Freitag
02. Februar 2001


Bush-Krieger

ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT
Sicherheitspolitik mit den Waffen von morgen im Geist von gestern

Otfried Nassauer

München ist an diesem Wochenende Schauplatz der 37. Wehrkundetagung der Internationalen Konferenz für Sicherheitspolitik, wie sie seit Ende des Kalten Krieges heißt. In diesem Jahr kommt dem Ereignis besondere Bedeutung zu. Donald Rumsfeld, der neue amerikanische Verteidigungsminister, wird erwartet und mit ihm Aufschluss über die künftige Sicherheitspolitik der neuen, rechts-konservativen Regierung Bush.

Mit starken Worten und der Ankündigung deutlicher Veränderungen hat sich die neue Administration eingeführt. Ob ihrer konservativen Ausrichtung runzelt sich bis in die europäischen Regierungen hinein so manche sorgenvolle Stirn. Vielen schwant, dass Bush neben seinen NMD-Plänen nicht nur die Militärausgaben deutlich erhöhen, sondern auch die europäischen Staaten zu drastisch steigenden Verteidigungslasten und noch stärkerer Unterordnung unter die amerikanische Führungsrolle pressen könnte. Andere befürchten, dass sensibel zu handhabende außenpolitische Beziehungen - wie zu Russland, China, Indien - schnell und anhaltend beschädigt werden.

Im Kern laufen all diese Bedenken auf zwei zentrale Aspekte hinaus: Zum einen könnte die neue Regierung die US-Politik so radikal verändern, dass die nach dem Ende des Kalten Krieges mühsam aufrechterhaltene Stabilität des Internationalen Systems nachhaltig gefährdet würde - vor allem durch einen wachsenden Unilateralismus. Zum anderen wird mit Argusaugen auf jene Aspekte der künftigen amerikanischen Politik geachtet, die Veränderungen des eigenen, nationalen Handlungsspielraums zur Folge hätten.

Absehbar ist, dass die US-Außenpolitik der Zukunft noch stärker als bislang von der Innenpolitik beeinflusst wird. Während es theoretisch denkbar wäre, dass der durch den umstrittenen Wahlausgang geschwächt startende Präsident versucht, durch schnelles, radikales Umsteuern das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen, birgt dieses Vorgehen gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik gleich mehrere Gefahren: Die innenpolitische Opposition könnte schnell und entscheidend an Boden gewinnen; der außenpolitische Schaden könnte immens sein; und vielleicht entscheidend: Die finanziellen Kosten einer ungebremsten Politik militärischer Stärke stehen in direkter Konkurrenz zu Bushs wichtigstem innenpolitischen Wahlversprechen - einer massiven Steuersenkung.

Die Bush-Administration wird deshalb versuchen, die Erwartungshaltung der eigenen Wählerschaft und die negativen außenpolitischen Nebenwirkungen gegeneinander auszubalancieren. Rhetorisch wird man vor allem in Bereichen mit innenpolitisch hohem Symbolwert für das konservative Wählerklientel aufrüsten. Bedrohungsszenarien, höhere Verteidigungsausgaben und die Nationale Raketenabwehr (NMD) dürften ebenso Konjunktur haben wie eine schärfere Tonlage gegenüber Russland, China und anderen Staaten, die nicht als Partner gelten. Praktisch werden mit dem Haushalt 2002 die Militärausgaben für potentielle Zukunftstechnologien und eine größere Einsatzbereitschaft der US- Streitkräfte deutlich ansteigen.

Als sicher gilt die Wiederbelebung der Forschung an einem umfassenden, mehrstufigen Raktenabwehrsystem - mit erheblich mehr Mitteln für die weltraumgestützten Elemente der Raketenbekämpfung und für Systeme zur Bekämpfung von Raketen in der Startphase (boost phase intercept). Offen bleibt jedoch, ob die Stationierung von NMD schnell begonnen und der ABM-Vertrag damit de facto Makulatur wird, oder ob man das ganze Projekt zu Clintons Fehlinvestition erklärt, um Zeit und politischen Spielraum für eine Einigung mit Russland, China und anderen Kritikern zu gewinnen. Mit der Weiterentwicklung und Dislozierung regionaler, kriegsschauplatzgebundener Raketenabwehrsysteme (theater missile defense) ist jedoch auf jeden Fall zu rechnen - schon, um Bündnispartner in Europa und Asien noch stärker in die amerikanische Globalpolitik einzubinden.

