Tagesschau online
14. Januar 2004


Von der Reform zur Transformation

von Otfried Nassauer

Verteidigungsminister Peter Struck hat seine Pläne für eine Transformation der deutschen Streitkräfte vorgelegt. Der neue Begriff ist auch Programm: Der Umbau der Bundeswehr wird als kontinuierlicher Prozess definiert, als permanente Reform. Ein Schritt, der die Möglichkeit zu weiteren Veränderungen beinhaltet, sobald diese unumgänglich werden.


Die Aufgaben - vor allem im Ausland

Die Vorgaben, die Struck und sein Generalinspekteur, Wolfgang Schneiderhan, mit den Kernelementen für eine neue Konzeption der Bundeswehr vorlegen, sind ebenso klar: Die Bundeswehr wird konsequent auf ihre neuen Aufgaben ausgerichtet und die liegen im Wesentlichen im Ausland: Bei multinationalen Einsätzen der Nato, der EU und der UNO. Bei Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Terrorismusbekämpfung sowie zur Unterstützung von Bündnispartnern. Die Landesverteidigung tritt in den Hintergrund.


Dreiteilung der Kräfte

Das erfordert einen weitreichenden Umbau der Bundeswehr. Nicht auf die Masse, sondern auf die Klasse kommt es künftig an, auf die Wirksamkeit angesichts der neuen Aufgaben. 35.000 Soldaten sollen zu jeder Zeit den deutschen Beitrag zu Nato-, EU- und UNO-Einsätzen mit Kriegscharakter sicherstellen. 70.000 bilden die Stabilisierungskräfte, also das Potential mit dem längere friedenserhaltende und friedensschaffende Maßnahmen durchgeführt werden. 137.500 Soldaten und 75.000 zivile Mitarbeiter sind Unterstützungskräfte in der Heimat und sichern den Grundbetrieb.
Gefordert, so Struck, ist der Blick für die Fähigkeiten der Bundeswehr als Ganzes. Konsequenterweise müssen die Teilstreitkräfte Federn lassen, allen voran das bis zuletzt widerstrebende Heer. Die Streitkräftebasis – das teilstreitkraftübergreifende Element der Bundeswehr - wird gestärkt. Heer, Luftwaffe und Marine dagegen verlieren an Einfluss.


Neue Aufgaben - neue Ausrüstung

Umgebaut wird auch bei der Ausrüstung. Die Bundeswehr braucht neue Fähigkeiten zu weltweiter Aufklärung, Kommunikation und Führung. Sie braucht mehr Mobilität. Das klassische Nachfolgedenken der Teilstreitkräfte – nach dem Panzer Leopard 2 kommt der Panzer Leopard 3 – muss aufgegeben werden.

Manches Rüstungsvorhaben, das noch aus Zeiten des Kalten Krieges stammte, musste auf den Prüfstand und danach auf den Müllhaufen der Geschichte. Dafür fand Struck einen Anlass: In guter alter Tradition pflegten alle Teilstreitkräfte ihre Rüstungsplanung als Wunschzettel zu betreiben. Die logische Folge: Es war immer zu wenig Geld da und zuviel Geld auch in der fernen Zukunft schon gebunden. Damit ist nunmehr Schluss.


Pläne für Haushalt und Rüstung müssen zusammenpassen

Geplant darf nur noch werden, was auch durch die Haushaltsplanung abgedeckt ist. Schon deshalb werden jetzt Projekte im Wert von rund 26 Milliarden Euro bis 2018 gestrichen. Für sie war nie Geld im Haushalt. Da jammert zwar die Industrie, professionell wie sie ist, sie sei nicht ausreichend konsultiert werden. Aber um mehr als den Abschied von lange gepflegten Illusionen geht es eigentlich nicht.

Gespart wird auch bei den Standorten. Rund 100 weitere müssen wohl schließen. Weniger Soldaten, weniger Material, weniger Standortbedarf. Auch das ist logisch und dennoch – auch von den mehr als 400 verbliebenen Standorten wird die Bundeswehr nicht alle betriebswirtschaftlich sinnvoll betreiben können.

Frei von Wermutstropfen ist auch der von Struck kredenzte Longdrink nicht. Trotz vieler richtiger Reformschritte dürfte es schwer bleiben, die Bundeswehr nach seinen Plänen zugleich zu transformieren und angemessen zu modernisieren. Das liegt – wie so oft – am lieben Geld. 250.000 Soldaten kosten zuviel, um im Rahmen der gültigen Haushaltsplanung genug Geld für die notwendige Modernisierung der Streitkräfte freizusetzen. 40.000 bis 70.000 weitere Dienstposten hätten mindestens abgebaut werden müssen.


Kein Schnitt beim Eurofighter

Auch gibt es noch so manche Ausgabe, die politisch und nicht durch den militärischen Bedarf begründet ist. Den Mut, überdimensionierte Beschaffungsvorhaben, wie den Eurofighter zu verkleinern, brachte Struck noch nicht auf. Ein weiteres deutliches Beispiel sind 3,67 Milliarden Euro, die für die Entwicklung eines Flugkörperabwehrsystems gegen Raketen mit Reichweiten bis zu 1000 km bereit gestellt werden sollen – für das System MEADS. MEADS wird - obwohl fragwürdig - weitergeführt, weil es das einzige große transatlantische Rüstungskooperationsvorhaben ist.

Ungenutzt bleibt zudem die Chance auf weitere Rationalisierungen. Trotz aller politischen Bekenntnisse zur europäischen Integration ist nicht zu erkennen, dass die Transformation der Bundeswehr konsequent europäisch ausgerichtet würde. Hier läge ein gewaltiges Rationalisierungs- und Einsparpotential, das bislang zumeist nur in kleinen Häppchen und in multilateraler Zusammenarbeit genutzt wird.


Reform ohne Ende - aber mit Option für Ende der Wehrpflicht

Vielleicht haben Struck und Schneiderhan die Transformation der Bundeswehr ja auch deshalb als kontinuierlichen Reformprozess angelegt, um nach der nächsten Bundestagswahl erneut nachsteuern zu können. Transformation als kontinuierliche Reform in für den Patienten Bundeswehr verträglichen, homöopathischen Dosen. Hinweise auf eine alternative Planung, die in wenigen Jahren auch ohne Wehrpflicht auskommen können müsse, deuten bereits darauf hin.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS