Deutsche Kleinwaffen: Die Nigeria-Connection
von Roman Deckert
Am Neujahrstag 2008 starben bei einer Schießerei in der nigerianischen Ölhafenstadt
Port Harcourt 18 Menschen, darunter unbeteiligte Zivilisten. Deutschen Medien war dies nur
eine Meldung im Wirtschaftsteil wert, denn die Tragödie trieb den Preis für einen Barrel
Öl erstmals auf über 100 US$. Wie bei den zugleich in Kenia wütenden Massakern stand
indes eine deutsche Waffe im Mittelpunkt des Geschehens: nach nigerianischen
Presseberichten stellte die Polizei bei den Angreifern auch ein G3-Sturmgewehr von Heckler
& Koch (H&K) sicher.
Schon kurz nach Nigerias Unabhängigkeit von 1960 halfen deutsche Unternehmen bei der
Aufrüstung von Afrikas bevölkerungsreichstem Land. Die bundeseigene Firma Fritz-Werner
erhielt 1963 von der Defence Industries Corporation (DICON) den Auftrag, in der
nördlichen Stadt Kaduna eine Waffen- und Munitionsfabrik aufzubauen. Sie lieferte die
Maschinen für die Lizenzproduktion von BM59-Gewehren der italienischen Marke Beretta
sowie für Munition der Kaliber 7,62 und 9mm. Die britische Botschaft in Lagos berichtete
nach London, dass die Geisenheimer mit massiven Schmiergeldern die Korruption in neue
Dimensionen trieben.
Von 1967 bis 1970 wurden in Ost-Nigeria während des Biafra-Krieges Hunderttausende
Menschen getötet, nach manchen Schätzungen bis zu zwei Millionen. Fritz-Werner spielte
eine entscheidende Rolle beim Sieg der Zentralregierung über die Sezessionisten, weil ein
Team aus dem Rheingau die Produktion in Kaduna gewährleistete. Britische Dokumente
belegen, dass der deutsche Generaldirektor der Fabrik u.a. über die Firma Interarms des
berüchtigten Waffenhändlers Sam Cummins G3-Bausätze bezog. Darüber hinaus übernahm
Fritz-Werner auf Wunsch der Bonner Regierung die Betreuung von deutschen
Dornier-Flugzeugen der Air Force. Ende 1967 genehmigte das Auswärtige Amt (AA)
Fritz-Werner und der Flick-Tochterfirma Dynamit-Nobel zudem den Export von je 3 Millionen
Schuss Munition (7,62mm). Als es 1968 die Ausfuhr von weiteren 3 Millionen versagte,
wickelte Fritz-Werner das Geschäft einfach über ein Drittland ab.
1976 erhielt Fritz-Werner von der DICON den Auftrag, die Anlagen rundum zu
modernisieren und die Produktion des Nigerian Rifle (NR) aufzubauen. Zwar warnte H&K
das AA vor einer nicht-lizensierten Produktion des G3. Fritz-Werner konnte jedoch die
Diplomaten überzeugen, dass es um ein anderes Modell ging, offensichtlich das FAL des
belgischen Herstellers FN Herstal, das dem G3 im Design stark ähnelt. Nach Erkenntnissen
des renommierten Experten Dr. Edward Ezell erwarb DICON 1977 die Lizenzrechte.
Fritz-Werner-Techniker seien bis weit in die Achtzigerjahre in Kaduna tätig gewesen. Laut
CIA-Factbook erreichte die Produktion 1987 die volle Kapazität von 15.000 FAL pro Jahr,
wobei auch die Herstellung von BM59 weiterlief.
Ezell zufolge kaufte die nigerianische Armee überdies große Mengen an G3, ca. 6.000
HK21-Maschinengewehre sowie MP5-Maschinenpistolen. H&K ließ diese vom englischen
Partner Royal Ordnance in Enfield bzw. Nottingham montieren, um die deutschen
Ausfuhrbegrenzungen zu umgehen (s. Newsletter 1/2008). Der Genfer Think-Tank Small Arms
Survey hat berichtet, dass Nigeria G3-Kontingente an Sierra Leone weiterreichte. Dies
erklärt, warum nach dem dortigen Bürgerkrieg (1991-2000) das G3 bei Entwaffnungsaktionen
der UN die zweithäufigste Waffe war. Ein realistisches Bild vom G3 in Sierra Leone
liefert der Film "Blood Diamond".
Die DICON-Fabrik in Kaduna kam zwar in den Neunzigerjahren weitgehend zum Erliegen,
doch laut dem Informationsdienst Jane´s gehören G3, FAL, BM59, MP5 und HK21 noch immer
zu den Standardwaffen der Streitkräfte. Zugleich sind viele dieser Gewehre in die Hände
von Kriminellen und Aufständischen gelangt. Der Oberste Rechnungsprüfer Dr. Vincent Azie
stellte 2001 bei einer Untersuchung der Polizei fest, dass aus deren Beständen zahlreiche
G3 verschwunden waren, die im nigerianischen Volksmund "Shettima" (nach dem
G3-Ursprungsmodell "CETME") oder "Shaka-bola" heißen. Eine Studie der
University of Bradford dokumentiert, dass die Verbreitung von Kleinwaffen endemische
Ausmaße entwickelt hat.
Seit einer dramatischen Eskalation der Krise im Jahr 2004 häufen sich die Berichte in
der nigerianischen Presse über Schießereien mit G3 in allen Landesteilen, vor allem im
Niger-Delta, dem ehemaligen Biafra. Die International Crisis Group berichtete 2006, die
Rebellen der Niger Delta People´s Voluntary Force seien u.a. mit G3 bewaffnet. Im August
des selben Jahres forderten in der südöstlichen Stadt Umuahia Gefechte zwischen Polizei
und Angreifern, die teilweise mit G3 bewaffnet waren, mehrere Tote. 2007 gab es Berichte
über G3-Lieferungen an die Aufständischen der Niger Delta Strike Force. Und wenige
Wochen vor dem Neujahrs-Blutbad von Port Harcourt stellte die Polizei bei Militanten
mehrere G3 sicher. Den deutschen Leitmedien war bei aller Beunruhigung über den
steigenden Ölpreis kein einziges dieser G3 eine Meldung wert. Dabei ist zu befürchten,
dass selbst die nigerianischen Presseberichte nur die Spitze des Eisbergs darstellen, was
die Rolle deutscher Waffen in den dortigen Konflikten angeht.
arbeitet als Kleinwaffen-Analyst
im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und ist
Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüros Freiburg i.Br. (RIB).
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