Dezember 2003
Friedensforum 5/03

Deutsche U-Boote für Israel atomar bestückbar?

Christopher Steimetz


Am 12. Oktober 2003 veröffentlichte die Los Angeles Times einen Bericht über die Fähigkeit der israelischen Marine, von den drei in Deutschland gebauten U-Booten des Typs Dolphin Raketen mit atomaren Sprengköpfen zu verschießen. Damit rückte eines der kontroversesten Rüstungsexportgeschäfte Deutschlands wieder in den Blickpunkt. Zu Recht wurde die Frage aufgeworfen, ob die Bundesregierung damals (un-)wissentlich einen Beitrag zur nuklearen Proliferation im Nahen Osten geleistet hat. Inzwischen wurde außerdem bekannt, dass die israelischen Behörden derzeit "technische Vorgespräche" über den Bau von zwei weiteren U-Booten in Deutschland führen. Der weitere Verlauf dieser "Gespräche" ist nichts anderes als ein Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der rot-grünen Rüstungsexportkontrollpolitik.


Die Vorgeschichte
1991 stimmte die Bundesregierung dem Bau von zwei U-Booten für Israel zu und bewilligte dafür etwa 880 Mio. DM aus dem Haushalt. Mitte der 90er Jahre folgte die Zustimmung für ein drittes U-Boot, diesmal mit einem Zuschuss von 220 Mio. DM. Basierend auf Entwürfen des Ingenieurskontors Lübeck (IKL) wurden damals die Rüstungsunternehmen Howaldtswerke Deutsche Werft (HDW) und Thyssen Nordseewerke (TNSW) mit dem Bau beauftragt. Die offiziellen israelischen Vorgaben für die U-Boote waren zwar anspruchsvoll, aber im Rahmen des Üblichen. Klein und leicht sollte es sein, geeignet für militärische Operationen in küstennahen flachen Gewässern, wie z.B. dem gesamten Mittelmeerraum oder Indischen Ozean. Vor allem ging es um seegestützte Aufklärungsfähigkeit und Kontrolle des Seeverkehrs. Das U-Boot sollte über leichte und schwere Torpedos verfügen und mit einer kleinen Besatzung auskommen. Und schließlich sollten auch Kampftaucher und andere Spezialeinheiten von den U-Booten abgesetzt werden können.

Israelische Ingenieure beaufsichtigten das gesamte Vorhaben vor Ort und erarbeiteten gemeinsam mit den HDW-Ingenieuren technische Lösungen. Gemäß den israelischen Wünschen wurde eine komplett neue Bugsektion entworfen, die über zehn Torpedorohre mit zwei unterschiedlichen Kalibern verfügt (6x 533mm und 4x650mm). Dies war eine bis dahin in den westlichen Unterwasserwelten einmalige Konstruktion. Das Kaliber 650mm wurde bis dato nur von russischen U-Bootstypen verwendet, zum Abschuss von Schwergewichtstorpedos sowie für eine Reihe von offiziell als zur Bekämpfung von Unterseezielen deklarierten Raketen mit atomaren Sprengköpfen, wie z.B. die SS-N-16 (mit einer Reichweite von etwa 120 km).


Das 650mm Rätsel
Defacto sind die israelischen Dolphin mit ihren 650mm Rohren neben den drei U.S. Seawolf U-Booten mit deren 760mm Rohren die einzigen U-Boote, die über ein Kaliber verfügen, für das im Arsenal der jeweiligen Marine eigentlich keine Waffen vorhanden sind. Dieses technische "Detail" wirft also unweigerlich die Frage nach dem geplanten Einsatzzweck der U-Boote auf. Es ist unwahrscheinlich, dass Israel eine den russischen U-Booten ähnliche Bewaffnung für ihre Dolphin anstrebte. Bereits Anfang der 90er Jahre war z.B. klar, dass Israel auch deutsche 533mm Schwergewichtstorpedos des Typs Seehecht (DM 2A3), finanziert durch U.S. Militärhilfe, erhalten würde. Ist Israel also in den 90er Jahren davon ausgegangen, in naher Zukunft über einen Flugkörper ausreichender Reichweite zu verfügen, um Landziele anzugreifen, und dessen Abschussbehälter nicht in ein 533mm wohl aber in ein 650mm Rohr passt?

Nach Angaben der US-Streitkräfte soll die israelische Marine bereits im Jahr 2000 vor Sri Lanka den Einsatz seegestützter Marschflugkörper getestet haben. Solche Raketen können auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden. Darauf angesprochen, antwortete Eli Marum, Operationschef der israelischen Marine, im September 2002 mit einer Gegenfrage: "Sie wissen wer unsere Nachbarn sind. Glauben Sie, dass wir Langstreckenraketen testen sollten?"

Mit diesen und anderen ambivalenten Stellungnahmen fördern die israelische Regierung und die Armee die Spekulationen über die atomare Kapazität der U-Boote. Es gilt seit vielen Jahren als offenes Geheimnis, dass Israel über boden- und luft-gestützte Atomwaffenarsenale verfügt und auch bereit ist, diese einzusetzen. Mit atomar bewaffneten U-Booten wäre die nukleare Triade perfekt und Israel hätte eine gesicherte Zweitschlagsfähigkeit. Schon am 1. Dezember 1990 hatte der ehemalige Kommandeur der israelischen Marine, General Major Avraham Botzer in der Fernsehsendung "A New Evening" (1. Programm) gesagt: "Diese U-Boote müssen Mittel des Staates Israel sein. (...) Überall auf der Welt dienen U-Boote als Teil des Abschreckungssystems gegen nicht-konventionelle Kriegführung. (...) Sie sind ein Weg, um zu garantieren, dass der Feind sich nicht herausgelockt fühlt, präemptiv mit nicht-konventionellen Waffen zuzuschlagen und doch ungestraft davonzukommen.

Allerdings kann aus israelischer Sicht eine seegestützte nukleare Abschreckung nur dann ein strategisches Element darstellen, wenn es auch gegen weiter entfernte potentielle Gegner einsetzbar ist. Die Flugkörper müssten eine Reichweite von über 500 km haben, damit sie ohne Risiko für die eigene Bevölkerung einsetzbar wären. Die von der L.A. Times in diesem Kontext genannten amerikanischen Sub-Harpoon Raketen mit einer Reichweite von max. 200 km kämen daher nicht in Frage. Tomahawk-Marschflugkörper mit einer Reichweite von etwa 2.500 km wären dagegen sehr wohl geeignet. Allerdings reichen für deren Abschuss die 533mm Rohre aus, und die USA haben außerdem entsprechende Anfragen Israels bereits abgelehnt. Der Zweck der 650mm Torpedorohre gibt also weiter Rätsel auf. Ein Rätsel, an deren Auflösung sich die Bundesregierung Ende der 90er noch nicht beteiligen wollte - trotz der Mitverantwortung für den Bau und die Finanzierung der drei U-Boote. Auf Nachfrage der damaligen MdB Beer (Bündnis90/Die Grünen) im Jahr 1999, erklärte die Bundesregierung nur lapidar, dass man über den Verwendungszweck dieser Rohre keine Informationen habe und im übrigen diese Rohre für die Auslieferung an die israelische Marine mit Führungsschienen auf 533 mm verkleinert wurden.


Absichtliche Sorglosigkeit?
Das Verhalten der Bundesregierung kann unter dem Gesichtspunkt der Nichtweiterverbreitung im günstigsten Fall als fahrlässig bezeichnet werden. Alleine die Tatsache, dass Israel lediglich der C-Waffenkonvention unterschrieben hat und noch kein ABC-Kontrollabkommen ratifiziert hat, hätte zu einer genaueren Prüfung des Sachverhalts führen müssen. Die Bundesregierung hätte das Risiko minimieren müssen, dass die U-Boote als atomare Trägerplattform eingesetzt werden können. Ohne eine eindeutige diesbezügliche Zusicherung Israels hätten die U-Boote auch von der rot-grünen Bundesregierung nicht ausgeliefert werden dürfen.

Doch wie zweischneidig selbst letztere Auflage gewesen wäre, zeigt sich auch in der gegenwärtigen Diskussion um eine mögliche Lieferung von zwei weiteren Dolphin an Israel. Auch hier müsste die Bundesregierung vorher zweifelsfrei ausschließen können, dass die U-Boote mit Nuklearwaffen bestückbar wären. Da dies aber letzten Endes technisch immer möglich ist, müsste eigentlich eine kategorische Absage auch an technische Vorgespräche erteilt werden. Jenseits einer kategorischen Absage birgt jede weitere Diskussion den Keim für eine spätere Qualifizierung der Genehmigungsentscheidung. Trotz des Wettrüstens im Spannungsgebiet des Nahen Ostens wird dann nichts mehr einer Lieferung von weiteren "konventionellen" Dolphin U-Booten im Wege stehen - natürlich mit entsprechenden "Zusicherungen" und "Garantien" Israels.

 

   ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS.