Palästina-Journal
Juni 2015


Besondere Rüstungsbeziehungen

von Otfried Nassauer

Am 12, Mai 2015 feiern Deutschland und Israel das 50-jährige Bestehen ihrer diplomatischen Beziehungen. Für das Geburtstagsgeschenk ist bereits gesorgt. Deutschland wird sich an den Kosten des Baus von bis zu vier neuen Korvetten für Israels Marine beteiligen. Militärhilfe und Rüstumgskooperation sind ein zentraler Bestandteil der deutsch-israelischen Beziehungen. Wie bedeutsam sie sind, signalisiert der geplante Besuch des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin am 13. Mai bei den deutschen U-Boot-Bauern in Kiel.

Kurz vor Weihnachten hatten die Kieler Werften ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) und Abu Dhabi Mar noch einmal Grund zur Freude. Am 22. Dezember 2014 einigten sich Deutschland und Israel auf die Höhe der deutschen Kostenbeteiligung an bis zu vier neuen Korvetten für die israelische Marine. Bis 2019 wird deren Bau mit 115 Millionen Euro aus deutschen Steuergeldern bezuschusst. TKMS fungiert als Generalunternehmer, bei Abu Dhabi Mar, dem ehemaligen HDW-Werk Kiel-Gaarden, sollen die Schiffe gebaut werden. Abu Dhabi Mar wurde kürzlich in German Naval Yards umbenannt. Jetzt weist nichts mehr darauf hin, dass die Werft arabische Eigentümer hat.

Die Korvetten sollen zum Schutz von Dolphin, Tanin und und Leviathan eingesetzt werden. So heißen nicht nur drei der U-Boote Israels, sondern auch Erdgasfelder im Mittelmeer. Israel lässt seine Offshore-Gasförderung ausbauen. Die Energieversorgung soll unabhängiger von Importen werden und Exporte sollen die chronische Devisenknappheit Israels verringern. Damit beides auch in Krisenzeiten gelingt, will Tel Aviv die Förderanlagen militärisch schützen. Selbst Attacken mit Flugzeugen, Raketen oder Marschflugkörpern sollen abgewehrt werden. Deshalb werden relativ große Schiffe benötigt, auf denen neben Geschützen, Seezielflugkörpern oder Bordhubschraubern zum Beispiel auch noch Luft- und Raketenabwehrsysteme Platz finden. Der Schiffbau soll in Deutschland erfolgen, da es in Israel keine Werft gibt, die Schiffe dieser Größe bauen könnte. Später sollen die Korvetten in Israel mit Sensoren, modernen Waffen und Elektronik ausgestattet werden. 

Der subventionierte Auftrag fügt sich nahtlos in eine langen Geschichte der Unterstützung Deutschlands für Israel ein. Diese reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Seit Jahrzehnten ist Deutschland nach den USA der wichtigste Partner Israels bei der Ausrüstung und Finanzierung seiner Streitkräfte. 

Die Militärhilfe aus Berlin umfasst unter anderem Waffensysteme aus Bundeswehrbeständen, die Israel als Ausrüstungshilfe oder Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt werden. In den 1960er Jahren waren es Schul- und Transportflugzeuge sowie Panzer, derzeit kommen zum Beispiel drei Patriot-Raketen-Batterien in Israel zum Einsatz. 2015 sollen sie durch eine Kampfführungsanlage ergänzt werden. Die Unterstützung aus deutschen Steuergeldern half Israel bereits vor mehr als 50 Jahren, gebrauchte U-Boote aus Großbritannien zu finanzieren. Später entstanden mit deutscher Hilfe drei neue U-Boote vom Typ GAL im England. Seit dem Ende des Kalten Krieges beliefert die Bundesrepublik Israel mit modernen Dolphin-U-Booten und beteiligt sich an deren Kosten. Deutschland unterstützt Tel Aviv auch bei der Devisenbeschaffung für Waffenkäufe, indem es Waffen und Rüstungsgüter aus Israel für die Bundeswehr least oder kauft. Die Ausstattung der Bundeswehr mit Uzi-Maschinenpistolen, der Kauf von Munition in den 1960ern und 1980ern, die Entwicklung des Stör- und Täuschsenders TSPJ/Cerberus für den Tornado oder das Leasing israelischer Heron-Drohnen für den Afghanistaneinsatz sind Beispiele.

Die Unterstützung Israels wird meist mit dem Verweis auf die besondere Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels begründet, die aus den Verbrechen des Holocausts erwachse. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder verteidigte Rüstungslieferungen an Israel 2002: „Ich will ganz unmissverständlich sagen: Israel bekommt das, was es für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit braucht, und es bekommt es dann, wenn es gebraucht wird.“ Schröder dachte dabei vor allem an Israels Fähigkeit zur Selbstverteidigung. 

Deutlich weiter ging Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Israel-Besuch 2008. Sie erklärte vor der Knesset: „Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes.“ 

Die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson? Wie weit geht die  Verpflichtung Deutschlands zur Unterstützung Israels im Einzelfall? Sollte Deutschland Israel auch dann unterstützen, wenn Israels Politik im offenen Widerspruch zu völkerrechtlichen Regeln steht? Wenn die Unterstützung genutzt werden kann, um Verletzungen der Menschenrechte in den besetzten Gebieten zu begehen? Gilt sie auch für den nuklearen Bereich? Ist sie bedingungslos oder hat sie auch klare Grenzen?

Über diese Fragen gab es immer wieder Diskussionen. Eine klare Antwort aber steht bis heute aus. Zumindest im Blick auf die deutsche Praxis der Rüstungskooperation mit Israel. Zwar werden Lieferungen von Rüstungsgütern, die auch zur Repression eingesetzt werden können oder Lieferungen kompletter Heereswaffensysteme traditionell vorsichtiger gehandhabt als die Schiffe, Boote oder ABC-Abwehrsysteme. Aber Israel bekam oft auch dann noch Unterstützung, wenn dies im Widerspruch zur deklarierten Politik Deutschlands stand. 

Wiederholt ersetzte die Lieferung von Komponenten oder von Herstellungstechnologie den Export kompletter Waffensysteme. Israel wurde zwar nie mit Kampfpanzern des Typs Leopard 2 beliefert, erhielt jedoch wesentliche technische Komponenten dieses Panzers für den Bau seiner Merkava-Panzer. Die Glattrohrkanone, der Motor,  das Getriebe sowie vor allem das Stabilisierungssystem für die Kanone, das sicherstellt, dass der Panzer auch bei voller Fahrt durchs Gelände treffsicher schießt, gelangten auf mehr oder minder verschlungenen Wegen nach Israel. Scheinbar nicht immer legal. Denn im AEG-Werk Wedel (heute ESW), dem Hersteller des Stabilisierungssystems (LTDS), wurden die Mitarbeiter vor Auslieferung der Geräte und der Herstellungsunterlagen per Aushang aufgefordert, alle Hinweise auf die Herkunft der heiklen Technik zu entfernen. 

Ein anderes Beispiel: Die leichten bunkerbrechenden Handwaffen von Dynamit Nobel sind besonders gut geeignet ist, um Ziele hinter Wänden und Deckungen zu bekämpfen. Für den Einsatz in den besetzten Gebieten sind diese Waffen gut geeignet. Ihr Export widerspricht der deklaratorischen Politik der Bundesregierung. Trotzdem wurde sowohl der Export von Herstellungsunterlagen für die Abschussgeräte als auch der von Teilen für die Munition 2012 genehmigt. Der deutsche Hersteller der Waffen ist in israelischem Besitz.

Der Bau von U-Booten der Dolphin-Klasse ist das wichtigste deutsch-israelische Projekt der letzten 20 Jahre. Und vielleicht das problematischste. Drei nach israelischen Wünschen konzipierte Boote wurden 1999 und 2000 geliefert. Drei weitere, deutlich leistungsfähigere Boote mit Brennstoffzellenantrieb werden derzeit gebaut und exportiert. Das erste Boot, die Tanin, wurde 2014 überführt und wird in Kürze nach einem Umbau in Israel in Dienst gestellt. Die Genehmigung zur Ausfuhr des zweiten Boots erfolgte Ende März/Anfang April 2015. Es soll dieses Jahr überführt werden. Das dritte Boot wird 2018 oder 2019 folgen.

Die ersten beiden Boote wurden Israel während des Golfkriegs 1991 geschenkt. Das dritte finanzierte Deutschland zu etwas mehr als der Hälfte. Bei den drei Brennstoffzellen-Booten tragen Deutschland und Israel je ein Drittel der Kosten. Um Tel Aviv die Bezahlung des letzten Drittels zu erleichtern, kauft Berlin in Israel Rüstungsgüter und Dienstleistungen für die Bundeswehr. Der Kauf von Panzerabwehrraketen des Typs Spike oder das Leasing von Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron sind Beispiele. Der deutsche Steuerzahler beteiligt sich an den sechs Israel-U-Booten mit etwas mehr als ein Milliarde Euro direkt und noch einmal mit mehr als 400 Millionen für Einkäufe in Israel indirekt. 

Experten mutmaßen bereits Ende der 1990er Jahre, dass Israel die U-Boote als Abschussplattformen für seegestützte Marschflugkörper mit nuklearen Sprengkopf nutzen werde. Eine unverwundbare nukleare Abschreckungskomponente auf See sei für das kleine Israel von größtem Interesse. Inzwischen ist klar: Auch deutsche Politiker und Beamte, die mit dem Projekt befasst waren, waren sich dessen von Anfang an bewusst. Inzwischen ist davon auszugehen, dass Israel die Boote als Nuklearwaffenträger nutzen kann.

Gehört es zur deutschen Verpflichtung für Israels Sicherheit, Tel Aviv bei der Aufrechterhaltung und Stärkung seines (nicht erklärten) Atomwaffenpotentials zu helfen? Israel ist dem dem Atomwaffensperrvertrag nie beigetreten. Deutschland ist nicht-nukleares Mitglied. Deutsches Interesse ist es, dass dem Vertrag alle Staaten der Erde beitreten und die Nuklearmächte ihre Waffen abrüsten. Es ist verpflichtet, die Nichtverbreitung zu fördern. Ist diese völkerrechtliche Verpflichtung etwa schwächer als Deutschlands Verantwortung für Israels Sicherheit? Wohl kaum. Trotzdem hat die Bundesregierung diese Frage offenbar bislang mit einem klaren Ja beantwortet. Daraus kann ein unangenehmer Präzedenzfall entstehen. Australien erwägt deutsche U-Boote kaufen, wenn diese weitreichende Marschflugkörper verschießen können und auch die Nuklearmacht Indien ist ebenfalls am Aufbau eines U-Boot-gestützten Nuklearwaffenpotentials und an deutschen U-Booten interessiert.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS