Bushs gescheiterte Atomwaffenpolitik
Großbaustelle für den nächsten Präsidenten
von Otfried Nassauer
Auf den nächsten US-Präsidenten wartet eine Aufgabe, die bislang
kaum beachtet wird: die Atomwaffenpolitik. Amtsinhaber Bush weckte bei
seinen Militärs Erwartungen, setzte seine Pläne aber kaum um.
Andere Staaten reagierten trotzdem und wollen nun ihre Nuklearwaffen modernisieren.
Es gleicht einem vernichtenden Urteil über die Atomwaffenpolitik
des scheidenden US-Präsidenten George W. Bush: Man sei "besorgt,
dass keine angemessene Kompetenz in Sachen nukleare Abschreckung aufrecht
erhalten werden könne" und man sei "pessimistisch, ob Nachfolgesysteme
der nuklearen Abschreckung realisiert würden." So steht es in
einer Studie des Defense Science Boards, einem wichtigen Beratergremium
des Pentagons. Die Experten sind mit ihrer Meinung nicht allein. Seit
Monaten muss das US-Verteidigungsministerium immer wieder Dokumente veröffentlichen,
die gravierende Probleme beim Nuklearpotenzial der USA diagnostizieren
und Korrekturen sowie Investitionen in Milliardenhöhe anmahnen.
Bushs "zweites Zeitalter der nuklearen Abschreckung"
Was auf den ersten Blick verwundert, wird auf den zweiten verständlich.
Fast acht Jahre ist es her, dass Bush und sein Vize Dick Cheney die Macht
in den USA übernahmen. Ganz oben auf ihrer Agenda stand die Absicht,
die Führungsrolle der USA auf Jahrzehnte durch überlegene militärische
Fähigkeiten abzusichern. 2001 legte die Regierung mit dem Nuclear
Posture Review eine Blaupause vor, wie die nukleare Dominanz der USA gewahrt
werden könne. Folgedokumente enthielten die Details. Demnach sollte
ein "zweites Zeitalter der nuklearen Abschreckung" eingeläutet
werden. Raketenabwehrsysteme sollten die USA vor Nuklearangriffen schützen.
Die Entwicklung neuer Atomsprengköpfe, nuklearfähiger Trägerraketen,
Bomber und U-Boote sollte die Offensivkraft stärken. Dafür sei
es notwendig, auch die Forschungseinrichtungen und Fabriken für den
Bau atomarer Waffen zu modernisieren. Die Strategen sprachen von einer
"neuen Triade", bestehend aus Raketenabwehr, einem Mix konventioneller
und nuklearer Offensivsysteme sowie einer flexiblen nuklear-industriellen
Infrastruktur. Werde die Runderneuerung umgesetzt, so könne man auch
weiter abrüsten. Weniger sei dann mehr.
USA sehen sich unter Zugzwang
Sieben Jahre später sendet die Regierung Bush andere Signale. Im
September publizierten Verteidigungsminister Robert Gates und Energieminister
Samuel Bodman ein Dokument mit dem Titel "Nationale Sicherheit und
Nuklearwaffen im 21. Jahrhundert". Es enthielt ähnliche Forderungen
wie der "Nuclear Posture Review" und seine Folgedokumente. Es
begründete sie aber anders. Nicht die Absicherung der Führungsrolle
Washingtons erfordere eine Runderneuerung des US-Nuklearpotenzials, sondern
die Modernisierungspläne der anderen Atommächte. Die USA seien
die einzige Nuklearmacht, die seit mehr als einem Jahrzehnt keine neuen
Atomwaffen mehr baue.
Bush setzte seine Pläne nicht um
Die Minister verschwiegen, dass die nuklearen Pläne der frühen
Bush-Jahre die Initialzündung für die Modernisierungspläne
der meisten anderen Atommächte waren. Stillschweigend gingen sie
darüber hinweg, dass die Regierung Bush vergeblich versuchte, ihre
Nuklearvorhaben entscheidend voranzubringen. Bis heute existieren vor
allem nur Konzepte, milliardenschwere Pläne und Studien. Das halten
auch die Experten des Defense Science Boards fest. Sie bemängeln,
dass die Entwicklung neuer Atomwaffenträger kaum Fortschritte gemacht
habe. Sie beklagen, dass der Kongress das Geld für eine neue Generation
atomare Sprengköpfe verweigere. Sie kritisieren, dass unter Bush
selbst das bestehende Nuklearpotenzial gelitten habe.
Diesen Befund bestätigen weitere Studien, die das Pentagon nach
Pannen bei der Nuklearwaffensicherheit erstellen musste. Unter Bush sei
die weitgehende Trennung nuklearer und konventioneller Aufgaben bei der
Luftwaffe aufgehoben worden. Durch die jüngsten Kriege seien die
konventionellen Aufgaben immer wichtiger und die nuklearen immer unwichtiger
geworden. Eine Expertengruppe, die für Verteidigungsminister Gates
arbeitete, hielt im September beispielsweise fest: Bei Training und Ausbildung
in der Luftwaffe seien die nukleare Aspekte "nahezu eliminiert"
worden. Auch werde das Kernelement des zweiten Zeitalters der nuklearen
Abschreckung, die neue Triade, "von vielen, die in die nukleare Aufgabe
der Luftwaffe involviert sind, nicht wirklich verstanden."
Großbaustelle für den nächsten Präsidenten
Ganz gleich, ob die Autoren dieser Studien auf das Scheitern der nuklearen
Ambitionen des Präsidenten aufmerksam machen oder ein letztes Mal
für dessen Modernisierungspläne werben wollen: Zweifellos steht
der nächste US-Präsident in der Nuklearpolitik auf einer Großbaustelle.
Mit deren Problemen muss er sich schnell befassen. Dabei muss er zuerst
eine Grundsatzentscheidung treffen: Welche der Probleme sollen durch Rüstungskontrolle
und Abrüstung angegangen werden und welche erfordern tatsächlich
Modernisierungsmaßnahmen oder Strukturreformen? Wie auch immer:
Seine Entscheidung wird Signalwirkung haben.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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