Bewertung zeigte sich, dass die Nato-Staaten
die Bedrohung unterschiedlich einschätzen. Sie streiten vor allem darüber, wann und wie
viel Geld investiert werden sollte, um Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.
Der Nato-Gipfel in Riga konnte sich im November 2006 nur auf den kleinsten gemeinsamen
Nenner einigen: Die Allianz gab erste Entwicklungsarbeiten für ein Führungssystem in
Auftrag, mit dem die nationalen Raketenabwehrpotenziale für Kurz- und
Mittelstreckenraketen integriert werden können. Dabei handelt es sich um Abwehrsysteme
die gegen Raketen mit Reichweiten bis zu 1000 Kilometern eingesetzt werden können.
Über weitergehende und teurere Optionen gab es dagegen keine Einigung. Dazu gehörten
auch Vorschläge, ähnlich wie die USA ein Raketenabwehrsystem mit mehreren Basen für
Abfangraketen aufzubauen. Je nach Umfang des Systems wären dafür acht oder 20 Milliarden
Euro erforderlich. Auf solche Großprojekte werden sich die Nato-Staaten auch künftig
nicht so schnell einigen. Das wissen auch die USA. Aber hier öffnet sich eine
Möglichkeit, den politischen Widerstand in Europa zu schwächen.
General Obering nutzte sie: Er argumentierte, Washington werde sein Raketenabwehrsystem
schon deshalb bauen, weil es die USA schütze und deshalb im Interesse Washingtons liege.
Als nationales System der USA werde es natürlich auch unter nationalem Kommando stehen.
Ein Mitspracherecht für die Nato sei nicht vorgesehen. Washington sei aber offen dafür,
sein auch Europa schützendes System später als nationalen Beitrag in erweiterte
Raketenabwehrfähigkeiten der Nato einzubringen. Damit stehen viele Türen offen. Während
die Europäer diskutieren, ob man die USA über die Nato einbinden und den politischen
Schaden gegenüber Moskau begrenzen kann, plant Washington den Bau eines Musterhauses. Die
Europäer können es sich anschauen, bis sie den Wunsch entwickeln, es zu kaufen. Doch
eine Schwäche hat das Werben um Europas Zustimmung: Noch gibt es die neuen Abfangraketen
gar nicht. Niemand kann sagen, ob sie besser funktionieren würden als die US-Raketen in
Alaska. Doch noch gibt es ja auch die Angriffsraketen nicht, die künftig abgefangen
werden sollen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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