Kleinwaffen Newsletter
Januar 2008


Kenia: Krise und Kleinwaffen

von Roman Deckert

Bei den jüngsten Unruhen in Kenia sind Hunderte Menschen ums Leben gekommen, viele davon durch Schussverletzungen. UN-Angaben zufolge starben allein in Kisumu 44 Menschen auf diese Weise, etliche von ihnen anscheinend auf der Flucht durch Schüsse in den Rücken. Auf zahlreichen Bildern von den Kämpfen ist das G3-Sturmgewehr von Heckler & Koch (H&K) eindeutig zu identifizieren: es ist seit über dreißig Jahren die Standardwaffe der kenianischen "Sicherheitskräfte". Nach Angaben des renommierten Informationsdienstes JaneŽs verfügen sie außerdem über die MP5-Maschinenpistole und das HK21-Maschinengewehr, beides G3-Ableger.

Die deutsch-kenianischen Rüstungsbeziehungen begannen bereits 1965, ein Jahr nach Kenias Unabhängigkeitserlangung. Zunächst finanzierte die Bundesrepublik englische Waffenlieferungen für DM 10 Mio. über das Devisenausgleichsabkommen für die britische Rheinarmee. Auf diesem diskreten Umweg wurden auch militärische Transfers für das Nachbarland Sudan abgewickelt. 1967 lieferte H&K die ersten 500 G3 an die kenianische Polizei. In der Folge gab es zwar keine direkten Waffenexporte aus der BRD mehr und die offizielle Ausrüstungshilfe umfasste lediglich "weiches" Material wie Mercedes-Lkw. Dem Kleinwaffenexperten Edward Ezell zufolge bezog Kenia aber stattdessen G3 aus englischer Lizenzproduktion, angeblich bis zu 200.000 Stück. Der Kooperationsvertrag von 1970 zwischen H&K und den Royal Ordnance Factories (ROF) in Enfield, der im Londoner National Archive einsehbar ist, beweist, dass die Oberndorfer die Zusammenarbeit eingingen, um Märkte zu erschließen, die von der BRD aus nicht zugänglich waren. Das Bundesverteidigungsministerium, das die Entwicklung des G3 finanziert hatte und daher die Rechte an dem Modell hielt, vergab die notwendige Lizenz gegen entsprechende Gebühren.

Nach dem gleichen Muster war H&K eine Partnerschaft mit der französischen Manufacture Nationale dŽArmes de St. Etienne eingegangen. Dokumente aus dem Archiv des Auswärtigen Amtes (AA) belegen, dass H&K auf diesem Umweg auch Kenias Nachbarland Uganda hochrüstete. Als die Bundesregierung 1971 den Verkauf von G3 an Diktator Idi Amin blockierte, lieferten die Franzosen. In dem Dokumentarfilm "General Idi Amin Dada" von Barbet Schroeder (auf DVD erhältlich) ist der Despot zu sehen, wie er selber ein G3 abfeuert. Weil die Bundesregierung H&K andererseits Exporte nach Tansania erlaubte, konnten auch Amins Feinde ihren Kampf mit dem G3 führen (s. Kleinwaffen-Newsletter 3/2007). Das kenianische Regime unter Daniel Arap Moi wiederum fühlte sich durch die Hochrüstung der Nachbarstaaten bedroht und zog deshalb nach.

In Kenia hat das G3 nicht erst jetzt die politischen und sozialen Spannungen befeuert. Insbesondere seit Beginn der Neunzigerjahre hat es häufige Berichte über die verheerenden Wirkungen des deutschen Exportschlagers gegeben. Vor allem im Norden des Landes setzen rivalisierende Ethnien bei ihren Auseinandersetzungen auf die Durchschlagskraft des G3. Der Nationale Kirchenrat von Kenia berichtet, dass in der North-Rift-Region junge Hirten ihre G3 offen zur Schau tragen. Human Rights Watch (HRW) zufolge haben die kenianischen Behörden auch Dorfmilizen mit G3 ausgerüstet, während korrupte Offiziere G3 an Kriminelle verkauften. Hinzu kommen G3 von Rebellen aus den Nachbarländern Somalia und Sudan, wo das deutsche Sturmgewehr ebenfalls die Nr. 2 ist. Die Gewalt macht selbst nicht vor Geistlichen halt, die in den Konflikten vermitteln. So wurde 2005 in Isiolo – einer besonders betroffenen Region - der katholische Bischof Luigi Locati offenbar mit einem G3 erschossen. Und nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Tierwelt des Landes leidet unter der Proliferation dieser eigentlichen "Massenvernichtungswaffen", denn Wilderer benutzen das G3 ebenso wie die Rangers in den Nationalparks.

Nach Erkenntnissen von HRW kostet ein G3 auf dem kenianischen Schwarzmarkt umgerechnet rund US$ 200. Damit ist es zwar erheblich teurer als die Kalaschnikow. Allerdings sei Munition für das G3 billiger und leichter erhältlich. In der ersten Hälfte der Neunzigerjahre errichtete die belgische Firma Fabrique National de Herstal (FN) in Eldoret – der Stadt, in der jetzt der höchste Blutzoll zu beklagen war - eine Munitionsfabrik, die laut JaneŽs eine Jahreskapazität von 20 Millionen Schuss hat – was weit über den "normalen" Bedarf der kenianischen Streitkräfte hinausgeht. Diese Rüstungsschmiede stellt u.a. Munition für G3 und MP5 her, nicht aber für Kalaschnikows.

Frühere Bundesregierungen haben bei Parlamentsanfragen behauptet, dass es keine Unterlagen mehr zu der Vergabe von G3-Lizenzen gebe. Der Kooperationsvertrag zwischen H&K und ROF im britischen National Archive dokumentiert jedoch, dass das Bundesverteidigungsministerium eine Gebühr von DM 5 pro Gewehr berechnete. Eine Bundesregierung, die ihren eigenen moralischen Ansprüchen gerecht werden will, sollte dieses Blutgeld mit Zins und Zinseszins benutzen, um großflächige Entwaffnungsprogramme zu finanzieren.


 

ist Mitarbeiter im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und schreibt seine Doktorarbeit über das Thema “Die beiden deutschen Staaten und der Sudan”.