Tagesschau online
17. Februar 2004


Ein Maulwurf im BND?

von Otfried Nassauer

Ein leitender Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes wird verdächtigt, interne BND-Informationen auspioniert und weitergegeben zu haben. Genaues weiß man zwar noch nicht, aber der Verdacht wiegt schwer. Der 64-Jährige könnte umfangreiche BND-Erkenntnisse ausgeplaudert haben, die Informanten sowie Bundeswehraktionen gefährden könnten.

Ein 64-jähriger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), des deutschen Auslandsgeheimdienstes, soll von Juli 2002 bis Ende September 2003 für Bulgarien spioniert und einer Mitarbeiterin des bulgarischen Konsulates in München interne Materialien des BND gegeben haben. Der Mann war aufgefallen, weil er Dokumente von der Arbeit mit nach Hause nahm. Deshalb wurde er von der Spionageabwehr beobachtet, auch bei einem Treffen mit der Bulgarin. Dieser wurden anschließend Dokumente abgenommen. Der BND-Mitarbeiter wurde am 8. Oktober 2003 verhaftet. Die Diplomatin hat Deutschland bereits verlassen. Sie wurde auf Bitten der Bundesregierung offenbar zurückberufen.

Der BND-Mann ist nicht irgendein Geheimdienstler. Der Regierungsdirektor war Leiter des für die Beschaffung von Informationen auf dem Balkan zuständigen Referates des BND. Zuvor war er auch in Sofia tätig, zuletzt ab Oktober 2001. Die Bulgarin war viele Jahre stellvertretende Generalkonsulin ihres Landes und für den Geheimdienst aktiv. Das legen die Äußerungen deutscher Offizieller nahe. Sie sagen, die Frau sei "aus dem Stall der Bulgaren", Jargon für bekannte Geheimdienstmitarbeiter.


Erheblicher Umfang des Verrats

Was könnte der BND-Mitarbeiter der bulgarischen Agentin übergeben haben? Was wusste er? Der Umfang des Verrates scheint erheblich zu sein. Die deutsche Spionageabwehr muss sich den schlimmsten Fall vorstellen und davon ausgehen, der Mann habe alles weitergeben, was er wusste. Das war sicher nicht wenig. Schon von seiner Funktion her musste er wissen, wer in den Balkan-Ländern für den BND arbeitet, wer Informationen beschafft und wie diese übermittelt werden. Er musste die Quellen kennen, um einzuschätzen, wie zuverlässig die gelieferten Informationen waren. Hat er die Quellen des BND verraten? An wen wurden seine Informationen weitergereicht? Nur in die bulgarischen Dienste oder auch an Dritte? Und um Quellen in welchen Bereichen geht es?

Man kann zwei Bereiche unterscheiden. Zum einen geht es um Quellen im Bereich der organisierten Kriminalität. Seit der BND in der ersten Hälfte der 90er Jahre offiziell Partnerbeziehungen zu den Geheimdiensten der Balkanstaaten aufnahm, liegt hier sowohl ein Erkenntnisschwerpunkt als auch ein Schwerpunkt des Personaleinsatzes. Der zweite Bereich sind Quellen für Länderinformationen. Quellen, die über Wirtschafts- und Handelsfragen, Militär und Politik in ihrem Einsatzgebiet berichten - zum Beispiel über den legalen und illegalen Waffenhandel. Beide Bereiche sind sensibel.

Wie sensibel, das wird deutlich, wenn man sich vorstellt, dass der BND-Mitarbeiter die bulgarische Agentin detailliert informierte, auf welche Informanten der BND im Bereich der organisierten Kriminalität zurückgreifen kann. Würden seine Informationen in den Bereich der organisierten Kriminalität gelangen, dann wären die Informanten aufs Höchste gefährdet. Sie müssten zurückgezogen oder sogar ausgeschleust werden. Eine über Jahre mühsam aufgebaute Struktur wäre zerschlagen. Der BND wäre für einige Zeit ziemlich taub und blind. Er müsste neue Strukturen aufbauen. Und dies nicht nur in Bulgarien, sondern auch in anderen Staaten des Balkans. Das sind - angesichts der Bedeutung, die der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zukommt, äußerst schlechte Aussichten und doch solche, denen eine große Wahrscheinlichkeit zukommt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die organisierte Kriminalität in Bulgarien viele staatliche Strukturen unterwandert hat.


Geschäfte auf Gegenseitigkeit

Kaum weniger sensibel wäre es, wenn der Mitarbeiter die Quellen des BND für Länderinformationen verraten hätte. Auch diese Informationen können in falsche Hände geraten oder zu politisch heiklen Verwicklungen führen. Die deutschen Dienste halten die Zusammenarbeit des bulgarischen Auslandsgeheimdienstes (NRS) mit dem russischen SWR oder etwa den griechischen Diensten für intensiv. Zu wissen, wer auf dem Balkan für die Deutschen arbeitet, ist Gold, Geld und Informationen wert. Denn die Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten beruht darauf, dass "befreundete Dienste" ein ständiges Geben und Nehmen von Informationen über Dritte praktizieren. Das ist eine unendliche Folge von Geschäften auf Gegenseitigkeit. Doch niemand kann wissen, bei wem eine Information, die er grade gegeben hat, nach weiteren Tauschgeschäften landet. Unter den Empfängern könnten letztlich als Risiko eingeschätzte Staaten aber auch zum Beispiel Terrororganisationen sein.


"Helle Aufregung"

Noch wissen die deutschen Ermittler nicht im Detail, welche Informationen der BND-Mitarbeiter an die Bulgarin übergab. Klar ist, der BND-Mitarbeiter arbeitete seit vielen Jahren zum Balkan. Sein geheimhaltungsbedürftiges Wissen dürfte erheblich gewesen sein. Damit ist das Risiko groß, dass wesentliche und wichtige Strukturen des BND offengelegt wurden oder der BND zumindest von dieser Möglichkeit ausgehen muss. Von einem solchen Verrat aber wäre nicht nur der BND selbst betroffen, sondern zum Beispiel auch die Bundeswehroperationen auf dem Balkan. Auch deren Sicherheit könnte kompromittiert worden sein.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS