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Freitag
24. August 2001 |
Asien im Visier
Macht, Märkte und Energie
Otfried Nassauer
Die Vereinigten Staaten haben einen Strategiewechsel
vorgenommen. »America first« ist unter George W. Bush de facto zur außen- und
sicherheitspolitischen Staatsräson geworden. Das hat Folgen - für »den Rest der Welt«,
egal ob Freund oder Feind. Und für die Vereinigten Staaten selbst - inklusive ihrer
Militär- und Streitkräftepolitik. Vor allem Asien beschäftigt die Politik- und
Militärstrategen in den Vereinigten Staaten seit der Texaner George Bush zusammen mit dem
Ölmanager Dick Cheney regiert.
Asien ist einer der am schnellsten wachsenden Energiemärkte, aber auch eine der
energiereichsten Regionen der Erde. Von der Türkei und dem Transkaukasus über den
Mittleren Osten bis hin nach Zentralasien oder auch Myanmar, dem ehemaligen Burma - die
Konfliktpotenziale sind so umfangreich wie die Energieressourcen. In Asien entstanden und
entstehen neue Nuklear- und Raketenmächte. In Asien erlitt die Supermacht USA ihr
größtes Trauma - Pearl Harbour - und ihre wichtigste militärische Niederlage - in
Vietnam.
Asien betrachtet die neue amerikanische Regierung als zentrale Herausforderung. Im
Vergleich zu ihrem eigenen Anspruch weltweiter, militärischer Hegemonie und Dominanz sind
die Möglichkeiten amerikanischer militärischer Machtprojektion hier jedoch
vergleichsweise begrenzt. Im Gegensatz zu Europa fehlen feste, effiziente militärische
Bündnisstrukturen, umfassende Stationierungsrechte und wesentliche Elemente
militärischer Integration oder gar der militärischen Interoperabilität mit örtlichen
Partnern. Die Entfernungen sind viel größer, so dass die Reichweite und Fähigkeiten
vieler Waffensysteme, die für die Szenarien des Kalten Krieges in Europa entwickelten
wurden, für eine effiziente, militärische Machtprojektion in Asien unzureichend
erscheinen.
Wie also den amerikanischen Einfluss sichern? Was tun, wenn sich der Iran, Indien und
Japan zusammentun, um die Seewege für die schnell wachsenden Energietransporte nach Ost-
und Südostasien freizuhalten und sie gegen Piraten zu schützen, die von China
unterstützt werden? Was tun, wenn diese Staaten eine Involvierung Washingtons nicht
wünschen und das Sicherheitsproblem auf hoher See in die eigene Hand nehmen? Was tun,
wenn Pakistan zusammenbrechen sollte und seine Regionen beschließen, sich Indien
anzuschließen? Was tun, wenn sich in Folge dessen die Taliban-Regierung in Afghanistan
nicht mehr halten kann und das Land in drei Teile zerbricht, die sich Indien,
Tadschikistan und dem Iran anschließen? Was tun, wenn ein schwächelndes China sich in
einer Phase schwindender Stärke entschließt, Taiwan gewaltsam ins Reich der Mitte
zurück zu holen? Wie vorgehen, wenn Taiwan - um dem vorzubeugen - ein eigenes
Nuklearpotential aufbaut, wenn Japan sich entschließt, Nuklearmacht zu werden?
All diese Fragen entstammen nicht dem Denken verwirrter Politikwissenschaftler oder
Zukunftsforscher. Sie werden von einem der einflussreichsten Denker des amerikanischen
Verteidigungsministeriums aufgeworfen. Andrew Marshall, 79 Jahre alt, wurde von
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit der Ausarbeitung der Schwerpunkte und
langfristigen Perspektiven amerikanischer Strategie betraut. Vor zwei Jahren ließ er -
ein Anhänger der so genannten Spieltheorie - seine berühmte Sommerschule am Naval
War College Asiens Entwicklungsperspektiven und die Handlungsmöglichkeiten der USA
bis zum Jahre 2025 vordenken. Heute beeinflussen die Ergebnisse des Experiments die reale
Strategieplanung Washingtons.
Und die neue Administration setzt ihre Schwerpunkte. Graduell gewinnt das Engagement in
Asien gegenüber dem in Europa deutlich an Gewicht. Parallel soll Europa mehr
Verantwortung übernehmen, die Führungsmacht USA bei Konflikten in den Europa nahen
Regionen Asiens stärker militärisch unterstützen, so am Persischen Golf, damit
Washington seine militärischen Kräfte für weiter entfernte Teile Asiens freisetzen
kann.
Doch nicht nur im Verhältnis zu Europa und Asien wird ein gradueller Bedeutungswandel
erwartet, sondern auch innerhalb Asiens. Heute sind die USA vor allem in Ost- und
Nordostasien präsent - in Japan und auf der koreanischen Halbinsel. Künftig - so die
Vorhersage - müssen die USA vor allem im Süden und Südwesten sowie in Zentralasien
engagiert sein. Denn dort befinden sich nicht nur die größten Energievorkommen, dort
verlaufen künftig auch die wichtigsten Energieversorgungswege der Welt. Wenn Asiens
Energieverbrauch so stark steigt wie angenommen, dann verdient dies die besondere
Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten. Aufmerksamkeit meint vor allem auch militärische
Präsenz. Diese bedingt erweiterte Stationierungsrechte, strategische Allianzen und
veränderte Planungen für das Militär der USA.
Colin Powell, der amerikanische Außenminister, nutzte bereits seine erste größere
Asienreise, um vor allem den traditionellen Kooperationspartnern Washingtons in Asien das
gewachsene Gewicht ihrer Region für die amerikanische Politik zu verdeutlichen, ihnen ein
größeres US-Engagement anzukündigen und verstärktes Eigenengagement abzuverlangen.
Japan und Australien ließ er wissen, dass Washington über engere Bündnisbeziehungen
nachdenkt. China verdeutlichte er, dass Peking zwischen Kooperation und Konfrontation
wählen müsse - der chinesische Umgang mit Taiwan sei das entscheidende Kriterium.
Neue Handlungs- und Stationierungsmöglichkeiten für amerikanische Truppen in Asien zu
schaffen, ist besonders wichtig. Überlegt wird, die amerikanische Pazifik-Insel Guam als
zentrales Nachschublager und Flugplatz für Bomber großer Reichweite auszubauen. Große
Teile der in Europa lagernden Kriegsreserven der US-Streitkräfte sollen nach
Südwestasien und Ostasien verlagert werden. Außerdem wird darüber nachgedacht, die
Schlagkraft der US-Luftwaffe und der US-Marine sowie die schnelle Verlegbarkeit von
US-Heereseinheiten im Pazifik systematisch zu verbessern. Doch all das erscheint den
Planern im Pentagon noch nicht hinreichend. Auch vor unkonventionellen Überlegungen
machen die neuen US-Konzepte nicht halt. Die Präsenz amerikanischer Truppen in Korea
könnte im Fall einer Vereinigung der koreanischen Staaten gefährdet sein. Dann müsste
Ersatz her. Zum Beispiel auf den südlichsten Inseln Japans, auf den Philippinen, in
Thailand oder - warum auch nicht - in Vietnam.
Zudem soll verhindert werden, dass regionale Großmächte, die mit den Vereinigten Staaten
rivalisieren, eine eigenständige und konkurrierende Machtbasis entfalten. China ist
bereits ein solcher möglicher Kandidat, den es in Schach zu halten gilt - vor allem im
Blick auf Taiwan. Ein strategisches Bündnis zwischen Peking und Moskau - trotz des neuen
Freundschafts- und Partnerschaftsvertrages unwahrscheinlich - will Washington daher auf
jeden Fall unterbinden.
Indien kommt - auch deshalb - entscheidendes Gewicht zu und soll daher in die
amerikanischen Planungen soweit möglich eingebunden werden. Erste Zeichen waren schnell
gesetzt. Robert D. Blackwill, ein sicherheitspolitisches Schwergewicht, wurde als
Botschafter in New Delhi ernannt. Namhafte Vordenker der neuen Asienpolitik übernahmen
wichtige Posten in der neuen Administration. Die Zeiten, in denen Indien wegen seiner
Atomtests mit Sanktionen belegt wurde, gehen rasch dem Ende entgegen. Kürzlich wurde
vereinbart, dass amerikanische Soldaten den Kampf gegen Guerillas im indischen Dschungel
üben dürfen. Der US-Befehlshaber für den Pazifik, Admiral Blair, bemerkte anlässlich
eines Besuches in Sri Lanka, es gebe viele gemeinsame oder parallele Interessen, bei denen
sich die Zusammenarbeit mit Indien lohne - die Bekämpfung von Piraterie und Terrorismus,
friedenserhaltende Maßnahmen und nicht zuletzt die Sicherheit und Kontrolle nuklearer
Waffen. Selbst die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit Indien bei einem Lieblingsprojekt
der neuen US-Administration - der Raketenabwehr - wurde angedeutet.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit (BITS).
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