Tagesschau online
23. Oktober 2008


Bushs gescheiterte Atomwaffenpolitik
Großbaustelle für den nächsten Präsidenten

von Otfried Nassauer

Auf den nächsten US-Präsidenten wartet eine Aufgabe, die bislang kaum beachtet wird: die Atomwaffenpolitik. Amtsinhaber Bush weckte bei seinen Militärs Erwartungen, setzte seine Pläne aber kaum um. Andere Staaten reagierten trotzdem und wollen nun ihre Nuklearwaffen modernisieren.

Es gleicht einem vernichtenden Urteil über die Atomwaffenpolitik des scheidenden US-Präsidenten George W. Bush: Man sei "besorgt, dass keine angemessene Kompetenz in Sachen nukleare Abschreckung aufrecht erhalten werden könne" und man sei "pessimistisch, ob Nachfolgesysteme der nuklearen Abschreckung realisiert würden." So steht es in einer Studie des Defense Science Boards, einem wichtigen Beratergremium des Pentagons. Die Experten sind mit ihrer Meinung nicht allein. Seit Monaten muss das US-Verteidigungsministerium immer wieder Dokumente veröffentlichen, die gravierende Probleme beim Nuklearpotenzial der USA diagnostizieren und Korrekturen sowie Investitionen in Milliardenhöhe anmahnen.


Bushs "zweites Zeitalter der nuklearen Abschreckung"

Was auf den ersten Blick verwundert, wird auf den zweiten verständlich. Fast acht Jahre ist es her, dass Bush und sein Vize Dick Cheney die Macht in den USA übernahmen. Ganz oben auf ihrer Agenda stand die Absicht, die Führungsrolle der USA auf Jahrzehnte durch überlegene militärische Fähigkeiten abzusichern. 2001 legte die Regierung mit dem Nuclear Posture Review eine Blaupause vor, wie die nukleare Dominanz der USA gewahrt werden könne. Folgedokumente enthielten die Details. Demnach sollte ein "zweites Zeitalter der nuklearen Abschreckung" eingeläutet werden. Raketenabwehrsysteme sollten die USA vor Nuklearangriffen schützen. Die Entwicklung neuer Atomsprengköpfe, nuklearfähiger Trägerraketen, Bomber und U-Boote sollte die Offensivkraft stärken. Dafür sei es notwendig, auch die Forschungseinrichtungen und Fabriken für den Bau atomarer Waffen zu modernisieren. Die Strategen sprachen von einer "neuen Triade", bestehend aus Raketenabwehr, einem Mix konventioneller und nuklearer Offensivsysteme sowie einer flexiblen nuklear-industriellen Infrastruktur. Werde die Runderneuerung umgesetzt, so könne man auch weiter abrüsten. Weniger sei dann mehr.


USA sehen sich unter Zugzwang

Sieben Jahre später sendet die Regierung Bush andere Signale. Im September publizierten Verteidigungsminister Robert Gates und Energieminister Samuel Bodman ein Dokument mit dem Titel "Nationale Sicherheit und Nuklearwaffen im 21. Jahrhundert". Es enthielt ähnliche Forderungen wie der "Nuclear Posture Review" und seine Folgedokumente. Es begründete sie aber anders. Nicht die Absicherung der Führungsrolle Washingtons erfordere eine Runderneuerung des US-Nuklearpotenzials, sondern die Modernisierungspläne der anderen Atommächte. Die USA seien die einzige Nuklearmacht, die seit mehr als einem Jahrzehnt keine neuen Atomwaffen mehr baue.


Bush setzte seine Pläne nicht um

Die Minister verschwiegen, dass die nuklearen Pläne der frühen Bush-Jahre die Initialzündung für die Modernisierungspläne der meisten anderen Atommächte waren. Stillschweigend gingen sie darüber hinweg, dass die Regierung Bush vergeblich versuchte, ihre Nuklearvorhaben entscheidend voranzubringen. Bis heute existieren vor allem nur Konzepte, milliardenschwere Pläne und Studien. Das halten auch die Experten des Defense Science Boards fest. Sie bemängeln, dass die Entwicklung neuer Atomwaffenträger kaum Fortschritte gemacht habe. Sie beklagen, dass der Kongress das Geld für eine neue Generation atomare Sprengköpfe verweigere. Sie kritisieren, dass unter Bush selbst das bestehende Nuklearpotenzial gelitten habe.

Diesen Befund bestätigen weitere Studien, die das Pentagon nach Pannen bei der Nuklearwaffensicherheit erstellen musste. Unter Bush sei die weitgehende Trennung nuklearer und konventioneller Aufgaben bei der Luftwaffe aufgehoben worden. Durch die jüngsten Kriege seien die konventionellen Aufgaben immer wichtiger und die nuklearen immer unwichtiger geworden. Eine Expertengruppe, die für Verteidigungsminister Gates arbeitete, hielt im September beispielsweise fest: Bei Training und Ausbildung in der Luftwaffe seien die nukleare Aspekte "nahezu eliminiert" worden. Auch werde das Kernelement des zweiten Zeitalters der nuklearen Abschreckung, die neue Triade, "von vielen, die in die nukleare Aufgabe der Luftwaffe involviert sind, nicht wirklich verstanden."


Großbaustelle für den nächsten Präsidenten

Ganz gleich, ob die Autoren dieser Studien auf das Scheitern der nuklearen Ambitionen des Präsidenten aufmerksam machen oder ein letztes Mal für dessen Modernisierungspläne werben wollen: Zweifellos steht der nächste US-Präsident in der Nuklearpolitik auf einer Großbaustelle. Mit deren Problemen muss er sich schnell befassen. Dabei muss er zuerst eine Grundsatzentscheidung treffen: Welche der Probleme sollen durch Rüstungskontrolle und Abrüstung angegangen werden und welche erfordern tatsächlich Modernisierungsmaßnahmen oder Strukturreformen? Wie auch immer: Seine Entscheidung wird Signalwirkung haben.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS