Beschwichtigung mit Scheinkompromissen Otfried Nassauer Eine feine Lösung haben sie sich da ausgedacht, die
Herren Spitzenpolitiker von SPD und Grünen: Einen rüstungsexportpolitischen
Teppichhandel Richtung Türkei. So löst man die Glaubwürdigkeitsdilemmata
restriktiver, rot-grüner Rüstungsexportpolitik. Einfach, genial, durchschaubar. Der Grundgedanke: Keine Leopard-II-Panzer für die Türkei, dafür aber
bleibt es bei der genehmigten Lieferung einer Fabrik für Gewehrmunition nach Ankara. Das
beschwichtigt die grünen Kritiker und jene in der SPD, denen das Mundhalten langsam
schwer fallen müßte. Ein Erfolg auch für Linke? Doch halt: Was, wenn der Handel gar kein echter Handel ist? Was wenn,
die Leopard-Panzer für die Türkei im Gegensatz zu der Munitionsfabrik - gar nicht
ernsthaft zur Debatte stehen? Das Panzer-Vorhaben trägt alle Kennzeichen einer Seifenblase. Sie ist
groß, bunt und irgendwann platzt sie. 1.000 Kampfpanzer will die Türkei angeblich teils
in Lizenz bauen, teils vielleicht auch importieren. 6.000 Arbeitsplätze würde dies in
Deutschland auf 10 Jahre sichern, spekulieren Journalisten und die Industrie dementiert
die Zahlen nicht. Die Wirklichkeit ist eine andere. Die Beschaffung von 1.000 modernen
Kampfpanzern ist der Türkei ist in den kommenden 10 Jahren unmöglich. Es fehlt schlicht
die wichtigste Voraussetzung: Das Geld. Ankara ist hochverschuldet, Schattenwirtschaft
macht einen wesentlichen Teil der Ökonomie aus, die Folgen des schweren Erdbebens und der
hohe Ölpreis dämpfen die wirtschaftlichen Aussichten. Der Wunsch nach einem EU-Beitritt
verlangt die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien. Das alles wissen auch Regierung und
Militär am Bosporus. Beide haben bereits reagiert und den Umfang ihrer Planung radikal
verkleinert. Offiziell geht es nurmehr um 250 Panzer für den Zeitraum bis 2008, alles
andere bleibt künftige Option. Zudem wurde die Entscheidung über neue Panzer, zuletzt
für den Juli geplant, auf einen ungenannten Zeitpunkt verschoben und die für dieses
Großvorhaben zuständige türkische Behörde teilweise entmachtet. Ganz anders das Bild in der deutschen Medienlandschaft und aus der
Industrie: 1.000 Panzer für 10-15 Mrd DM, so der unverändert generierte Eindruck, stehen
zur Debatte. Starke Konkurrenz aus Frankreich und den USA ist in den Startlöchern. Deren
Produkte haben viele deutsche Komponenten da kann man doch gleich selber liefern -
6.000 Arbeitsplätze stehen schließlich auf dem Spiel. Kaum einem fällt da noch auf, daß die fünf wichtigsten
panzerbauenden Betriebe in der Bundesrepublik schon 1998 alle zusammen nicht einmal 4.000
Beschäftigte hatten. Kaum einer sieht, daß bei einem (spekulativen) Umsatz deutscher
Firmen von 6 Mrd DM aus dem Gesamtgeschäft 6.000 Arbeitsplätze nur dann 10 Jahre
erhalten werden könnten, wenn der Umsatz pro Beschäftigtem beim Hersteller,
Krauss-Maffei-Wegmann auf weniger als ein Sechstel des heutigen zurückgehen würde, auf
ein Niveau, bei dem nicht einmal Handwerksbetriebe dieser Tage überleben. Kaum einer
fragt, ob das Geschäft ohne Übernahme des finanziellen Risikos durch die
Hermes-Versicherung also letztlich den deutschen Steuerzahler überhaupt
zustande kommen könnte. Die Leopard-Panzer für die Türkei sind schon lange eine Seifenblase.
Und nun: Ein kleiner Kuhhandel mit der
Seifenblase gefällig bevor sie platzt? In der Hoffnung, daß keiner merkt, daß ein
realisierbares gegen ein nicht-realisierbares Projekt politisch getauscht wurde. Das
befriedet die über Rüstungsexporte streitenden Gemüter in der Koalition. Es löst aber
die eigentlichen Probleme nicht. Ein dreiviertel Jahr nach Verabschiedung der neuen
Rüstungsexportrichtlinien hat die Koalition ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie hat
deren politische Intention nicht in klare Weisungen für die Administration und nicht in
eine erkennbare Politik für Öffentlichkeit und Industrie umgesetzt. Die Folge ist, daß
die Industrie nicht weiß, welche Geschäfte nach den neuen Richtlinien genehmigungsfähig
sind und daß die Öffentlichkeit nicht weiß, was an der neuen Politik restriktiver sein
soll. Die Bundesregierung hat auch nichts getan, um die Transparenzfrage gegenüber
Parlament und Öffentlichkeit zu lösen, keine Schritte unternommen, um zu klären, wie
mit Altlasten aus früheren Zusagen und Voranfragen umgegangen werden soll. Und sie hat
vor allem versäumt, zu klären, wie sie das entscheidend Neue in den neuen
Rüstungsexportrichtlinien in die politische Praxis umsetzen will, die politischen
Kriterien der Nachhaltigen Entwicklung, der Gewaltprävention und der Menschenrechte. Diese Fragen werden in naher Zukunft noch an aktueller Bedeutung
gewinnen. Die Verkleinerung der Bundeswehr macht manche Waffe überflüssig und
Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat ein starkes Interesse, durch den Verkauf dieser
Waffen seine klamme Kasse aufzubessern. Es dürfte schwer werden für all die
überschüssigen Waffen aus Rudis Resterampe zahlungsfähige Käufer in
unproblematischen NATO-Ländern zu finden. Und schon stellt sich erneut die Frage: Wie
sollen die neuen Kriterien im Rüstungsxport, nachhaltige Entwicklung, Gewaltprävention
und Menschenrechte in der politischen Praxis umgesetzt werden?
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
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