Von der Kunst, sich zu entfesseln
Erst die Erschießung Osama bin Ladens eröffnet Barack Obamas eigener Friedenspolitik erste Chancen. Ein Paradox?
von Otfried Nassauer
Mehr als zwei Jahre hat Barack Obama benötigt, um die riesigen Kriegsaltlasten seines Vorgängers George W. Bush anzugehen – vor allem im Irak und in Afghanistan. Sie dominieren noch immer seine sicherheitspolitische Agenda. Der Irak inzwischen etwas weniger, Afghanistan dafür um so mehr. Beide Einsätze kosten viel Geld. Geld, das Obama fehlt, um die horrende Staatsverschuldung zu begrenzen, die USA handlungsfähig zu halten und die US-Wirtschaft nach der Finanzkrise zu beleben. Obama muss nun entscheiden, ob er sich auch für den Rest seiner ersten Präsidentschaft weiter vorrangig an den Kriegen seines Vorgängers abarbeitet oder ob er eigene Akzente setzen muss. Dafür bleibt ihm wenig Zeit und vor allem wenig Spielraum. Obama kandidiert für eine zweite Amtszeit und muss deshalb Risiken meiden, die seine Chancen auf eine Wiederwahl verringern könnten.
Trotzdem steht er vor einer Wegscheide. Mit Robert Gates, dem republikanischen Verteidigungsminister, hat ein Schwergewicht seinen Abschied aus der Politik angekündigt. Das erzwingt ein größeres Revirement im Sicherheitskabinett Obamas. Auf Gates soll Leon Panetta folgen, der bisherige CIA-Direktor. Dessen bisherigen Posten soll General Petraeus übernehmen, Obamas Oberbefehlshaber in Afghanistan. Auf Petraeus wiederum folgt Generalleutant Allen, Obamas Oberkommandierender im Irak.
All diese Umbesetzungen haben Signalcharakter: Mit Gates geht ein Minister, der George W. Bush und Barack Obama loyal gedient hat, aber inzwischen amts- und kriegsmüde ist. „Jeder zukünftige Verteidigungsminister, der noch einmal dem Präsidenten rät, ein großes Heereskontingent nach Asien, in den Mittleren Osten oder nach Afrika zu schicken, sollte sich meiner Meinung nach ,am Kopf untersuchen lassen‘, wie es einst General McArthur so feinsinnig formuliert hat.“ Mit dieser Einsicht verabschiedete sich Gates im Februar an der Militärakademie in West Point. Seine ablehnende Haltung gegen eine westliche Intervention in Libyen war deutlich.
Mit Leon Panetta folgt ein loyaler Demokrat und ehemaliger Haushälter auf Gates, der als CIA-Direktor tiefen Einblick in die Bekämpfung radikaler Islamisten und Dschihadisten in Afghanistan und Pakistan mitbringt. Panetta kommandiert sowohl den umstrittenen Drohnenkrieg als auch die umfangreichen verdeckten paramilitärischen Operation der CIA in Südasien. Seine Aufgabe im Pentagon wird es sein, den Militäreinsatz in Afghanistan schrittweise zurückzufahren, die ausufernden Militärausgaben Washingtons in den Griff zu bekommen und die verdeckte Kriegführung des Verteidigungsministeriums und der CIA enger zu verzahnen.
Von den Arabern abhängig
Die Wahl seines Nachfolgers bei der CIA, General Petraeus, signalisiert die gleiche Aufgabenstellung. Petraeus ist ein Spezialist für asymmetrische Kriegführung. Im Irak gelang es ihm durch eine Eskalation des US-Militäreinsatzes, den von Obama gewollten Abzug der amerikanischen Kampfverbände umzusetzen. Derzeit versucht er in Afghanistan eine ähnliche Strategie. An der Spitze der CIA steht damit ein Soldat, der mit der verdeckten Kriegführung und deren Hauptkriegsschauplatz – Afghanistan und Pakistan – bestens vertraut ist.
Als Kommandeur in Afghanistan wird Petraeus von Generalleutnant Allen abgelöst, dem derzeitigen Kommandeur im Irak. Auch damit ist ein klares Signal verbunden: In Afghanistan ist nun die Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit im Lande an die afghanische Regierung das vorrangige Ziel. Barack Obama versprach, in diesem Jahr mit dem Abzug der US-Kampfverbände aus Afghanistan zu beginnen und will dieses Versprechen auch halten. Zugleich bleibt die Bekämpfung des islamischen Terrorismus seine höchste Priorität. Diese Aufgabe soll aber künftig verstärkt mit Spezialkräften und verdeckter Kriegführung wahrgenommen werden und weniger konventionelle militärische Kräfte binden, also auch weniger kosten. Obama weiß, dass der Einsatz in Afghanistan in den USA höchst unbeliebt ist. Er will den Einsatz konventionellen Militärs möglichst bald auf Stabilisierungs- und Ausbildungsmissionen reduzieren.
Die Erschießung Osama bin Ladens eröffnet Barack Obama neue Optionen. Er kann politische Sondierungen mit den Taliban über deren Einbindung in eine künftige Regierung in Afghanistan forcieren. Dies wird er versuchen. Zudem könnte Obama darauf spekulieren, George W. Bushs „Weltkrieg gegen der Terrorismus“ für beendet zu erklären. Nicht sofort, aber in absehbarer Zeit. Bei bin Laden wurden zahlreiche Informationen gefunden. Zusammen mit den Spuren, die al Qaida bei ihrer Reorganisation sicher hinterlassen wird, könnten sie es den USA erleichtern, weitere Führungspersonen der al Qaida auszuschalten, und dann den Krieg offiziell zu beenden, aber mit verdeckten Operationen begrenzt weiter zu führen.
Die komplexeste Determinante dafür, ob Obama sich weiter auf die Altlasten George W. Bushs konzentrieren muss oder noch während dieser Präsidentschaft eigene Akzente setzen kann, ist zugleich jene, die er am wenigsten steuern kann: die „arabischen Revolutionen“. Zunächst bemühte sich die Regierung Obama, sich nicht offen einzumischen, autokratische Herrscher aber mit sanftem Druck hinter den Kulissen zum Rücktritt zu bewegen. Man wollte Finger-, nicht aber Stiefelabdrücke hinterlassen. Das aber wird schwieriger, wenn die „arabischen Revolutionen“ auf autokratisch regierte Staaten übergreifen, die wichtige regionale Bündnispartner der USA sind, Saudi-Arabien oder einzelne Emirate zum Beispiel. Schwieriger wird es auch, wenn die Sicherheit Israels dadurch direkt oder indirekt tangiert wird. Dann muss sich die Regierung Obama wohl oder übel entscheiden, ob sie alte, autokratische Ordnungen stützen oder den Übergang zu einer neue Ordnung mittragen will. Steuern kann sie letzteres nur begrenzt. Noch sind zu viele Ressourcen in den Kriegen George W. Bushs gebunden.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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