Freitag
12. Januar 2001


Prunkstücke moderner Waffentechnologie

Gerhard Piper

Zielgebiet Kosovo: 1999 ging die Uran-Munition vorzugsweise im heutigen deutschen und italienischen KFOR- Sektor nieder

Die Nachrichten kommen aus verschiedenen Ländern: Niederlande, Spanien, Italien, Deutschland, Portugal - würde ein Detektiv die Krankengeschichten der NATO-Soldaten zurückverfolgen, die derzeit gegen Leukämie ankämpfen oder dem Krebstod schon erlegen sind, er würde auf eine Spur stoßen: Alle Betroffenen waren in Jugoslawien stationiert. In Bosnien holte die NATO 1995 zu ihrer Operation Deliberate Force aus, dann folgte 1999 Allied Force mit anschließender Dislozierung von NATO-Truppen im Kosovo. In beiden Fällen setzte die Allianz Munition aus abgereichertem Uran-238 (Depleted Uranium/DU) ein. Ein Schwermetall, das dreimal so schwer ist wie Stahl und daher moderne Sandwich-Panzerungen durchschlägt. Als Paradebeispiel für den Einsatz derartiger Munition gilt die siebenrohrige Kanone des US-Kampfflugzeuges A-10 Warzenschwein, deren theoretische Feuergeschwindigkeit bei 4.200 Schuss pro Minute liegt. Jede Granate vom Kaliber 30 mm enthält 272 Gramm Uran - ein Prunkstück moderner Waffentechnologie.

Zwar haben die Alpha-Strahlen der Uran-Munition nur eine Reichweite von wenigen Zentimetern, wird aber ein Partikel von einem Millionstel Gramm eingeatmet oder verschluckt, kann es nach etwa fünf Jahren Krebs auslösen. Für dieses Isotop beträgt die Halbwertzeit, bei der sich ein Kilogramm Material durch natürliche Kernzerfälle auf ein Pfund reduziert, 4,5 Milliarden Jahre. Mit anderen Worten: Einmal in der Umwelt freigesetzt, ist das betreffende Gelände auf ewig kontaminiert.

Werden Panzerungen von dieser Munition durchschlagen, entstehen Temperaturen von 3.000 Grad. Die Luft im hermetisch abgeschlossenen Innenraum eines Panzers dehnt sich und verflüchtigt sich durch den Einschusskanal des Granattreffers - der ausgelöste Unterdruck lässt folglich die Lungen der Insassen zerplatzen. Durch die Hitze wandelt sich das Uran selbst in hochtoxisches Uranoxyd um, das fein zerstäubt verteilt wird und Personen vergiftet, die sich einem derart zerstörten Panzerwrack nähern. Im konkreten Einzelfall kann jedoch eine Krebserkrankung durch eine Kontamination mit Uran wissenschaftlich nicht nachweisbar sein, da es für Krebs auch "zivile" Ursachen gibt, geringste Spuren von radioaktiven Substanzen im Körper nicht erfasst werden können, die Inkubationszeit mehrere Jahre beträgt. Beim "Balkan-Syndrom" geht es nicht um einen militärisch verbrämten Heldentod auf dem Schlachtfeld, sondern um tödliches Siechtum im sterilen Krankenhaus mit Chemotherapie und medizinischer Bestrahlung: Krebs in Folge von Gift und Radioaktivität kann nur durch andere Gifte und Strahlen geheilt werden. Dabei sind die bisherigen Fälle nur die Spitze des Eisbergs.

Die jetzt bekannt gewordenen Opfer wurden vor Jahren in Bosnien verstrahlt - über die Opfer, die der Kosovo-Krieg noch fordern wird, kann nur spekuliert werden. Doch dürfte deren Zahl größer sein als im Falle Bosniens, denn während dort 1994/95 rund 18.800 Granaten durch die US-Streitkräfte verschossen wurden, waren es im Kosovo 1999 bei 100 Angriffen etwa 31.000, die annähernd zehn Tonnen Uran enthielten - ins Ziel gebracht von amerikanischen Kampfpiloten, nur die USA, Großbritannien und Frankreich verwenden DU-Munition.

Einmal - am 14. April 1999 - griffen A-10 irrtümlich einen Flüchtlingskonvoi zwischen Prizren und Djakovica mit Uran-Munition an. Hunderte Zivilisten wurden verletzt. Ansonsten lagen die Ziele von DU-Munition vorzugsweise in Gebieten, die heute zum deutschen und italienischen KFOR-Sektor in der Krisenregion gehören. Während die Heeresführung in Rom ihre Soldaten warnte, von uranhaltiger Munition gehe "ein besonderes Risiko" aus, wird im "vertraulichen Leitfaden" für Bundeswehrsoldaten lediglich darauf hingewiesen, dass von der in Jugoslawien geförderten Steinkohle naturbedingt eine erhöhte radioaktive Strahlung ausgehe.

Es sei an dieser Stelle nachdrücklich vermerkt, dass es in allen vier jugoslawischen Bürgerkriegen nie zu einem nennenswerten Einsatz von Kampfpanzern kam - die in den Kasernen deponierten Exemplare hätten sich auch mit herkömmlichen Raketen zerstören lassen. Selbst im beschränkten Horizont rein militärischen Denkens war also der Einsatz uranhaltiger Munition völlig unnötig. Die NATO wusste außerdem seit dem Golfkrieg von 1991, wie gefährlich diese Munition war. Damals feuerten die alliierten Streitkräfte 944.000 Granaten mit mindestens 300 Tonnen Uran ab, wodurch jenes "Golfkriegs-Syndrom" mit verursacht wurde, an dem bis heute 100.000 alliierte Soldaten und eine größere Anzahl irakischer Zivilisten leiden.

Auch zu Friedenszeiten besteht in Deutschland übrigens eine Gefährdung durch uranhaltige Munition. Die seit 20 Jahren hierzulande stationierten US-Kampfpanzer M-1 Abrams verschießen "APFSDS-T Granaten", die mit Wolfram und Uran gehärtet sind: 105-mm-Granaten "M735" oder 120-mm-Geschosse "M827". In welchem Umfang ist es dadurch zu einer Verstrahlung von Truppenübungsplätzen in Süddeutschland mit entsprechenden "Kollateralschäden" gekommen?

 

Gerhard Piper ist Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).