Januar 2001
Friedensforum 1/01 

 

Bush-Krieger?

Otfried Nassauer

Ein illustres, erfahrenes, uneinheitliches und von Pentagon-Veteranen sowie Industrieinteressen dominiertes Team hat der neue amerikanische Präsident, George W. Bush, mit der künftigen Gestaltung der US-Außenpolitik betraut. Dick Cheney, der Vizepräsident, war US-Verteidigungsminister während des Golfkrieges; sein damaliger Generalstabschef, Colin Powell, ist jetzt Außenminister. Der neue Verteidigungsminister, Donald Rumsfeld, hatte diesen Posten schon vor mehr als 20 Jahren einmal unter Präsident Ford inne und war auch einmal NATO-Botschafter. Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, die konservative Wissenschaftlerin aus Stanford, ist ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt. Während der Regierung von George W. Bush senior war sie im Nationalen Sicherheitsrat für Osteuropa und Russland zuständig und mischte bei Verhandlungen über die deutsche Vereinigung mit.

Bis in die europäischen Regierungen hinein runzelt sich angesichts der extrem konservativen Ausrichtung der neuen Administration so manche sorgenvolle Stirn. Befürchtet wird, dass die neue Regierung ohne außenpolitische Rücksicht auf Verluste das Projekt einer Nationalen Raketenverteidigung (NMD) vorantreibt und wichtige Rüstungskontrollverträge wie den ABM-Vertrag, den atomaren Teststopp-Vertrag (CTBT) oder Vertrag über ein Verbot der militärischen Nutzung des äußeren Weltraums einfach auf den Müllhaufen der Geschichte wirft. Befürchtungen werden laut, das System der internationalen Rüstungskontrolle und vor allem die Effizienz der Nichtverbreitungsregime könnten zerstört werden. Manchem schwant, dass die neue Regierung nicht nur die Militärausgaben der USA deutlich erhöhen könnte, sondern auch die europäischen Staaten zu deutlich erhöhten Verteidigungsausgaben und noch deutlicherer Unterordnung unter die amerikanische Führungsrolle pressen könnte. Ein neues ungebremstes Wettrüsten könne die Folge sein. Wieder andere befürchten, dass sensibel zu handhabende außenpolitische Beziehungen - so zu Russland, China, Indien, dem Iran und anderen Staaten - schnell und langanhaltend geschädigt werden könnten.

Im Kern laufen all diese Bedenken auf zwei zentrale Aspekte hinaus: Zum einen könnte die neue Regierung die US-Politik so radikal verändern, dass die nach dem Ende des Kalten Krieges mühsam aufrechterhaltene Stabilität des Internationalen Systems nachhaltig gefährdet würde - vor allem durch eine in wachsendem Maße unilateral ausgerichtete US-Politik. Zum anderen wird mit Argusaugen auf jene Aspekte der künftigen amerikanischen Politik geachtet, die Veränderungen des eigenen, nationalen Handlungsspielraums zur Folge haben könnten.

Anzeichen, die solche Befürchtungen rechtfertigen könnten, gibt es zuhauf. Donald Rumsfeld bezeichnete den ABM-Vertrag bereits als altertümliches Relikt (ancient history) und Colin Powell erklärte ihn in seiner derzeitigen Fassung für "nicht länger relevant". Rumsfeld stellte klar, die neue Administration werde den Teststopp-Vertrag nicht erneut zur Ratifizierung vorlegen, und Powell ergänzte, vorerst gebe es aber auch keine Notwendigkeit, erneut Atomwaffen zu testen. Eine von Rumsfeld geleitete Kommission zur künftigen militärischen Weltraumpolitik der USA warnte kürzlich vor einem Pearl Harbor aus dem Weltraum, und während seiner Nominierungsanhörung im Kongress machte Rumsfeld darauf aufmerksam, dass die nukleare "Abschreckung" dringlich durch einen Mix offensiver nuklearer und defensiver konventioneller Waffen modernisiert werden müsse.

Colin Powell und Präsident Bush kündigten an, sie würden eine Politik des "ausgeprägt amerikanischen Internationalismus" verfolgen - ein deutliches Indiz dafür, dass demokratische Konzepte einer "ethisch motivierten Außenpolitik" auch rhetorisch wieder durch am nationalen US-Interesse orientierte Begründungsmuster abgelöst werden sollen. Condoleezza Rice spielte kurzzeitig schon einmal mit dem Gedanken eines Abzugs der US-Truppen vom Balkan, wurde aber zurückgepfiffen.

Zugleich: Übereilte Hast scheint die neue Regierung auch wieder nicht an den Tag legen zu wollen. Dies machen die Entscheidungen der ersten Amtstage deutlich. Zu erwarten war, dass sie all jene umstrittenen Vorhaben, die ihre Vorgängerin schnell noch auf den Weg brachte, stoppen würde. Parallel dazu wurde angekündigt, die bisherige Politik auf einer Vielzahl von Feldern einer grundsätzlichen Überprüfung zu unterziehen: Außenminister Powell lässt die Sanktionspolitik der Clinton-Administration überprüfen, ebenso die China- und Russland-Politik. Verteidigungsminister Rumsfeld lässt - wie gesetzlich vorgeschrieben - die Nuklearpolitik durch einen Nuclear Policy Review (NPR) und die restliche Militärpolitik durch einen Quadroannial Defense Review (QDR) überprüfen.

Zudem beabsichtigt er eine Überprüfung der bisherigen Pläne für den Bau eines NMD-Systems. Diese Schritte reflektieren ein Vorgehen, das für eine neue Regierung normal ist. Zugleich kosten sie Zeit - lassen klare Signale und Taten frühestens in 6-12 Monaten erwarten. Schon warnen erste konservative Kommentatoren, die Wende dürfe nicht zu langsam vollzogen werden. Die Washington Times, das Flaggschiff der rechten Presse, forderte Bush nur drei Tage nach seinem Amtsantritt auf, er solle "ohne Verzögerung den ABM-Vertrag kündigen und die Stationierung (von NMD) anordnen", bevor die Gegner solcher Schritte "ihre Kräfte sammeln können". Die amerikanische Rechte fordert die Einlösung der Wahlversprechen. Was also ist von der neuen Regierung wirklich zu erwarten?

Absehbar ist, dass die US-Außenpolitik der Zukunft noch stärker als bislang von der innenpolitischen Diskussion und Großwetterlage beeinflusst wird. Aufgrund des umstrittenen Wahlausgangs ist Bush ein Präsident, der geschwächt startet und unter hohem Erwartungsdruck seitens seiner extrem konservativen und ideologisch geprägten Wählerklientel steht. Während es theoretisch denkbar wäre, dass der neue Präsident versucht, sich durch schnelles, radikales Umsteuern und signifikante Veränderungen Respekt zu verschaffen und das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen, birgt dieses Vorgehen gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik gleich mehrere hochriskante Gefahren: Die innenpolitische Opposition könnte schnell und entscheidend an Boden gewinnen; der außenpolitische Schaden könnte immens sein; und vielleicht entscheidend: Die finanziellen Kosten einer ungebremsten Politik militärischer Stärke stehen in direkter Konkurrenz zu Bush`s wichtigstem innenpolitischen Wahlversprechen: einer massiven Steuersenkung.

Die Bush-Administration wird deshalb versuchen müssen, die Erwartungshaltung der eigenen Wählerschaft und die negativen außenpolitischen Nebenwirkungen gegeneinander auszubalancieren. Dazu zwingt auch die Stimmenparität im mächtigen US-Senat. Dies kann nur gelingen, wenn neben kontroversen auch Schritte unternommen werden, die innen- und außenpolitisch weitgehend ungeteilte Zustimmung finden. Deshalb ist mit folgenden Entwicklungstendenzen zu rechnen:

Die politische Rhetorik der USA in Bereichen, die für die innenpolitische Debatte im konservativen Spektrum von hohem Symbolwert sind, so z.B. im Bezug auf die Bedrohungsbilder, die Höhe der Verteidigungsausgaben und die Nationale Raketenabwehr wird deutlich schärfer. Deutlicher wird auch die Rhetorik gegenüber Russland, China und anderen Staaten, die nicht als Partner betrachtet werden.

Die Ausgaben für die US-Streitkräfte, insbesondere für potentielle Zukunftstechnologien (Luft- und Raumfahrt-Industrie, Informatik, Nanotechnologie, Bio- und Gentechnologie), aber auch im Blick auf die Einsatzbereitschaft der US-Streitkräfte werden beginnend mit dem Haushalt 2002 deutlich ansteigen.

