Mani Stenner – Versuch eines Nachrufs
von Otfried Nassauer
Kaum etwas ist mir je schwerer
gefallen. Ich muss
mich von Mani Stenner verabschieden. Im Juli ist er plötzlich
und
völlig unerwartet gestorben, gerade mal 60 Jahre alt. Ein
Herzinfarkt hat ihn aus der Arbeit und mitten aus dem Leben gerissen.
Mit ihm verlor die deutsche Friedensbewegung einen ihrer wichtigsten
Köpfe und Bonn einen seiner engagiertesten Bürger.
Ich verlor einen
langjährigen, verdammt guten Freund. Mein minimaler Trost:
Mani
musste wohl nicht lange leiden.
Die große
Überschrift über Manis Leben war eine
Vision: „Frieden schaffen – ohne Waffen“.
Frieden war ihm nicht
die Abwesenheit von Krieg, sondern ein Prozess. Mani bekämpfte
Not,
Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Intoleranz in all ihren Facetten. Er
tat es mit Überzeugungskraft und großer Konsequenz
sowie mit
unendlich viel friedvoller Energie, mit nicht endender Geduld, ganz
ohne und doch manchmal bis an die Grenze zur Selbstverleugnung.
Mein Verstand will es immer noch
nicht
akzeptieren: Keine Aussicht mehr auf ein letztes Glas Wein tief
nächtens in der Küche, keine letzte Zigarette, kein
letzter,
inspirierender Gedanke, den ich mit in den Schlaf nehmen
könnte,
keine letzte Umarmung.
Von
Anfängen mit Weitsicht
Mani Stenner ist mir Anfang der
80er Jahre
erstmals begegnet, als er ehrenamtlich im Büro des
Koordinationsausschuss der Friedensbewegung (KA) mithalf und die
Verbindung zum lokalen Bonner Friedensplenum war. Er wurde mir
schnell ein guter Freund und blieb es mehr als 30 Jahre lang.
Menschlich genauso wie politisch.
Schon vor Eintreffen der ersten
neuen atomaren
Mittelstreckenraketen im Herbst 1983 begannen wir, darüber
nachzudenken, ob die Stationierung dieser Raketen für die
Friedensbewegung eine Niederlage sei. So sahen es damals viele. Die
SPD hatte die Bundestagswahl verloren, die DKP-nahen Gruppen hatten
immer darauf bestanden, dass allein die Verhinderung der
Stationierung dieser Raketen im Zentrum der Arbeit stehen sollte. Nun
standen sie mit leeren Händen da, hatten keine Strategie mehr
für
die Friedensbewegung. Auch ihre Ratgeber aus dem Osten boten keine
Lösung an. Wir, Mani und einige Freunde diskutierten ganz
anders:
Nicht Resignation, Fatalismus oder Wunden lecken war angesagt
–
sondern ein Aufbruch zu neuen Ufern. Neues konnte beginnen, weil der
Ausbruch aus dem beengenden Minimalkonsens der Ein-Punkt-Bewegung
gegen die Nachrüstung endlich möglich wurde.
Jetzt galt es, das
größere Ganze infrage zu
stellen, den ganz alltäglichen Wahnsinn einer
Sicherheitspolitik und
einer NATO-Strategie, die glaubte, mit Tausenden atomarer und
Zehntausenden konventioneller Waffen in Europa Frieden wahren zu
können, obwohl ein Krieg garantiert all das zerstört
hätte, was
vorgeblich verteidigt werden sollte. Aus unserer Sicht hatte die
Friedensbewegung den viel wichtigeren Kampf um die Köpfe der
Menschen in Deutschland gewonnen. Die atomare Abschreckung war in
entscheidenden Punkten delegitimiert. „Die Herrschenden
können
sich jetzt auf Jahre den Versuch abschminken, ncoh mal neue
Atomwaffen aufzustellen, wenn es nur gelingt, die
Öffentlichkeit
wach zu halten“. Ein Satz, der unsere damalige Stimmung
kennzeichnete. Wichtige Leitmedien, die in die Opposition verbannte
SPD und die neu in den Bundestag eingezogenen Grünen
würden neue
Runden der Aufrüstung bei taktischen Atomwaffen nicht mehr
mittragen
– das war klar. Die Bewegung hatte jetzt mehrere
Ansprechpartner im
Parlament. Die Akzeptanz für Aktionen zivilen Ungehorsams war
deutlich gewachsen. Wir waren der festen Überzeugung: die
Friedensbewegung kann jetzt weit über ihr traditionelles
Spektrum
hinaus einen Großteil der Menschen erreichen. Die
NATO-Strategie und
die nukleare Abschreckung können jetzt grundsätzlich
in Frage
gestellt werden.
Mani war einer der ersten, die
diese Möglichkeiten
erkannten und daraus Konsequenzen zog. Über seine Mitarbeit im
Büro
des KA hinaus engagierte er sich bei der Organisation der
Manöverbehinderungen im Fulda Gap und in der Debatte um die
neue
offensiver orientierte AirLand Battle Doktrin der
US-Streitkräfte.
Obwohl (oder weil) der KA sich eine „Denkpause“
verordnet hatte –
eine Euphemismus für seine partielle Lähmung und
Handlungsunfähigkeit – begann Mani, mit den
Ressourcen des
KA-Büros zur Vernetzung örtlicher und regionaler
Aktivitäten der
Friedensbewegung beizutragen. Ende 1985 wurde er – auch
mangels
Interesse der großen Organisationen in der Friedensbewegung -
Geschäftsführer des KA-Büros. Die
größeren Organisationen, die
über Geld verfügten, hatte dieses Büro
bereits weitgehend
abgeschrieben. Mani wollte nicht mehr Geld für seine Arbeit
als er
zum Überleben brauchte. Notfalls auch mal gar nichts
– das machte
ihn konkurrenzlos. Die Manöverbehinderungen im Fulda Gap 1984,
die
Großdemonstration im Hunsrück 1986 und eine
Großdemonstration in
Bonn 1987 wurden zu von vielen unerwarteten Erfolgen. Mehr als
100.000 Menschen nahmen daran jeweils teil.
Weitsichtige Vernetzung
Im Umfeld der Bonner
Demonstration 1987 dann der
nächste Schritt: Wieder gehörte Mani zu den ersten,
die das
richtige Gespür für die längerfristige
Entwicklung hatten. Im
kleinen Kreis begannen Diskussionen, ob mit dem INF-Vertrag die
Zeiten, in denen bundesweite Großdemonstrationen die zentrale
Ausdrucksform der Friedensbewegung waren, nicht zu ende gehen
würden.
Sinnvoller sei es, künftig die Infrastruktur zum
Informationsaustausch und zur Vernetzung all der örtlichen,
regionalen und unterschiedlich-inhaltlichen Aktivitäten gegen
regionale Militarisierung, Tiefflug, Nuklearwaffen und vieles andere
mehr bereitzustellen. Es sollte bis 1989 dauern, bis diese Einsicht
auch formal umgesetzt wurde und der aus seiner
„Denkpause“ nie
mehr wirklich erwachte KA zugunsten der Neugründung des
Netzwerks
Friedenskooperative beerdigt wurde. Mani übernahm auch in der
neuen
„Struktur der Willigen“ wieder die
Geschäftsführung des Büros,
das mit Kristian Golla im Herbst 1988 wieder einen zweiten
dauerhaften Mitarbeiter bekommen hatte. Diese Veränderungen
spiegelten längst existente Realitäten. Den
unregelmäßig
erscheinenden KA-Rundbrief machte Mani zu einer
regelmäßigen
Zeitschrift, die auch abonniert werden konnte –
zunächst als
„Rundbrief der Friedensbewegung“ und
später als „Friedensforum“,
das bis heute als Instrument der Vernetzung erscheint und eine
wichtige Rolle spielt.
Auch die neue Struktur erlaubte
es, die
Verantwortung für die Durchführung bundesweiter
Großdemonstrationen
und Kampagnen zu übernehmen. Sichtbares Beispiel
dafür war die
kurzfristig geplante Bonner Großdemonstration gegen den
Golfkrieg im
Januar 1991. Rund 250.000 Menschen nahmen daran teil. Die
organisatorische Leistung war nicht zu überschätzen,
gab es doch
nach der Deutschen Einheit viele der Organisationen nicht mehr, die
früher mit finanzieller Unterstützung aus der DDR
über bezahltes
Personal verfügten. Ihre Mobilisierungsfunktion ersetzte nun
weitgehend das Netzwerk mit seiner minimalen Bonner Infrastruktur.
