Tagesschau online
15. Oktober 2003


NATO goes Global - Mit neuer Eingreiftruppe

von Otfried Nassauer

Die NATO baut eine schnelle Eingreiftruppe, die NATO Response Force, auf. Das Tempo ist rekordverdächtig: Im Oktober 2002 brachte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Idee auf. Der Prager NATO-Gipfel beschloss sie im November 2002. Im Frühjahr 2003 wurde ein Konzept erarbeitet und dann vom NATO-Rat gebilligt. Am 16. Juli traf man sich zur Truppensteller-Konferenz. Am 15.Oktober, wurden die ersten Teile in Dienst gestellt - 9000 Soldaten.


Einsatz-Soll-Stärke von 21.000 Soldaten

In sieben Phasen soll die Truppe bis 2006 auf rund 21.000 Soldaten aller Teilstreitkräfte aufwachsen. Diese bilden einen Pool, aus dem bei Bedarf Eingreifverbände zusammengestellt werden können. Alle Truppenteile müssen binnen fünf Tagen mobilisierbar und für 30 Tage autonom einsetzbar sein. Auch Frankreich beteiligt sich, an der ersten Phase mit 1700 Soldaten. Nur 300 kommen aus den USA. Deutschland stellt 1100; später sollen es mehr als 5000 sein. Das Hauptquartier entsteht in Portugal.


Zunächst nur See- und Luftstreitkräfte

Aufgabe der zu Beginn nur aus Luft- und Seestreitkräften bestehenden Truppe ist es zunächst, die für den Einsatz notwendigen Strukturen, Konzepte und Verfahren zu erproben. Schnelligkeit und die Fähigkeit, sich militärisch rasch durchzusetzen - darauf soll es ankommen. Einen Vorgeschmack bekamen die NATO-Verteidigungsminister im Okotober 2003 in Colorado Springs präsentiert. Rumsfeld konfrontierte sie mit dem Szenario "Dynamische Antwort 2007", einem Krisenspiel, aus der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck die schnell wieder verworfene Schlußfolgerung zog, dass künftig ein kleiner Ausschuss, nicht mehr der ganze Bundestag über solche Einsätze entscheiden solle – aus Zeitgründen.


Europäische NATO-Staaten sollen eingreifen können

Aufgabe der Eingreiftruppe soll es sein, die europäischen NATO-Staaten zu befähigen, sich weltweit an kurzfristig geplanten Interventionen jeder Art zu beteiligen. Sie sollen mit begrenzten, dem Leistungsspektrum der US-Streitkräfte ebenbürtigen Kräften beispielsweise an Einsätzen zur Bekämpfung des Terrorismus und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen teilnehmen. Der Bedarf entstand, als die NATO ihr Aufgabenfeld und ihre geografische Zuständigkeit letztes Jahr erweiterte. Die neue Eingreiftruppe stellt die europäischen NATO-Staaten vor politisch und völkerrechtlich heikle Fragen wie den präventiven Einsatz militärischer Gewalt oder vermehrte Einsätze ohne Mandat der Vereinten Nationen.
Ressourcen-Konkurrrenz zwischen EU und NATO

Der Aufbau der Truppe steht in latenter Konkurrenz zu dem Bemühen der EU, sich Fähigkeiten zum militärischen Krisenmanagement zu schaffen. Konkurriert wird um knappe finanzielle und militärische Ressourcen, aber auch um politische Handlungsspielräume.


Insgesamt rund 60.000 Soldaten notwendig

Die neue NATO-Truppe benötigt substantielle Ressourcen: Um 21.000 Soldaten in einem sechsmonatigen Bereitschafts- und Einsatzzyklus zu halten, sind mindestens drei Kontingente dieser Größe nötig – also rund 60.000 Soldaten. Zwei Kontingente stehen nicht für andere Aufgaben zur Verfügung, weil das Erste Einsatzbereitschaft hat und das Zweite sich darauf vorbereitet.
EU und NATO greifen auf selbe Einheiten zurück

Viele europäische Staaten planen ihren Beitrag aber aus dem gleichen Kräftebestand, der für die EU vorgesehen ist. Kräfte, die für die NATO in Einsatz oder Bereitschaft stehen, können nicht zugleich der EU zur Verfügung stehen und umgekehrt. Der NATO-Eingreifverband umfasst damit das kampfkräftigste Drittel der auch für die EU vorgesehenen Kräfte.

Um diese potentielle Konkurrenz abzumildern, können Länder, die Truppen für den NATO-Verband stellen, ihre Zusage unter "besonderen Umständen" zurücknehmen. Zum Beispiel wenn Einheiten für nationale Zwecke oder einen EU-Einsatz benötigt werden. So steht es im Gesamtkonzept der NATO für die neue Truppe. Doch das wirft eher neue Fragen auf, als dass es alte löst: Ist die NATO-Eingreiftruppe nur dann vollzählig einsatzbereit, wenn kein Staat von dieser Möglichkeit Gebrauch macht? Was sind "besondere Umstände"? Könnte es passieren, dass NATO und EU wetteifern, wer seinen Bedarf an nationalen Kräften als Erster anmeldet? Könnte sich die Neigung beider Organisationen verstärken, frühzeitig militärische Krisen-Lösungen ins Auge zu fassen?


Problem Technik

Ein weiteres Problem: Die Kontingente der NATO Response Force sollen so ausgestattet werden, dass sie bei Operationen aller Art mit US-Truppen zusammenwirken können. Die transatlantische technologische Lücke soll bei diesen Einheiten schrittweise geschlossen werden. Dies kann angesichts der knappen Zeitvorgaben nur gelingen, wenn die europäischen Einheiten nach amerikanischem Vorbild modernisiert werden. Dann aber klafft die oft beschworene technologische Lücke künftig wahrscheinlich vor allem innerhalb der europäischen Krisenmanagementkräfte und sogar der nationalen Streitkräfte.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS