Western Fallout
von Otfried Nassauer
Verliert Barack Obama die Präsidentschaftswahlen in den USA, so verliert
er sie wegen des Georgien-Konflikts. Verliert John McCain die Wahl, so
verliert er sie trotz des Konflikts. Nichts schafft für die Republikaner
im Wahlkampf günstigere Bedingungen, als eine solche Konfrontation.
Erinnerungen an den Kalten Krieg werden wach. Die Klischees der Vergangenheit
können wiederbelebt werden. Nirgendwo wird deutlicher, wie stark
die Versuche westlicher Politiker, sich mit Härte und dem Ruf nach
Strafaktionen gegen Russland in Szene zu setzen, von der Innenpolitik
geprägt sind. Das Verhalten mancher Spitzenpolitiker erinnert derzeit
mehr an die Kontrahenten in den Nahost-Konflikten als an die Lehren aus
der europäischen Geschichte. Eskalationskontrolle, Zurückhaltung,
Rationalität? Meist Fehlanzeige.
Schon die Überlegung, Georgien zur Sicherung seiner Unabhängigkeit
beschleunigt in die NATO aufzunehmen, zeugt von verlorenem Augenmaß.
Bislang konnte nur Mitglied der Allianz werden, wer seine Territorialkonflikte
bereits politisch gelöst hatte. Eine NATO-Mitgliedschaft zum Zweck,
die Position eines Neumitglieds bei der Lösung seiner Territorialkonflikte
zu stärken, galt als völlig ausgeschlossen. Würde Georgien
nun beschleunigt aufgenommen, so würde die bisherige Politik der
NATO von den Füßen auf den Kopf gestellt. Jeder, der gerne
in der NATO wäre, könnte künftig versucht sein, Russland
in ein militärisch nicht gewinnbares Scharmützel zu verwickeln,
um schneller in die NATO zu kommen und seine Territorialinteressen dann
mithilfe der Allianz durchzusetzen. Kandidaten gäbe es ohne Zweifel:
Moldawien, Aserbaidschan oder auch die Ukraine. Was für ein Unsinn.
Ohne Augenmaß sind auch die Reaktionen einiger Neumitglieder der
NATO: Die Präsidenten Polens und der baltischen Republiken verzehrten
sich geradezu in ihrer pro-georgischen und anti-russischen Attitüde.
Sie reisten nicht nur zu Solidaritätsbekundungen nach Tiflis. Sie
forderten die Bestrafung Russlands – ganz als hätte Russland den
Konflikt in Georgien mutwillig und allein vom Zaun gebrochen. Polen nutzte
zudem national die Gelegenheit, Russland im Windschatten des Georgien-Konflikts
auf die Füße zu treten. Es schloss einen umstrittenen, bilateralen
Vertrag mit Washington, der George W. Bush den Wunsch erfüllt, sein
strategisches Raketenabwehrsystems auf polnischem Gebiet stationieren
zu dürfen. Russland betrachtet das bekanntlich als massiven Affront.
Selbst manch gestandenem Konservativen dürfte das zu viel der Chuzpe
sein. Es kann nicht angehen, dass jedes einzelne EU- oder NATO-Mitglied
aus nationalen Gründen die Konfrontation mit Russland sucht – und
wenn das schief geht, die Verbündeten frech an ihre Verpflichtung
zur Solidarität erinnert.
Ob NATO oder EU: Multilaterale Institutionen können nur erfolgreich
agieren, wenn sie gemeinsam und nach Konsultation handeln. Nationale Versuche,
sie für nationale Interessen zu instrumentalisieren, schwächen
diese Institutionen. Konkret: Je wirkungsloser der Druck der NATO auf
Russland sich erweist, desto schwächer steht das Bündnis letztlich
da. Im Extremfall als kolossales Kriegsdenkmal. Die aber sind meistens
hohl.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
|