Die Netzwerkfunktion der
Friedenskooperative
rückte auch in den Folgejahren immer stärker ins
Zentrum.
Sichtbarer Ausdruck wurde die Internetseite
www.friedenskooperative.de,
die in den 1990ern entstand. Mani bastelte aus der Datenbanksoftware
dbase3+, dem Textverarbeitungsprogramm Word 5 und vielen
selbstgeschriebenen Softwarebausteinen in jahrelanger Kleinarbeit ein
Konstrukt, das fast alle Aufgaben erledigen konnte, die heute moderne
Content-Management-Systeme erleichtern. So funktioniert die Seite bis
heute. Sie ist zentraler Ort des Informationsaustauschs über
Terminen, Materialien, Argumente und Aktivitäten zwischen den
Organisationen und Initiativen in der Friedensbewegung.
Als 1997/98 der Umzug der
Bundesregierung von Bonn
nach Berlin näher rückte, stand erneut eine
strategische
Entscheidung an. Ich erinnere mich an die kurze Debatte mit Mani:
„Du
weißt, ich muss Dich das fragen: Sollte die
Friedenskooperative auch
nach Berlin umziehen?“ fragte ich ihn. Seine Antwort:
„Nein, Bonn
hat genau die richtige Größe für mich.
Etwas Distanz zur großen
Politik tut uns ganz gut. Wenn die Politik was von uns will, dann
kann ich auch mal nach Berlin fahren.“ Mani behielt recht,
nicht
zuletzt, weil er in Berlin nie hätte tun können, was
er in Bonn
bereits seit mehr als 15 Jahre höchst erfolgreich tat.
Mani war immer lokal in Bonn
engagiert. Im Bonner
Friedensplenum, in unzähligen Initiativen und
Bündnissen. Bonn
sicherte seine Bodenhaftung Was in den Bonner Bündnissen
ausgehandelt wurde, taugte oft auch auf Bundesebene. Mit dem
„Bonner
Forum für BürgerInnen und Polizei“ hatte
Mani sich auf einen
Dialog mit leitenden Polizeibeamten in der alten Bundeshauptstadt
eingelassen, der Deeskalationsstrategien für Demonstrationen
und
Aktionen des zivilen Ungehorsams ermöglichte - das sogenannte
„Bonner Modell“. So umstritten wie erfolgreich. Er
arbeitete in
örtlichen Nord-Süd-Projekten, engagierte sich gegen
das
Wiedererstarken rechtsextremen Gedankenguts genauso wie gemeinsam mit
Globalisierungsgegnern. All das wiederum floss in die Erweiterung der
Vernetzungsarbeit auf Bundesebene ein. Häufig führte
am Netzwerk
Friedenskooperative weder organisatorisch noch
bündnispolitisch ein
Weg vorbei. Der wurde immer freiwillig eingeschlagen, nicht zuletzt,
weil es Mani’s Überzeugung widersprochen
hätte, anderen etwas
„wegzunehmen“ oder für das Netzwerk als
„Zentrale zu
reklamieren“. Selbstverständlich warb das Netzwerk
auch für die
Ostermärsche, die traditionell vom Frankfurter
Ostermarschbüro
vorbereitet wurden.
Mani Stenner besaß die
seltene Fähigkeit,
unterschiedlichste Strömungen zusammen zu führen, mit
politischen
Gegnern produktive Dialoge zu führen und seine Vorstellungen
von
einer friedlicheren und gerechteren Welt auch gegenüber den
Mächtigen der Gesellschaft zu vertreten. Möglich war
ihm das auch,
weil er über ein gehöriges Maß an
sympathischer stoischer
Sauerländer Sturheit verfügte, die man kaum bewusst
wahrnehmen
konnte. Aus der Ruhe brachte ihn so schnell nichts, vor allem nicht
unterschiedliche Meinungen.
Und jetzt? Jetzt bin ich am Ende
der mir
zugestandenen Zeilen. Aber noch lange nicht am Ende all dessen, was
es wert wäre in Erinnerung gerufen zu werden. Und vor allem
auch
nicht am Ende dessen, was es wert wäre, für die
Zukunft zu
bewahren. „Frieden schaffen – ohne
Waffen“ ist ein Prozess, der
nie zu ende geht. Das war Manis „Agenda für den
Frieden von
unten.“
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS.
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