Siamesische Zwillinge
Kernenergie und Kernwaffen
von Otfried Nassauer
Die Welt verbraucht immer mehr Energie. Öl und Gas sind endliche Ressourcen. Die
Kernenergie steht möglicherweise vor einer Renaissance. Doch die zivile Nutzung der
Kernenergie ist technologisch janusköpfig. Sie kann militärischen Zwecken dienen und zur
Verbreitung von Kernwaffen führen. Mit dieser Proliferation sind große
sicherheitspolitische Risiken verbunden. Das globale Nichtverbreitungssystem von
Kernwaffen steckt in einer Krise. Zwischen dem Versuch, die nukleare Bewaffnung weiterer
Staaten zu verhindern und die Nutzung der zivilen Kerntechnik auszubauen, gibt es einen
unlösbaren Widerspruch.
Jeder zivile atomare Brennstoffkreislauf und insbesondere einige der dazu gehörenden
Elemente konfrontieren die Welt mit bestimmten Sicherheitsrisiken. Atomare Technologien,
das entsprechende Wissen und nukleares Material können weitergegeben werden.
Nuklearexperten können reisen oder auswandern. Schon die Existenz einer breiten Palette
spezifischer Exportkontrollen, Verläßlichkeitstests für Mitarbeiter und einer
besonderen nuklearen Nichtverbreitungspolitik sind ein Nachweis für die Gefahren der
Proliferation.
Während des Ost-West-Konflikts richteten sich die Proliferationsbefürchtungen vor
allem auf Staaten, die an Material, Technologie oder Wissen für Nuklearwaffen herankommen
wollten. In den 1960er und den frühen 1970er Jahren gehörten Deutschland, Indien,
Israel, Japan und Schweden zu den Ländern, die unter Beobachtung standen. Mitte der
1970er und Anfang der 1980er Jahre zählten Argentinien, Brasilien, Ägypten, Indien,
Iran, Irak, Pakistan, Südkorea, Taiwan und Südafrika dazu. Seit den 1990er Jahren stehen
der Irak, Iran, Pakistan und Nordkorea ganz oben auf der Liste. Beinahe alle
Nichtkernwaffenstaaten, die nukleare Forschung oder Kernenergieprogramme betreiben, sind
mit Blick auf ihre Absichten durchleuchtet worden.
Dennoch blieb bis zum Ende des Ost-West-Konflikts die Zahl der Länder, die
tatsächlich über Atomwaffen verfügten, bemerkenswert klein: Neben den ständigen
Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates hatten nur Israel, Indien und Südafrika die Bombe
gebaut. Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) und die Bemühungen
der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) sowie multilaterale und nationale
Technologie- und Exportkontrollen in Kombination mit der Selbstbeschränkung der
Nichtkernwaffenstaaten sowie Sicherheitsgarantien durch Atommächte und/oder diplomatische
Zwangsmaßnahmen haben dazu beigetragen, die Zahl überschaubar zu halten.
Südafrika hat nach dem Ende der Apartheid sein nukleares Arsenal wieder abgerüstet.
Belarus, Kazachstan und die Ukraine willigten ein, ihre von der Sowjetunion geerbten
Atomwaffen aufzugeben. Anfang der 1990er Jahre gab es sogar eine gewisse Hoffnung, daß
nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung die Welt von der Gefahr atomarer Vernichtung
vielleicht doch noch einmal befreien könnten.
Heute sieht die Situation wieder ganz anders aus. Die Proliferation ist auf einen
Spitzenplatz auf der Liste der Risiken für die internationale Sicherheit zurückgekehrt.
Einige Faktoren haben zu dieser Entwicklung beigetragen. Die Nuklearwaffenstaaten haben
ihre Arsenale nicht so schnell reduziert, wie es viele atomwaffenfreie Staaten nach dem
Ende des Ost-West-Konflikts erwarteten. Einige Atommächte sprachen wiederholt von der
Notwendigkeit, ihre Atomwaffen zu modernisieren. Die Auflösung der Sowjetunion und die
darauffolgende Schwäche Rußlands riefen ernsthafte Besorgnis hervor, ob die
Nachfolgestaaten der Sowjetunion die Fähigkeit haben würden, die Atomwaffen, das
Nuklearmaterial, die Technologie und das Wissen zu sichern. Nach dem Golfkrieg 1991
deckten internationale Inspektoren ein geheimes irakisches Nuklearwaffenprogramm auf. 1998
mußte Pakistan auf die Liste der Nuklearmächte gesetzt werden, weil es Atomwaffentests
durchgeführt hatte. Schließlich trat Nordkorea 2003 nach einer langen Hängepartie aus
dem Nichtverbreitungsvertrag aus und erklärte, es verfüge nun über Atomwaffen.
Seit dem 11. September 2001 ist die öffentliche Aufmerksamkeit für die Risiken der
Proliferation erneut und schnell gewachsen. Eine ganz neue Gruppe von Akteuren und
potentiellen Nutznießern der Proliferation wurde der Bedrohungsanalyse hinzugefügt:
transnationale nichtstaatliche Akteure wie z.B. Terroristen, das Organisierte Verbrechen,
religiöse Extremisten und transnationale Konzerne. Während manche Fachleute diese
Akteure schon seit vielen Jahren auf ihrem Radarschirm hatten, machten sich Politiker und
die breitere Öffentlichkeit erst nach den Terrorattacken von New York und Washington
öffentlich Sorgen. Was wäre, wenn Terroristen bei künftigen Terrorattacken eine
Atombombe oder eine schmutzige Bombe aus radioaktivem Material und herkömmlichen
Sprengstoffen einsetzen würden?
Tatsächlich war ein Teil dieser neuen Aufmerksamkeit auf Politiker, Think Tanks
und Industrien in den Vereinigten Staaten und anderswo zurückzuführen, die schnell
versuchten, aus der Bedrohung durch den Terrorismus speziell den Terrorismus durch
Massenvernichtungswaffen Verkaufsargumente für ihre eigenen Produkte,
Dienstleistungen und Interessen zu machen. Transnationale nichtstaatliche Akteure wie
Terroristen könnten in der Tat versuchen, Zugang zu nuklearem Material, zu Technologien
und Know-how zu erlangen. Falls diese Gruppen tatsächlich planen, schmutzige, primitive
oder sogar hochwertige Nuklearsprengkörper zu bauen, stellt allein die Möglichkeit, daß
sie Erfolg haben könnten, ein ernstes Problem dar.
Da die Proliferation an die Spitze der Agenda internationaler Sicherheit zurückgekehrt
ist, gewinnen auch die Risiken wieder zusätzliche Aufmerksamkeit, die aus
Nuklearprogrammen aller Art erwachsen. Die aktuelle Diskussion über das iranische
Nuklearprogramm ist ein gutes Beispiel. Man mißtraut dem Iran nicht nur, weil er
Nukleartechnologie geheim eingeführt und einige seiner Verpflichtungen als nichtnukleares
Mitglied des NVV, das den Kontrollen der IAEO unterliegt, verletzt hat, sondern auch
aufgrund der Erfahrungen mit dem Irak und Nordkorea. Das irakische Beispiel hatte ja
deutlich gemacht, daß ein Land ein militärisches Atomprogramm vorantreiben und vor den
Kontrollen durch die IAEO verbergen kann. Auch Nordkorea könnte über ein
"ziviles" Nuklearprogramm in den Besitz von Atomwaffen gelangt sein. Obwohl
Nordkorea sich massivem internationalen Verdacht und Sanktionen ausgesetzt sah, kam das
Land nahe genug an die Entwicklung von Atomwaffen heran, um seinen Austritt aus dem NVV zu
riskieren. Heute sind viele Länder darauf bedacht zu verhindern, daß der Iran ein
"zweites Nordkorea" wird. Selbst wenn das iranische Nuklearprogramm und die
Absichten des Landes rein ziviler Natur wären, wie Teheran behauptet, würde man dem Iran
mißtrauen. Nach dem Fall Nordkorea werden alle zivilen Nuklearprogramme, die mehr
umfassen als Leichtwasser- und Leichtwasserforschungsreaktoren, vermutlich mit sehr viel
größerer Skepsis betrachtet als vorher. Der Iran ist nur das erste Land, das sich mit
dem entstehenden neuen Klima in der Nichtverbreitungspolitik konfrontiert sieht. Der Iran
dürfte der Präzedenzfall für ein künftiges Nichtverbreitungsregime sein. Andere Fälle
werden wohl folgen.
Zivile Atomanlagen ein kurzer Überblick
Nach Angaben der IAEO betreiben Ende 2005 30 Länder 443 kommerzielle
Atomkraftanlagen.[1] Sie
stellen weniger als fünf Prozent des gesamten Weltenergieverbrauchs zur Verfügung, aber
etwa 16 Prozent der genutzten Elektrizität in der Welt. Die große Mehrheit aller
kommerziellen Kernreaktoren wird von Ländern in der industrialisierten Welt betrieben.
Die USA betreiben 104 Reaktoren, Frankreich 59, Japan 56, Rußland 31 und Großbritannien
23. Deutschland hat 17 Reaktoren, Kanada 18 und die Ukraine 15. Südkorea hat 20
Atomkraftanlagen, Indien 15, China 9, Argentinien, Mexiko, Pakistan und Südafrika
betreiben je zwei Anlagen. Der Iran hat angekündigt, zwei Reaktoren bauen zu wollen. Die
Mehrzahl der Reaktoren sind Druckwasserreaktoren (214), Schwerwasserreaktoren (41),
Siedewasserreaktoren (90) und sowjetische VVER-Reaktoren (53). Die Mehrheit der
Atomkraftwerke nutzt niedrig angereichertes Uran (Low Enriched Uranium, LEU), das
zwei bis fünf Prozent U-235 enthält. Einige Anlagen, wie die graphitwassermoderierten
oder die Schwerwasserreaktoren, nutzen Natururan. Bis heute gibt es nur wenige Schnelle
Brüter.
Die meisten Länder, die nukleare Kraftwerke betreiben, arbeiten nicht mit einem
geschlossenen oder einem vollen, offenen Brennstoffkreislauf.[2] Solche Kreisläufe betreiben insbesondere Länder, die
ein Atomwaffenprogramm haben (oder hatten) oder aber die Fähigkeit oder Absicht, ein
solches zu entwickeln.
Das Uran, das in diesen Reaktoren als Brennstoff genutzt wird, kommt hauptsächlich aus
zwei Quellen. Etwas mehr als 50 Prozent stammt aus Uranminen, die es gegenwärtig in 19
Ländern gibt und die zwischen 40 000 und 50 000 Tonnen Natururan pro Jahr fördern. Die
größten Lieferländer sind Kanada und Australien, die zusammen mehr als 50 Prozent des
neu geförderten Urans liefern. Weitere große Lieferanten sind Kazachstan, Niger,
Rußland, Namibia und Uzbekistan. Auch der Iran fördert seit kurzem Uran. 2003 kamen 46
Prozent der weltweiten Uranversorgung für zivile Nuklearreaktoren aus sekundären Quellen
wie der Wiederanreicherung abgereicherten Urans, der Wiederaufbereitung von Brennstäben
und der Abreicherung hoch angereicherten Urans (HEU). Es ist unklar, ob ein so hoher
Anteil sekundärer Bezugsquellen lange aufrechterhalten werden kann. Die IAEO erwartet,
daß der Bedarf an neuem Uran oder alternativen Brennstoffkreisläufen nach 2015 ansteigen
wird. Die OECD, die einen Anstieg des Bedarfs für neu gefördertes Uran ab 2020 erwartet,
listet insgesamt 43 Länder auf, die über verwertbare Uranressourcen verfügen.
Zur Anreicherung von Uran werden verschiedene Technologien genutzt, darunter
Gasdiffusion, Gaszentrifugen, die elektromagnetische Separation von Isotopen und das
sogenannte Becker-Verfahren. Die fünf traditionellen Atommächte betreiben
Anreicherungsanlagen für zivile Zwecke und haben solche Anlagen auch für militärische
Zwecke betrieben.[3] Das
letztere trifft auch auf Pakistan zu.[4] Argentinien, Deutschland, die Niederlande, Japan und
Südafrika betreiben kommerzielle Anreicherungsanlagen. Laborforschung sowie Versuchs-
oder kleinere Anlagen für den Bedarfsfall gibt es in Australien, Brasilien[5], Südkorea, und seit kurzem
in Iran. Nordkorea steht im Verdacht, ein militärisches Anreicherungsprogramm zu haben.
Brennstäbe, die einmal in Reaktoren bestrahlt wurden, können in kommerziell
betriebenen Anlagen in Großbritannien, Frankreich und Rußland wiederaufbereitet werden.
Japan wird bald der erste atomwaffenfreie Staat sein, der eine kommerzielle
Wiederaufbereitungsanlage betreiben wird.[6] Militärische Wiederaufbereitungsanlagen, die für
Nuklearwaffen Plutonium abtrennen, gibt es in Israel, Pakistan und Nordkorea. Einige
Länder, z.B. Deutschland und die Niederlande, die zivile Atomkraftwerke betreiben,
schicken ihre abgebrannten Brennstäbe zur Wiederaufbereitung ins Ausland. Das
Reaktorplutonium, das dort abgetrennt wird, wird entweder zurückgeschickt oder (anderswo)
in MOX umgewandelt. Abgetrenntes Reaktorplutonium wird von einer Reihe entwickelter
Länder entweder auf eigenem Staatsgebiet oder auf dem anderer Länder gelagert, die für
sie Brennstoff wiederaufbereiten. Die Lager in Nichtatomwaffenstaaten unterliegen den
Sicherheitsmaßnahmen (safeguards) der IAEO, wie auch die Anlagen zur MOX-Produktion. Die
Lagerung von Reaktorplutonium in Wiederaufbereitungsanlagen in Atomwaffenstaaten
unterliegt nur dann internationaler Überwachung, wenn das Land ausdrücklich zustimmt.
Die meisten Entwicklungsländer, die Kernkraftwerke betreiben, nehmen keine
Wiederaufbereitung vor. Statt dessen werden die Brennstäbe gelagert oder in die
Lieferländer zurückgeschickt. Abgebrannte Brennstäbe enthalten den Großteil des
Reaktorplutoniums, das derzeit weltweit vorhanden ist. Ohne eine Entscheidung darüber,
was mit dem hoch radioaktiven Müll endgültig geschehen soll, ist es schwer, konkret zu
beurteilen, ob daraus längerfristig Proliferationsrisiken resultieren.
Belgien, Frankreich und Großbritannien zählen zu den Ländern, die kommerziell
MOX-Brennstoff produzieren können. Einerseits erlaubt die Produktion von MOX die
Verringerung der Bestände an separiertem Reaktor- oder militärischem Plutonium,
andererseits wird sie kritisiert, weil so zusätzliches Plutonium in den
Brennstoffkreislauf eingespeist wird. Einige Länder nutzen MOX, um ihre
Reaktorplutoniumlager abzubauen, oder sie verfolgen entsprechende Planungen. Dazu zählen
Belgien, Frankreich, Deutschland, Schweden und die Schweiz. Aus Indien und China sind
entsprechende Überlegungen bekannt. Japan hat vor, Schnelle Brüter mit MOX zu betreiben.
Deutschland hatte einst eine MOX-Produktion im großen Ausmaß geplant, hat aber
mittlerweile sowohl die Pilotanlagen als auch die kommerzielle Anlage zur MOX-Produktion
abgebaut.
HEU-Brennstoff wird gegenwärtig in mehr als 130 der 270 Forschungsreaktoren weltweit
genutzt. Forschungsreaktoren gibt es in 69 Ländern. Der HEU-Brennstoff für diese
Reaktoren ruft substantielle Proliferationsbefürchtungen hervor, weil er bei niedrigem
Risiko relativ leicht zu handhaben ist. Vom verbrauchten Brennstoff aus allen
Forschungsreaktoren ist etwa ein Drittel HEU. Erhebliche Mengen lagern noch immer in
stillgelegten Reaktoren. Weniger als die Hälfte der 382 stillgelegten Forschungsreaktoren
wurden vollständig rückgebaut.
Die proliferationsträchtigsten Elemente ziviler Nuklearbrennstoffzyklen sind:
- Technologien und Anlagen zur Anreicherung von Uran;
- HEU-Brennstoff für Forschungs- und Schiffsreaktoren;
- Forschungsreaktoren und Atomkraftwerke, die Plutonium herstellen können;
- Wiederaufbereitungsanlagen, die die Separation von Plutonium möglich machen, sowie die
Technologie, die in solchen Anlagen eingesetzt wird;
- Lager für separiertes Plutonium;
- Forschungs- und Produktionsanlagen für die Herstellung anderer, für Nuklearwaffen
geeigneter Materialien wie Tritium oder Polonium-210.
Proliferationsrisiken
Die Proliferationsrisiken ziviler nuklearer Brennstoffkreisläufe kann man in zwei
Gruppen unterteilen. Zur ersten gehören Risiken, die aus dem Kontrollverlust innerhalb
eines zivilen Atomprogramms resultieren. Nuklearmaterial, Technologie oder Know-how kann
gestohlen und ins Ausland transferiert werden, um ein Atomwaffenprogramm in einem anderen
Land zu unterstützen. Abdul Q. Kahns Diebstahl der Zentrifugentechnologie zur
Urananreicherung im Jahr 1974 bei URENCO (Uranium Enrichment Company) in den
Niederlanden ist ein Beispiel. Die Aktivitäten seines Netzwerks, Iran, Libyen und
Nordkorea mit nuklearem Wissen, mit Technologie und Ausrüstung zu versorgen, zeigen
heute, daß ein Empfängerland von Proliferation selbst zum Proliferator werden kann.[7] Nicht nur Nuklearmaterial,
Technologie und Know-how kann "auswandern", sondern auch gut ausgebildetes
Personal (brain drain). Die verschiedenen Proliferationsrisiken können getrennt,
aber auch kombiniert auftreten.
Die zweite Form der Proliferationsrisiken fußt auf denselben Elementen:
Nuklearmaterial, Nukleartechnologie, Know-how und Spezialisten. Ein ziviles
Nuklearprogramm wird dazu benutzt, um ein Nuklearwaffenprogramm zu entwickeln. Ein Staat
verfolgt die militärische Nuklearoption und nutzt seine eigenen und ausländische
Versorgungsquellen dafür.
Um die Fähigkeit zu entwickeln, Nuklearwaffenkapazitäten zu bauen, können staatliche
wie nichtstaatliche Akteure zwei Wege gehen. Sie können versuchen, eine auf Uran oder
eine auf Plutonium basierende Waffe zu bauen. In beiden Fällen brauchen sie signifikante
Mengen spaltbaren Materials. Die IAEO sieht 25 kg hochangereicherten Urans (HEU, das 90
Prozent und mehr U-235 enthält) oder acht kg Plutonium-239 als Minimum an, mit dem eine
einfache, aber funktionierende Atomwaffe gebaut werden kann.[8]
HEU kann in verschiedenen Typen von Anreicherungsanlagen hergestellt werden. Inzwischen
ist aber die Zentrifugenanreicherung die am meisten verbreitete Methode. Plutonium ist ein
Nebenprodukt, das bei der Bestrahlung von Brennelementen in verschiedenen Reaktortypen
entsteht. Abhängig vom Reaktortyp und der Zeit, die der Brennstoff bestrahlt wird,
können unterschiedliche Mengen waffenfähigen Plutoniums 239 und/oder Reaktorplutoniums
240 produziert werden. Das Plutonium muß vom bestrahlten Reaktorbrennstoff in chemischen
Wiederaufbereitungsanlagen getrennt werden, bevor es für den Bau einer Atomwaffe
verwendet werden kann.
Die Programme zum Bau von Atomwaffen lassen sich in zwei Kategorien unterteilen. Zum
einen gibt es Nuklearprogramme mit einem originär militärischen Zweck. Das trifft auf
die USA, Großbritannien, die Sowjetunion und China zu. Zum anderen gibt es Programme, die
als zivile Programme begonnen wurden und bei denen der militärische Aspekt entweder
implizit von Anfang an mitverfolgt wurde oder geheim hinzukam. In der Frühphase
ziviler Nuklearprogramme ist sehr oft schwer zu beurteilen, ob sie militärischen Zielen
dienen. Zu den Ländern, die ihre Nuklearwaffenprogramme zivil begannen, gehören
Frankreich, Indien, Israel, Nordkorea und Südafrika.
Ein zweite Unterscheidung ist die, ob Akteure Nuklearwaffen auf dem Uran- oder
Plutoniumpfad anstreben. Länder, die beide Arten von Nuklearwaffen gebaut haben, sind die
USA, die UdSSR, Großbritannien, China und Pakistan. Israel, Indien und möglicherweise
Nordkorea haben auf dem Plutoniumpfad ihre ersten Atomwaffen gebaut. Das einzige Land, das
erfolgreich Uran nutzte, um seine erste Atomwaffe zu bauen, war Südafrika.
Abhängig davon, auf welchem dieser Pfade Länder die Fähigkeit zum Bau von
Nuklearwaffen anstreben, werden sie ihren Bedarf für den Brennstoffkreislauf im eigenen
Land definieren. Ein Land, das eine Uranwaffe bauen will, wird eine Anreicherungsanlage
brauchen, jedoch nicht notwendigerweise eine Wiederaufbereitungsanlage. Es wird auch nicht
unbedingt nach den Reaktortypen Ausschau halten, die wie Schwerwasserreaktoren für die
Produktion waffenfähigen Plutoniums am besten geeignet sind. Im Gegensatz dazu werden
Länder, die eine Plutoniumwaffe bauen wollen, eher nach solchen Reaktoren und einer
Wiederaufarbeitungsmöglichkeit suchen, während sie nicht zwingend eine Anlage zur
Umwandlung oder Anreicherung von Uran haben wollen. Auf diese Art und Weise können
Länder, die nur auf einem der beiden Wege die Nuklearwaffenfähigkeit herstellen wollen,
sich theoretisch auf einen offenen Brennstoffkreislauf beschränken, während Länder, die
sich beide Optionen offenhalten möchten, einen geschlossenen Brennstoffkreislauf planen
werden. In der Vergangenheit haben etliche Länder versucht, sich beide Wege
offenzuhalten.
Schon bald, nachdem die Vereinigten Staaten das Programm
"Atome-für-den-Frieden" zur zivilen nuklearen Zusammenarbeit aufgelegt hatten,
wurden Befürchtungen über die Verbreitung der Nukleartechnologie und das daraus
resultierende Risiko laut, daß viele Länder Nuklearwaffen anstreben könnten. 1963
schätzte der damalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara, daß elf zusätzliche
Staaten innerhalb eines Jahrzehnts an Atomwaffen gelangen würden und viele weitere
später. Als später der Nichtverbreitungsvertrag verhandelt wurde, war die Notwendigkeit,
eine Welt mit zwanzig oder dreißig Atommächten zu verhindern, ein gängiges Argument
für diesen Vertrag.
Angesichts der Vielzahl nationaler Atomprogramme mit zivilen, aber auch potentiell
militärischen Ambitionen erwies sich der NVV in Kombination mit den Safeguards der IAEO,
den Exportkontrollregimen der Nuclear Suppliers Group und des Zangger-Ausschusses,
sowie diplomatischem Druck und sicherheitspolitischen Garantien zunächst als
überraschend wirksam. Neben den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des NVV bereits
irreversibel zum Bau atomarer Waffen entschlossenen Staaten, Israel und Indien, gelang es
bis heute nur Südafrika[9],
Pakistan und möglicherweise Nordkorea, Nuklearwaffen zu bauen.
Zugleich machten die nationalen und internationalen Bemühungen, weitere Staaten[10] vom Bau atomarer Waffen
glaubhaft abzuhalten deutlich, daß dies kein einfaches Unterfangen ist. Immer wieder
wurde deutlich, daß das Proliferationsrisiko zwar eingedämmt, nicht aber beseitigt
werden konnte. Die Entdeckung des geheimen irakischen Nuklearprogramms und die Erfahrungen
mit Nordkorea zeigten zudem, daß ein verbessertes Safeguardsregime für die Zukunft
nötig wäre, wenn das Nichtverbreitungsregime seine proliferationshemmende Wirkung
behalten sollte. Die Erfahrungen mit erfolgreichen und eingehegten militärischen
Nuklearprogrammen zeigen:
- Erstens: Die wichtigsten Proliferationsrisiken konzentrieren sich heute auf die
Technologien zur Urananreicherung, Wiederaufbereitung und Plutoniumabtrennung, die
Produktion von Plutonium sowie auf mit HEU betriebene Reaktoren.
- Zweitens: Zivile Nuklearprogramme spielten bei der Proliferation eine Rolle, sowohl als
Deckmantel für als auch zur Unterstützung militärischer Programme. Sie machen es vor
allem schwerer, die realen Absichten eines Landes zu beurteilen.
- Drittens: Safeguards und Exportkontrollen, die in den 1960er und 1970er Jahren
entwickelt wurden, sind heute unzureichend, um den Übergang eines Landes von einem
zivilen zu einem militärischen Nuklearprogramm gesichert zu verhindern.
- Viertens: Alle Länder, die Nuklearaktivitäten verfolgen, bilden mit der Zeit Personal
aus und verfügen über technologische Fähigkeiten, was es ihnen erlaubt, sich stärker
auf einheimische Fertigkeiten und weniger auf Hilfe von außen zu verlassen. Der
technische Fortschritt trägt zu dieser Entwicklung ebenso bei, weil immer mehr Länder
nuklearrelevante Ausrüstungen in einer Qualität herstellen können, zu der früher nur
industrialisierte Nationen in der Lage waren.
- Fünftens: Das Konzept, die Proliferation von Nukleartechnologie für militärische
Zwecke zu verhindern und gleichzeitig die Nutzung ziviler Atomenergie zu fördern, steckt
in einer tiefen Krise.
Risiken durch nichtstaatliche Akteure
Nichtstaatliche Akteure galten schon in den späten 1960ern als Proliferations- und
Sicherheitsrisiko. Fachleute wußten, daß es möglich war, eine einfache Atomwaffe auf
der Basis nicht geheimer und öffentlich zugänglicher Informationen zu bauen.[11] 1975 stellte eine
CIA-Studie fest:
Die Möglichkeit, daß Terroristen in den Besitz von nuklearen Waffen kommen, stellt
die schwerwiegendste Limitierung für politische Bemühungen dar, die Proliferation in den
Griff zu bekommen. Dies ist der irritierendste und extremste Aspekt der Diversifikation
nuklearer Akteure. Dieselbe wachsende Verfügbarkeit nuklearer Materialien und
Technologie, die nukleare Sprengstoffe für Entwicklungsländer zugänglich machte, wird
sie früher oder später in die Reichweite terroristischer Gruppen bringen.
[. . .] Weil Nuklearterroristen schon per definitionem außerhalb offizieller
Regierungskanäle arbeiten, sind sie gegen internationale politische Kontrollen weitgehend
immun. Die Safeguards der IAEO zum Beispiel beinhalten keinerlei Vorkehrungen dagegen,
daß Terroristen Materialien aus einem Reaktorkomplex stehlen.[12]
Mit der Auflösung der Sowjetunion wurde diese Sorge öffentlich laut. Angesichts einer
riesigen nuklearen Infrastruktur wuchs die Befürchtung, daß daraus massive
Proliferationsrisiken entstünden. Während die autoritär regierte Sowjetunion ihr
Nuklearmaterial, Know-how und die Techniker unter strengster Kontrolle hatte, war
es unwahrscheinlich, daß deren Sicherheitsmaßnahmen gegen Proliferation
geschlossene Städte, rigide Reisebeschränkungen und Überwachung durch Militär und KGB
weiterhin ausreichend wirksam bleiben würden. Seit 1991 richtete sich deshalb
erhebliche Aufmerksamkeit auf die Gefahren, die aus der Möglichkeit erwuchsen, daß
Nuklearmaterial, Technologien oder Sprengköpfe in die Hände von Terroristen oder der
organisierten Kriminalität fallen könnten.[13]
Nuklearwaffen in terroristischen Händen
Theoretisch könnten Terroristen an eine Nuklearwaffe entweder durch Bau oder Kauf
gelangen. Wenn sie eine Waffe bauen wollten, könnten sie versuchen, die dazu
erforderlichen Nuklearmaterialien herzustellen, zu kaufen oder zu stehlen. Wenn sie die
Materialien selbst herstellen wollten, würden sie sich denselben Schwierigkeiten
gegenübersehen wie ein Staat, der versucht, zur Atommacht zu werden. Da nichtstaatliche
Akteure keine Staaten sind, würden sie einen Staat brauchen, der sie und die
erforderliche Infrastruktur beherbergt. Willentlich, oder weil der Staat nicht in der Lage
ist, sein Territorium vollständig zu kontrollieren. Auf diesem Weg gibt es viele
Hindernisse. Deshalb ist für terroristische Gruppen die Option, eine Atomwaffe aus
selbsthergestelltem Material zu bauen, derzeit eher abwegig. Selbst wenn eine
terroristische Gruppe an das nötige spaltbare Material durch Kauf oder Diebstahl käme,
würde sie noch immer einen Bauplan für die Waffe, funktionierende Präzisionszünder und
andere Komponenten brauchen, an die schwer heranzukommen ist. Daß Terroristen diese
Probleme schnell in den Griff bekämen ist eher unwahrscheinlich. Terroristen wären wohl
am ehesten erfolgreich, wenn sie mit einem Staat (oder Geheimdienst) zusammenarbeiten
würden, der über Nuklearwaffen oder waffenfähiges Material verfügt. Zugang zu
nuklearem Wissen und die Zusammenarbeit mit gut ausgebildetem Personal könnten die
Aufgabe für Terroristen ebenfalls erleichtern. Wenn eine Atommacht bereit wäre, mit
einer terroristischen Organisation zusammenzuarbeiten, wäre die Frage, die sich am
ehesten aufdrängt: Warum sollte dieser Staat nicht gleich eine fertige Waffe übergeben?
Schmutzige Bomben in terroristischer Hand
Wahrscheinlicher ist ein Szenario, bei dem Terroristen oder Angehörige des
organisierten Verbrechens eine schmutzige Atomwaffe bauen und einsetzen. Eine schmutzige
Bombe enthält etwas radioaktives Material, das durch die Explosion konventionellen
Sprengstoffs verbreitet wird. Es erfolgt keine Kettenreaktion. Man kann sich eine
konventionelle Autobombe mit ein paar Dutzend oder hundert Gramm radioaktiver Substanzen
vorstellen. Der Haupteffekt einer schmutzigen Bombe wäre der psychologische. Eine
Simulation, welche die Auswirkungen der Explosion einer schmutzigen Bombe mit zwei Tonnen
Sprengstoff in der Innenstadt Washingtons untersuchte, kam zu dem Ergebnis, daß eine
Fläche von der Größe eines Häuserblocks schweren und vielleicht dauerhaften Schaden
erleiden würde.
Ein Haupthindernis beim Bau einer solchen Waffe besteht jedoch in der Schwierigkeit,
mit dem radioaktiven Material umzugehen. Da die Wirkung einer solchen Waffe wesentlich von
der Radioaktivität und dem toxischen Gehalt des verwendeten Materials abhängt und nicht
von einer nuklearen Explosion, stellt das verwendete radioaktive Material für diejenigen,
welche die Waffe bauen, mit ihr umgehen und sie einsetzen, ein entsprechend hohes Risiko
dar. Das ist vermutlich einer der Hauptgründe, warum bisher noch keine schmutzige Waffe
verwendet wurde.
Ob radioaktives Material aus einem der Elemente eines zivilen nuklearen
Brennstoffkreises das Material wäre, das für den Bau einer solchen Bombe ausgewählt
würde, ist zu bezweifeln. Es gibt diverse andere nukleare Materialien, die leichter
zugänglich sind und den Anforderungen einer schmutzigen Bombe ebenso gut oder besser
entsprechen würden wie LEU, HEU oder sogar Reaktorplutonium. So wäre aus einem
Forschungsreaktor gestohlenes HEU gewiß nicht das ideale Material für eine solche Waffe.
Radioaktive Materialien wie Kobalt-60, Strontium-90 oder Americium-241 sind leichter
zugänglich und besser geeignet. Radioaktiver Abfall aus manchen Elementen des
Brennstoffkreises könnte dagegen den Weg in eine schmutzige Bombe finden.
Nuklearschmuggel
Seit dem Zerfall der Sowjetunion gibt es Erkenntnisse über eine große Anzahl von
Schmuggelfällen mit Nuklearmaterial. Gewöhnliche Kriminelle, Mitglieder des
organisierten Verbrechens, Terroristen wie auch Geheimdienste und polizeiliche
Institutionen zeigten alle ein starkes Interesse ebenso wie die Medien. Dadurch
wurde es schwierig, zwischen wirklichen Versuchen illegalen Handels, Lockvogelangeboten
und falschen Berichten zu unterscheiden. Analysiert man die Medienberichte, läßt sich
nicht viel über die reale Relevanz des Atomschmuggels für die nukleare Proliferation
erfahren. Eine verläßlichere Quelle für eine richtige Beurteilung ist die Datenbank zum
illegalen Atomhandel, die die IAEO 1995 eingerichtet hat.[14] Über 650 Fälle wurden der Behörde von 1993 bis
2004 als bestätigt angezeigt. Mehr als 60 Prozent betrafen nicht spaltbares radioaktives
Material wie Caesium-137, Strontium-90, Kobalt-60 oder Americium-241. Die meisten dieser
Materialien rufen Besorgnis wegen ihres möglichen Einsatzes bei terroristischen oder
kriminellen Aktionen hervor, weil sie in Geräten zur Verbreitung von Radioaktivität oder
in schmutzigen Bomben eingesetzt werden könnten. 30 Prozent aller Fälle betrafen nukleares
Material wie Natururan, abgereichertes Uran, Thorium und LEU. Bei 18 Fällen war
waffenfähiges Nuklearmaterial involviert. Unter Proliferationsgesichtspunkten sind das
die wichtigsten Fälle. Sieben Fälle betrafen Plutonium, sechs davon in Mengen von
weniger als einem bis zu zehn Gramm. Der siebte Fall, in den mehr als 360 Gramm Plutonium
involviert waren, ereignete sich im August 1994 auf dem Münchner Flughafen. In diesen
Fall waren sowohl rußländische Offizielle wie deutsche Geheimdienste verwickelt. Elf
Fälle betrafen HEU in Mengen von weniger als einem Gramm bis zu mehr als 2,5 Kilogramm.
In den meisten dieser Fälle scheint es sich um Proben gehandelt zu haben, um danach
größere Geschäfte abschließen zu können.
Nichtstaatliche Akteure und Brennstoffkreislaufsicherheit
Terroristen könnten tatsächlich eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit ziviler
Nuklearanlagen darstellen. Über diese Gefahren ist bisher keine systematische
Untersuchung bekannt. Einige Aspekte des Problems sind aber schlaglichtartig beleuchtet
worden. In den 1990er Jahren simulierten die USA 75 Angriffe auf einige ihrer Reaktoren.
Dabei stellten sich gravierende Sicherheitsmängel heraus. In 27 Fällen hätten die
Angriffe zur Beschädigung des Reaktorkerns oder zum Austritt von Radioaktivität führen
können.[15] Greenpeace
gelang es 2003, in das britische Atomkraftwerk Sizewell einzudringen, ohne auf Widerstand
zu stoßen.[16]
Forschungsreaktoren mit HEU an Universitäten sind ein besonders großes Problem. Wenn es
aber schon ernsthafte Sicherheitsprobleme in industrialisierten Ländern gibt, die die
Mittel hätten, in die Sicherheit sensibler Infrastruktur zu investieren, können in
Ländern ohne vergleichbare Mittel noch viel größere Gefahren bestehen. Es dürfte also
ein erhebliches Risiko geben, daß Nuklearmaterial aus Kraftwerken, Laboratorien,
Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen oder (Zwischen-) Lagern für verbrauchte
Brennstäbe freigesetzt wird oder verschwindet. Auch Terrorangriffe auf solche Anlagen
dürfen als Risikofaktor nicht außer acht gelassen werden.
Weitere Proliferationsrisiken
1977 wurde bekannt, daß das US-Energieministerium bereits 1962 erfolgreich einen
unterirdischen Test mit einer aus Reaktorplutonium hergestellten Atomwaffe durchgeführt
hatte. Damit war klar, daß es prinzipiell möglich ist, Atomwaffen aus
"zivilem" oder "Reaktor"-Plutonium zu bauen. Eine Untersuchung, die in
den Los Alamos National Laboratories durchgeführt wurde, kam 1990 zu dem Schluß,
daß Staaten oder eine terroristische Gruppe, die versuchen würden, eine Nuklearwaffe aus
Reaktorplutonium zu bauen, nur graduell, aber nicht prinzipiell andere Schwierigkeiten
hätten als beim Zugang zu Waffenplutonium.[17]
Der Krieg gegen den Irak 2003 enthüllte ein weiteres wichtiges Proliferationsrisiko:
Als die US-Truppen den Irak besetzten, schützten sie die wichtigste
Nuklearforschungsanlage des Landes nicht ausreichend vor Plünderungen. Siegel der IAEO an
der Anlage waren beschädigt, Nuklearmaterial verschwunden und Dokumente gestohlen.
Inzwischen hat die IAEO alle Materialien gesichert, an die sie gelangen konnte.
