Neues Deutschland
28. Dezember 2009


Barack Obama zwischen Vision und Realpolitik

Der US-amerikanische Präsident und die nukleare Abrüstung

von Otfried Nassauer

Als Barak Obama am 5. April 2009 in Prag die Vision einer Welt ohne Atomwaffen wiederbelebte, sprach er zwei Gedanken aus, die in seinem ersten Jahr im Weißen Haus einen veritablen Glaubenskrieg im eigenen Land heraufbeschwören sollten.

Obamas erster Prager Gedanke trug dazu bei, dass er bereits im ersten Amtsjahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde: »Als Nuklearwaffenstaat – als einziger Nuklearwaffenstaat der je Atomwaffen eingesetzt hat – haben die USA die moralische Verpflichtung zu handeln. (...) Daher sage ich klar und mit Überzeugung, dass die Vereinigten Staaten entschlossen sind, sich für den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen einzusetzen.« Obamas zweite Überlegung dagegen wurde zum Mantra derjenigen, die das Ziel einer atomwaffenfreien Welt für unrealistisch halten und das nukleare Arsenal Washingtons modernisieren wollen: »Täuschen Sie sich nicht«, so Obama in Prag, »solange es diese Waffen gibt, werden wir ein sicheres und wirksames Arsenal zur Abschreckung potenzieller Feinde aufrechterhalten und die Verteidigung unserer Verbündeten garantieren.«

Atomare Modernisierer gegen atomare Abrüster. Während Obama in seiner Prager Rede ankündigte, er werde »damit beginnen, unser Arsenal zu verringern« und »die Rolle von Atomwaffen in unserer nationalen Sicherheitsstrategie reduzieren«, hat sich die Gegenposition formiert: Möglich ist weitere Abrüstung nur, wenn das Nuklearwaffenpotenzial modernisiert wird. Ort der mit harten Bandagen geführten Auseinandersetzung sind inzwischen alle Debatten, die sich mit der künftigen US-Nuklearpolitik befassen: Die Diskussion über einen neuen START-Vertrag, die Überprüfung der Nuklearpolitik der USA durch den Nuclear Posture Review und die Diskussion über nukleare Modernisierungsprojekte.

Die Grundlinien zeigen sich in der Debatte über einen neuen START-Vertrag. Für dessen Ratifizierung braucht Obama eine Zweidrittelmehrheit im Senat, also mindestens sieben Stimmen aus dem republikanischen Lager. Sieben Stimmen mehr als für die heftig umstrittene Gesundheitsreform.

Die Republikaner formulieren Forderungen, die sie erfüllt sehen wollen, bevor ein solcher Vertrag ratifiziert werden kann. Wissend, dass auch Teile der Demokraten und einige Mitglieder der Regierung Obamas punktuell ähnliche Ansichten vertreten, legen sie die Latte sehr hoch. Ihr Ausgangspunkt: Ein Abkommen mit Russland ist nur akzeptabel, wenn Washington keine Zugeständnisse an Moskau macht. Russland müsse aus Geldmangel sowieso abrüsten. Voraussetzung für die Ratifizierung sei es, dass Obama die geopolitischen Veränderungen aufzeigt, die eine Verkleinerung des US-Nuklearwaffenpotenzials ermöglichen. Der Nuclear Posture Review müsse zahlenmäßige Begrenzungen für nötig erklären, militärische Erfordernisse – nicht politische Ziele – sollen diese Begrenzungen begründen. Der Vertrag müsse die taktischen Nuklearwaffen Russlands einbeziehen und dürfe keinerlei Einschränkungen für andere US-Programme wie das konventionelle Global Strike Programm oder die Raketenabwehr mit sich bringen. Schließlich sei ein umfassender Plan zur nuklearen Modernisierung vorzulegen.

Harte Bedingungen, formuliert in der Gewissheit, dass einige Punkte gar nicht erfüllbar sind und andere Moskau an einem Vertragsabschluss hindern würden. Taktische Atomwaffen sind nicht Gegenstand der Gespräche. Konventionelle Langstreckenwaffen – wie sie das Global Strike Programm vorsieht – werden automatisch begrenzt, wenn über strategische Trägersysteme auf Basis der Definitionen des START-Vertrages gesprochen wird. Zudem hatten sich die Präsidenten Obama und Medwedjew angesichts knapper Zeit bereits auf eng begrenzte Ziele für diese Verhandlungsrunde geeinigt: Die Zahl der aktiven Atomsprengköpfe soll von 1700 bis 2200, die der Moskauer Vertrag ab 2012 noch erlaubt, auf 1500 bis 1650 abgesenkt werden, die der Trägersysteme von 1600 auf 500 bis 1100. Russland wird bald nur noch etwa 500 Trägersysteme haben und will die Zahl der erlaubten Systeme möglichst weit absenken. 700 Trägersysteme stehen als Kompromiss im Raum.

Im Kern der Auseinandersetzung wird die künftige Modernisierung des US-Nuklearwaffenpotenzials stehen. Verteidigungsminister Robert Gates, ein Republikaner, der den Nuclear Posture Review federführend bearbeitet, deutete bereits im September an, die neue Nuklearplanung werde »in ein oder zwei Fällen« wahrscheinlich ein »neues Waffendesign« fordern. Fachleute erwarten, dass es dabei um einen neuen Sprengkopf für seegestützte Langstreckenraketen und um eine neue Atombombe gehen wird. Im Haushalt für 2010 sind 32,5 Millionen US-Dollar für Studien zur Modernisierung der nicht-nuklearen Komponenten einer neuen Bombe, der B-61-12, eingestellt. Weitere 15 Millionen sollen verfügbar werden, wenn der Nuclear Posture Review bestätigt, dass sie erforderlich ist. Vor Untersuchungen über die nuklearen Komponenten will der Kongress sich erneut mit dem Vorhaben befassen.

Der Regierung Obama stehen somit trotz der Selbstbeschränkung auf kleine, machbare Abrüstungsschritte harte innenpolitische Auseinandersetzungen bevor. Ihre Gegner wollen den Preis für die Ratifizierung des START-Nachfolgevertrages in die Höhe zu treiben: Hier etwas mehr Geld für die Modernisierung der US-Atomwaffen, dort vielleicht auch der Verzicht auf die Ratifizierung des Teststoppvertrages. Die Folgen wären ein Glaubwürdigkeitsverlust des Präsidenten mit Blick auf die nukleare Abrüstung sowie die Chance, die nuklearen Modernisierungspläne George W. Bushs unter neuem Namen weiterleben zu lassen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS