Verwirrspiel im Hause Saud
Neuer König mit - angeblichen oder tatsächlichen - Kontrahenten
von Susanne Härpfer
Im Beisein zahlreicher Staatsoberhäupter wurde der am Vortag verstorbene
saudiarabische König Fahd Ibn Abdelasis am Dienstag in Riad beigesetzt. Geleitet wurde
die Trauerfeier von Fahds Nachfolger und Halbbruder Abdullah.
Wüstenreisende berichten vom realistisch erscheinenden Bildern einer blühenden Oase,
die sich beim Näherkommen als Fata Morgana entpuppen. Ähnlich ergeht es demjenigen, der
versucht, die politische Bühne Saudi-Arabiens zu beschreiben. Wer ist der neue König,
wie steht er fundamentalistischen Ideen gegenüber, werden Terroristen auch aus dem
Königshaus unterstützt? Immerhin hatten Angehörige von Opfern der Anschläge am 11.
September 2001 gegen den neuen Kronprinzen, Verteidigungsminister Prinz Sultan, und den
früheren Geheimdienstchef Prinz Turki al Faisal, heute Botschafter in London, Klage
eingereicht.
Die Frage, wer neuer König wird, war entgegen dem Anschein lange Zeit
nicht geklärt. Zwar ernennt der amtierende Herrscher einen Kronprinzen, aber die letzte
Entscheidung liegt bei einem Wahlgremium aus 600 Mitgliedern. Und bei denen galt Kronprinz
Abdullah als relativ isoliert, denn er gehörte nicht zu den »Sieben Sudairis«, dem
einflussreichsten Clan der Saud-Familie, zu dem der verstorbene König und seine sechs
Vollbrüder zählten. Einer dieser Brüder ist Innenminister Prinz Nayef, der als
Konkurrent Abdullahs im Kampf um den Thron galt.
Während Abdullah als Vorsitzender des Öl-Rates USA-Firmen Investitionen im Lande
ermöglichte, zu Debatten über die Zukunft des Landes einlud und den Frauen mehr Rechte
gewährte, gilt Prinz Nayef als Hüter des fundamentalistischen Wahhabismus, der
Staatsreligion. Als Innenminister ist er dafür zuständig, die Geistlichen und die
Sittenpolizei zu kontrollieren. Als Islamisten-Freund profiliert er sich überdies durch
den Vorsitz eines Komitees für die Unterstützung Kosovos und Tschetscheniens. Nayef war
es, der Israel vorwarf, hinter den Anschlägen vom 11. September gesteckt zu haben.
Andererseits verhandelte er mit dem Erzfeind Iran über eine Entspannung der Beziehungen.
Vom schiitischen Iran aus sollen nämlich jene Terroristen unterstützt worden sein,
die in SaudiArabien Anschläge verübten. Schiiten in Saudi-Arabien eine
unterdrückte Minderheit - bilden auch die Mehrheit der Bevölkerung Iraks. Und die
argwöhnt, dass ausgerechnet die USA die wahhabitischen Terroristen unterstützen, die in
ihrem Land wüten. Dagegen befürchten die Saudis, die USA könnten die Schiiten in Irak
und Saudi- Arabien unterstützen. Und sie unterstellen den Vereinigten Staaten, Irak als
Alternative zum Öllieferanten Saudi Arabien aufzurüsten.
Der frühere Geheimdienstchef Prinz Turki widerspricht allerdings der Einschätzung,
Nayef sei der Gegenspieler eines liberalen Abdullah ebenso wie das Deutsche
Orientinstitut und der konservative USA-Journalist Seymour Hersh. Für sie ist der neue
König Abdalluh ein frommer Hardliner. Und Nayefs Äußerungen dienten lediglich dazu, der
islamistischen Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen. Darin sind sich sogar
US-amerikanische und islamistische Kommentatoren einig. Möglicherweise haben sich
Abdullah und Nayef auf ein Rollenspiel geeinigt, um die Macht des Hauses Saud zu retten.
Als Gegner des Königs werden jedoch Verteidigungsminister Prinz Sultan, der neue
Kronprinz, und dessen Söhne Khaled und Bandar Botschafter in den USA
bezeichnet. Sie sollen an Provisionen von USA-Rüstungsfirmen verdient haben und gelten
als prowestlich.
Doch Sultan hatte kurz vor dem 11. September einen Staatsbesuch abgesagt und damit
Spekulationen genährt, wonach Saudis von den Anschlagsplänen gewusst hätten.
Das gleiche Verwirrspiel gibt es um Prinz Turki. Für die einen ist er der Mann, der
Osama bin Laden traf, für die anderen Gewährsmann westlicher Geheimdienste. Er forderte
immerhin mehr Zusammenarbeit mit dem FBI.
Als möglicher Thronerbe galt auch Prinz Salman, der Gouverneur von Riad. Auch er wird
angeklagt, Terroristen finanziert zu haben. Ebenso wie drei jüngere Prinzen, die unter
mysteriösen Umständen ums Leben kamen. Offenbar werden Mitglieder der königlichen
Familie, die islamistische Extremisten unterstützen, von anderen Mitgliedern des
Königshauses verfolgt. Wer in diesem Spiel welche Rolle spielt, ist schwer zu erkennen.
Ebenso schwer ist die Unterscheidung zwischen tatsächlichen und vorgeblichen
»Liberalen«. Das Land ist voller Paradoxa: Der Wahhabismus als fundamentalistische
Ausrichtung des Islam ist Staatsreligion, wurde aber als solche unglaubwürdig, als man
Ausschweifungen der Prinzen duldete. Die Terroristen fordern eine Rückkehr zu den alten
Werten und werden ausgerechnet von Mitgliedern des Königshauses unterstützt. Die
saudischen Prinzen machten also denselben Fehler wie US-amerikanische Geheimdienstler: Sie
glaubten, sie könnten sich Loyalität erkaufen, und finanzierten auf diese Weise
eventuell ungewollt die Opposition.
Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.
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