Kenia: Krise und Kleinwaffen
von Roman Deckert
Bei den jüngsten Unruhen in Kenia sind Hunderte Menschen ums Leben gekommen, viele
davon durch Schussverletzungen. UN-Angaben zufolge starben allein in Kisumu 44 Menschen
auf diese Weise, etliche von ihnen anscheinend auf der Flucht durch Schüsse in den
Rücken. Auf zahlreichen Bildern von den Kämpfen ist das G3-Sturmgewehr von Heckler &
Koch (H&K) eindeutig zu identifizieren: es ist seit über dreißig Jahren die
Standardwaffe der kenianischen "Sicherheitskräfte". Nach Angaben des
renommierten Informationsdienstes JaneŽs verfügen sie außerdem über die
MP5-Maschinenpistole und das HK21-Maschinengewehr, beides G3-Ableger.
Die deutsch-kenianischen Rüstungsbeziehungen begannen bereits 1965, ein Jahr nach
Kenias Unabhängigkeitserlangung. Zunächst finanzierte die Bundesrepublik englische
Waffenlieferungen für DM 10 Mio. über das Devisenausgleichsabkommen für die britische
Rheinarmee. Auf diesem diskreten Umweg wurden auch militärische Transfers für das
Nachbarland Sudan abgewickelt. 1967 lieferte H&K die ersten 500 G3 an die kenianische
Polizei. In der Folge gab es zwar keine direkten Waffenexporte aus der BRD mehr und die
offizielle Ausrüstungshilfe umfasste lediglich "weiches" Material wie
Mercedes-Lkw. Dem Kleinwaffenexperten Edward Ezell zufolge bezog Kenia aber stattdessen G3
aus englischer Lizenzproduktion, angeblich bis zu 200.000 Stück. Der Kooperationsvertrag
von 1970 zwischen H&K und den Royal Ordnance Factories (ROF) in Enfield, der im
Londoner National Archive einsehbar ist, beweist, dass die Oberndorfer die Zusammenarbeit
eingingen, um Märkte zu erschließen, die von der BRD aus nicht zugänglich waren. Das
Bundesverteidigungsministerium, das die Entwicklung des G3 finanziert hatte und daher die
Rechte an dem Modell hielt, vergab die notwendige Lizenz gegen entsprechende Gebühren.
Nach dem gleichen Muster war H&K eine Partnerschaft mit der französischen
Manufacture Nationale dŽArmes de St. Etienne eingegangen. Dokumente aus dem Archiv des
Auswärtigen Amtes (AA) belegen, dass H&K auf diesem Umweg auch Kenias Nachbarland
Uganda hochrüstete. Als die Bundesregierung 1971 den Verkauf von G3 an Diktator Idi Amin
blockierte, lieferten die Franzosen. In dem Dokumentarfilm "General Idi Amin
Dada" von Barbet Schroeder (auf DVD erhältlich) ist der Despot zu sehen, wie er
selber ein G3 abfeuert. Weil die Bundesregierung H&K andererseits Exporte nach
Tansania erlaubte, konnten auch Amins Feinde ihren Kampf mit dem G3 führen (s.
Kleinwaffen-Newsletter 3/2007). Das kenianische Regime unter Daniel Arap Moi wiederum
fühlte sich durch die Hochrüstung der Nachbarstaaten bedroht und zog deshalb nach.
In Kenia hat das G3 nicht erst jetzt die politischen und sozialen Spannungen befeuert.
Insbesondere seit Beginn der Neunzigerjahre hat es häufige Berichte über die
verheerenden Wirkungen des deutschen Exportschlagers gegeben. Vor allem im Norden des
Landes setzen rivalisierende Ethnien bei ihren Auseinandersetzungen auf die
Durchschlagskraft des G3. Der Nationale Kirchenrat von Kenia berichtet, dass in der
North-Rift-Region junge Hirten ihre G3 offen zur Schau tragen. Human Rights Watch (HRW)
zufolge haben die kenianischen Behörden auch Dorfmilizen mit G3 ausgerüstet, während
korrupte Offiziere G3 an Kriminelle verkauften. Hinzu kommen G3 von Rebellen aus den
Nachbarländern Somalia und Sudan, wo das deutsche Sturmgewehr ebenfalls die Nr. 2 ist.
Die Gewalt macht selbst nicht vor Geistlichen halt, die in den Konflikten vermitteln. So
wurde 2005 in Isiolo einer besonders betroffenen Region - der katholische Bischof
Luigi Locati offenbar mit einem G3 erschossen. Und nicht nur die Bevölkerung, sondern
auch die Tierwelt des Landes leidet unter der Proliferation dieser eigentlichen
"Massenvernichtungswaffen", denn Wilderer benutzen das G3 ebenso wie die Rangers
in den Nationalparks.
Nach Erkenntnissen von HRW kostet ein G3 auf dem kenianischen Schwarzmarkt umgerechnet
rund US$ 200. Damit ist es zwar erheblich teurer als die Kalaschnikow. Allerdings sei
Munition für das G3 billiger und leichter erhältlich. In der ersten Hälfte der
Neunzigerjahre errichtete die belgische Firma Fabrique National de Herstal (FN) in Eldoret
der Stadt, in der jetzt der höchste Blutzoll zu beklagen war - eine
Munitionsfabrik, die laut JaneŽs eine Jahreskapazität von 20 Millionen Schuss hat
was weit über den "normalen" Bedarf der kenianischen Streitkräfte hinausgeht.
Diese Rüstungsschmiede stellt u.a. Munition für G3 und MP5 her, nicht aber für
Kalaschnikows.
Frühere Bundesregierungen haben bei Parlamentsanfragen behauptet, dass es keine
Unterlagen mehr zu der Vergabe von G3-Lizenzen gebe. Der Kooperationsvertrag zwischen
H&K und ROF im britischen National Archive dokumentiert jedoch, dass das
Bundesverteidigungsministerium eine Gebühr von DM 5 pro Gewehr berechnete. Eine
Bundesregierung, die ihren eigenen moralischen Ansprüchen gerecht werden will, sollte
dieses Blutgeld mit Zins und Zinseszins benutzen, um großflächige Entwaffnungsprogramme
zu finanzieren.
ist Mitarbeiter im Berliner
Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und schreibt seine
Doktorarbeit über das Thema Die beiden deutschen Staaten und der Sudan.
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