Die Auflösung der Sowjetunion zeigte, daß failing states die
internationale Gemeinschaft mit Proliferationsrisiken konfrontieren. Es gibt keine
Garantie, daß all die Länder, die Forschungsreaktoren oder zivile Nuklearprogramme
betreiben, nie instabil werden oder gar zerfallen und dabei die Kontrolle über ihre
nuklearen Anlagen und Materialien verlieren. Während weithin anerkannt ist, daß failing
states ein Sicherheitsproblem darstellen, ist es weit weniger bekannt, daß sie die
Welt auch mit neuen Proliferationsrisiken konfrontieren könnten. Ein Zerfall der
Atommacht Pakistan riefe wohl gravierende Probleme hervor. Pakistan und der "atomare
Supermarkt" des Khan-Netzwerkes, das Malaysia einschloß, machen zudem deutlich, daß
inzwischen auch immer mehr sich entwickelnde Staaten für Atomwaffen nutzbare Technik
liefern können.
Instrumente der Kontrolle und Begrenzung von Proliferation
Der Nichtverbreitungsvertrag (auch: Atomwaffensperrvertrag, NVV), der 1970 in Kraft
trat, ist die Grundlage des internationalen Nichtverbreitungssystems. Fast alle Staaten
der Welt haben das Abkommen unterzeichnet. Nur Israel, Indien und Pakistan sind nie
Mitglieder geworden. Nordkorea zog sich 2003 aus dem Abkommen zurück.
In Artikel 2 verpflichtet der NVV die Nichtatomwaffenstaaten,
Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von
niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen; Kernwaffen oder sonstige
Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung
zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder
anzunehmen.
Umgekehrt verpflichten sich die Atomwaffenstaaten in Artikel 1, niemals
Nichtatomwaffenstaaten dabei zu helfen, diese Verpflichtung zu umgehen. Allerdings sichert
Artikel 4 den Nichtatomwaffenstaaten zu, daß sie berechtigt sind, die Atomenergie
friedlich zu nutzen und relevante Technologien zu erhalten:
[. . .] Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche
Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, [. . .] die Erforschung, Erzeugung und
Verwendung der Atomenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln.
Alle Vertragsparteien verpflichten sich, den weitestmöglichen Austausch von
Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur
friedlichen Nutzung der Atomenergie zu erleichtern und sind berechtigt, daran
teilzunehmen. [. . .]
Der Vertrag unterscheidet einerseits zwischen Staaten, die weiterhin befugt sind, über
Atomwaffen zu verfügen ("Haves"), und Staaten, die das nicht sind ("Have
Nots"). Er enthält andererseits zwei Regelungen, die signalisieren, daß diese
Unterscheidung nicht für alle Ewigkeit Bestand haben sollte. Die erste Regelung ist in
Artikel 6 enthalten und verpflichtet die Atomwaffenstaaten,
in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung
des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen
Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer
internationaler Kontrolle.
Die zweite Regelung findet sich in Artikel 10 und lautet:
Fünfundzwanzig Jahre nach Inkrafttreten dieses Vertrages wird eine Konferenz
einberufen, die beschließen soll, ob der Vertrag auf unbegrenzte Zeit in Kraft bleibt [.
. .]
1995 wurde diese Überprüfungskonferenz abgehalten. Sie vereinbarte, daß der
Vertrag bedingungslos und unbegrenzt gelten solle. Diese Entscheidung wurde möglich, weil
zugleich ein Dokument über "Prinzipien und Ziele" beschlossen wurde und auf der
Folgekonferenz 2000 durch ein Dokument mit dreizehn praktischen Schritten ergänzt wurde,
die zum ersten Mal konkrete Ziele sowie einen Arbeitsplan formulierten, um sowohl die
Nichtverbreitung und Abrüstung der Atomwaffenstaaten voranzutreiben. Beide Entscheidungen
spiegelten den gleichen "Tauschhandel" wider wie der Vertrag selbst: Die
Nichtverbreitungsbemühungen können verstärkt werden, wenn auch die Abrüstung mit dem
Ziel der endgültigen Vernichtung aller atomaren Waffen Fortschritte macht. Doch der
Fortschritt bei der Umsetzung der Verpflichtungen von 1995 und 2000 verlief langsamer, als
es die meisten Staaten erwartet hätten. Bei der nächsten Überprüfungskonferenz im Mai
2005 akzeptierten nicht mehr alle Mitglieder den dem NVV und seiner Verlängerung
zugrundeliegenden "Tauschhandel". Die USA unter der Regierung von George
W. Bush fühlen sich nicht mehr an die "Prinzipien und Ziele" und den
Dreizehnschritte-Prozeß gebunden. Die US-Regierung konzentrierte sich vielmehr auf
unilaterale Initiativen, um die Nonproliferation zu stärken und akzeptierte keinerlei mit
der Abrüstung der Atomwaffenstaaten verbundene Verpflichtungen. Die Konferenz des Jahres
2005 ging deshalb ohne Ergebnis auseinander.
Der Vertrag hat jedoch ohnehin einige Schwächen, die für Proliferation relevant sind:
- Die Unterscheidung zwischen Haves und Have Nots ist im internationalen
Recht, das normalerweise alle souveränen Staaten gleichstellt, einmalig. Seit die
US-Regierung ihre Unterstützung für die "Prinzipien und Ziele" zurückgezogen
hat, sind viele Nichtatomwaffenstaaten zunehmend kritisch geworden gegenüber der
mangelnden Bereitschaft der Atommächte zur Abrüstung. Dieser Konflikt hat das Potential,
den Nichtverbreitungsvertrag zu unterminieren.
- Der Vertrag räumt allen das Recht ein, Nukleartechnologien zu friedlichen Zwecken zu
nutzen. Er verpflichtet Länder, die im Besitz solcher Technologien sind, Ländern, die
nicht in deren Besitz sind, den Zugang zu ermöglichen, wenn sie diese für zivile Zwecke,
etwa die Elektrizitätserzeugung, nutzen wollen. Laut NVV ist es für einen
Nichtatomwaffenstaat durchaus legal, einen geschlossenen Brennstoffkreis zu betreiben.
Dazu gehört eine Reihe von Anlagen, denen ein hohes Proliferationrisiko inhärent ist.
Vorschläge für zusätzliche Safeguards und Exportbeschränkungen für diese Elemente des
Brennstoffkreislaufs, die oft von den atomaren Haves vorgebracht und unterstützt
werden, vertiefen die erwähnte Spaltung. Nichtkernwaffenstaaten des Südens fürchten
eine "nukleare Apartheid" hinsichtlich der zivilen Nutzung der Atomenergie.
- Israel, Indien und Pakistan haben den Vertrag niemals unterschrieben, jedoch Atomwaffen
gebaut. Da der Vertrag den Beitritt neuer Atomwaffenstaaten nicht erlaubt, wäre der
Verzicht auf Atomwaffen für diese Staaten eine Vorbedingung, um dem Vertrag beitreten zu
können. Das wird kaum geschehen. Viele Nichtatomwaffenstaaten äußern sich deshalb
zunehmend kritisch, daß diese Atomwaffenstaaten de facto als Nuklearwaffenstaaten
außerhalb des Vertrages toleriert werden.
Der Vertrag über ein umfassendes Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive
Test Ban Treaty, CTBT) ist ein weiterer multilateraler Vertrag, der Auswirkungen auf die
Proliferation haben kann. Im Februar 1963 schrieb Robert McNamara in einem Memorandum für
Präsident John F. Kennedy:
Ein umfassendes Verbot von Atomwaffentests, dem die USA, die UdSSR und Großbritannien
zustimmen würden, würde in der Form wirken, daß er die Ausbreitung (von Atomwaffen)
verlangsamen würde. Es ist vermutlich keine Übertreibung zu sagen, daß er eine
notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung dafür ist, die Zahl der nuklearen
Länder gering zu halten.[18]
Erst nach dem Ost-West-Konflikt wurde ein solcher Vertrag geschlossen. Seit 1996 haben
ihn 176 Länder unterschrieben und 132 ratifiziert, darunter auch Nuklearwaffenstaaten wie
Rußland.[19] Es bleibt
dennoch unklar, ob der CTBT jemals in Kraft treten wird. Alle 44 Länder mit einem zivilen
oder militärischen Nuklearprogramm müßten den Vertrag ratifizieren, bevor er in Kraft
treten kann und so "die Ausbreitung verlangsamt" wird. Etliche Länder haben ihn
noch nicht ratifiziert; manche haben noch nicht einmal unterschrieben. Während einige
Länder das auch in absehbarer Zukunft nicht tun werden, erwägen die Vereinigten Staaten
sogar, ihre Unterschrift wieder zurückzuziehen.
Wäre dieser Vertrag in Kraft, würde er einen Beitrag zur Nichtverbreitung
leisten. Länder, die eine neue Atomwaffe bauen, würden nicht mit Sicherheit wissen, ob
ihr Nuklearwaffendesign wie vorgesehen funktioniert. Dies gilt vor allem für Waffen, die
auf Reaktorplutonium beruhen.