Gleichzeitig verliert die vertraglich vereinbarte Rüstungskontrolle (vor allem mit Russland) an politischer Bedeutung, ohne dass deshalb Initiativen zur nuklearen Abrüstung ausgeschlossen wären. Einem solchen Vorgehen könnte am Ende der gesamte START-Prozess zum Opfer fallen, während man im selben Atemzug weitreichendere Abrüstungsschritte umsetzt als in den Verträgen vorgesehen. Der Vorteil aus Sicht der neuen Administration: Die Abrüstung bliebe reversibel, weil rechtlich nicht bindend. Zudem hielte sich die neue Administration alle Optionen zur Entwicklung einer neuen Generation nuklearer Waffen, sogenannter Mini-Nukes, offen, mit denen tief verbunkerte Ziele bekämpft werden können.

Bei militärischen Interventionen dürfte künftig deutlich größere Zurückhaltung herrschen, vor allem dann, wenn nationale Interessen nicht unmittelbar berührt scheinen oder lange Einsatzzeiten für größere Verbände drohen. Offen bleibt zunächst, ob man mit Europa eine Arbeitsteilung nach dem Motto "Wir machen den Kampfeinsatz aus der Luft, ihr die Nachsorge am Boden" anstrebt, oder ob die Europäer künftig öfter vor die Entscheidung gestellt werden, ohne amerikanische Unterstützung einzugreifen. Auf moralische, ethische oder humanitäre Begründungen wird sich die neue Administration jedoch nur zu propagandistischen Zwecken nicht aber im Rahmen tatsächlicher Entscheidungsfindung einlassen.

Zugleich wird Washington bei den europäischen Verbündeten auf höhere Militärausgaben und mehr Investitionen in militärische Zukunftstechnologien drängen - auch in der Hoffnung auf steigende Rüstungsexporte aus den USA. Ob das mit einer größeren europäischen Eigenständigkeit bei der Entscheidung über militärische Interventionen einher geht, ist jedoch noch nicht ausgemacht, zumal wenn Washington die Hürden für einen Einsatz amerikanischer US-Streitkräfte deutlich erhöht.

In München werden die scharfen Kontroversen über den europäischen NATO-Beitrag und das NMD-Vorhaben im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Schon vergleicht die neue US-Administration Europas zaudernde Haltung in Sachen Raketenabwehr mit den Diskussionen über die Nachrüstung zu Beginn der achtziger Jahre. Dies macht überdeutlich, wo die neue Administration ansetzt: Im tiefsten Kalten Krieg, bei Rezepten aus Ronald Reagans "goldenen Zeiten". Dies wird den Notwendigkeiten im transatlantischen Verhältnis nicht gerecht. Die eigentlich wichtigen Fragen werden überdeckt: Wie wird das künftige Verhältnis, die sicherheitspolitische Arbeitsteilung zwischen USA und Europäischer Union aussehen? Wieviel Autonomie gewähren die Vereinigten Staaten - und damit die NATO - Europas künftiger Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Und nach welchen Kriterien wird künftig gemeinsam über den Einsatz von Streitkräften entschieden?

Auf diese entscheidende, letzte Frage sind vor allem die europäischen Staaten schlecht vorbereitet. Argumentationslinien einer werteorientierten, "ethischen Außenpolitik", verkörpert durch Politiker wie Tony Blair oder Joschka Fischer, lösen bei realpolitischen Republikanern nur müdes Lächeln aus und können nicht als Grundlage gemeinsamen transatlantischen Handelns dienen. Sie stellen Europa vor ganz andere Fragen: Was sind die europäischen Interessen? Gibt es diese überhaupt? Stimmen sie mit denen der USA überein? Sind die Gemeinsamkeiten groß genug für gemeinsames Handeln? Ist Europa willens und fähig, unverblümt und realistisch Macht- und Interessenpolitik zu betreiben? Europas Antwort auf diese Fragen muss schnell gefunden werden. Das ist die eigentliche Herausforderung durch die neue US-Administration.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).