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Hier finden Sie den ersten Teil der Betrachtungen des Autors zur Atomwaffenpolitik Barack Obamas – »Drei Schritte vor und mindestens zwei zurück« |
Drei Schritte vor und mindestens zwei zurück – so lautete vor drei
Wochen die Überschrift über eine Analyse des »Nuclear Posture Reviews« (NPR)
der USA. Mit diesem Bericht legte Barack Obama dem Kongress die
Blaupause seiner künftigen Nuklearpolitik vor. Analysiert wurden die
Änderungen der deklaratorischen Nuklearpolitik und die Zukunft der
strategischen Nuklearstreitkräfte Washingtons nach Abschluss des »Neuen
START-Abkommens«. In dieser Ausgabe betrachten wir die Aussagen zur
Zukunft der regionalen Abschreckung und ihre Auswirkungen auf Europa und
die hier stationieren Nuklearwaffen.
Deutschlands Außenminister, Guido Westerwelle, ist und bleibt ein
Minister ohne Fortune. Er erleidet derzeit den nächsten politischen
Rückschlag. Seinem Vorhaben, in Gesprächen über das künftige
Strategische Konzept der NATO einen Abzug der letzten verbliebenen
Nuklearwaffen aus Europa durchzusetzen, droht ein jähes Ende. Ganz so
wie 1998 der Idee seines Vorgängers Joschka Fischer, der versuchte, die
NATO auf einen Ersteinsatzverzicht für Nuklearwaffen einzuschwören.
Ironischerweise steht beiden Außenministern dieselbe US-amerikanische
Politikerin im Wege: Madeleine Albright, unter Präsident Bill Clinton
Außenministerin, ist heute Vorsitzende der Expertengruppe für das neue
strategische Konzept der NAT0. Sie wird in Kürze Anders Fogh Rasmussen,
dem Generalsekretär der Allianz, einen Bericht mit Empfehlungen für die
künftige NATO-Strategie überreichen. Die Empfehlung, auf die letzten in
Europa stationierten Nuklearwaffen zu verzichten, wird in ihrem Bericht
nicht enthalten sein.
Westerwelle rudert schon zurück
Albright wird dem Vernehmen nach vorschlagen, diese Waffen vorläufig in
Europa zu belassen. Sie sollen zum Gegenstand von Gesprächen mit
Russland über weitere Schritte zur Nuklearabrüstung gemacht werden.
Hillary Clinton, die Außenministerin der USA, argumentiert auf der
gleichen Linie: »Bei allen künftigen Reduzierungen sollte es unser Ziel
sein, (...) die nichtstrategischen Nuklearwaffen in die nächste Runde
amerikanisch-russischer Abrüstungsdiskussionen einzubeziehen, zusammen
mit den nicht stationierten strategischen Nuklearwaffen«, erklärte
Clinton den NATO-Außenministern in Tallinn am 22. April.
Diese Sichtweise findet sich auch im neuen »Nuclear Posture Review«.
Guido Westerwelle relativierte daraufhin seine Abzugsforderung: »Niemand
hat je die Devise ausgegeben, dass dies in wenigen Jahren erreichbar
wäre. Keiner ist naiv.«
Neue Modelle, neue Milliarden
Der NPR sieht eine Modernisierung der sub-strategischen Nuklearwaffen
vor. Begründet wird auch dieses Vorhaben mit Barack Obamas Prager Rede:
»Solange es diese Waffen gibt, werden die Vereinigten Staaten ein
sicheres und wirksames Arsenal zur Abschreckung potenzieller Feinde
aufrechterhalten und die Verteidigung ihrer Verbündeten garantieren.«
Oder in Außenministerin Clintons Worten beim NATO-Treffen in Tallinn:
»Solange Nuklearwaffen existieren, wird die NATO eine nukleare Allianz
bleiben.«
Vorgesehen ist eine Modernisierung der beiden wesentlichen Komponenten:
Für die nuklearfähigen F-16- und F-15E-Jagdbomber der US-Luftwaffe soll
ein Nachfolger entwickelt werden, eine doppelt verwendbare Version des
Joint Strike Fighters (JSF). Die in fünf europäischen Staaten, darunter
in Deutschland gelagerten US-Atombomben der Versionen B-61-3 und B-61-4
sollen gründlich modernisiert werden. Gemeinsam mit der strategischen
Version B-61-7 und einer weiteren taktischen Version, der B-61-10,
sollen sie durch ein neues Modell, die B-61-12 abgelöst werden, über das
der Kongress bereits im vergangenen Jahr heftig stritt.
Fast 2 Milliarden US-Dollar sind derzeit für die Haushaltsjahre 2011 bis
2015 für eine Machbarkeitsstudie und den Einstieg in die Entwicklung der
neuen Version eingestellt. Weitere Milliarden müssen in den Jahren
danach fließen, denn erst ab 2018 kann die neue Bombe als Bewaffnung für
Jagdbomber und Langstreckenbomber hergestellt werden. Mit ihr würde der
bisher bestehende Unterschied zwischen taktischen und strategischen
Versionen der B-61 hinfällig.