Das Ziel eines Vertrags über ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material für
Waffenzwecke (Fissile Material Cut-Off Treaty, FMCT) wäre es, die Menge des
waffenfähigen Materials weltweit zu reduzieren und die Produktion neuen spaltbaren
Materials für Atomwaffen zu verbieten. Obwohl die Idee schon seit Jahrzehnten existiert,
haben die Verhandlungen der UN-Abrüstungskonferenz, die den Vertrag aushandeln soll, noch
nicht einmal begonnen. In Atomwaffenstaaten würde er die Menge des für Waffen
verfügbaren spaltbaren Materials begrenzen, in Nichtkernwaffenstaaten als zusätzliches
Sicherungsinstrument der Nichtverbreitung dienen. Zusammen mit existierenden Vorhaben wie
der Vereinbarung zwischen Rußland und den USA, 500 Tonnen rußländischen Waffenurans zu
LEU zu verarbeiten, hätte er das Ziel, überflüssiges, waffenfähiges Spaltmaterial
abzubauen.[20]
In etlichen Weltregionen sind Verträge über atomwaffenfreie Zonen (Nuclear
Weapons Free Zone Treaties; NWFZ) im Einklang mit Artikel 7 des NVVs abgeschlossen worden.
Sie stellen regionale vertrauensbildende Maßnahmen gegen die mögliche Proliferation
nuklearer Waffen und Technologien dar und werden seitens der Nuklearmächte durch
politisch bindende sogenannte Negative Sicherheitsgarantien abgestützt.
Nichtverbreitung durch Safeguards
Die internationalen Safeguards gegen Proliferation beruhen auf Art. 3, Abs. 1 des
Nichtverbreitungsvertrags. Der Grundgedanke ist, daß Nichtatomwaffenstaaten nur dann
Nuklearmaterial und Technologie erhalten dürfen, wenn sie der IAEO gestatten, sich davon
zu überzeugen, daß deren Nuklearprogramme allein friedlichen Zwecken dienen. Deshalb
konzentrieren sich die Safeguards darauf, das Abzweigen von Nuklearmaterial aus einem
zivilen Brennstoffkreis in militärische Kanäle zu verhindern.
Das heute existierende Überwachungssystem wurde in zwei Phasen aufgebaut. In der
ersten wurde zunächst ein Rahmen für die Durchsetzung von Safeguards geschaffen, dann
wurden detaillierte Richtlinien für IAEO-Inspektionen ausgehandelt. Die Übereinkunft
über dieses Dokument, Information Circular 153 (INFCIRC 153), wurde 1972 erreicht. Auf
dieser Grundlage wurden Vereinbarungen über Safeguards zwischen der IAEO und einzelnen
Staaten geschlossen und veröffentlicht. Die Vereinbarungen regeln, wann
Nichtatomwaffenstaaten verpflichtet sind, die IAEO mit bestimmten Informationen über ihre
Nuklearanlagen, Materialien und Programme zu versorgen. Sie ermächtigen die IAEO, die
Korrektheit dieser Angaben durch Inspektionen im Land zu verifizieren. Für den Fall, daß
die IAEO zur Einschätzung gelangt, daß ein Land ohne Vorbehalte mit der IAEO
zusammengearbeitet hat und nur an zivilen nuklearen Projekten arbeitet, kann dieses Land
weiterhin nukleares Material und Technologie beziehen. Urteilt die IAEO dagegen, daß
Zweifel oder offene Fragen bezüglich des Nuklearprogramms eines Landes bestehen, ist sie
berechtigt, zusätzliche spezielle Untersuchungen durchzuführen, um entweder das Land vom
bestehenden Verdacht freizusprechen oder, falls Verpflichtungen verletzt wurden, dies dem
UN-Sicherheitsrat und der Vollversammlung zu melden, die über weitere Maßnahmen beraten.
Anfang 2005 waren 166 Vereinbarungen zwischen der IAEO und einzelnen Ländern in Kraft.
Nach dem Golfkrieg von 1991 enthüllten Inspektoren der IAEO, daß der
Nichtatomwaffenstaat Irak jahrelang ein geheimes Atomwaffenprogramm betrieben hatte. Der
UN-Sicherheitsrat ermächtigte die Inspektoren zu zusätzlichen Inspektionen nach
dem Ende des Krieges. Die Entdeckungen führten zu dem Schluß, daß die existierenden
Vereinbarungen über Safeguards nicht ausreichten, um ein Land davon abzuhalten, ein
geheimes Atomwaffenprogramm durchzuführen und daß zusätzliche, umfassendere Safeguards
notwendig wären, um mit solchen Herausforderungen fertig zu werden. Bis 1997 handelten
die IAEO-Mitglieder ein freiwilliges Model Additional Protocol (INFCIRC 540) über
erweiterte Safeguards aus. Länder, die dieses Protokoll akzeptieren, ermöglichen es der
IAEO, bisher nicht gemeldete Anlagen zu inspizieren, zusätzliche und kurzfristige
Inspektionen durchzuführen und zudem Umweltproben zu entnehmen. Das Protokoll
verpflichtet die Länder außerdem, der IAEO zusätzliche Informationen zur Verfügung zu
stellen, wie etwa Erklärungen aller Im- und Exporte aller Güter, die auf der Nuclear
Suppliers Group Trigger List aufgeführt sind. Ende 2005 war das Zusatzprotokoll für
65 Länder in Kraft, weitere 25 haben es unterschrieben.
Das Zusatzprotokoll ist von besonderem Wert, wenn ein Land unter dem Verdacht steht,
seine Verpflichtungen aus dem NVV und den Safeguards zu verletzen. Als die Islamische
Republik Iran 2003 in einen solchen Verdacht geriet, drängten die IAEO und viele
Mitgliedstaaten den Iran, das Zusatzprotokoll zu unterzeichnen, damit er der IAEO auch die
zusätzlichen Rechte gewähre, die darin enthalten sind. Der Iran unterzeichnete das
Protokoll im November 2003. Während sich die iranische Regierung zunächst so verhielt,
als sei das Protokoll in Kraft, hat das iranische Parlament es nicht ratifiziert. Im
Februar 2006 informierte die iranische Regierung auf Beschluß des Parlaments die IAEO,
daß der Iran das Protokoll wegen des eskalierenden Streits um sein Atomprogramm nicht
mehr anerkenne, hielt sich aber in der Praxis zunächst doch weiter an viele
Verpflichtungen.
Die bestehenden Safeguards zielen darauf ab, in Nichtkernwaffenstaaten die (Um)nutzung
ziviler Nuklearkapazitäten zu militärischen Zwecken zu verhindern. Sie befassen sich
weder mit militärischen Einrichtungen in Atomwaffenstaaten noch mit den zivilen nuklearen
Einrichtungen in diesen Ländern, es sei denn, die Atomwaffenstaaten stimmen von sich aus
zu, bestimmte Einrichtungen oder Materialien unter die Kontrolle der IAEO zu stellen.
Safeguards werden bislang auch nicht in Staaten durchgeführt, die keine Mitglieder des
NVVs sind.
Obwohl die Inspektionen der IAEO immer wieder kritisiert wurden, weil sie kostspielig,
zeitraubend und unzureichend seien, sind sie offensichtlich wesentlich besser, als die
Kritiker behaupten. Im Irak haben die Inspektoren der IAEO (und der United Nations
Monitoring, Verification and Inspection, UNMOVIC) das irakische Nuklearprogramm
aufgedeckt und kamen 2003 zu dem Schluß, daß es wohl nicht wiederaufgenommen worden war.
Die gegenwärtigen Vorschläge zur Stärkung der Safeguards der IAEO schließen die
Forderung ein, das Zusatzprotokoll zu universalisieren und für Nichtatomwaffenstaaten,
die Nukleargüter einführen wollen, verpflichtend zu machen.
Nonproliferation durch Exportkontrollen
Multilaterale Maßnahmen zur Exportkontrolle ergänzen die Safeguards seit den frühen
1970er Jahren bei der Aufgabe, Proliferation zu verhindern. Grundlage ist Art. 3, Abs. 2
des NVVs, der alle Mitgliedstaaten verpflichtet, nukleares Material oder Technologien nur
dann zu liefern, wenn sie in den Empfängerländern Safeguards unterliegen.
Die Staaten, die in der Lage waren, Nukleartechnologie zu liefern, begannen 1971 mit
informellen Treffen. Später wurde dieses Forum institutionalisiert und als das Zangger
Committee bekannt. Sie entwickelten eine Liste nuklearer Exportgüter (trigger
list), die Kontrolle erforderten, und stellten drei Bedingungen für Länder auf, die
solche Güter erhalten wollten: Der Empfänger muß ein Safeguard-Abkommen abgeschlossen
haben, alle Importe ausschließlich zu friedlichen Zwecken nutzen und diese beiden
Bedingungen auch auf mögliche Empfänger von Wiederausfuhren anwenden.
Jene Länder, die in der Lage sind, Nuklearmaterial oder Technologie auszuführen,
bildeten 1975 auch die informelle London Nuclear Suppliers Group. Die Gruppe
einigte sich auf eine ausgedehnte trigger list von Nuklearmaterial, Technologien
und Ausrüstungen, die der nationalen Exportkontrolle unterliegen sollten, sowie auf eine
Liste wichtiger dual use-Technologien, die sowohl für militärische als auch
zivile Zwecke genutzt werden können. Die Liste wird von Zeit zu Zeit aktualisiert, um mit
der Entwicklung der Technologie Schritt zu halten. Beide Listen sind Bestandteile der
Richtlinien der Nuclear Suppliers Group, die politisch, jedoch nicht rechtlich
verbindlich sind. Wenn Mitgliedstaaten sich aber dazu verpflichten, diese Güter in ihre
nationalen Exportkontrollsysteme zu übernehmen, werden sie rechtlich bindend.
In den vergangenen Jahren hat es neue Initiativen gegeben, um die Kontrolle über die
Lieferung von Nukleartechnologie zu stärken. Auf einen Vorschlag der USA beschloß der
G-8-Gipfel im Juni 2004 ein einjähriges, verlängerbares Moratorium für neue Transfers
von Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnologien in Staaten, die noch nicht im
Besitz solcher Technologien sind.
Viele Nichtatomwaffenstaaten sind aber skeptisch und kritisch gegenüber den
Safeguards, Exportkontrollen und Versuchen, nuklearrelevante Exporte davon abhängig zu
machen, ob das Empfängerland zusätzliche Bedingungen erfüllt. Sie befürchten, daß
diese Regelungen in diskriminierender Weise angewendet werden könnten und den legitimen
Zugang zu moderner Nukleartechnologie, wie ihn der NVV zusichert, be- oder sogar
verhindern könnte.
Wollte man dieses Problem umgehen, so müßten Vorschläge realisiert werden, die
proliferationsrelevanten Teile des Brennstoffkreislaufs zu multilateralisieren, also z.B.
die Urananreicherung oder Wiederaufarbeitung nur noch in multinational genutzten und von
der IAEO kontrollierten Anlagen durchzuführen. Die teilnehmenden Länder würden sich
gegenseitig kontrollieren, und die Proliferationsresistenz würde wachsen.
Nichtverbreitung durch Zusammenarbeit
Nach der Auflösung der Sowjetunion führte die Sorge um das riesige Nuklearpotential
zu einer Vielzahl kooperativer Nonproliferationsmaßnahmen. Die Vereinigten Staaten
ergriffen am schnellsten die Initiative, mittlerweile beteiligt sich eine ganze Reihe von
Ländern an der Finanzierung und Durchführung solcher Maßnahmen.[21]
Diverse Projekte zielen auf eine zentralisierte und politisch wie technisch sichere
Lagerung von Nuklearmaterial und Nuklearwaffen in Rußland. Andere sollen den nuklearen
Brennstoff von außer Dienst gestellten nukleargetriebenen U-Booten sichern. Projekte wie
das International Science and Technology Center Program, die Nuclear Cities
Initiative, die Russian Transition Initiative und die Proliferation
Prevention Initiative konzentrieren sich darauf, Beschäftigungsmöglichkeiten für
Atomwissenschaftler zu finden, um einen Brain drain zu vermeiden, d.h.
Proliferation, die aus der Arbeitssuche von Wissenschaftlern im Ausland resultieren
würde. Einige Programme bemühen sich um die Verbesserung der Grenzkontrollen und der
Exportkontrolle in den sowjetischen Nachfolgestaaten.
Wieder andere versuchen, auf kooperative Art und Weise die Produktion von
waffenfähigem, spaltbarem Material in Rußland zu beenden und die Lagerbestände an
spaltbarem Material zu reduzieren. Mit der Trilateralen Initiative kamen die
Vereinigten Staaten, Rußland und die IAEO 1996 überein, für überschüssig erklärte
Mengen waffenfähigen Spaltmaterials (sowohl Plutonium als auch Uran) unter
IAEO-Safeguards zu stellen. 1993 kauften die USA Rußland 500 Tonnen HEU ab, das
heruntergemischt ("downblended") und als Brennstoff in US-amerikanischen
Atomkraftwerken verwendet werden soll. Nach Angaben der beauftragten Firma waren Ende 2005
262 Tonnen im Rahmen dieses "Megatons to Megawatts"-Programms umgewandelt.[22] Das Plutonium
Disposition Agreement aus dem Jahre 2000, in dem die USA und Rußland übereinkamen,
zunächst je 34 Tonnen waffenfähiges Plutonium entweder in MOX-Brennstoff umzuwandeln
oder durch Immobilisierung mittels Vermischung mit radioaktivem Müll unschädlich zu
machen, war bislang weniger erfolgreich, weil sich seine Umsetzung immer wieder
verzögerte.[23]
Seit 2002 gibt es eine G-8-"Weltweite Partnerschaft gegen die Verbreitung von
Waffen und Material zur Massenvernichtung". Die G-8-Staaten haben sich verpflichtet,
für diese Initiative über einen Zeitraum von zehn Jahren 20 Milliarden Dollar
auszugeben. Im Mai 2004 starteten Rußland, die USA und die IAEO die Global Threat
Reduction Initiative. Deren Ziel ist es u.a., spaltbares waffenfähiges Material, das
ursprünglich aus Rußland oder den USA stammt, aus über vierzig Ländern der Erde
dorthin zurückzuführen. HEU soll als Reaktorbrennstoff aus zivilen Nuklearprogrammen
verbannt werden. Forschungsreaktoren, die mit HEU betrieben werden, geben Anlaß zur Sorge
vor Proliferation. Schon vor dieser Initiative wurden waffenfähige Spaltmaterialien aus
Serbien, Bulgarien und Kazachstan in die Vereinigten Staaten und nach Rußland gebracht.
Einige ursprünglich bilaterale Initiativen der USA und Rußlands sind
multilateralisiert worden. Dazu gehören Hilfestellungen für Länder, um effektive,
Proliferation verhindernde Exportkontrollen durchführen zu können sowie Projekte, die
alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Nuklearspezialisten und -wissenschaftler
schaffen. Diskussionen über die Sicherheitsmängel in der Ex-Sowjetunion haben auch zu
Initiativen der IAEO beigetragen, die auf verstärkte Sicherheitsmaßnahmen bei zivilen
Nuklearnutzungen zielen.
Zwangsmaßnahmen und militärische Maßnahmen gegen Proliferation
Seit George W. Bush im Amt ist, setzen die USA stärker auf unilaterale Maßnahmen zur
Verhinderung der Proliferation. Zwei Formen sollen erwähnt werden. Im Mai 2003 wurde von
den USA die Proliferation Security Initiative ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist, das
Abfangen von Transporten nuklearer, biologischer oder chemischer Waffen auf dem Luft- oder
Seeweg zu erleichtern und zu legitimieren. Im Visier sind auch Trägersysteme sowie
Technik, Herstellungstechnologie und Materialien für all diese Waffen. Viele Länder
begegneten diesem Vorschlag mit Skepsis, weil seine Umsetzung im Konflikt mit einer Reihe
von internationalen Verträgen stehen würde, welche die ungehinderte Passage von
Flugzeugen und Schiffen garantieren. Als die Bush-Regierung jedoch die Initiative
modifizierte und einschränkte, um den rechtlichen Bedenken entgegenzukommen, zeigten
weitere Nationen Interesse. 2005 beteiligten sich mehr als 50 Länder.
Als zweite Form ist die militärische Proliferationsbekämpfung (Counter-Proliferation
Operations) zu nennen. Sie zielt darauf, Proliferation durch militärische
Gewaltanwendung rückgängig zu machen oder zu verzögern. Dazu können z.B. Sabotageakte
von Spezialkräften, Militärschläge aus der Luft oder von See oder sogar Interventionen
in das Gebiet, wo die Proliferation stattgefunden hat, durchgeführt werden. Im Fall eines
nichtstaatlichen Akteurs, der nukleare Sprengköpfe bauen will, würden militärische Counter-Proliferation
Operations das Gebiet des Gaststaates treffen, unabhängig davon, ob dieser die
Aktivitäten billigt oder nur nicht verhindern kann. Derartige Einsätze können als
präventive oder präemptive Aktionen sowie als Vergeltungsmaßnahmen durchgeführt
werden. In vielen Fällen stellen sie eine schwere Verletzung internationalen Rechts dar,
weil sie als Akte der Aggression gelten würden. Die Vereinigten Staaten haben solche
Einsätze zu einem integralen Bestandteil ihrer veröffentlichten Nationalen
Sicherheitsstrategie gemacht. Staaten wie Rußland oder Frankreich zeigen eine gewisse
Bereitschaft, solche Optionen ebenfalls in Betracht zu ziehen.
Unterhalb der Ebene einer klassischen militärischen Intervention würden solche
Proliferationsbekämpfungseinsätze zumeist geheim vorbereitet, um das
Überraschungsmoment und die Erfolgsaussichten zu vergrößern. Wenn möglich, würden sie
sogar geheim ausgeführt. Unter Umständen werden sie nicht einmal hinterher bekannt
gegeben. Die meisten der bekannt gewordenen Einsätze dieser Art waren Teil von
Kriegshandlungen, etwa die Angriffe und Sabotageakte der Alliierten im Zweiten Weltkrieg
auf die von Deutschland kontrollierte Schwerwasserherstellung der Norsk-Hydro in Norwegen
oder das japanische Nuklearlabor in Tokio. Öffentlich bekannt wurde auch der israelische
Angriff auf den irakischen Reaktor in Osirak 1981. Auch der Krieg gegen den Irak 2003
wurde mit der Notwendigkeit der Proliferationsbekämpfung als einem Hauptargument
legitimiert. Wie sich jedoch später herausstellte, gab es dort keine Proliferation mehr,
die rückgängig zu machen gewesen wäre.
Wegen der Geheimhaltung ist es schwierig, die Wirksamkeit solcher Einsätze bei der
Ausschaltung oder Verzögerung von Atomprogrammen zu beurteilen. Soweit bekannt, war die
Wirkung gering oder gar kontraproduktiv. Der Irak entschloß sich nach dem israelischen
Angriff offensichtlich, Atomwaffen zu entwickeln. Außerdem muß die Wirkung solcher
Angriffe gegen das Risiko eines Fehlschlags, die Verletzung internationalen Rechts und die
Möglichkeit abgewogen werden, daß sich die Proliferationsanschuldigung als falsch
herausstellen kann. Jüngste öffentliche Diskussionen über einen möglichen
Militärschlag der USA oder Israels gegen iranische Nukleareinrichtungen haben mehr Licht
auf die Komplexität, die zweifelhaften Erfolgsaussichten und die Unwägbarkeiten einer
solchen Operation geworfen.
