Ein Maulwurf im BND?
von Otfried Nassauer
Ein leitender Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes wird verdächtigt,
interne BND-Informationen auspioniert und weitergegeben zu haben. Genaues
weiß man zwar noch nicht, aber der Verdacht wiegt schwer. Der 64-Jährige
könnte umfangreiche BND-Erkenntnisse ausgeplaudert haben, die Informanten
sowie Bundeswehraktionen gefährden könnten.
Ein 64-jähriger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND),
des deutschen Auslandsgeheimdienstes, soll von Juli 2002 bis Ende September
2003 für Bulgarien spioniert und einer Mitarbeiterin des bulgarischen
Konsulates in München interne Materialien des BND gegeben haben.
Der Mann war aufgefallen, weil er Dokumente von der Arbeit mit nach Hause
nahm. Deshalb wurde er von der Spionageabwehr beobachtet, auch bei einem
Treffen mit der Bulgarin. Dieser wurden anschließend Dokumente abgenommen.
Der BND-Mitarbeiter wurde am 8. Oktober 2003 verhaftet. Die Diplomatin
hat Deutschland bereits verlassen. Sie wurde auf Bitten der Bundesregierung
offenbar zurückberufen.
Der BND-Mann ist nicht irgendein Geheimdienstler. Der Regierungsdirektor
war Leiter des für die Beschaffung von Informationen auf dem Balkan
zuständigen Referates des BND. Zuvor war er auch in Sofia tätig,
zuletzt ab Oktober 2001. Die Bulgarin war viele Jahre stellvertretende
Generalkonsulin ihres Landes und für den Geheimdienst aktiv. Das
legen die Äußerungen deutscher Offizieller nahe. Sie sagen,
die Frau sei "aus dem Stall der Bulgaren", Jargon für bekannte
Geheimdienstmitarbeiter.
Erheblicher Umfang des Verrats
Was könnte der BND-Mitarbeiter der bulgarischen Agentin übergeben
haben? Was wusste er? Der Umfang des Verrates scheint erheblich zu sein.
Die deutsche Spionageabwehr muss sich den schlimmsten Fall vorstellen
und davon ausgehen, der Mann habe alles weitergeben, was er wusste. Das
war sicher nicht wenig. Schon von seiner Funktion her musste er wissen,
wer in den Balkan-Ländern für den BND arbeitet, wer Informationen
beschafft und wie diese übermittelt werden. Er musste die Quellen
kennen, um einzuschätzen, wie zuverlässig die gelieferten Informationen
waren. Hat er die Quellen des BND verraten? An wen wurden seine Informationen
weitergereicht? Nur in die bulgarischen Dienste oder auch an Dritte? Und
um Quellen in welchen Bereichen geht es?
Man kann zwei Bereiche unterscheiden. Zum einen geht es um Quellen im
Bereich der organisierten Kriminalität. Seit der BND in der ersten
Hälfte der 90er Jahre offiziell Partnerbeziehungen zu den Geheimdiensten
der Balkanstaaten aufnahm, liegt hier sowohl ein Erkenntnisschwerpunkt
als auch ein Schwerpunkt des Personaleinsatzes. Der zweite Bereich sind
Quellen für Länderinformationen. Quellen, die über Wirtschafts-
und Handelsfragen, Militär und Politik in ihrem Einsatzgebiet berichten
- zum Beispiel über den legalen und illegalen Waffenhandel. Beide
Bereiche sind sensibel.
Wie sensibel, das wird deutlich, wenn man sich vorstellt, dass der BND-Mitarbeiter
die bulgarische Agentin detailliert informierte, auf welche Informanten
der BND im Bereich der organisierten Kriminalität zurückgreifen
kann. Würden seine Informationen in den Bereich der organisierten
Kriminalität gelangen, dann wären die Informanten aufs Höchste
gefährdet. Sie müssten zurückgezogen oder sogar ausgeschleust
werden. Eine über Jahre mühsam aufgebaute Struktur wäre
zerschlagen. Der BND wäre für einige Zeit ziemlich taub und
blind. Er müsste neue Strukturen aufbauen. Und dies nicht nur in
Bulgarien, sondern auch in anderen Staaten des Balkans. Das sind - angesichts
der Bedeutung, die der Bekämpfung der organisierten Kriminalität
zukommt, äußerst schlechte Aussichten und doch solche, denen
eine große Wahrscheinlichkeit zukommt. Es ist ein offenes Geheimnis,
dass die organisierte Kriminalität in Bulgarien viele staatliche
Strukturen unterwandert hat.
Geschäfte auf Gegenseitigkeit
Kaum weniger sensibel wäre es, wenn der Mitarbeiter die Quellen
des BND für Länderinformationen verraten hätte. Auch diese
Informationen können in falsche Hände geraten oder zu politisch
heiklen Verwicklungen führen. Die deutschen Dienste halten die Zusammenarbeit
des bulgarischen Auslandsgeheimdienstes (NRS) mit dem russischen SWR oder
etwa den griechischen Diensten für intensiv. Zu wissen, wer auf dem
Balkan für die Deutschen arbeitet, ist Gold, Geld und Informationen
wert. Denn die Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten beruht darauf, dass
"befreundete Dienste" ein ständiges Geben und Nehmen von
Informationen über Dritte praktizieren. Das ist eine unendliche Folge
von Geschäften auf Gegenseitigkeit. Doch niemand kann wissen, bei
wem eine Information, die er grade gegeben hat, nach weiteren Tauschgeschäften
landet. Unter den Empfängern könnten letztlich als Risiko eingeschätzte
Staaten aber auch zum Beispiel Terrororganisationen sein.
"Helle Aufregung"
Noch wissen die deutschen Ermittler nicht im Detail, welche Informationen
der BND-Mitarbeiter an die Bulgarin übergab. Klar ist, der BND-Mitarbeiter
arbeitete seit vielen Jahren zum Balkan. Sein geheimhaltungsbedürftiges
Wissen dürfte erheblich gewesen sein. Damit ist das Risiko groß,
dass wesentliche und wichtige Strukturen des BND offengelegt wurden oder
der BND zumindest von dieser Möglichkeit ausgehen muss. Von einem
solchen Verrat aber wäre nicht nur der BND selbst betroffen, sondern
zum Beispiel auch die Bundeswehroperationen auf dem Balkan. Auch deren
Sicherheit könnte kompromittiert worden sein.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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