Pax Christi
5/01

BMD - Bush, Missiles and Defenses?

Otfried Nassauer

 

Mit starken Worten, Bomben auf den Irak und der Ankündigung deutlicher Veränderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik hat sich die neue US-Administration ins Amt eingeführt. Visitenkarten aus Stahl, Politik ohne Absprachen – die einzig verbliebene Supermacht zeigt, daß sie auf niemanden angewiesen ist, spielt Sheriff. Bis in die europäischen Regierungen und in den konservativen Blätterwald hinein runzelt so mancher sorgenvoll Stirn oder schüttelt gar verständnislos den Kopf.

Befürchtet wird, daß die neue US-Regierung ohne außenpolitische Rücksicht auf Verluste ihre Projekte einer Raketenabwehr, der Weltraumrüstung, der konventionellen Aufrüstung und nuklearen Modernisierung vorantreibt und dabei wichtige Rüstungskontrollverträge einfach auf den Müllhaufen der Geschichte wirft. Manchem schwant, daß die neue Regierung nicht nur die Militärausgaben der USA deutlich erhöhen könnte, sondern auch die europäischen Staaten zu deutlich erhöhten Verteidigungsausgaben und zu noch deutlicherer Unterordnung unter die amerikanische Führungsrolle pressen könnte. Ein neues Wettrüsten und massiver Schaden für die sensiblen Beziehungen zu Rußland und China werden befürchtet.

Betrachtet man die Politik der neuen Administration jedoch im Einzelnen, so ergibt sich ein differenzierteres Bild. Übereilte Hast scheint sie nicht an den Tag zu legen. Die bisherige Politik wird auf einer Vielzahl von Feldern grundsätzlich überprüft: Die Sanktionspolitik, die China- und Rußland-Politik, die Politik gegenüber den koreanischen Staaten, wie gesetzlich vorgeschrieben die Nuklearpolitik (Nuclear Posture Review) und die Militärpolitik (Quadroannial Defense Review). Neu bewertet werden auch die Pläne für den Bau eines Raketenabwehr-Systems und die Rüstungskontrollpolitik. Solche Schritte sind für eine neue Regierung normal. Zugleich kosten sie Zeit – lassen klare Signale und eindeutige Taten frühestens in 6-12 Monaten erwarten.

Absehbar ist, dass die US-Außenpolitik der Zukunft noch stärker als bislang von Innenpolitik beeinflußt wird. Aufgrund des umstrittenen Wahlausgangs und der Patt-Situation im amerikanischen Senat startet die Bush-Administration geschwächt und zugleich unter hohem Erwartungsdruck ihrer extrem konservativen und ideologisch geprägten Wählerschaft. Während es theoretisch denkbar gewesen wäre, dass sie durch schnelles, radikales Umsteuern das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen gesucht hätte, deutet heute vieles daraufhin, daß dieser Weg nicht gegangen wird. Der außenpolitische Schaden hätte immens sein können und vielleicht entscheidend: Die finanziellen Kosten einer ungebremsten Politik militärischer Stärke stehen angesichts einer drohenden, größeren Wirtschaftskrise in direkter Konkurrenz zu Bush’s wichtigstem innenpolitischen Wahlversprechen: Einer umstrittenen, massiven Steuersenkung.

Die Bush-Administration versucht deshalb, die Erwartungshaltung der eigenen Wählerschaft und die Nebenwirkungen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik zu balancieren. Dies kann nur gelingen, wenn neben kontroversen auch Schritte unternommen werden, die innen- und außenpolitisch weitgehende Zustimmung finden. Was also ist von der neuen Regierung wirklich zu erwarten?

Die politische Rhetorik bei Themen, die für das konservative Spektrum von hohem Symbolwert sind, wird deutlich schärfer. Das gilt für die Rüstungsausgaben, die Bedrohungsbilder, das Thema Raketenabwehr, die amerikanische Politik der Stärke und des Nichtangewiesenseins auf andere sowie – wahrscheinlich - für die Ablehnung vertraglicher rüstungskontrollpolitischer Beschränkungen, Es gilt für die Beziehungen zu Russland, China und anderen Staaten, die nicht als Partner betrachtet werden.

Das faktische Handeln der neuen Administration aber dürfte primär von den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen der USA geprägt werden. Deutlich dürfte dies in einer veränderten Sanktionspolitik werden, da erhebliche energiepolitische Interessen in Staaten wie dem Iran, dem Irak oder Libyen existieren, wird die Sanktionspolitik verändert. Ähnliches gilt für Rüstungskontrollpolitik, wenn diese rüstungswirtschaftlichen und technologiepolitischen Interessen im Wege steht. Neu ausgerichtet wird auch die Regionalpolitik samt der Entscheidungen über militärische Interventionen. Interventionen wird die neue Administration mit größerer Zurückhaltung angehen, vor allem dann, wenn große Verbände, vor allem Bodentruppen, über längere Zeit eingesetzt werden müßten. Einsätze in Europa oder aus "humanitären Gründen" werden künftig seltener stattfinden, Einsätzen in Asien kommt dagegen ein größeres Gewicht zu. Innerhalb Asiens gewinnen Südasien, Südwestasien und Zentralasien an Bedeutung, Ostasien und Nordostasien verlieren an Dringlichkeit. Hier spiegelt sich der große Einfluß der Ölindustrie und der Energiepolitik in der Regierungsmannschaft Bushs.

Abgeleitet ergeben sich veränderte militärische Prioritäten. Nuklearwaffen zur Abschreckung Rußlands oder Chinas verlieren an Bedeutung. Flexible und schwer verwundbare Marinestreitkräfte sowie konventionelle Luftwaffenkräfte, die über große Entfernungen wirksam eingesetzt werden können, gewinnen an Bedeutung. Gepanzerte schwere Heereskräfte, taktische Kampflugzeuge kurzer Reichweite und schwere, aber verwundbare Flugzeugträger verlieren an Gewicht. Die Ausgaben für die US-Streitkräfte, insbesondere für international wettbewerbsentscheidende Zukunftstechnologien (Luft- und Raumfahrt, Informatik, Mikro- und Nanotechnologie, Bio- und Gentechnologie) werden mittelfristig deutlich steigen. Doch zunächst: Mehr Geld schon ab 2002 gibt es primär für die Einsatzfähigkeit und die Lebensbedingungen der Soldaten – alles andere ist abhängig vom Ergebnis gründlicher Prüfungen.

Die Forschung an einem umfassenden, mehrstufigen Raketen-Abwehrsystem aus land-, see- und weltraumgestützten Elementen wird künftig wiederbelebt. Erheblich mehr Mittel dürften für die weltraumgestützten Elemente der Raketenbekämpfung und Systeme zur Bekämpfung von Raketen in der Startphase (Boost Phase Intercept) und für die Abwehr von Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern bereitgestellt werden. Die Vision von Ronald Reagans Krieg der Sterne wird zu Teilen wiederbelebt. Mit Heimatverteidigung – Homeland Defense – wird an seine Vision der Unverwundbarkeit Amerikas angeknüpft. Eine solche Umorientierung aber kostet Zeit und setzt eine umfassende Neubewertung des verfügbaren Technologie- und Forschungsstandes voraus – ganz so wie Donald Rumsfeld es angeordnet hat - eine umfassende Überprüfung der Systemarchitektur.

Unklar ist, ob die USA schnell mit der Stationierung des von der Clinton-Administration vorbereiteten Systems Nationaler Raketen-Verteidigung beginnen und damit de facto aus dem ABM-Vertrag aussteigen. Möglich ist auch, daß die neue Administration das Vorhaben ihrer Vorgängerin für unausgereift und nicht leistungsfähig genug erklärt. Niemand könnte dies glaubwürdiger tun als Rumsfeld, jener Mann, der 1998 die Begründung dafür lieferte, daß die USA schnellstmöglich eine nationale Raketenverteidigung bauen sollten. Die Bush-Regierung würde damit Zeit und politischen Spielraum für eine Einigung mit den Alliierten in der NATO und Gespräche mit Rußland, China und anderen Kritikern gewinnen. Regionale Raketenabwehrsysteme werden zugleich systematisch weiterentwickelt, disloziiert und zur politischen Einbindung der Bündnispartner in Europa und Asien, aber auch Rußlands genutzt. Sogar das Wahlversprechen der schnellen Stationierung einer Raketenabwehr können die Republikaner einhalten, ohne den ABM-Vertrag zu brechen – ein erstes Abwehrsystem zur Technologieerprobung könnte in Grand Forks stationiert und genau so konzipiert werden, daß es den ABM-Vertrag noch nicht verletzt.

Die klassische Rüstungskontrolle in Form vertraglicher Vereinbarungen verliert politisch an Bedeutung. Tief sitzen bei republikanischen Sicherheitspolitikern die Befürchtungen, die Politik der USA irreversibel rechtlich zu binden. Dies schließt Abrüstung nicht aus. In der Tradition der Regierung Bush Senior wird bereits an Initiativen zu weitreichender nuklearer Abrüstung durch wechselseitig einseitige Reduzierungen gearbeitet. Diesem Vorgehen kann unter Umständen der START-Prozess zum Opfer fallen, während zugleich weiter reichende Abrüstungsschritte umgesetzt werden, als in diesem vorgesehen. Der Vorteil aus Sicht der neuen Administration: Überflüssige Nuklearwaffen werden abgebaut, Kosten werden gespart und zugleich bleibt die Abrüstung reversibel, da sie nicht rechtlich bindend vereinbart wird. So kann offengehalten werden, ob und wann die neue Administration die Entwicklung einer neuen Generation nuklearer Waffen einleitet, für die die Atomwaffenlaboratien bereits kräftig die Werbetrommel rühren: Mini-Nukes zur Bekämpfung tief verbunkerter Ziele und mit "minimalen" Nebenwirkungen.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).