Kleinwaffen Newsletter
Oktober 2008


G36 in Georgien: Lakmustest für die Bundesregierung

von Roman Deckert

Am 17. August 2008 hat das ARD-Magazin „Report Mainz“ aufgrund von Recherchen des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS) und des Freiburger RüstungsInformationsBüros (RIB) enthüllt, dass georgische Spezialeinheiten mit hochmodernen G36-Gewehren von Heckler & Koch (H&K) ausgerüstet sind. Seit der ersten Anfrage der Redaktion an die Bundesregierung sind über sieben Wochen vergangen, doch noch immer haben die zuständigen Ministerien nicht aufgeklärt, wie die Waffen in das Krisengebiet gelangt sind.

Schon unmittelbar nach der Ausstrahlung des Beitrags hat der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. In seiner Antwort vom 26. August wiederholte Wirtschaftsstaatssekretär Dr. Walter Otremba lediglich, dass es keinerlei Ausfuhrgenehmigung gegeben hatte. Ströbeles Frage nach weiteren geplanten Schritten ignorierte er geflissentlich (Bundestagsdrucksache 16/10199, S. 22f.).

In der Zwischenzeit sind etliche Gerüchte aufgetaucht, über welchen illegalen Weg die G36 nach Georgien gekommen sind. So gibt es ernst zu nehmende Hinweise, dass sie aus den USA geliefert wurden. Da jedoch in den letzten Jahren zahlreiche Staaten G36 bezogen haben, kommt grundsätzlich auch jedes andere Empfängerland infrage, was eine Weiterleitung der Waffen unter dem Bruch der Endverbleibsregelung angeht. Dass die G36 aus der spanischen Lizenzfertigung stammen, kann indes ausgeschlossen werden. Nach Erkenntnissen von BITS-Analyst Niels Dubrow unterscheidet sich die spanische Version von den G36, die auf den Bildern aus Georgien identifiziert wurden.

Des weiteren liegen Informationen vor, wonach die G36 über die Schweiz nach Georgien geschleust worden sein könnten. Bereits im Jahr 2002 hatte der investigative Journalist Mark Thomas für den britischen Sender Channel4 in einer Undercover-Reportage von dem unmoralischen Angebot eines Schweizer Händlers berichtet, importierte H&K-Einzelteile zu fertigen Waffen zu montieren und über Finnland in Krisengebiete zu verkaufen. Schon in früheren Jahren hat es belegte Fälle gegeben, in denen deutsche Ausfuhrbeschränkungen durch den Export von Bausätzen umgingen wurden.

Des weiteren kursierten Gerüchte, dass die G36 aus Bundeswehr-Beständen stammen könnten. Tatsächlich finden sich auf der offiziellen Internetseite der NATO Bilder von georgischen Soldaten, die im Kosovo mit G36 bewaffnet das Camp Prizren der deutschen Truppen bewachten. Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung (CDU) hat jedoch einem besorgten Bürger auf www.abgeordnetenwatch.de geantwortet, dass die georgischen Soldaten, „die durch die Bundeswehr ausgebildet wurden und/oder im Rahmen der Unterstützung des deutschen Einsatzkontingentes KFOR eingesetzt waren, ihre Gewehre vollständig zurückgegeben“ haben. Damit bestätigt Jung indes zugleich, dass die georgische Armee über diese Kooperation die technischen Vorzüge des G36 kennenlernte.

Jung machte überdies klar, dass die Hardthöhe „keine Erkenntnisse“ über die Herkunft der G36 in Georgien habe. Dies ist peinlich genug, denn bereits vor über drei Jahren hatten Eliteeinheiten in der georgischen Hauptstadt ihre G36 offen zur Schau getragen. Die Agentur AFP Getty Images hat bestätigt, dass ein entsprechendes Photo im Juni 2005 bei Demonstrationen in Tiflis aufgenommen wurde. Das bedeutet, dass der Militärattachéstab der Deutschen Botschaft so unprofessionell war, diese wichtige Information zu übersehen. Gleiches würde für die deutschen Diplomaten und Nachrichtendienstler gelten.

BITS-Direktor Otfried Nassauer und RIB-Vorstandsvorsitzender Jürgen Grässlin haben unterdessen immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Herkunft der G36 leicht klären ließe, wenn die Bundesregierung von der befreundeten Regierung in Tiflis die Seriennummern der Gewehre erfragen würde. Am 16. September hat jedoch die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) eine Presseerklärung herausgegeben, nachdem die Bundesregierung betont hatte, dass sie die Angelegenheit „sorgfältig“ untersuche, aber die georgische Regierung „in dieser Frage bislang nicht kontaktiert“ habe.

Zur selben Zeit rühmt das Auswärtige Amt die aktive Rolle Deutschlands im Kleinwaffenprozess der Vereinten Nationen. Die Bundesregierung strebe mit ihrer Unterstützung für die im Juli abgehaltene Staatenkonferenz (BMS) und einen „Arm Trade Treaty“ (ATT), über den in diesen Wochen verhandelt wird, „eine weltweite wirksame Transferkontrolle“ an. Sie konzentriere sich seit Jahren besonders auf das Markieren und Nachverfolgen von Kleinwaffen.

Während die Berliner Diplomaten also auf der internationalen Bühne eine Vorreiterrolle für sich propagieren, haben sie es nunmehr fast zwei Monate lang nicht für opportun gehalten, in Tiflis auf die Herausgabe der Seriennummern zu dringen. Der Skandal um die illegal dorthin gelangten G36 ist ein gefährlicher Präzedenzfall für eine unkontrollierte Verbreitung des G3-Nachfolgers und damit schlechterdings der Lakmustest für den Anspruch, den Deutschland in der Staatengemeinschaft reklamiert. Wenn die Bundesregierung weiterhin ihre offenkundige Hinhaltestrategie gegenüber der eigenen Volksvertretung verfolgt, verliert sie zwangsläufig jede Glaubwürdigkeit in diesem Bereich der UNO, allzumal Russland die Affäre aufmerksam verfolgt.


 

arbeitet als Kleinwaffen-Analyst im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und ist Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüros Freiburg i.Br. (RIB).