Die als Lebensdauerverlängerung bezeichnete Maßnahme ist jedoch weit
mehr, als der Name verrät. Vorgesehen ist eine Modernisierung der
meisten nichtnuklearen Komponenten. Nach gesonderter Autorisierung durch
den US-Präsidenten ist auch eine Überarbeitung der nuklearen
Komponenten, des sogenannten »physics package« möglich, vorausgesetzt,
dass dadurch entweder die Sicherheit oder die Funktionssicherheit
gesteigert bzw. die Notwendigkeit nuklearen Testens verringert werden
kann.
Unterschiede zu den Plänen für eine neue Generation verlässlicher
Ersatzsprengköpfe (RRWs), die Verteidigungsminister Robert Gates und der
Chef der zuständigen NNSA, Thomas d’Agostino, unter George W. Bush
verfolgten, sind kaum auszumachen. Barack Obamas Vorgabe, keine neuen
Nuklearwaffen, keine Nuklearwaffen mit neuen Fähigkeiten und keine
Atomwaffen für neue Aufgaben zu entwickeln steht mit diesem Vorhaben auf
dem Prüfstand.
»Alle Optionen« bleiben offen
Mit diesen Entscheidungen werde sichergestellt, dass »die USA die
Fähigkeit beibehalten, Nuklearwaffen in Erfüllung ihrer
Bündnisverpflichtungen vorgeschoben zu stationieren«, hält der NPR fest.
Diese »nimmt die Ergebnisse künftiger Entscheidungen in der NATO über
die Notwendigkeit der nuklearen Abschreckung und der nuklearen Teilhabe
nicht vorweg«, sondern halte »alle Optionen offen«. Washington stelle
seinen Alliierten einen »glaubwürdigen US-Nuklearschirm« bereit, der aus
den »strategischen Kräften der Triade, vorgeschoben-stationierten
Nuklearwaffen in Schlüsselregionen und Nuklearwaffen in den USA besteht,
die schnell vorgeschoben stationiert werden können«. Auch wenn die
Gefahr eines nuklearen Angriffs sich auf »einem historischen Tiefstand«
befínde, trage »die Präsenz von US-Nuklearwaffen in Verbindung mit den
einzigartigen Arrangements der nuklearen Teilhabe (...) zum Zusammenhalt
der Allianz bei« und stelle »eine Rückversicherung für Verbündete und
Partner dar, die sich regionalen Bedrohungen ausgesetzt fühlen«.
Änderungen sollen nur nach Diskussion in und »auf Entscheidung der
Allianz« erfolgen. Das erfordert Einstimmigkeit und gibt jedem
NATO-Mitglied die Möglichkeit, einen Abzug der Nuklearwaffen aus Europa
durch sein Veto zu verhindern. Die Modernisierung von Trägerflugzeugen
und nuklearen Bomben soll unabhängig davon erfolgen, wie die NATO sich
entscheidet.
Verbesserte regionale Sicherheitsarchitekturen, zu denen eine effiziente
Raketenverteidigung, Fähigkeiten, den Einsatz von
Massenvernichtungswaffen zu bekämpfen, konventionelle Fähigkeiten zur
Machtprojektion und eine integrierte Kommandostruktur gehören, seien
»entscheidend, wenn man sich auf eine Welt ohne Nuklearwaffen zubewegt«.
Diese Verknüpfung hatte sich bereits im Ballistic Missile Defense Review
(BMDR) angedeutet, einem weiteren aktuellen Planungspapier aus dem
Pentagon. Dort stellte die Regierung Obama ausführlich dar, wie sie sich
den stufenweisen Ausbau einer Raketenabwehr in Europa im kommenden
Jahrzehnt vorstellt. Im BMDR wird für eine europäische Raketenabwehr
geworben: »Gegen nuklear bewaffnete Staaten wird die regionale
Abschreckung notwendigerweise auch [künftig] eine nukleare Komponente
erfordern. Aber die Rolle der US-Atomwaffen in diesen regionalen
Abschreckungsstrukturen kann durch eine Stärkung der Rolle der
Raketenabwehr und anderer Fähigkeiten reduziert werden.«
Zur Erinnerung: Seit George W. Bushs »Nuclear Posture Review« 2002 sind
die Raketenabwehr und die Fähigkeit zu raschen konventionellen
strategischen Angriffen auf Ziele rund um den Globus (Prompt Global
Strikes) Bestandteil der Gesamtabschreckung. Obamas NPR und der BMDR
befürworten beides explizit. Letzteren wird unter Obama die Aufgabe
zugewiesen, einige Aufgaben zu übernehmen, für die sich die Regierung
Bush die nukleare Option offen hielt: die Reaktion auf Angriffe mit B-
und C-Waffen oder auf Versuche nichtstaatlicher Akteure, zu
Terrorzwecken an nukleares Material oder nukleare Waffen zu gelangen.
Unter Obama wird das Konzept einer Gesamtabschreckung auf regionale
Abschreckungssysteme, also auf Europa und die NATO, den Nahen und
Mittleren Osten und den Fernen Osten übertragen. Das bringt Konsequenzen
mit sich, positive wie negative. Positiv ist die Reduzierung der Rolle
und der Zahl atomarer Waffen, die angestrebt wird. Da auch Japan
zustimmte, wurde die im NPR angekündigte Außerdienststellung der letzten
seegestützten nuklearen Marschflugkörper möglich.
Europa wird in einen Disput hineingezogen
Problematisch sind dagegen etliche andere Aspekte: Wird eine weitere
Reduzierung der Zahl und der Rolle nuklearer Waffen in der NATO vom
vorherigen Aufbau einer Raketenabwehr der USA und der NATO in Europa
abhängig gemacht, so könnten die europäischen NATO-Staaten tief in den
russisch-amerikanischen Disput über die US-Raketenabwehr und deren
Risiken für die strategische Stabilität hineingezogen werden. Das ist
eine Aussicht, die den meisten europäischen Staaten nicht gelegen kommen
kann. Russland wird auf Dauer auch die modifizierte Raketenabwehr der
USA kaum akzeptieren können. Spätestens in der vierten Phase des Aufbaus
der umstrukturierten Raketenabwehr ab 2018/20 sieht auch Obamas Konzept
die Stationierung von Abfangraketen gegen Interkontinentalraketen »im
Norden Europas« vor. Moskau dürfte darin erneut eine Gefährdung seiner
Abschreckungsfähigkeit sehen oder das Vorhaben gar als Indiz für eine
geheime Erstschlagsplanung der USA werten.
Zudem enthält das veränderte Raketenabwehrkonzept eine neue
problematische Komponente. Im BMDR wird angekündigt, dass die USA
Technologien zum »frühzeitigen Abfangen« gegnerischer Raketen entwickeln
wollen. Dieses Teilkonzept wird als »Early Intercept« bezeichnet.
Gemeint sind Technologien, mit denen gegnerische Raketen schon kurz nach
dem Start oder sogar noch bevor sie abgeschossen wurden, zerstört werden
können. Mit anderen Worten: Technologien, die in der NATO eine neue
Diskussion über präventive Einsätze auslösen dürften.
Wenn der Aufbau größerer konventioneller Angriffsfähigkeiten zur
Voraussetzung für nukleare Abrüstung gemacht wird, so ist das ebenfalls
problematisch. Zum einen könnte Russland solche Fähigkeiten als weiteren
Teil einer Erstschlagskonzeption werten. Zum anderen wäre unklar, ob die
NATO sich in das Konzept der Prompt Global Strikes einbinden lässt. Die
Gefahr besteht, dass hieraus ein grundsätzliches Hindernis für nukleare
Abrüstung in Europa wird.
Noch komplexer ist ein anderes Problem: Wird die NATO als regionales
Abschreckungssystem mit regionaler Sicherheitsarchitektur betrachtet, so
muss das in Europa ungute Erinnerungen an die NATO-Diskussion der 70er
Jahre wachrufen. Damals wollten gerade die europäischen NATO-Staaten
kein regionales Abschreckungssystem, um sicherzustellen, dass die
globale Abschreckung unteilbar war. Sie fürchteten, ein regionaler, auf
Europa begrenzbarer Nuklearkrieg werde sonst denkbar. Dass solche
Überlegungen auch heute in Washington noch existieren, bewies der
ehemaligen Verteidigungsminister James Schlesinger Ende 2008. In einer
ausführlichen Studie für das Pentagon befürwortete er mit Blick auf die
erweiterte (also regionale) Abschreckung eine Wiederbelebung des
Konzeptes der begrenzten nuklearen Optionen, der Limited Nuclear Options.
Mit genau diesem Konzept hatte Schlesinger als Verteidigungsminister
Mitte der 70er Jahre die Befürchtungen über einen begrenzten Atomkrieg
mit ausgelöst.
Eine jahrelange Hängepartie droht
Schließlich droht mit der Ankündigung, einen Abzug der
nichtstrategischen Nuklearwaffen aus Europa von Verhandlungen mit
Russland abhängig zu machen, möglicherweise eine jahrelange Hängepartie.
Es kann Washington und seinen NATO-Partnern nicht entgangen sein, dass
Moskau seit Jahren über diese Waffen erst dann reden will, wenn die USA
sie auf ihrem eigenen Territorium lagern. So entsteht nur ein neues
diplomatisches Mikadospiel: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
Klar wird: Die gegenwärtig in New York tagende Überprüfungskonferenz zum
Atomwaffensperrvertrag erhält kein starkes positives Abrüstungssignal.
Weder durch den NPR noch durch den neuen START-Vertrag und auch nicht
seitens der NATO. Mangelnder Fortschritt bei der Abrüstung bedeutet aber
wohl auch mangelnden Fortschritt bei der Verhinderung von
Weiterverbreitung. Kein gutes Omen für New York.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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