Vom Wort zur Tat
Russland hat den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa ausgesetzt
von Otfried Nassauer
Wladimir Putin macht ernst. Russlands Präsident hat ein Dekret unterzeichnet, mit dem
Moskau die Umsetzung der Verträge über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) von
1990 und 1999 aussetzt. Das bedeutet: Russland wird sich so lange nicht mehr an seine
KSE-Verpflichtungen halten, bis alle Nato-Staaten dem KSE-Regime beigetreten sind und den
Adaptierten KSE-Vertrag (AKSE) aus dem Jahr 1999 ratifiziert haben.
Der KSE-Vertrag begrenzte die Zahl der Waffensysteme für die Militärblöcke NATO und
Warschauer Pakt. Im AKSE-Vertrag wurden Obergrenzen für die beteiligten Nationen
vereinbart und regionale Beschränkungen vereinbart.
Russland wird also die Nato-Staaten nicht mehr über Truppenverlegungen informieren und
keine Inspektionen durch die Nato-Länder mehr zulassen. Moskau behält sich das Recht
vor, künftig mehr Truppen im Westen zu stationieren und fühlt sich an die regionalen
Beschränkungen nicht mehr gebunden. In Kraft tritt die Aussetzung 150 Tage nachdem die
anderen Vertragsstaaten in Kenntnis gesetzt wurden.
Zugleich macht das russische Außenministerium deutlich, dass Russland bereit ist,
weiter über die Zukunft des KSE-Regimes zu sprechen und die vereinbarten Regeln wieder
einzuhalten, wenn die Nato-Staaten ihrerseits den AKSE Vertrag ratifizieren. Denn aus
Moskauer Sicht hat der Westen Versprechen nicht gehalten.
Die Nato-Staaten setzten zwar den KSE-Vertrag von 1990 und den KSE-1a Vertrag von 1991
um, nicht aber den AKSE-Vertrag von 1999, der das KSE-Regime an die erste Erweiterung der
Nato anpassen sollte. Eine Anpassung an die zweite Nato-Erweiterung unterblieb ganz.
Derzeit diskutiert das Bündnis über eine dritte Erweiterung sowie amerikanische Basen in
Polen, Tschechien, Bulgarien und Rumänien. Über ein neues KSE-Regime, dass russische
Sicherheitsinteressen berücksichtigen würde, spricht niemand.
Schon 2004 hatte der russische Verteidigungsminister, Sergei Iwanow, das Problem
aufgegriffen: "Ist der KSE-Vertrag wirklich weiterhin ein Eckpfeiler der
Europäischen Sicherheit?", fragte er. "Oder wird er zu einem weiteren Relikt
des Kalten Krieges?" Und weiter: "Im Ernst - eine Schwächung der Kontrollregime
für konventionelle Waffen in Europa stimmt nicht mit den Interessen der russischen
nationalen Sicherheit überein, aber sie ist auch kein irreparabler Verlust für Russlands
Sicherheit, wie einige meinen könnten."
Doch die Nato reagierte nicht. Vielmehr argumentierte sie: Zusammen mit dem
AKSE-Abkommen sei Russland die Istanbuler Verpflichtung zum Truppenrückzug aus Moldawien
und Georgien eingegangen. Erst wenn der abgeschlossen sei, sei eine Ratifizierung
möglich. Die Istanbuler Verpflichtungen kennen ein solches zeitliches Junktim jedoch
nicht. Die Nato hat es einseitig aus Protest gegen den zweiten Tschetschenienkrieg sechs
Monate nach Istanbul beschlossen. Russland akzeptierte das nie. Auch auf einer
KSE-Sonderkonferenz im Juni wurde keine Einigung gefunden.
Da Putin das KSE-Vertragssystem jetzt ganz in Frage stellt, müssen die westlichen
Staaten entscheiden, was ihnen dieser "Eckpfeiler europäischer Sicherheit" und
die vertraglich vereinbarte Rüstungskontrolle künftig wert sind. Im deutschen
Verteidigungsministerium wird befürchtet, dass nicht nur das KSE-Regime Opfer dieser
Kontroverse werden könnte, sondern auch andere wichtige Vereinbarungen wie der Vertrag
über den "Offenen Himmel" und die Wiener Vereinbarungen über den
militärischen Datenaustausch in Europa.
Moskau verstärkt gezielt den Druck auf die Europäer. Ihr Interesse, Russland weiter
in das KSE-Regime eingebunden zu wissen, ist besonders groß. Für sie ist es ein Vorteil,
wenn jede Stationierung von Streitkräften im westlichen Russland durch den AKSE-Vertrag
eng begrenzt bleibt. Die Spielregeln "gemeinsamer Sicherheit" und die
multilaterale Rüstungskontrolle sind für Europa weiter attraktiv.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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