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Freitag
07. September 2001 |
Die Unersättlichen
US-Militärreform - Es sollte der große Supermacht-Wurf werden. Doch
den High-Tech-Träumern geht das Geld aus
Otfried Nassauer
Ich werde sofort mit einer umfassenden Überprüfung unseres Militärs
beginnen«, versprach George W. Bush schon als Präsidentschaftskandidat. Von »oben nach
unten«, von den nationalen Interessen bis hin zu Struktur, Strategie und Beschaffung der
Streitkräfte soll der Bedarf Amerikas an militärischen Fähigkeiten weltweit neu
bestimmt werden - angepasst an eine Welt, in der es nur mehr eine Supermacht gibt. Die
Überprüfung werde - so Bush - zu radikalen Veränderungen führen, zu mehr als
»marginalen Verbesserungen« und »zum Überspringen einer Technologiegeneration«.
Goldene Zeiten für die militärischen Denkfabriken, das Militär und die
Rüstungsindustrie deuteten sich an. Erstmals seit Ronald Reagan sollte man wieder einen
Präsidenten mit einem Faible für militärische und technische Zukunftsvisionen haben,
der diese - koste es, was es wolle - auch Wirklichkeit werden lassen will. Die Aussicht
auf mehr Geld, viel mehr Geld. Vorherrschaft und Überlegenheit durch technischen
Vorsprung - das war die Devise, die Bush und sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld
auszugeben schienen. Zu Wasser, zu Lande, in der Luft und im Weltraum. Kaum war die neue
Administration im Amt, wurden Forderungen artikuliert: 30, 50 oder gar 100 Milliarden
Dollar mehr pro Jahr benötige das Militär, um sich nach acht Jahren der
»Vernachlässigung«, mangelnder Modernisierung und innerer Aushöhlung durch
Unterfinanzierung zu regenerieren.
»Transformation« heißt das Stichwort. Revolutionär, nicht nur evolutionär sollen die
Veränderungen sein. Die US-Streitkräfte wollen auf alle Herausforderungen der Zukunft
vorbereitet sein: Auf die wachsende Bedeutung Asiens für die Interessen der USA (siehe
Freitag vom 24.8.), auf die steigende Zahl kleinerer, begrenzter Konflikte, auf
unvorhersehbare Risiken aller Art. Dazu gehören nach Lesart der Bush-Administration die
Bedrohung durch Raketen und Massenvernichtungswaffen ebenso wie jene durch Computer- und
Informationskriegführung. Die Gegner können Staaten, aber auch nichtstaatliche Akteure
wie Terroristen oder das Organisierte Verbrechen sein. Die Welt des 21. Jahrhunderts lasse
weniger traditionelle Kriege, dafür aber um so mehr Konflikte unkonventioneller Art
erwarten, in denen die Vereinigten Staaten als alleinige Supermacht durch asymmetrische
Kriegführung an einer ihrer Achillesferse verwundet werden könnten.
Die Reformer Rumsfelds haben einen Faible für zukunftsorientierte Großprojekte und die
Hochtechnologie - mit anderen Worten: für den Appetit der Rüstungsindustrie nach
Subventionen aus dem Verteidigungshaushalt. Das zeigt sich nicht nur bei Raketenabwehr und
Weltraumrüstung. Gedacht wird an einen Bomber, der binnen 30 Minuten an jedem Ort der
Erde seine Waffen zum Einsatz bringen kann, an ein Transportflugzeug, das in drei oder
vier Tagen das Siebzehnfache der Last eines C-17 Flugzeuges über 5.000 Meilen
transportiert, an ganze Armaden unbemannter Aufklärungs- und Kampfdrohnen, an
superschnelle militärische Großraumfrachtschiffe, an Luftbetankungsflugzeuge ungeahnter
Leistungsfähigkeit, an konventionelle Langstreckenwaffen auf U-Booten, an
Präzisionsgeschosse und vor allem an neue computergestützte Kriegführungsfähigkeiten.
Das Pentagon »ist dabei einen sehr signifikanten Paradigmenwechsel zu vollziehen«, meint
Paul Wolfowitz, der Stellvertreter Rumsfelds. Das amerikanische Militär werde nicht
länger darauf ausgerichtet werden, zwei größere Kriege - etwa am Golf und in Korea -
gleichzeitig gewinnen zu können. Vielmehr gelte es, in einem solchen Krieg bestehen zu
können und zugleich »ein breiteres Feld mittel- und langfristiger Eventualfälle und die
Optionen für den Einsatz von US-Streitkräften auch in Vorkriegssituationen zu
gewährleisten«.
Konservative Kritiker fürchten dagegen, dass angesichts der Hochtechnologie-Euphorie für
das realistisch Machbare und die Aufrechterhaltung der militärischen Fähigkeiten der USA
zu wenig Geld übrigbleiben könnte. Schon heute fehle schlicht das Geld, die riesigen
Kriegsreserven der USA in Europa nach Asien zu transportieren, wo sie künftig dringlicher
nötig seien. Eine evolutionäre Entwicklung der US-Streitkräfte sei daher einer
unrealistischen revolutionären vorziehen.
Bald geriet der ehrgeizige Reformansatz Rumsfelds ins Stocken. Der 30. Juni verstrich,
ohne dass die Administration die gesetzlich vorgeschriebene Neufassung der Nationalen
Sicherheitsstrategie vorgelegt hätte. Am 30. September ist Rumsfeld gesetzlich
verpflichtet, dem Kongress eine alle vier Jahre fällige Überprüfung der
Verteidigungspolitik vorzulegen. Allenfalls deren strategische Grundlinien werden
rechtzeitig fertig.
Und zwar aus zwei Gründen: Erstens wird das Geld knapp. Präsident Bush hat eine
gigantische Steuersenkung von 1,35 Billiarden Dollar durchgesetzt. Die Wirtschaft der USA
aber boomt nicht mehr. Beides reduziert die Steuereinnahmen. Schon droht, dass steigende
Militärausgaben nur noch durch den Griff in die Sozialkassen oder durch Neuverschuldung
finanziert werden können. Zweitens findet die Auseinandersetzung um Rumsfelds Ideen im
Dschungel politischer und bürokratischer Guerillakämpfe der Washingtoner
Interessengruppen statt. Jene Strukturen, die Dwight Eisenhower schon 1961 als
»militärisch-industriellen-parlamentarischen Komplex« bezeichnete, machen Rumsfeld den
Job schwer. Wo auch immer der Minister kürzen und umsteuern will, trifft er auf starke
Interessengruppen, die seine Pläne zunichte machen wollen. Abgeordnete, die um
Militäranlagen oder Rüstungsarbeitsplätze in ihren Wahlkreisen fürchten,
Industrielobbyisten, die ihre Großprojekte gefährdet sehen, Militärs, die Strukturen
und Posten absichern wollen.
Rumsfeld findet sich in einer - hierzulande nicht unbekannten - Zwickmühle wieder: Soviel
zusätzliches Geld, wie er zur Umsetzung seiner Reformvorstellungen benötigt, kann er bei
Präsident Bush für den Haushalt 2002 nicht loseisen. Ein Umstrukturierung und
Verkleinerung der US-Streitkräfte soll die Mittel für die geplante Modernisierung
freisetzen. Vorschläge, zwei oder drei der zehn aktiven Heeresdivisionen, bis zu 16 der
61 Luftwaffengeschwader und ein oder zwei der zwölf Flugzeugträgergruppen aufzugeben,
kursieren. Doch wieder ist es eine Rechnung ohne den Wirt: Das Parlament wehrt sich
vehement.
18 Milliarden Dollar mehr als im laufenden Haushalt hat George Bush dem Militär für 2002
zugestanden, 39 Milliarden mehr als die Finanzplanung Clintons vorsah. Jährlich 50-60
Milliarden Dollar zusätzlich möchten Militär und Industrie. Frustration macht sich
breit. »Wir genehmigen dem Militär die höchste Ausgabensteigerung seit 1984 und die
gehen an die Öffentlichkeit und jammern«, klagte kürzlich ein führender Mitarbeiter
des Weißen Hauses, »(...) die glauben, sie könnten noch mehr Geld vom Kongress
bekommen, noch mehr Macht anhäufen - alles, was sie wollen ist mehr Geld, mehr Geld und
keine Reform«.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit (BITS).
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