Die SDI-Initiative Ronald Reagans wird breit wiederaufgenommen. Die Forschung an einem umfassenden, mehrstufigen Abwehrsystem wird wiederbelebt. Mittel für die weltraumgestützten Elemente der Raketenbekämpfung und Systeme zur Bekämpfung von Raketen in der Startphase (Boost Phase Intercept) dürften in erheblich größerem Umfang bereitgestellt werden. Unklar bleibt zunächst, ob schnell mit der Stationierung des von der Clinton-Administration vorbereiteten Systems Nationaler Raketen-Verteidigung begonnen und damit de facto ein Ausstieg aus dem ABM-Vertrag erforderlich wird, oder ob - über den Weg einer gründlichen Überprüfung dieses Vorhabens - dieses vorläufig teilweise oder ganz zu einer in Clinton`scher Verantwortung liegenden Fehlinvestition mit mangelnder Effizienz erklärt wird, um Zeit und politischen Spielraum für eine Einigung mit Russland, China und anderen Kritikern zu gewinnen. Regionale, kriegsschauplatzgebundene Systeme der Raketenabwehr werden dagegen systematisch weiterentwickelt und disloziiert. Die Bündnispartner in Europa und Asien sollen so in die amerikanische Politik eingebunden werden.

Die vertraglich vereinbarte Rüstungskontrolle (vor allem im bilateralen Verhältnis zu Russland) verliert politisch an Bedeutung; dies schließt aber nicht aus, dass in der Tradition der Regierung Bush senior an Initiativen zu weitreichender nuklearer Abrüstung durch wechselseitig einseitige Reduzierungen gearbeitet wird. Diesem Vorgehen kann unter Umständen der START-Prozess zum Opfer fallen, während zugleich weitreichendere Abrüstungsschritte umgesetzt werden, als in diesen Verträgen vorgesehen. Der Vorteil aus Sicht der neuen Administration: Die Abrüstung bleibt reversibel, da sie nicht rechtlich bindend vereinbart wurde. Zudem kann vorerst offen bleiben, ob die neue Administration die Entwicklung einer neuen Generation nuklearer Waffen, sogenannter Mini-Nukes zur Bekämpfung tief verbunkerter Ziele, einleitet.

Militärische Interventionen dürften mit größerer Zurückhaltung angegangen werden, vor allem dann, wenn sie mit potentiell langen Stehzeiten größerer Verbände verbunden sind. Das nationale Interesse der USA an einem möglichen Einsatz wird auch rhetorisch wieder zum wichtigsten Entscheidungskriterium. Unklar ist, ob mit Europa eine Arbeitsteilung nach dem Motto "Wir machen den Kampfeinsatz aus der Luft, ihr die Nachsorge am Boden" angestrebt wird, oder ob Europa künftig öfter vor die Entscheidung gestellt wird, ohne die USA zu intervenieren. Auf europäische, moralische, ethische oder humanitäre Begründungen für militärische Interventionen wird die neue Administration sich lediglich zu propagandistischen Zwecken, nicht aber im Rahmen der Entscheidungsfindung einlassen.

Zugleich wird sie auf höhere Militärausgaben in Europa drängen und höhere europäische Investitionen in militärische Zukunftstechnologien einfordern. Dies ist mit der Hoffnung auf steigende Rüstungsexporte aus den USA verbunden. Eine Debatte über eine bessere Lastenteilung im Bündnis kommt innenpolitisch in den USA immer gut an. Unklar ist aber derzeit, ob Europa gleichzeitig das Zugeständnis höherer Eigenständigkeit im Blick auf militärische Interventionen gemacht werden wird, da die neue Administration für sich höhere Hürden und klarere Voraussetzungen für Einsätze der US-Streitkräfte sehen wird als ihre Vorgängerin.

Die Bush-Administration dürfte es sehr schwer haben, sich an die Veränderungen nach dem Ende des Kalten Krieges anzupassen. Acht Jahre und mehr sind die Republikaner nicht mehr aktiv an der Gestaltung amerikanischer Regierungspolitik beteiligt gewesen. Viele von ihnen werden aus ihrer Lebenserfahrung, d.h. aus der Erfahrung des Kalten Krieges, heraus agieren und damit Gefahr laufen, historisch begründete politische Rezepte auf eine deutlich veränderte Wirklichkeit anzuwenden.

 

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).