Neues Deutschland
30. August 2008


Western Fallout

von Otfried Nassauer

Verliert Barack Obama die Präsidentschaftswahlen in den USA, so verliert er sie wegen des Georgien-Konflikts. Verliert John McCain die Wahl, so verliert er sie trotz des Konflikts. Nichts schafft für die Republikaner im Wahlkampf günstigere Bedingungen, als eine solche Konfrontation. Erinnerungen an den Kalten Krieg werden wach. Die Klischees der Vergangenheit können wiederbelebt werden. Nirgendwo wird deutlicher, wie stark die Versuche westlicher Politiker, sich mit Härte und dem Ruf nach Strafaktionen gegen Russland in Szene zu setzen, von der Innenpolitik geprägt sind. Das Verhalten mancher Spitzenpolitiker erinnert derzeit mehr an die Kontrahenten in den Nahost-Konflikten als an die Lehren aus der europäischen Geschichte. Eskalationskontrolle, Zurückhaltung, Rationalität? Meist Fehlanzeige.

Schon die Überlegung, Georgien zur Sicherung seiner Unabhängigkeit beschleunigt in die NATO aufzunehmen, zeugt von verlorenem Augenmaß. Bislang konnte nur Mitglied der Allianz werden, wer seine Territorialkonflikte bereits politisch gelöst hatte. Eine NATO-Mitgliedschaft zum Zweck, die Position eines Neumitglieds bei der Lösung seiner Territorialkonflikte zu stärken, galt als völlig ausgeschlossen. Würde Georgien nun beschleunigt aufgenommen, so würde die bisherige Politik der NATO von den Füßen auf den Kopf gestellt. Jeder, der gerne in der NATO wäre, könnte künftig versucht sein, Russland in ein militärisch nicht gewinnbares Scharmützel zu verwickeln, um schneller in die NATO zu kommen und seine Territorialinteressen dann mithilfe der Allianz durchzusetzen. Kandidaten gäbe es ohne Zweifel: Moldawien, Aserbaidschan oder auch die Ukraine. Was für ein Unsinn.

Ohne Augenmaß sind auch die Reaktionen einiger Neumitglieder der NATO: Die Präsidenten Polens und der baltischen Republiken verzehrten sich geradezu in ihrer pro-georgischen und anti-russischen Attitüde. Sie reisten nicht nur zu Solidaritätsbekundungen nach Tiflis. Sie forderten die Bestrafung Russlands – ganz als hätte Russland den Konflikt in Georgien mutwillig und allein vom Zaun gebrochen. Polen nutzte zudem national die Gelegenheit, Russland im Windschatten des Georgien-Konflikts auf die Füße zu treten. Es schloss einen umstrittenen, bilateralen Vertrag mit Washington, der George W. Bush den Wunsch erfüllt, sein strategisches Raketenabwehrsystems auf polnischem Gebiet stationieren zu dürfen. Russland betrachtet das bekanntlich als massiven Affront. Selbst manch gestandenem Konservativen dürfte das zu viel der Chuzpe sein. Es kann nicht angehen, dass jedes einzelne EU- oder NATO-Mitglied aus nationalen Gründen die Konfrontation mit Russland sucht – und wenn das schief geht, die Verbündeten frech an ihre Verpflichtung zur Solidarität erinnert.

Ob NATO oder EU: Multilaterale Institutionen können nur erfolgreich agieren, wenn sie gemeinsam und nach Konsultation handeln. Nationale Versuche, sie für nationale Interessen zu instrumentalisieren, schwächen diese Institutionen. Konkret: Je wirkungsloser der Druck der NATO auf Russland sich erweist, desto schwächer steht das Bündnis letztlich da. Im Extremfall als kolossales Kriegsdenkmal. Die aber sind meistens hohl.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS