Wer A sagt...
von Otfried Nassauer
Der Nebel lichtet sich. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat ein militärisches Eingreifen in Libyen für zulässig erklärt. Das Mandat erlaubt den UNO-Mitgliedern, die es umsetzen wollen, den „Einsatz aller notwendigen Mittel“, vor allem auch militärischer. Frankreich war die treibende politische Kraft, die eine Flugverbotszone über Libyen wollte. Paris übernimmt nun Verantwortung. Es will jene Länder koordinieren, die unter dem Mandat der UNO militärische Maßnahmen gegen Libyen ergreifen. Zusagen gibt es bisher aus Großbritannien, Kanada, Dänemark, Norwegen, Spanien und den USA. Wahrscheinlich werden sich weitere Staaten anschließen, darunter auch arabische.
Die NATO soll – nach französischem Willen - keine herausgehobene Rolle spielen, weil sie in der arabischen Welt nicht den besten Ruf hat. Die USA wollen das ebenfalls nicht - unausgesprochen aus dem gleichen Grund. Das erneute westliche militärische Eingreifen in der arabischen Welt soll diesmal kein amerikanisches Gesicht haben. Für US-Präsident Barack Obama ist Frankreichs koordinierende Führungsrolle deshalb akzeptabel, solange die beteiligten US-Soldaten unter amerikanischem Befehl bleiben.
Frankreich legt das UN-Mandat von Anbeginn an weit aus. Paris lässt auch Ziele am Boden bombardieren, Kampfpanzer und andere Militärfahrzeuge. Die USA konzentrieren sich zunächst auf die Bekämpfung der libyschen Luftabwehr und militärischer Infrastruktur. Sie setzen massiv Marschlugkörper von See aus ein. Großbritannien unterstützt sie dabei. Noch sind relativ wenige Kampfflugzeuge in der Luft, doch bald werden es aber deutlich mehr sein. Nach der ersten Angriffswelle wird derzeit aufgeklärt, was diese erreicht hat. Weitere Kräfte werden für künftige Operationen in Stellung gebracht. Frankreich schickt seinen Flugzeugträger. Kanada macht Kampfjets einsatzbereit. Großbritannien will Tornados und Eurofighter einsetzen. Britische Spezialkräfte haben in den letzten Wochen weitere Ziele in Libyen aufgeklärt und erkundet.
Der Einsatz soll Libyens Opposition vor Angriffen aus der Luft und am Boden schützen und einen Waffenstillstand im Land durchsetzen. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon nannte dies eine „historische Bestätigung“ der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, Menschen vor der Gewalt ihrer eigenen Regierung zu schützen. Über dieses offiziell erklärte Ziel der Operation wird der Militäreinsatz jedoch vermutlich hinausgehen: Unerklärtes Ziel dürfte es sein, das Nötige dazu beizutragen, um die Macht Gaddafis endgültig zu brechen. Damit wird die humanitäre Schutzverantwortung, die Responsibility to Protect (R2P), die als Begründungslogik hinter dem Mandat der Vereinten Nationen steht, deutlich weiter ausgelegt als sie eigentlich reicht.
Und damit beginnt das auch eigentliche Problem. Weder die libysche Luftverteidigung noch die libysche Luftwaffe werden sich als unüberwindliche militärische Hindernisse erweisen. Beide können nur auf Zufalls- oder Achtungserfolge gegen die westlichen Kampfflugzeuge hoffen. Problematisch wird etwas anderes. Was tun, wenn die Rebellen wieder vorrücken wollen? Was, wenn sie es sind, die vorläufig keinen Waffenstillstand akzeptieren, weil Gaddafi derzeit große Teile Libyens wieder kontrolliert? Sollen Kampfjets des Westens ihnen dann den Weg zum Sturz Gaddafis freibomben? Wäre das mit dem Mandat noch in Einklang zu bringen? Beginnt mit der Durchsetzung einer Flugverbotszone möglicherweise eine längere westliche Militäroperation, die – um den Sturz Gaddafis zu ermöglichen – letztlich doch den Einsatz von Bodentruppen erfordern wird?
Es sind zumindest zwei Szenarien, die auf eine solche Möglichkeit hinauslaufen könnten: Zum einen kann es sein, dass die militärische Kraft der Rebellen nicht ausreicht, um Gaddafis Truppen entscheidend zu schwächen. Zum anderen kann es sein, dass die Rebellen letztlich nicht stark genug sind oder nicht einig genug bleiben, um gemeinsam eine neue Regierung zu bilden, die Sicherheit in Libyen ohne ausländische Hilfe garantieren kann. Beide Fälle können dazu führen, dass wer A sagte auch B sagen und letztlich militärische Unterstützung am Boden leisten muss. Dafür gibt es weder ein Mandat noch die Garantie, dass die von Frankreich koordinierte Koalition in diesem Fall zusammenbleiben würde.
Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, ob das Konzept der Responsibility to Protect bei seiner Umsetzung noch erheblich größere Probleme und Fragen aufwirft als bereits in der Theorie.
Update
Auch am zweiten Tag der westlichen Militäraktionen gegen Libyen blieb unklar, wie die Kommandostrukturen des Einsatzes letztlich aussehen sollen. Frankreich beansprucht die Koordination; die Luftwaffenschläge werden offensichtlich von der USS Mount Witney, einem U.S.-Kriegsschiff befehligt auf dem auch mehrere europäische Verbindungsoffiziere tätig sind. Großbritannien wünscht, dass die NATO den Oberbefehl übernimmt. Italien hat angeregt, dass das NATO-Hauptquartier AFSOUTH in Neapel diese Aufgabe übernehmen soll. Bis zum Abend konnte der NATO-Rat aber noch keine Einigung erzielen. Frankreich möchte nicht, dass die NATO eine herausgehobene Rolle einnimmt, weil deren Ruf in der arabischen Welt zu schlecht sei. Andere NATO-Staaten wollen sich an dem Einsatz nicht beteiligen oder stehen ihm – wie die Türkei – skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Auch im Blick auf Zweck und Ziel des Einsatzes werde erste Widersprüche sichtbar. Aus Arabischen Liga wird kritisiert, man habe eine Flugverbotszone gewollt, um libysche Zivilisten zu schützen, nicht aber massive Luftangriffe auf libysche Bodenziele, die Zivilisten gefährden könnten. Man bezweifelt, dass die Luft-Bodenschläge von dem Mandat der Vereinten Nationen gedeckt sind. U.S.-Generalstabschef Michael Mullen machte deutlich, es gehe aus Sicht der USA bei dieser begrenzten Operation nicht um den Sturz Gaddafis, sondern nur um den Schutz der libyschen Zivilbevölkerung. Deshalb werde man Gaddafis Nachschublinien angreifen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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