Eine Welt auf der Suche nach Energie
Die Sorge wächst, ob die heutigen Hauptquellen der Primärenergie Öl und
Erdgas auch weiterhin den wachsenden Bedarf ausreichend befriedigen können. Die
weltweite Nachfrage nach Energie wächst rapide. Seit Asien viele arbeits- und
energieintensive Produktionen übernimmt, die früher in der westlichen, sich jetzt
deindustrialisierenden Welt beheimatet waren, ist der Energiebedarf dort sprunghaft
gestiegen. Eine ausreichende Energieversorgung ist zu einer der Grundvoraussetzungen für
die asiatische Entwicklung geworden. Jedoch sind weder Öl noch Gas unerschöpflich oder
können zu erschwinglichen Preisen in unbegrenzten Mengen überall und jederzeit geliefert
werden. Früher oder später ist mit Engpässen zu rechnen, die entweder aus der Kluft
zwischen Nachfrage und Angebot oder aus regionalen Konflikten resultieren. Deshalb ist die
Suche nach alternativen und zusätzlichen Energiequellen zu einem maßgeblichen Trend
sowohl in der westlichen Welt als auch in den sich entwickelnden Ländern geworden. Die
Atomenergie ist eine der Alternativen, die immer stärker in Betracht gezogen wird.
Diverse Studien gehen davon aus, daß es möglich sei, die Proliferation zu begrenzen,
während gleichzeitig zivile Nukleartechnologie exportiert wird.[24] Die politischen Nichtverbreitungsvorschläge, die
angeboten werden, dürften jedoch in etwa so vielversprechend und wirksam sein wie jene,
die in den 1960er und 1970er Jahren proklamiert wurden. Sie erlauben es, Zeit zu erkaufen,
bis erneut Schlupflöcher und Lücken sichtbar und durch erste Proliferationsfälle
demonstriert werden. Wenn nichtstaatliche Akteure beginnen, sich auf diesem Feld zu
tummeln, werden Nichtverbreitungsregime, die geschaffen wurden, um die Proliferation
zwischen Staaten zu verhindern, vermutlich noch mehr Schlupflöcher aufweisen als früher.
Übersehen wird von jenen, die nukleare Technologieexporte trotz der Proliferations- und
Sicherheitsbedenken befürworten, daß sie die Existenz einer wichtigen Problematik
leugnen. Man kann nicht zugleich ein Maximum an Schutz vor Proliferation und ein Maximum
an wirtschaftlichen Vorteilen aus dem Export ziviler Nukleartechnik erreichen.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen wird die nukleare Proliferation auch in Zukunft ein
Problem für die internationale Sicherheit darstellen. Es ist aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht übertrieben zu behaupten, daß es unmöglich ist, die zivile Nutzung der
Atomenergie hundertprozentig resistent gegen Proliferation zu machen. Es ist zwar
möglich, die Hürden für die nukleare Proliferation zu erhöhen und das Problem zu
begrenzen. Jedoch werden wohl alle vorgeschlagenen und auch umgesetzten Maßnahmen zur
Begrenzung des Problems wahrscheinlich mit der Zeit an Wirksamkeit einbüßen.
Technologischer Fortschritt und wachsender Zugang zu Technologien wird irgendwann die
Versuche erleichtern, auch verbesserte Nichtverbreitungsmaßnahmen zu umgehen.
Selbst unter günstigsten Bedingungen ist anzunehmen, daß die Proliferationsrisiken
langsam wachsen, weil die Zahl der Länder wächst, die Atomenergie zur
Elektrizitätserzeugung nutzen. Mit jedem Land, das sich dem Kreis der zivilen
Atomenergienutzer anschließt, gibt es zusätzliche Orte, an denen nukleares Material
überwacht werden muß, zusätzliche Experten und Wissenschaftler mit spezieller
Ausbildung und Spezialwissen, die beschäftigt werden wollen, und zusätzliche Orte mit
Einrichtungen, die durch Terroranschläge verwundbar sein könnten.
Die Proliferationsrisiken können aber aus verschiedenen Gründen auch noch weiter
steigen: Erstens ist auch Uran eine begrenzte Energiequelle. Die Weltreserven an Uran
werden definitiv zu Ende gehen. Um Uran zu einer nachhaltigeren Energiequelle zu machen,
muß man geschlossene Brennstoffkreise und damit Technologien wie Wiederaufbereitung und
Plutoniumabtrennung nutzen, die höhere Proliferationsrisiken bergen. Zweitens ist einer
der Effekte der Globalisierung die Schwächung des staatlichen Gewaltmonopols. Dieses
Phänomen wird oft unter dem Rubrum failing states oder failed states
abgehandelt. In solchen Staaten haben Regierungen Teile des Territoriums, das sie
kontrollieren sollen, nicht mehr unter wirksamer Kontrolle und können dort Sicherheit
nicht mehr garantieren. Wenn failing states nukleare Einrichtungen beherbergen,
ganz gleich ob zivile oder militärische, so werden sie zu einem großen
Proliferationsproblem. Der Zerfall der Sowjetunion hat der Welt viele Aspekte, die eine
solche Situation kennzeichnen, bewußt gemacht. Können wir sicher sein, daß Pakistan
niemals zu einem failing state wird oder zerfällt? Drittens wird es immer mehr
Länder geben, die Lieferanten nuklearer Technologie werden, weil die Zahl der Länder
zunimmt, die zivile nukleare Einrichtungen betreiben, und damit auch der
Technologietransfer in diese Länder steigt. Die Deindustrialisierung des Westens und die
Industrialisierung des Südens werden ein ernsthafter Test für die heutigen Mechanismen
der Kontrolle, der Begrenzung oder des Verbots nuklearer Technologieexporte. Einige der
potentiellen künftigen Lieferstaaten nuklearer Technologie könnten ein anderes
Verständnis von einer legitimen zivilen Nutzung der Nukleartechnik haben als die
traditionellen Nuklearmächte und ihre engen Verbündeten. Das wird auch die Systeme zur
Kontrolle nuklearer Ausfuhren vor bedeutende neue Herausforderungen stellen. Wenn neue
Lieferländer erst einmal beginnen, um Marktanteile zu kämpfen, könnte es durchaus sein,
daß die Industrien in den westlichen Ländern ein altes und gefährliches Argument
wiederaufbringen, das schon in früheren Jahrzehnten die nukleare Proliferation gefördert
hat: "Wenn wir es nicht verkaufen, werden sie es tun. Also ist es besser, wir
verkaufen es selbst."
1979 kam eine Studie des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI über die
Proliferationsrisiken der Nuklearenergie zu dem Schluß, daß ein geschlossener
Brennstoffkreis, der auf multilateralen Anreicherungs- und Brennstoffeinrichtungen beruht,
der vermutlich gegen Proliferation resistenteste Weg für die zukünftige Nutzung der
Atomenergie sei.[25] Die
Studie drang darauf, entschlossen jene zwei oder drei Jahrzehnte zu nutzen, die durch den
NVV und andere Nonproliferationsmaßnahmen an Zeit gewonnen würden, um Anlagen für einen
solchen Brennstoffkreislauf zu entwickeln. Seither ist kaum Fortschritt gemacht worden.
Warum sollte das künftig anders sein? Atomenergie wird in vielen Ländern noch immer als
hochwertige und moderne Technologie angesehen. Deshalb wird sie als ein normaler Weg der
Modernisierung betrachtet. Nicht alle Länder werden über die wirtschaftlichen Mittel
verfügen, diesen Weg zu gehen. Aber diejenigen, die das finanzielle Potential haben,
könnten die nukleare Option wählen. Solange westliche Länder, die am profitablen Export
nuklearer Anlagen und Technik interessiert sind, Atomenergie als moderne,
umweltfreundliche und billige Energiequelle darstellen, werden sie weitere Länder
ermutigen, nukleare Technologie zu nutzen. Indem sie es tun, erhöhen sie zwangsläufig
das Risiko der Proliferation.[26]
Zum Schluß eine Erinnerung: Der Nichtverbreitungsvertrag und das
Nichtverbreitungsregime, die zwischen den späten 1960er Jahren und dem beginnenden 21.
Jahrhundert geschaffen wurden, fußten auf einem unausgesprochenen
"Tauschhandel": Es ist möglich, die Nichtverbreitung und ihre Mechanismen zu
stärken. Dies erfordert politischen Willen. Ob dieser Wille existiert, hängt aber in
vielen Ländern von sichtbaren Fortschritten bei der nuklearen Rüstungskontrolle und
Abrüstung ab. Der gegenwärtige Mangel an politischem Willen, Fortschritte bei der
Abrüstung zu erzielen, könnte sich negativ auf den politischen Willen zur Unterstützung
eines strengeren Nichtverbreitungsregimes auswirken. In diesem Fall würde das Regime eher
geschwächt als gestärkt.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
Der Text basiert auf der Studie Atomenergie und Proliferation für die
Heinrich-Böll-Stiftung. Sie findet sich in dem von der Heinrich-Böll-Stiftung
herausgegebenen Buch: Mythos Atomkraft. Ein Wegweiser. Berlin 2006. Für die vorliegende
Publikation wurde er vollständig überarbeitet. Das englische Original ist zu finden
unter: http://www.boell.de/downloads/oeko/NIP4NassauerEndf.pdf.
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