Kaukasus-Krieg mit vielen Verlierern
von Otfried Nassauer
Vor einem Jahr waren aller Augen auf Peking gerichtet. Mit einem gigantischen
Feuerwerk wurden am 8. August 2008 die olympischen Sommerspiele eröffnet.
Aller Augen? Nein, denn Michail Saakaschwili, der Präsident Georgiens,
zwang Peking-Besucher wie Wladimir Putin und George W. Bush wenige Stunden
zuvor zum Blick auf sein Heimatland. Sein Feuerwerk war von anderer Art.
Georgische Truppen traten in der Nacht vom 7. auf den 8. August zum Angriff
auf die abtrünnige Republik Südossetien an, um – so der georgische
General Kuraschwili – »die verfassungsmäßige Ordnung
in der ganzen Region wiederherzustellen«. Russland griff militärisch
ein; der Krieg war für Georgien binnen fünf Tagen verloren.
Politisch hatte er viele Verlierer.
Abchasien und Südossetien erklärten ihre Unabhängigkeit.
Georgien verlor seine territoriale Integrität für die vorhersehbare
Zukunft. Bis heute kämpft es mit der Flüchtlingsproblematik
und mit Schäden in Milliardenhöhe. Seine Streitkräfte sind
kaum noch einsetzbar. Saakaschwilis Regierung verlor ihre Glaubwürdigkeit
im In- und Ausland. Sie kann sich nur an der Macht halten, weil sie trotz
autokratisch-repressiver Politik und Korruption westliche Finanzhilfe
und politische Unterstützung durch Russland-kritische Staaten erhält.
Die Aussicht auf eine baldige NATO-Mitgliedschaft ist verspielt.
Südossetien ist eine international nicht anerkannte Miniaturrepublik
unter russischem Militärschutz. Politische und wirtschaftliche Eigenständigkeit
sind unerreichbar. Die Region ist politisch, geografisch und wirtschaftlich
isoliert. Auch hier bildet sich eine autokratisch-korrupte Herrschaftsstruktur
heraus.
Russland gewann zwar den Krieg, wird politisch aber letztlich Verluste
erleiden. Vor allem die neuen NATO-Mitglieder und die USA werfen Moskau
eine unverhältnismäßige militärische Reaktion und
eine Rückkehr zu imperialer Politik vor. Sie nutzen Institutionen
wie die NATO, um eine Politik der Nadelstiche zu praktizieren. Russland
ließ sich zudem in eine problematische Entscheidung drangen: Es
erkannte Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten an
und verpflichtete sich so zu einem längerfristigen militärischen
und politischen Engagement südlich des Kaukasus, das nicht mehr in
seinem Interesse lag. Obwohl Russland ähnlich argumentiert wie die
NATO-Staaten bei der Herauslösung Kosovos aus Serbien – wenn mehrere
einen Rechtsbruch begehen, bleibt es doch ein Rechtsbruch. Er schwächt
die Autorität der UNO und ihrer Charta und liefert den Moskau-Kritikern
Munition.
Auch die NATO und die EU sind Verlierer. In beiden Institutionen ist
der Streit offen ausgebrochen, ob Sicherheit künftig vor oder mit
Russland zu schaffen sei. So muss Anders Fogh Rasmussen, der neue NATO-Generalssekretär,
sein Vorhaben, die Zusammenarbeit der NATO mit Russland zu verbessern,
mit der Forderung harmonisieren, Georgien die Tür für einen
schnellen NATO-Beitritt offen zu halten.
Der Tonfall der Kontrahenten hat sich anlässlich des Jahrestages
des Krieges erneut verschärft. Mit einem stabilen Frieden ist auf
absehbare Zeit nicht zu rechnen. Zu befürchten ist vielmehr, dass
lokale wie globale Akteure den Konflikt auch weiterhin nutzen wollen,
um mit Nadelstichen ihre Handlungsspielräume zu testen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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